
Die Medienbeiträge dieser Tage lesen sich doch ganz anders, die Kronzeugin hat gesprochen. Die Spanische Regierung hat Überspannung und Fehlplanung als Ursachen für den Blackout und Fehlplanung ausgemacht. Die mit erneuerbarer Energie betriebenen Anlagen (EE-Anlagen) waren es nicht, die Kritiker hatten Unrecht, der Triumph wird ausgekostet.
Und das ist das Problem, wenn ein 180-seitiger Expertentext auf Social Media Eignung gekürzt wird, ohne verstanden worden zu sein. Und insbesondere, wenn zahlreiche Kommentatoren darauf anspringen, die noch viel weniger verstehen, worüber sie schreiben. Glaubenskriege sind nie eine gute Idee. Die
Frage ist doch: Wieso gab es Überspannung eigentlich?
Um volle Transparenz zu wahren: Anbei der Text der spanischen Regierung, Seitenzahlen und Stellen werden zitieren, in denen explizit steht, dass die von zahlreichen Experten gemachten Mutmaßungen zur Instabilität eines EE-dominierten Netzes richtig waren.
Nicht, weil EE-Anlagen böse sind, sondern weil die heutige Nutzung im Netz nicht den Anforderungen des Netzbetriebs genügen.
Zusammenfassung vorab: Stromeinprägende EE-Erzeuger erhöhen die Netzspannung. Dies führt zu zur notwendigen Kompensation durch thermische Kraftwerke. Unbeherrschbar viel Leistungseinspeisung führte zu einem unbeherrschbaren Netzzustand, dies führte, mutmaßlich Stand heute, zum Blackout.
Diesen Netzzustand hätte es ohne EE-Anlagen physikalisch schon niemals geben können. Und sind EE-Anlagen jetzt böse? Nein – aber die heutige Verteilung und Regelung erhöht die Komplexität auf ein Maß, das Systemzustände provozieren kann, die unbeherrschbar werden. Die Anforderungen an das Netzverständnis und die Steuerbarkeit steigen erheblich.
Und: Dem System fehlte Trägheit, um auf die Netzdynamik entsprechend zu reagieren.
Wieso stimmt das, warum ist das so und wo finden wir das (teilweise im exakten Wortlaut) im Text der spanischen Regierung?
1. Stromeinprägende WR (u.a. mit festem cosphi) sind ein Problem:
Was ist das noch gleich?
Diese arbeiten derzeit mit einem festen Leistungsfaktor. Reduzieren diese die Wirkleistungsabgabe, reduzieren sie auch proportional die Blindleistungsaufnahme. Dies erhöht die Netzspannung. Das Verhalten führt dann weiterhin zu “Additionally, as the energy transmitted by the networks decreases due to this reduction in generation, the capacitive effects of the electrical circuits increase as they become more discharged, which causes an increase in reactive energy. Both effects (higher reactive power production by the circuits and lower reactive power absorption) push the voltages upwards.” (Seite 70).
Wir kennen das als Ferranti Effekt.
Auf Seite 83 heißt es dann „The further away the generation is from the interconnection, the greater the effect on the lines.”
Bedeutet: Je weiter eine stromeinprägende EE-Anlage entfernt ist, desto gravierender sind die Auswirkungen auf die Spannungserhöhung.
Könnten leistungselektronische Erzeuger dies? Wie mehrfach geschrieben: Ja, klar. Es wird regulatorisch nur nicht gefordert. „The latter have been technologically capable of operating on a setpoint basis for years, although the regulations do not require this”, Seite 173.
“Wind and photovoltaic generation accounted for 59.21% of the generation connected to the system and, given that their participation in voltage control is currently based on power factor monitoring, they did not help to control the voltage profile.”, Seite 120.
Kurzum: Es mangelt an systeminhärenten Dämpfungsmechanismen, da die anlagenseitig implementierten nicht ausreichten. Es fehlt an spannungseinprägendem Anlagenverhalten.
Die Verteilung von EE-Anlagen über einen großen Netzverbund erhöht die Komplexität.
2. Netzdynamik wird zunehmend zu einem Problem.
Wenn eine hohe Anzahl an dezentralen Erzeugern über das gesamte Netz verteilt ist und diese auf volatile Preissignale und volatile Wettersituationen reagieren, dann sorgt dies für eine hohe Dynamik im Blind- und Wirkleistungsverhalten. Das ist logisch. Und es erfordert ein gänzlich andere Spezifikation des Anlagenverhaltens. Diese müssen in ihrer Dynamik begrenzt werden. Die externe Steuerung eines solchen Systems wird nahezu unmöglich, da eine nicht mehr zu beherrschende Anzahl an Datensätzen verarbeitet werden müsste. Und: Es erfordert Kommunikation, die niemals zur Netzstabilität notwendig sein darf.
