Datteln: Provinz oder Top-Spielort?

Gary Moore (C) www.rocknroll-reporter.de

Ist es nun eine Auszeichnung für eine "Stadt" wie Datteln (etwa 35.000 Einwohner), dass Gary Moore dort in die Saiten greift oder ist es für Datteln der Beweis, tiefste Provinz zu sein, in der nur noch Ex-Stars absteigen? Diese Frage galt es zu beantworten, als der Ausnahmegitarrist, der einmal die Westfalenhalle füllte, am Mittwochabend auf die Bühne trat.

Obgleich er die Zuschauer eine halbe Stunde warten ließ, lechzte das gut gefüllte Auditorium (rund 1000 Zuschauer in der Dattelner Sporthalle) nach jeder seiner oft für Bluesverhältnisse derb verzerrten, pentatonischen Griffbrettflitzereien. Moore macht dabei durchaus einen guten Eindruck, technisch überragend, mit gutem Feeling ausgestattet, bluesrockte er sich durch einen überzeugenden Set. "Das einzige, was ich dem Blues gegeben habe, ist die Lautstärke", sagte Gary Moore vor Jahren und in der Tat stimmt die Aussage insofern, dass es immerhin bei Gary Moore-Gigs etwas gibt, was aus dem traditionellen Blueskonzept ausbricht: die bluesuneigne Aggressivität eines ehemaligen Rock-Gitarristen. Etwa zwei Stunden dauerte die Reise durch seine Blueskarriere, zwei Stunden, die nicht immer hinreissend spannend gestaltet wurden, doch unterm Strich einem Konzerterlebnis nahe kamen. Dass die akkreditierten Fotografen hingegen ausschließlich während des zweiten Songs fotografieren durften, lässt vermuten, dass Mr. Moore den Zeiten größerer Popularität nachtrauert, gibt aber lediglich winzige Abzüge in der B-Note (und wenige verschiedene Bilder der fast gänzlich dunklen Bühne). Ach ja, da war ja noch was: Die Beantwortung der Eingangsfrage! Diese muss eindeutig "sowohl als auch" lauten, dicht gefolgt von einem "gut, dass wir dabei waren."

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Foto: flickr/photos/kubia

In sehr loser Folge veröffentlichen wir hier nun auch aktuelle Beiträge, die aus unerfindlichen Grüßen noch nicht abgedruckt wurden. Den Anfang macht eine Rezension vom Kollegen Christian Werthschulte. Auf gehts, Bua:  

Alpinisten der Improvisation

Österreich, du hast es besser. Dank einer nachhaltigen Kulturförderung hast du im Übermaß, was das Ruhrgebiet nur am Rande hat – Schmankerl der experimentellen Musik. Wer davon probieren wollte, war am Samstag bei „Felix Austria" im Dortmunder Künstlerhaus an der richtigen Adresse.
Michael Moser ist eigentlich Cellist. Doch anstatt sein Instrument mit klassischer Musik zu langweilen, erforscht er lieber seine Klangeigenschaften, streicht mal zart über die Seiten und nutzt den Korpus für Halleffekte – wie einst im Fluxus. Doch der Fortschritt hat vor der improvisierten Musik nicht Halt gemacht. Ein Computer nimmt die Klänge auf und manipuliert sie sanft und bei bloßem Hinhören kaum wahrnehmbar.
Anders Billy Roisz und Silvia Fässler. Als Silly setzen sich die beiden vor ihre Laptops, verziehen keine Miene und starren für die Dauer ihres Sets gebannt auf die Monitore. Was dort passiert, lässt sich nur erahnen. Kurze Pianoloops werden hörbar, unterbrochen von einem minimalen Rhythmus und digitaler Klangsynthese. Das ist laut, humorvoll und kickt auf angenehm unklimaktische Art und Weise. Doch wo Silly dafür den Computer bemühten, hat sich Werner Dafeldecker der Analogtechnik verschrieben. Mit Hilfe eines Bandechos wurde aus einem einfachen Sinuston eine Klangkaskade, die nuancenreich zwischen Lärm und Stille oszillierte.
Zum Abschluss collagierte dieb13 Fragmente aus der Jazzgeschichte mit drei Plattenspielern. Dass dabei von den Originalaufnahmen wenig erhalten blieb, verdankt er einer selbstgeschriebenen Software, die im Inneren eines kleinen Holzkastens ihr Werk tat und ihre Ergebnisse zurück in die Mix-Melange speiste. Eine Form von musikalischer Aneignung, die ihre politischen Ambitionen nicht verleugnet. Zum Schluss seines Sets ertönt eine geloopte „Internationale" in der Spieluhr-Version, dieb 13 riss die Regler nach oben und entließ seine Zuhörer ins weiße Rauschen. Hat Spaß g’macht.

