Nibelungenmarathon-Blogstream (Rough-Mix)

Ambition trifft Reclam. Foto: Charlene Markow

Das Theater als Autor. Achtung Baustelle! – Anlässlich der 24stündigen Nibelungenmarathon-Lesung im Rottstr5Theater vom 21. bis zum 22. Mai richtet der Dramaturg Carsten Marc Pfeffer einen Blogstream ein. Im Ergebnis entsteht ein Gemeinschaftstext der Beteiligten. Eine spannende Chronologie, die anhand von Erlebnisberichten den Marathon Revue passieren lässt. Heute am 23. Mai geht der Rough-Mix online. Doch der Text wächst weiter. Bis zum 30. Mai wird der Blogstream mit nachgereichten Beiträgen ergänzt.

 

Hagen von Rott klickt sich durch

um 12Uhr schreibt Carsten Marc Pfeffer:

 

Es ist jetzt Punkt 12. Es kann beginnen: 24 Stunden die Nibelungen als Nonstop-Lesung. Wieder so eine Wahnsinnstat im Rahmen des Bochumer-Ring-Projektes, der Großbaustelle des Rottstr5Theaters im Jahre 2011. „Viele Geschichten gibt es über die sagenumwobenen Nibelungen zu erzählen“, so hatte ich im Pressetext geschrieben eher verharmlosend gegenüber der irrsinnigen Textflut, die in den folgenden 24 Stunden über uns hereinbrechen wird. Das bisher gesichtete Material füllt zwei Billy-Bücherregale von Ikea. Wer soll das aushalten? Was wird dieses Kompendium mit uns machen? Wir werden sehen. Zumindest für das leibliche Wohl ist gesorgt. Dank der Kooperation mit der Literarischen Gesellschaft konnten wir ein kleines kostenfreies Burgunnen-Buffet anrichten, und so schmierte ich im Vorfeld gefühlte 1000 Käse- und Mettbrötchen, richtete appetitliche Obstkörbe an und schnitzte zu dekorativen Zwecken aus gewaltigen Eisbrocken sagenhafte Phantasiefiguren. Eine Sisyphusarbeit bei den hochsommerlichen Temperaturen. Nicht gerade Theaterwetter, dachte ich. Zweifelhaft, ob überhaupt Publikum erscheinen würde. Doch es gibt Projekte, bei denen kommt es nicht unbedingt auf Resonanz an, sondern darauf, dass man sie durchzieht. Und so schnitze ich weiter Zwerge, Elfen und Drachen in das schmelzende Eis. Doch nicht nur ich war fleißig. Während die Dramaturgie in der Brötchenküche beschäftigt war, richteten die leitenden Regisseure die Bühne ein. Arne Nobel zitierte Baudrillard und probte den Aufstand der Zeichen: einmal Heimtrainer samt Discokugel, zweimal Sofa und natürlich die orangeangestrahlte Madonna-Statue, der zu Füßen ein jungfräuliches Rugby-Ei liegt. Dazu ein paar Flaggen diverser Nationen, zerfetzt versteht sich. Im Grunde ist die Formel ganz einfach: Wer die Postmoderne inszeniert, sollte gleichsam die Chuzpe aufbringen, sie beenden zu wollen. Dann klappt es auch mit dem Bühnenbild. Natürlich darf der Spaßfaktor dabei nicht vergessen werden. Und so spannte Hans Dreher über die linke Bühnenseite eine gewaltige Leinwand, auf die alsbald via Beamer die Xbox projiziert wurde. Mit „The Elder Scrolls IV: Oblivion“ hatte der Regisseur ein gewaltiges Nibelungen-Panorama gefunden: digitale Finsterlinge, die sich durch ein mystisch aufgeladenes Mittelalter metzeln. Schon programmierte er die Avatare: Gunther, Siegfried und natürlich Hagen von Rott. Oliver Thomas kümmerte sich derweil um die Einlassmusik. „In The Light“ von Led Zepplin? „Nee, lieber Manowar“, insistierte Nobel: „The Crown and the Ring!” – Also gut. Dann kann es ja losgehen.