Seite 114 des Gutachtens: “This greater granularity of the intraday markets, with price signals every 15 minutes, together with the development of an increasingly distributed generation mix and greater responsiveness to price signals, means that changes in energy flows are becoming more frequent, more abrupt and potentially of greater magnitude, posing an increasing challenge for the stabilization of tensions.” & “The relevance of abrupt program changes lies in the almost instantaneous responsiveness of the technologies connected to the network by electronics.”
Seite 69: “Changes in production may be due to physical issues (such as growth or decrease of the renewable resource), market issues (daily, intraday or balancing markets) or technical restrictions.”
Wie lösen wir das Problem auf? Spannungseinprägung & Trägheit.
http://bit.ly/43O63yR
3. Und die Oszillation verursachte mutmaßlich eine EE-Anlage!
Mehrfach haben Experten ausgeführt, dass leistungselektronische Anlagen zu Schwingungsverhalten im Netz führen können. Diese verfügen nicht über inhärente Trägheit und ein unzureichendes Regelungsverhalten kann Schwingungsverhalten im Netz verursachen. Und diese Oszillationen waren mitursächlich:
„A series of rhythmic oscillations significantly conditioned the system, modifying its configuration and increasing the difficulties for voltage stabilization.”, Seite 132.
Und was war ursächlich? Eine PV Anlage! So steht es im Text „However, an anomalous oscillatory behavior has been identified in the active and reactive power output of the photovoltaic power plant.”, Seite 76.
4. Fehlplanung, komplexere Netze und „falsches Anlagenverhalten“? Ja, auch. Wieso?
Es scheint so zu sein, dass sich Anlagen „zu früh“ vom Netz getrennt haben, sprich bei Spannungsniveaus, bei denen diese sich noch nicht hätten abschalten dürfen. Dies gilt es zu untersuchen. Zeitgleich ist zu betonen: Synchrongeneratoren verhalten sich entsprechend eines physikalischen Zusammenhangs, den programmiert man nicht und ändert man auch nicht. Aber: Scheinbar wurde das Verhalten falsch in der Netzplanung abgebildet. (Seiten 111 und 133, Verweis auf P.O. 7.4).
Das mutmaßliche Fehlverhalten thermischer Anlagen war NICHT ursächlich für das beobachtete Spannungsprofil!
„However, in the case of the [CONFIDENTIAL] the reactive power absorption does not seem to show any relationship with the voltage profile.“ Seite 111.
Die ersten ANlagen, die vom Netz gingen, waren dennoch PV-Anlagen und haben die Situation in, Ermangelung hinreichender Spannungskontrolle, verschärft. „“Loss of generation due to tripping (disconnection) of the [CONFIDENTIAL] generation evacuation position (Granada), where 355 MW of active power was being injected at that moment and absorbing 165 MVar of reactive power“. Diese Position wird im Text später als Photovoltaikanlage identifiziert.“ Seite 42. Auf Seite 76 wird später geklärt, dass dies eine PV Anlage ist.
„The effect of a loss of instantaneous renewable generation on the voltages at the grid nodes is twofold: on the one hand, this generation, [….] On the other hand, when the plants are disconnected, the nearby grid stops transporting energy and increases its capacitive effect, generating more reactive energy. The combined result of both effects is an an increase in the reactive power generated and the voltages in the grid.“, Seite 93.
In Gesamtheit kam es zu einem komplexen Systemzustand, der so schlicht nicht beherrscht wurde und ein gänzlicheres Netzverständnis erfordert. Trägheit kann in derartigen Situationen für Abhilfe sorgen. Auf den Seiten 7 & 8 erklärt die spanische Regierung:
„The complexity and scope of the events that occurred require a multidisciplinary approach and the collaboration of the different ministerial departments, public bodies involved and experts who can provide relevant information, in order to ensure a comprehensive assessment of the situation and the formulation of effective proposals for its resolution and the prevention of future incidents.“
“agile and specialized instrument for the analysis of the factors that have contributed to the crisis, the identification of vulnerabilities and the proposal of measures to improve the procedures, resources and capacities of the National Security System”
Was schlägt die spanische Regierung vor?
1. Ein Update des spannungsorientierten Verhaltens aller am Netz beteiligten Anlagen. Das bedeutet nichts anderes als: eine andere Art der Regelung. 19 GW der installierten PV-Leistung könnten dies grundsätzlich – tun es aber scheinbar nicht.
2. Der Aufbau von mehr Trägheit im Netz, Seite 150.
3. Ein neues, dynamisches Systemverständnis, Seite 8.
Stellen wir fest: Dynamische Systemtechnik hat ihre Berechtigung. Und die dynamischen Auswirkungen von volatilen Erzeugern auf das Netz werden nicht hinreichend verstanden.
Das Gutachten der Regierung:
http://bit.ly/4ecaxD1
Wenn ich das alles richtig verstanden habe, handelt es sich hier nicht um ein unlösbares Problem, sondern um eines, das bislang unterschätzt bzw. nicht genau genug bestimmbar war. Ist das jetzt ein Grund, die Energiewende rückgängig zu machen?
Vollkommen richtig. Gegenstand, zumindest meiner Kritik, war auch immer, dass die dynamische Komplexität unterschätzt wird.