Kurzfilmtage Oberhausen 2008, ein Ausschnitt: Die 68er, die 89er und das geneigte Publikum

Die 54. Oberhausener Kurzfilmtage bringen auch in diesem Jahr durch ihre Panels, Wettbewerbe und kuratierten Filmreihen wieder Fragen aller Art auf den Tisch: Wohin geht es mit dem Kurzfilm? Wie erreicht man ein Publikum? Wozu eigentlich Kritiken? Und: Was sind eigentlich Musikvideos? Ein Erlebnisbericht.

Heraus zum 2. Mai! Freundlicher Empfang am Meldebüro, studentisches Viertelstündchen genau eingehalten zum Podium am Morgen: „Ist Kritik noch zeitgemäß?“ fragt Michael Girke Teilnehmer und Gäste und bringt damit bereits ein Thema des Tages auf den Tisch. Die Old School Vertreter der Kritischen Theorie auf dem Podium (Heide Schlüpmann und Klaus Kreimeier) geben bei diesem Generationentreffen daraufhin immer wieder gerne den Rahmen vor, an dem sich die „Poplinke“ (Kerstin Grether und Jörg Heiser) dann abarbeiten darf. Fast wie im richtigen Leben. Die jüngere Generation vermisst an der Frankfurter Schule Empathie und Affirmation, die ältere vermisst an der „Hamburger Schule“ offensichtlich … Erfolge. Ist der Marsch durch die Institutionen also auch in den Medien gelungen? Das Feuilleton in Deutschland gar eine Bastion der Aufklärung? „Warum verdient man dann nur bei den rechts-konservativen gut?“ fragt die Digitale Boheme. Der Berufsrevolutionär von damals schweigt wissend, fast mitleidig.

Und? Ist Kritik (als Kritik) jetzt nicht mehr zeitgemäß? Später am Abend wird das Thema noch einmal aufgerollt, dann international gehalten unter dem Titel „Embedded Criticism“ und unter Berücksichtigung verschiedenster Formen von Presseunfreiheit in Europa und Amerika. But: Does the audience care? Die eigentlichen Akteure der diesjährigen Kurzfilmtage, die Kurateure und Programmchefs, muten dem Publikum im Wissen um die großartigen kreativen Möglichkeiten des Festivals jedenfalls einiges zu – auch wissend dass immer jemand mithört und zweckentfremden wird, was vielleicht einmal emanzipatorisch und aufklärerisch war (und weiterhin hier und da auch noch ist).

Ungleichzeitigkeit, auch ein Thema bei der Reihe „Wessen Geschichte?“, die z.B. Alexander Kluge mit minimalistischem Dekonstruktivismus der letzten Jahre koppelt und den Kampf gegen das Mainstreamkino zum Kampf um die Köpfe der Menschen macht. „Warum gibt es kaum eine vernünftige Geschichtstheorie?“ fragt Ian White in seinem Katalogsessay und zeigt Instrumentalisierungen von Darstellern, Filmmaterial und natürlich jedes Mal auch realen Personen im Wandel der Zeiten. Ein Diskutant kritisiert, man könne die heutige Generation nicht mehr mit Anti-Atomkraft-Idylle und Black Power füttern, da diese Codes inzwischen entwertet seien und nur weiter diskreditiert würden. (Tatsächlich hatte es viele zynische Lacher im Publikum gegeben.) Der Kurator verweist sinngemäß darauf, dass sozusagen ein wenig Empathie und Affirmation … usw. Natürlich geht es aber bei weitem nicht nur um Formen von Dokumentation und Inszenierung, sondern auch um Montage, (Selbst-)Entlarvung, Reduzierung, Annektion und andere Techniken, die das Publikum nicht nur als Konsumenten zu behandeln suchen. Und das gelingt Ian White tatsächlich hervorragend in seiner Reihe, einer Fortsetzung des „Kinomuseums“ vom letzten Jahr.

Nochmal Stichwort „Publikum“: Als Magnet für dieses gelten bei den Kurzfilmtagen die Musikvideos beim MUVI Award. Doch was ist ein Musikvideo? Ergibt es sich, wenn man zu einer vorher bestehenden Filmidee verfügbares Musikmaterial einer halbwegs bekannten Band hinzufügt? Oder spielt gutes Handwerk eine Rolle? Eher, denn das reicht für Platz drei. Das Infragestellen der Kategorie „Bestes Deutsches Musikvideo“ durch einen Film gleichen Namens mit hinzugefügter Musik und etwas Performance? Immerhin Platz zwei. Das im Grunde einzige originäre Musikvideo von Simone Gilges für „Ich bin der Stricherjunge“ von Stereo Total gewinnt nach heftigeren Diskussionen als je zuvor. Auch hier sehr wichtig: Empathie für die Band, das Sujet, den Song.