 

Hand aufs Herz

um 13Uhr schreibt Werner Streletz:

 

Im vergangenen Herbst gehörte ich zu den Organisatoren der siebentägigen Nonstop-Lesung „Tugend und Laster“ der Literarischen Gesellschaft im Kunstmuseum; und brachte dabei E.A. Poes Geschichte um das Haus Usher zu Gehör (zur Stunde des Morgengrauens übrigens). 168 Stunden ununterbrochener  Marathon mit beinahe stündlich wechselnden Vorlesern, immer neuen Themen, Autoren und Stilen. Dagegen scheinen 24 Stunden Nibelungen eine eher leichte Übung zu bedeuten. Und so muss ich schmunzeln, als Arne Nobel nach dem ersten Schwung an Texten fragt: „Ist eine Stunde schon vorbei?“ Das ist sie noch nicht und so schiebt er einige allgemeine Sätze über das Themenkonzept an der Rottstraße und einen Nibelungen-Monolog nach. – 24 Stunden sind zwar keine 169 Stunden, doch einen vollen Tag sitzt man ebenfalls nicht so nebenbei ab.

Auch im vergangenen Jahr beim siebentägigen Nonstop hieß es Durststrecken zu überwinden. Zumal zu Zeiten zwischen Nacht und Tag. Wenn dem Vorlesenden über Stunden nur zwei Zuhörer gegenüber saßen. Und diese zum Organisationsteam gehörten. Doch nie wäre jemand auf die Idee verfallen, nun eine überlange Zigarettenpause einzulegen oder ein Nickerchen dazwischen zu schalten. Zumal die Möglichkeit bestand, dass die Livestream-Kamera diese unentschuldbare Unterbrechung in alle Welt hinausposaunen würde. Doch
dessen ungeachtet war damals klar: Nicht die Zahl der Zuhörer ist wichtig – obwohl ein großes Auditorium natürlich wünschenswert ist. Die Lesung selbst ist das Ziel, das Ergebnis, das Kunstwerk. Sie gilt es möglichst pannenfrei zu verwirklichen. Als literarischer Dauerton gegen die oberflächliche akustische Umweltverschmutzung, der wir ansonsten täglich ausgesetzt sind. Als Vorbild für diese Haltung wären jene Aktionskünstler zu nennen, die ihre Projekte verwirklichen, ohne dass eine Außenwelt davon (zunächst) Kenntnis nimmt. Auch diese Künstler könnten sich Nachlässigkeiten erlauben, die niemandem auffallen würden. Doch – Hand aufs Herz – sie würden sich dabei nur selbst betrügen. Darum gilt auch an der Rottstraße: Es muss gelesen werden! Auch wenn nur eine überschaubare Zuhörerzahl im Gewölbe sitzt. Die Nibelungen – in unterschiedlichster literarischer Umkleidung – ziehen trotzdem weiter, ob von ihnen in Form traditioneller Balladen berichtet wird oder in der riskanten Montagetechnik von Heiner Müller in dessen verstörendem Theaterwerk „Germania Tod in Berlin“.

 

Eintrag ins Gästebuch

um 15Uhr schreibt Rasmus Rehn:

 

Lydia und Rasmus lesen Müller. Foto: Charlene Markow

Hallo,

ich und Lydia haben am Samstag von 13:00 bis 14:45 Uhr im kleinen aber feinen
Theater an der Rottstraße Gedichte des 18. und 19. Jahrhunderts und ein paar
Auszüge aus Heiner Müllers grotesken Germania-Stücken vorgetragen.

Der 24stündige Nibelungenmarathon war eine gelungene Veranstaltung, in der
nicht nur das Heldenepos selbst, sondern auch viele weniger bekannte
Bearbeitungen des Stoffes rezitiert wurden, – ein wahhaftes „Nibelungenmahl“,
wie Benn sagen würde.

