005 Israel, Antideutsche, Pulse of Europe

Zunächst widmen wir uns Weiermanns Israelaufenthalt. Was hat er da erlebt, wen hat ergetroffen, was hat in beeindruckt? Und wieso war der Bartoschek in Kevelaer? Von da kommen wir zu Israelverklärung und einem Zeit-Artikel über Antideutsche, und stellen fest, dass immer wieder Berlin das Problem ist. Das dritte Thema ist Pulse of Europe, das irgendwie beide etwas ratlos zurück lässt. Ach ja, und dann geht es noch um den Schulz-Zug. Viel Spaß.

Deutsche Zumutungen III/IV

Deutsche Zumutungen
Deutsche Zumutungen

In den kommenden Wochen veröffentlichen wir jeden Sonntag Aphorismen von unserem Gastautor Emmanuel Brand-Pfeiffer. Ungewöhnliche Texte, von denen wir glauben, dass Ihr sie mit Gewinn lesen werdet.  

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De mortuis nihil nisi bene heißt es. Aber wenn ich eines Tages das Zeitliche segne, soll sich bitte niemand verstellen. Ein Nachruf falscher Freunde, dem es an Originalität fehlt, ist beleidigender als jede Lästerei. Dann lieber offener Sarkasmus. Ich werde von irgendeinem Limbus aus zuhören, mich über die besseren Pointen auf meine Kosten amüsieren und die Heuchler nach Möglichkeit heimsuchen.

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Flüchtlingshilfe – Cui bono? Egal.

Transparente bemalen macht sexy. Die Artikelautorin findet, dass es deshalb ein positiveres Image verdient hätte.

Eine Szenerie, die sich nicht jeden Tag und insbesondere nicht überall beobachten lässt: Auf deutschen Straßen stehen Menschen und jubeln; Sie jubeln Geflüchteten entgegen, die nach ihren langen, schweren Reisen voller Unsicherheit – und dann plötzlich voller Rührung sind. Dort, genau wie auf den ganzen rechten Großaufmärschen, sehen wir in diesem Sommer neugierige Teenager, beleibte Menschen im Großelternalter, distinguierte Büroangestellte und welche von diesen Hipster-Typen, denen es nicht einmal nach außen hin um die Sache, sondern um die Stimmung geht, kurz: das Volk. Und abseits des Volkes? In den Kreisen der Linken, die dieses Jubeln einst für sich allein beansprucht haben? Da argwöhnt man ob all der Unterstützung und debattiert, ob sie authentisch ist. 

Natürlich fühlen sich nicht nur die rechtsradikalen Deutschen von den Massen betrogen, die z.B. am Münchener Bahnhof stehen und ausgelassen sind: Es versteht sich von selbst, dass der „Islamische Staat“ es nicht nett findet, wenn andere nett zu den Ungläubigen sind, die ihnen entwischten. Assad übrigens, vor dem die meisten heute fliehen, wird es ganz ähnlich gehen. Da sind offenkundig immer noch einige skeptische EU-Politiker, die für den Tumult nur ein Kopfschütteln übrig haben und Politologen, die Deutschland etwa einen „Hippie-Staat“ schimpfen, und damit mehr als den Bundestag meinen. Im Bundestag selbst könnte man die flüchtlingsfreundliche Stimmung noch weitaus mehr unterstützen, anstatt doch immer wieder „Rücksicht“ auf Brandstifter und sonstige „besorgte Bürger“ zu nehmen, wie es bis dato natürlich der Fall ist. Aber – oh, wer hätte es gedacht – sogar Linke haben eine Kritik an dem Servieren von Blaubeerkuchen (ist ja auch nicht die Saison dafür) und allzu bunten Willkommenplakaten entwickelt. In den vergangenen Wochen wurden schon wieder etliche „ausdrückliche Distanzierungen“ formuliert.

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Antideutsche Fußballgedanken

Die Antideutschen sind junge, ziemlich obskure Menschen, die meinen, der Kapitalismus würde sich nur durch immer mehr Kapitalismus überwinden lassen, weshalb sie aus Prinzip für England, USA und für Israel sind, die einzige westliche und marktwirtschaftliche Demokratie im Nahen Osten. So weit habe ich es verstanden. Doch was haben die eigentlich gegen Deutschland? Herrschen nicht auch hier  Marktwirtschaft und Demokratie? Anders gefragt: Warum dürfen wir nicht teilhaben an der Entfesselung der globalen Marktkräfte auf dem Siegeszug zum Kommunismus? Vielleicht habe ich es jetzt begriffen – durch Fußball: Denn nirgendwo auf der Welt war und ist es so schwer für den Kick. Auch Leibesübungen sind auf dem deutschen Sonderweg. Immer noch.

Foto: ruhrbarone.de

Als der Fußball noch Trendsport war, stellte sich die deutschtümelnde Turnbewegung Strauchballspielen, Fußlümmelei und " englischer Krankheit" erst in den Weg, um die immer populärer werdende Sportart dann einzuheimsen – allerdings zu ihren Bedingungen: Man spricht seither Deutsch aufm Platz, Eckball statt Cornerkick, Elfmeter statt Penalty, Spielkaiser, Schiedsrichter statt Ref. Und alle mussten Amateure sein und den Fußball, um seiner selbst willen treten. Wer ausscherte, Geld annahm, wurde bestraft und gesperrt, auch mal ins Ausland oder den Freitod getrieben.

