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Mark E. Smith – ein spöttischer Pop-Prophet

Mark E. Smith Foto: samsaundersleeds Lizenz: CC BY-SA 2.0


Er war ein radikaler Individualist, Vorzeige-Grantler und Chef-Zyniker. Zwei Monate vor seinem 61. Geburtstag ist gestern Mark E. Smith gestorben, der mit 32 Studioalben und fast 70 Musikern an seiner Seite das lange Leben seiner Band The Fall in 41 Jahren prägte. 

Der Hamburger Kulturwissenschaftler Diedrich Diedrichsen schrieb 1981 in der Musikzeitschrift Sounds, dass The Fall die letzte wahre Punkgruppe ist – und gleichzeitig die einzige, die für Friedrich Nietzsche gesungen hätte. Diedrichsen war nicht der einzige Fanboy dieser schwer zu fassenden Band, die britische Radio-Ikone John Peel war ebenfalls ein großer Verehrer von The Fall. Im Jahr 1978 sah Peel zum ersten ein Konzert von der Postpunk-Band – damals im Vorprogramm von Siouxsie & The Banshees. Danach schrieb Peel an den Fall-Sänger: »Du kennst mich nicht, aber ich kenne dich« – und er bot der Band an eine seiner berühmten Sessions aufzunehmen. Diese fand am 30. Mai 1980 statt und wurde ein paar Wochen später ausgestrahlt. Es war die erste von insgesamt 24 Aufnahmesessions. Von dem Augenblick an waren The Fall eine sehr exponierte Band für Peel – und natürlich auch für seine Hörer.

John Peel sagte immer, diese Band sei genauso wie er. Damit meinte er nicht, dass der Radiomacher genauso aggressiv, experimentell, provozierend und Schlägereien zugeneigt wäre, wie etwa Mark E. Smith. Diese gefühlte Gemeinsamkeit fußte eher darin, dass The Fall und Peel stets anders, aber trotzdem immer gleich waren. Ab 1979, als der Fall-Song „Rowche Rumble“ (übrigens eine versteckte Hommage an die Surf-Gitarristen-Legende Link Wray) auf einem der hinteren Plätze  seiner persönlichen Jahrescharts landete, war die Band um den eigenwilligen Charakterkopf Mark E. Smith immer wieder mit mindestens einem Song in den Listen vom britischen Hörfunkmoderator vertreten, bis im Jahr 1990 die bittersüße Hymne „Bill Is Dead“ auf dem ersten Platz landete. Als Peel nach einer Song-Liste für die einsame Insel befragt wurde, wählte er „Eat Y’self Fitter“ für seine Liste, direkt zwischen Klassik von Rachmaninow und Georg Friedrich Händel, sowie Roy Orbison.

Auch das musikalische Feld von The Fall war weit gegriffen: monotone und eckige Beats, hypnotische Krautrock-Atmosphäre, Avantgarde-Skiffle, Electronica und zerhackte Rockabilly-Rhytmik – und immer wieder die näselnde und gebetsmühlenartige Stimme des Pop-Propheten Mark E. Smith, der wie eine Mischung aus Mahner, Hafenkneipen-Philosoph und Mr. Bean in der verdrehten Kaputtnik-Version durch das Leben stolperte – und parallel seine Sichtweise auf die bedeutsamen Dinge des Lebens mit vielen Drogen und noch mehr Alkohol „schärfte“: »Als The Fall mussten wir doppelt so fies sein wie Duran Duran – und doppelt so gehässig wie Oasis. Das scheint mein Schicksal zu sein«, sagte Smith in einem Interview im Jahr 2007. Er war konsequent unbequem – und wollte stets unangepasst sein. War Smith sauer, konnte er seine Mitmusiker schon mal mit Stühlen bewerfen, unverschämte Gagen-Forderungen stellen oder manchmal sogar so hilflos sein, wie ein Kind.

Als die Band im Oktober 2004 im alten Dortmunder FZW am Neuen Graben auftrat, wollte Mark E. Smith nicht durch das Publikum gehen, da es vom Backstageraum keinen separaten Weg zur Bühne gab. So nahm er den umständlichen Weg durch den Garten dieses Jugendzentrums, der jedoch von einem meterhohen Zaun abgesperrt war – und der Schlüssel zu diesem Tor war nicht aufzutreiben. Die örtliche Türsteher-Crew (damals noch ein lokales Chapter der Bandido Rocker) lösten das Problem auf ihre Weise: einer der Rocker packte den dünnarmigen Fall-Sänger etwa in Bauchhöhe, schulterte ihn und warf ihn dann gelinde gesagt einfach über den Zaun. Sicher: das ist nicht die feine englische Art – doch diese hat Mark E. Smith auch sein Leben lang nicht vorgelebt, sondern eher mit Worten und Füßen getreten. Möge er nun in Frieden ruhen.

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