Es hat sehr viel Spaß gemacht. Vielleicht gibt es ja demnächst eine
Fortsetzung….?

 

Erinnerungen an Steckel

um 15.30Uhr schreibt Werner Streletz:

Ich erinnere mich an die eindringliche Deutung des urdeutschen Stoffs durch den damaligen Intendanten des Schauspielhauses, Frank-Patrick Steckel. Eine Inszenierung, die mir lange in Erinnerung geblieben ist, und die seinerzeit zum Berliner Theatertreffen eingeladen worden war. Lang, lang ist’s her. Sowohl die Inszenierung als auch eine Einladung des Bochumer Schauspielhauses zum Premium-Treffen in der Hauptstadt an der Spree. Tja…

 

Joggen in Stretch

um 16Uhr schreibt Honke Rambow:

 

Ich hole meinen Anzug aus dem Schrank, „Abendgarderobe“ ist die Ansage, es ist also der schwarze Anzug, den ich echt lange nicht mehr getragen habe. Er stammt aus einer Zeit, als man dachte, dass Stretch-Materialien eine gute Idee für Anzüge seien. Eine Scheiß-Idee war das. Ein Anzug soll dem Mann Halt geben, eine Art moderne Rüstung sein, schützen vor den Wirrnissen des Business oder was auch immer. Stretch-Materialien tun das nicht, sie fühlen sich an, als würde man Joggen gehen. Da hilft es nicht, dass er teuer war. Nichtmal vernünftig in Form bügeln lässt er sich.

 

Zwei Päckchen Zigaretten

um 17Uhr schreibt Honke Rambow:

 

Auf dem Weg von Essen nach Bochum fühle ich mich, als würde ich zu einer Blues-Brothers-Convention fahren. Schwarzer Anzug, weißes Hemd, schwarze schmale Krawatte, schwarze (kaputte) Stoffschuhe als gezielter, ästhetischer Bruch. Na ja, eigentlich sind sie nur bequemer und man weiß ja nicht, was kommt.

Zwei Päckchen Zigaretten zur Sicherheit am Bahnhof. Es kann ja länger werden heute und irgendjemand findet sich immer im Rottstr5Theater, der zwischendurch schnorrt. Im Zweifelsfall Arne Nobel. Noch etwas essen? Nein, es gibt ja ein Burgunden-Buffet.

 

Wunderbar wahnsinnige Apotheose

um 17.30 Uhr schreibt Honke Rambow:

 

Irgendwie beginnt schon hier, meine Erinnerung zu verwischen. Nietzsche wird gelesen. Der Fall Wagner. Großartiger Text. Wunderbar wahnsinnige Apotheose im letzten Abschnitt.

 

 

Die weibliche Form von Recken

um 18 Uhr schreibt Honke Rambow:

 

Immer mehr Rottstr5ler treffen ein. Rumstehen in „Abendgarderobe“ im Hinterhof. Das sieht großartig aus. Die tapferen Recken sammeln sich. Es sind großartige Frauen dabei, aber es gibt keine weibliche Form von „Recken“.

 

 

Trockener Humor

um 19 Uhr schreibt Honke Rambow:

 

Werner Streletz liest mit Carsten Pfeffer und Charlene Markow sein Stück „Volkers Lied“. Es gibt einen schönen, sehr trockenen Humor in dem Text. Pfeffer bringt das am besten rüber. Pfeffer-Humor.