Mehr als 70 Jahre lang hielt das der Deutsche Fußballbund von 1900 eisern durch. Keine Profis, keine Profiliga, stattdessen Vertragsspieler, strikte Gehaltsobergrenzen, Werbeverbote. Erst als im Bundesligaskandal herauskam, das Nationalspieler für ein paar Tausender käuflich waren und selbst Weltstars wie Günter Netzer oder Gerd Müller mit der Herausgabe von Stadion-Magazinen nebenbei ihre Bezüge aufbesserten, wurde mehr Marktwirtschaft gewagt: Spielergehälter wurden frei gegeben, Trikots durften Werbung bekommen, die Gründung einer Zweiten Bundesliga.

Doch die Beharrungskräfte im deutschen Fußball waren nur geschlagen, nicht besiegt. Bis heute machen DFB und deutsche Sportöffentlichkeit den Profi-Fußball hier anders als anderswo. Der verhinderte Einstieg eines Finanz-Investoren beim Traditionsclub 1860 München KLICK zeigt mal wieder, wie schwer sich Verband, Liga und Fußballöffentlichkeit mit dem Kapitalismus tun. Oder warum untersagen ausgerechnet Statuten einer Profiliga, dass Geldgeber Einfluss auf Gremien und Management nehmen dürfen, dass Fußballclubs geschützt sein müssen vor Übernahmen? Trotz Börsenganges von Borussia Dortmund, trotz der FC Bayern München AG – am Traditions-Verein wird immer noch festgehalten. In der Finanzkrise gilt Verein sogar als Rettungsmodell.

Vereinsmeierisch fummelt sich der FC Schalke 04 übrigens gerade an die Tabellenspitze. Gestern startete der Club eine eigene Veranstaltungsreihe namens "Tore und Gewinne" KLACK. Obwohl Schalke längst ein Wirtschaftsunternehmen mit Veranstaltungsstätte ist und vor neun Jahren eine AG gegründet hat, unter derem Dach einige Töchterunternehmen agieren, preisen sie in Gelsenkirchen die heimelige Vereinstradition. Und Schalke-Präsident Josef Schnusenberg – als langjähriger Berater des dem Schalker Aufsichtsrat vorstehenden Feischmagnaten Clemens Tönnies marktwirtschaftlichem Treiben durchaus zugetan – begreift Fußball mindestens als soziale Marktwirtschaft, lieber noch als Volksgut.

Schalke, soll der Steuerberater gestern Abend auf Schalke gesagt haben, Schalke gehöre keinem "arabischen Scheich, keinem russischen Milliardär, keinem reichen Onkel". Schalke gehöre seinen Mitgliedern. Natürlich wird Applaus aufgebrandet sein – auch bei Ehrenredner Günter Netzer: "Ein Fremdinvestor", soll der ehemalige Schalkemanager, heutige Wahlschweizer, Fernsehstar und Sportrechtehändler gesagt haben, würde die "Schalker Identität verfälschen".

Leider habe ich den aufschlussreichen Abend im "Tibulsky" verpasst. Oder zum Glück: Ich hätte mich gut antideutsch geärgert. Vemutlich weniger über Wirtschaftsemigranten Netzer – irgendwie hat er ja Recht mit den Grenzen der "Schalker Identität". Mehr über Schnusenberg Angriffe auf das Gebahren der englischen Premier League. Denn auf der Insel herrsche "Gigantomanie", die Premier League sei eine Art "Fußball-Bank", die das Geld einsammle, aber hinter den Kulissen türmten sich "hässliche Schuldenberge" auf. Deshalb gelt es die Engländer genaustens zu beobachten. Und auch hierzulande müsste man sich den Anfängen erwehren. Und dann soll Präsident Schnusenberg sich auch noch zu diesem hübschen Satz verstiegen haben: "Im 18.Jahrhundert stand der Manchester-Kapitalismus für den Niedergang der englischen Fußball-Kultur. Dieser Fußball-Kapitalismus frisst seine Fans, die zum Teil gar nicht mehr in der Lage sind, die hohen Ticket-Preise zu bezahlen. Diese Entwicklung im Mutterland des Fußballs ist für mich nur noch tragisch".

Abgesehen vom historischen Lapsus – im 18. Jahrhundert gab es keine englische Fußballkultur die der Manchester-Kapitalismus hätte zerstören können – hätten das deutsche Turnväter und andere Protofaschisten kaum besser sagen können. Vor mehr als hundert Jahren!

Letzte Frage: Weiß jemand, ob sich Antideutsche für Fußball interessieren? Fordern sie das Ende des Fußballprotektionismus? Den umgehenden Einstieg ausländischer Investoren in den deutschen Fußball? Die Umbennnung der Bundesliga in Pepsi-Cola-League? Die dezentrale Vermarktung aller Fernsehrechte an Fußballspielen? Das Ende einer öffentlich-rechtlichen Fußballgrundversorgung? Die Abschaffung aller Einsatzschranken für Fußball-Ausländer? Und die bedingungslose Anerkennung der ersten Fußballweisheit: "Geld schießt Tore"?

Sie wären mir nicht unsympathisch.

PS: Ich werde heute Abend eine Michael-Ballack-Fahne anfertigen.

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