Welchen Sinn haben also Kategorien? Kann man in jedem Fortschritt den Fortschritt auch sehen? Und wie politisch kann der Film von heute sein und Fehler von gestern und morgen verhindern? Diese Fragen werden ständig und auf viele Arten auch in diesem Jahr neu gestellt, so noch bis Dienstag in weiteren empfehlenswerten Reihen und Diskussionen. Eine umfangreiche Materialsammlung findet sich auf kurzfilmtage.de, der Blogger Ihres Vertrauens wird seine Eindrücke am Mittwoch in einem zweiten Teil noch einmal zusammenfassen.

Alternative Gitarrentage im FZW: The Styles – Hushpuppies – Blood Red Shoes

Die kommenden Abende beschert uns das FZW in Dortmund-West mal wieder hörenswerten alternativen Gitarrenrock querbeet aus Europa.

The Styles       Hushpuppies    Blood Red Shoes

Fotos: The Styles, Hushpuppies (F. Villemin/tasteofindie.com), Blood Red Shoes

Heute am Samstag, 26. April, geht’s italienisch los mit dem Trio The Styles: die sind schon mehr Pop als Rock, haben aber einige deutliche Punk-Einflüsse aufzuweisen. Das Vorprogramm bestreiten übrigens die Indie-Rocker Liquid Jam aus Bochum.
Gilt auch als warmer Tipp für alle NochNokianer, die sich gerade überlegen, heute abend der Gratis-Einladung von Olaf Lasso Henning in die Westfalenhalle zu folgen, selbst wenn sich die Zielgruppen eher diametral gegenüberstehen: vielleicht kann man euch ja mit Italo-Pop in den Dortmunder Westen locken?
Gespielt wird im kleinen Club (Keller). Einlass 20:00 Uhr. Tickets an der Abendkasse gibt’s für schlappe 8 EUR.
– In der Halle oben findet parallel ein Death- und Metalcore-Festival statt, präsentiert von ‚Horror Business Records‘, auf das ich hier nicht näher eingehen möchte -.

Morgen, Sonntag, 27. April, geht es gleich weiter in der Halle mit den HushPuppies aus Perpignan, die nach modseligen Garagen-Rock klingen, mit Einflüssen von den Kinks, The Who, Small Faces oder ähnlichen Bands. Doppelter Indie-Pop/Rock-Support wird geleistet von John Loves Mary aus Lennestadt und Auletta aus Mainz, wobei letztere eine tanzbarere Variante sind und ausnahmsweise mal deutsch texten.
Einlass 20:00 Uhr, VVK 10 EUR, Abendkasse 13 EUR.

Montag legt das FZW ne kurze Ruhepause ein, um dann Dienstag, 29. April mit den britischen Blood Red Shoes ein wirkliches Glanzlicht zu bieten: das gemischte Duo aus Brighton (Steven Ansell – Drums, Laura-Mary Carter – Saiteninstrumente) drescht vorzugsweise von Punk und Grunge inspirierte Gitarren. Erinnern mich an die Yeah Yeah Yeahs. Support wird es auch geben, ist aber noch unbekannt.
Einlass 20:00 Uhr, VVK 11 EUR, Abendkasse 14 EUR.

 

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Letztens im FZW: You Will Get Well Soon

 

Get Well Soon live

Foto: laut.de

In der ausverkauften saunagleichen und seit dem 1.1. rauchbefreiten Halle des Freizeitzentrums West trat letzten Donnerstag, 10. April, die Band – eigentlich ein Alleinunterhalterprojekt von Konstantin Gropper – tatsächlich als BAND in Erscheinung, und das gleich siebenköpfig, inklusive Trompeterduo und Schwesterlein Verena (Geige, Gesang, Glockenspiel). Live kam die Kammermusik prima rüber, etwas rockiger als aus der Konserve, manchmal nach Radiohead, Calexico oder sogar Interpol klingend, wirklich gut gelaunt, von manchen Publikumskommentaren nur leicht irritiert (Echt krass! – Ist das nun gut oder schlecht?). Selbst die Cover-Version von Underworlds Born Slippy passte einfach gut ins Programm. Wobei ich Herrn Gropper den gut gemeinten Rat auf den Weg geben möchte, noch etwas an seiner Gesangsstimme zu feilen – zumindest liegen ja die Wurzeln schon in der Familie – seine Schwester bot im Gesangspart jedenfalls eine tolle Performance.

Wer noch nicht genug hat oder sie verpasst haben sollte: am 2. August kehren die Sieben nochmals zurück nach Dortmund zur 13. juicy beats Ausgabe im Westfalenpark. Oder wer keine solch grosse Geduld hat und sich sogar ins Münsterland traut: kommenden Samstag, 19. April spielen sie im Gleis 22 mit ausgetauschten Vorprogramm (Ken Burke).

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