Von Alzei bis Punk

um 20Uhr schreibt Werner Streletz:

 

Markow, Streletz, Pfeffer (v.r.n.l.) lesen "Volker von Alzei". Foto: Oliver Thomas

Ich bin vor einiger Zeit von Arne Nobel angesprochen worden, ob ich für den Nibelungen-Zyklus ein Stück schreiben wolle. Ich sagte zu, zumal mich die Aussicht reizte, so ganz nebenbei noch einmal tief in diese uralte Geschichte hineinzusteigen, die mir nur noch in ihren groben Abläufen gegenwärtig war: der Rest versunken in den Tiefen meiner Vergangenheit. Da ich darum bat, erst im Herbst die Uraufführung meines Stücks einzuplanen, ging ich davon aus, dass bis dahin all die naheliegenden Nibelungen-Themen wie Siegfrieds Tod und Kriemhilds Rache abgefrühstückt sein würden. Ich wollte mein Theaterspiel also von einer Nebenfigur aufzäumen. Ähnlich, wie es Tom Stoppard beim Hamlet-Stoff mit Rosenkranz und Güldenstern erfolgreich probiert hat. Ein Freund gab mir den Tipp, in meinem Nibelungen-Versuch doch Volker, den Spielmann, ins Zentrum zu stellen. Dieser Recke und Musikalartist würde im ganzen Nibelungenlied dabei sein und erst mit den anderen beim großen Massaker auf Etzels Burg sein Ende finden. Die Figur Volker gefiel mir nicht zuletzt deshalb, weil dadurch möglich sein würde, mein Stück mit vielerlei Melodien zu garnieren: vom Minnegesang bis zum Punk. Als die beiden anderen Figuren wählte ich – ein Tipp des profunden Bochumer Nibelungen-Kenners und -Übersetzers Prof. Siegfried Grosse –    Hagen und Brünhild: beide keine strahlenden Helden, sondern (zumindest bei mir) eher gebrochene Charaktere. Das alles erzählte ich also den Zuschauern in der Rottstraße, bevor wir zu dritt zum Blatt griffen.

Mein Text ist zu etwa zwei Dritteln fertig. Rottstraßen-Dramaturg Carsten Pfeffer las den Hagen und Charlene Markow die Rolle der Brünhild. Ich hatte mir den Volker reserviert. Obwohl wir den Text zuvor kein einziges Mal gemeinsam geprobt hatten, klappte die Rezitation prima. Charlene und Carsten konnten dem Text jene Anschaulichkeit verleihen, die dem Publikum ermöglichte, sich das Geschehen um das Bühnen-Trio zwischen Glücksverheißung und Doppelmord vorzustellen. So jedenfalls meine Empfindung. Dann war der ausgeschriebene Text zu Ende. Sehr herzlicher Beifall. Was den Autor selbstredend freute. Die erste Feuerprobe war gelungen. Dann erläuterte ich anhand schon vorhandener Textfragmente, wie das Stück weitergehen und enden würde. Danach wiederum viel Beifall. Meine Zuversicht, dass sich Ähnliches auch nach der Uraufführung im Herbst ereignen könnte, wuchs beständig. Arne Nobel lobte aus dem Publikum: „Geiles Teil!“ Obwohl das nicht gerade mein Sprachgebrauch ist, wusste ich, was er meinte. Schönes Gefühl. – Arne ist übrigens als Hagen gesetzt.

Mein Stück soll heißen: Volkers Lied (der Nibelungen). Die Möglichkeit, einen Teil des Titels in Klammern zu setzen, hat mir vor gefühlten 1000 Jahren bei einigen Songs von Elvis Presley gut gefallen: Any Way You Want Me (That’s How I Will Be). Als ein Beispiel.

In meinem Stück reißen zum Schluss nacheinander alle Saiten der Gitarre von Volker – ein Ende in Etappen also. Nach der Dreier-Lesung kam Andreas Bittl zu mir (er soll den Volker spielen). Andreas schlug vor, man könne die Saiten ja auch mit einer kleinen Zange durchschneiden. So sei der Effekt auf ebenso sichere wie praktische Weise zu erreichen. Ich stimmte sofort zu. Wir haben ja nicht vor, ein prüde realistisches Spiel auf die (nichtvorhandene) Bühne zu stellen. Die Vorbereitungen für die Uraufführung hatten unversehens begonnen. Weiteres im Herbst – hier in diesem Theater.

