Ruhrtriennale: EXODOS von Sasha Waltz

Exodos, Sasha Waltz & Guests (Foto © Carolin Saage)

Anfang des Jahres war Sasha Waltz bereits bei der Tanzplattform mit „Kreatur“ zu Gast im Ruhrgebiet. Einer fast einhellig als eher schwächer eingestuften Arbeit der Berliner Choreographin. Nun ist ihre Compagnie mit „Exodos“, das im Radialstem in Berlin uraufgeführt wurde, bei der koproduzierenden Ruhrtriennale in der Jahrhunderthalle. Sasha Waltz ist bekannt für ihre raumfüllenden Arbeiten, die direkten Bezug auf die Architektur nehmen und diese kongenial bespielen. Die Jahrhunderthalle – ein ideales Spielfeld für Waltz, sollte man meinen.

Zunächst hängt in der nur minimal beleuchteten, leicht nebligen Weite der Halle ein Tänzer an Seilen in der Luft. Eine andere Performerin rudert mit einem Rollbrett durch die Halle und lädt wie Charon Besucher ein, sich von ihr über den Styx schiffen zu lassen. Der eigentliche Spielraum liegt hinter einer schwarzen Wand, in einem kleinen abgeteilten Bereich der Jahrhunderthalle. Auf Podesten stehen dort eingezwängt in schmale Plexiglassäulen die Tänzerinnen und Tänzer. Eine Menschenausstellung. Präparate in Formaldehyd.

Der erste Teil des Abends ist als Aktion zwischen den umherwandernden Zuschauern gedacht. Da legt eine Tänzerin Zettel auf dem Boden vor sich aus, arrangiert die geheimnisvollen Botschaften immer wieder neu, schreibt „Wahnsinn, Wahnsinn, Wahnsinn“ auf einen Zettel. Ein Tänzer wickelt sich ein Seil um Hals und dann Kopf. Die Exponate werden nach und nach aus ihren Reagenzgläsern entlassen, hier und dort wird auch ein wenig getanzt, eine Frau stillt ein Skelett an ihrer Brust. Nicht alles ist zu sehen, man läuft so ein bisschen herum und wundert sich über die Kostüme. Federico Pulucci und Sasha Waltz haben alte Klamotten aufgehübscht. Da ist mal ein halber Faltenrock auf eine Jogginghose genäht, aus einem Herrenhemd ein Top zusammengeschnitten, die Hosen sind vorne lang und hinten kurz. Upcycling heißt das und ist irre hip. Und mancher glaubt vielleicht dem Hype und wähnt sich schon als neuer Stern am Modehimmel.

Exodos, Sasha Waltz & Guests (Foto © Carolin Saage)

Dann gibt es ein kurzes Licht am Ende des Tunnels und wir werden noch einmal in die Weite der Jahrhunderthalle gelockt. Sehr interessant ist es dort nicht, also zurück in den kleinen Theaterraum, wo die Zuschauer nun an den Rand getrieben werden und nach einer Stunde auf den viel zu niedrigen und deshalb sehr unbequemen Stufen einer Minitribüne Platz nehmen dürfen. Die Musik vom Soundwalk Collective nimmt erstmals Fahrt auf und liefert einen Industrial-Beat zu dem die erste Gruppenchoreographie des Abends getanzt wird. Das ist ganz klassischer moderner Tanz, Pina Bausch bevor sie das Tanztheater erfand, ja, sagen wir es doch einfach: Es riecht nach Frühlingsopfer – nur ohne Erde. Nur sind die technischen Fähigkeiten des Ensembles so disparat, dass es doch auch viel von „Glücklich auch ohne Drogen – durch freien Tanz“-Workshop in der Lüneburger Heide hat. Aber halt! Es kommt noch schlimmer – viel schlimmer. Seilspringen, Tauziehen, Rumrennen mit Kontaktspielen, chorisches Sprechen als revolutionäre Technik. Ich war während meines Zivildienstes im Odenwald bei einem Lehrgang zum Thema „gewaltfreier Widerstand“. Das war auch furchtbar. Dann kommt die große Party und das Publikum wird wieder von seinen Büßerbänkchen geholt und muss mitfeiern. Voll Berghain hier. Dann wird der Techno durch Metal ersetzt und das Publikum muss wieder an den Rand, damit die Tänzer Platz für eine peinliche Pogo-Choreographie haben.

Das ganze dauert fast drei Stunden. Es gab auch noch Sentas Ballade aus dem Fliegenden Holländer mit Windmaschine, eine lange Erzählung über die Organisation eines Bienenstocks, irgendwann wurden auch die Hologramm-Folien, die schon in „Kreatur“ zum Einsatz kamen, auf die Bühne getragen und erst zum Wasserspiegel arrangiert und dann zu Röhren gerollt. Schließlich dienen sie auch noch, um kurz mal den Dadaisten Hugo Ball im Kostüm des seltsamen Heiligen zu zitieren. Nur so eine Idee. Ja, Sasha Waltz hat immer mal so eine Idee. Und die werden dann alle hintereinandergepappt, die Ideen. Es wird nichts entwickelt, es wird auch nichts zusammengefügt – und leider wird auch bei keiner Idee überprüft, ob sie vielleicht doch gar nicht so toll ist, wie sie zuerst aussah. Manche Ideen sind ganz sicher hübsch. Aber ein paar hübsche Ideen machen halt noch keinen Tanzabend. Schon gar nicht einen von fast drei Stunden Länge. „EXODOS“ ist der erste – und hoffentlich auch einzige – Totalausfall dieser Triennalesaison.

Termine und Tickets: Ruhrtriennale

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Michael Reiners
6 Jahre zuvor

Lieber Honke,
war nicht die Absage eines geplanten Popkonzert der erste Totalausfall der Triennalesaison? Oder war das nur ein Teilausfall, wird gar noch nachgeholt?
Es grüßt dich mit einem braveheartschen Freedom dein treuer Leser
Michael.

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