 

Der Pressereferent auf der Bühne

um 20.30 Uhr schreibt Honke Rambow:

 

Wir starten mit Hebbels Nibelungen. Die Erinnerung wird immer schwammiger. Ich habe durch die Nacht hindurch sicher viel getrunken, aber nicht so viel, dass der Alkohol daran schuld sein könnte. Es ist etwas anderes. Es ist die Bühne. Ich gehöre da ja eigentlich nicht hin. Ich bin Zuschauer, Kritiker, Pressereferent. Ich bin selten auf Bühnen. Es ist für mich immer noch ein sakraler Ort, den ich nur in Ausnahmefällen und nach ausdrücklicher Genehmigung durch einen Eingeweihten betrete. Selbst in der Rottstr5. Selbst hier, wo die Bühne auf einem Niveau mit dem Zuschauerraum ist.

Im Vorspiel „Der gehörnte Siegfried“ wird mir das Lesen der Regieanweisungen von Arne und Hans übertragen. Das passt wohl zum Pressereferenten des Theaters.

 

Das Fassbinder-Gefühl

um 21Uhr schreibt Carsten Marc Pfeffer

 

Dreher wirft sich in Hebbel. Foto: Charlene Markow

Das Spiel nimmt jetzt an Fahrt auf. Es entspannt sich jene lässig-angestrengte Atmosphäre, die ich an unserem Theater so liebe. Das Fassbinder-Gefühl. Auf der Bühne sitzen an die zwanzig Mimen und performen Hebbel. Das ganze gestaltet sich als Gelage. Nur die absurdesten Ideen setzen sich durch. Fällt das Wort „Recken“, werden Fußballchöre angestimmt. Ein unglaublich ausgeschlafener Andreas Bittl schnallt sich das Akkordeon um. Notenblätter werden ausgeteilt. „Es braust ein Ruf wie Donnerhall“, erschallt es nun, jedes Mal nachdem Siegfried am Hofe Gunthers besonders bescheuert agierte. Der Bierkonsum steigt rapide. Neues Publikum ist erschienen. Ich notiere in ihren Blicken diese Mischung aus Abscheu und Begeisterung. Irgendetwas rät ihnen zur Flucht, doch können sie ihren Blick nicht lösen. Jetzt die Regieanweisung: Getümmel. – Nichts leichter als das. Flaschen zerspringen auf dem Steinfußboden. Das Ende der Ästhetik ist erreicht, dabei haben wir gerade erst begonnen.

Aus Honke wird Kriemhild

um 21.15 Uhr schreibt Honke Rambow:

 

Wir spielen Diktatoren-Quartett um die Rollen in „Siegfrieds Tod“. Mit Marcos habe ich ganz wörtlich die Arschkarte gezogen. 8 Mrd. Privatvermögen ist zwar ganz gut, reicht aber nicht. 2.200 Tote sind auf gar keinen Fall einen Stich wert. Als eine der letzten Rollen fällt Kriemhild an mich. Na gut. Ich sehe zu, wie die RECKEN Politik betreiben und füge mich. Kriemhild ist außen vor. Kriemhild ist ein Spielball der Tragödie. Kriemhild hat Angst, aber sie kann nichts tun. Und Kriemhild ist mit einem Arschloch verheiratet.

 

Dem Irrsinn verfallen

um 3.30Uhr schreibt Carsten Marc Pfeffer:

 

Das Stück zieht sich auf eine ganz enervierende Art. Foto: Charlene Markow

War zwischendurch kurz zu Hause, das verschwitzte Hemd gegen ein T-Shirt wechseln. Als ich zurückkomme, sind es nicht mehr ganz so viele Schauspieler, die Hebbel performen. (Zwischendurch saßen ja an die zwanzig Leute auf der Bühne.) Dafür hat der Irrsinn die Übriggebliebenen umso fester umfasst. Ich zähle vierzehn leere Bierkästen. Die Bühne ist ein Scherbenmeer. Wir hatten um 20.30Uhr begonnen, nun geht es auf 4Uhr zu. Wir stecken mitten in Kriemhilds Rache. Das Stück zieht sich auf eine ganz enervierende Weise. Gottlob ist noch Whisky da. Honke hat sich jetzt komplett in Kriemhild verwandelt. Doch ihre Rache trifft nicht Hagen, sondern den armen Felix Lampert, der Probleme mit dem Wort „Nixen“ hat. Honke lässt uns die Szene vierzehn Mal von vorne beginnen. Er selbst steht am Mikro, ringt um die großen Passagen. Seine Krawatte hat er mittlerweile abgenommen, in seinen Augen flammt der Wahnsinn. Jetzt diffamiert er Lampert als Soapdarsteller, Dreher will intervenieren und muss zur Straße zwanzig Liegestützen machen. Kriemhilds Rache kann fürchterlich sein.

 

Schweiß trifft auf Reclam

irgendwann später schreibt Honke Rombow:

 

Kriemhilds Rache ist fürchterlich. Foto: Charlene Markow

Mir wird bewusst, dass Kriemhild sich rächen wird. Ich müsste eigentlich weg. Ich müsste nach Dortmund fahren. Ich will mich rächen. Ich bleibe. Kriemhild harrt aus, weil ihre Zeit kommen wird. Ich bin auf der Bühne und weiß nicht mehr, wie man von ihr runter kommt. Wir lesen schnell, wir lesen langsam, wir lesen im Dialekt, wir sprechen ins Mikrofon, wir streiten uns darüber, wie man das Wort „Nixen“ fühlt, Kriemhild wird sich rächen, Kriemhild füttert ihr Eichkätzchen, immer noch gulbt es aus dem Zuschauerraum, die RECKEN werden weniger, aber sie bleiben standhaft, ein Pilgrim zieht vorüber, die standhaften RECKEN werden Kriemhild bei ihrer Rache zur Seite stehen, wir streiten über GZSZ und Chio Tortilla Chips, Kriemhild hat Hunger, Kriemhild gehen die Zigaretten aus, ich habe auch Hunger, die Mettbrötchen sind weg, das Burgunden-Buffet besteht nur noch aus Physalis. Ich bin nicht müde, aber ich kann dem Faselasiaten Etzel nicht mehr folgen, egal, Hauptsache er etzelmetzelt Hagen irgendwann hin. Rumolt chort herein, Stehmann oder Schleef, schon wieder Streit, nein, nicht Schleef, wir sind nicht nackt, also Stehmann. Schweiß tropft aus den Reclam-Heftchen. Irgend jemand bietet mir die Rolle der Kriemhild an der Burg an. Felix sagt „Weltexperimentiermaschine“: minutenlanges Lachen. Ligetis Musica Ricercata geht immer. Der Whiskey ist ekelhaft. Kaffee, Cola, Bier, Cola, Bier, Kaffee. Arne trinkt wie immer Blut. Arne ist Hagen. Niemand hat sich ausgezogen. Kriemhild rächt sich. Kriemhild stirbt. Es gibt Fotos. Ich werde mich später daran erinnern. 6.30 Uhr. Ich fahre zurück nach Essen.

 

Intensiv-Fazit

um 12Uhr schreibt Werner Streletz:

 

Cowboys brauchen keinen Schlaf. Foto: Charlene Markow

Heute morgen war’s noch ganz nett im Theater. Ich war gegen 11 Uhr dort. Keine Lesung mehr, sondern es wurde ein Art Fazit gezogen unter der wie immer intensiv-impulsiven Leitung von Arne.

 

Fortsetzung folgt am Montag den 30. Mai

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Pfeffer
13 Jahre zuvor

Liebe Freunde des Rottstr5Theaters, der für heute versprochene Blogstream zum Nibelungenmarathon geht erst morgen online, da in der Nacht noch weitere Textbeiträge erwartet werden. Das Warten lohnt. Schon jetzt ist der Stream doppelt so lang wie der Rough-Mix!

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