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Wenn die Beraterin zweimal klingelt: Auf der Anrichte ist die Hölle los

Es muss jetzt dreißig Jahren her sein, da erreichte die Diskussion um das, was eine „weibliche Ästhetik“ sein könnte, ihren Höhepunkt – dann war der Diskurs-Hype vorbei und der Facettenreichtum von Kunstproduktion durch Frauen hat dürftige Theorien weit überholt. Im Alltag haben kommerziell implantierte  Vorstellungen von weiblicher Ästhetik und ihren Ritualen allerdings global überlebt. Unsere Gastautorin Verena Geiger macht dazu gern Sub-Gruppen-Checks und besucht Frauen da, wo sie unter sich sind oder glauben unter sich zu sein. Hier ihr plastebunter Bericht von einer Schnuppa-Party im Revier.

Vor einiger Zeit habe ich mir an dieser Stelle Gedanken über Frauen gemacht:
https://www.ruhrbarone.de/frau-2011-%E2%80%93-pampers-posen-positionen/
Habe mich gefragt, was „uns“ auszeichnet, was „wir“ wollen, wer „wir“ eigentlich sind. Es scheint, als hätte ich meine Meisterin gefunden und erste Antworten bekommen.

Und zwar auf meiner allerersten Küchen- und Haushaltsartikel-Party, bei der frau vom SeniorGoudaMaXX bis zum Gefrier-Total-Set alles erhalten kann, was ihr Herz begehrt. Betuppt jedenfalls wird da keine.
Denn, in der Tat, die Plastik-Wüste lebt, und der rege Ansturm von Frauen jeglichen Alters auf die kultige Indoor-Verkaufsshow beweist, dass dem vermeintlichen Retro-Berufsbild der „Beraterin“ getrost güldne Zeiten prophezeit werden dürfen.
Eine liebe Freundin richtete diese Party aus, um wiederum einer anderen Freundin einen Gefallen zu tun. Letzterer war zwei Wochen zuvor die Ehre einer Gastgeberschaft gewährt worden und als unglaublichen Bonus bekam sie von der freundlichen Beraterin einen qualitativ hochwertigen Messerblock in Aussicht gestellt, sollte sich jemand aus der trauten Runde bereit erklären, die nächste Party auszurichten.
Mit allen Abwasch-Wassern gewaschen – so hatte die kundinnenorientierte Plastikprofessionelle diesen Köder ausgeworfen, setzte kühl auf die ungeschriebenen Gesetze der bombenfesten Loyalität unter Freundinnen – et voilà!
14 Tage später finde ich mich in der Wohnung der aktuellen Gastgeberin wieder, um mit ihr zusammen Schnittchen für 25 Plastikparty-Begeisterte zu schmieren. Gürkchen viertelnd, Käse hobelnd, Weinflaschen entkorkend werfen wir immer wieder hektische Blicke auf Uhren und Wohnungstür, gilt es doch, in kürzester Zeit das perfekte Wohlfühl-Ambiente zu schaffen, um mit dem Stimmungs- und Promille-Pegel auch die Kauflust der Truppe anzuregen.

Heidewitzka, Frau Kapitän …
Erste Fragen kommen auf: Kaufen wir eigentlich mehr Plasteschüsseln, wenn wir Hunger haben und uns die Aussicht auf frisch eingefrorenes Leipziger Allerlei willenlos macht? Oder führt ein angenehmes reales Völlegefühl, genährt durch hemmungslosen Genuss von frischem Finger-Food dazu, in wohliger Trägheit jedwede Unterschrift unter jedweden Bestellzettel zu setzen?
In diese Überlegungen hinein klingelt es, schwere Schritte auf der Treppe, ein erleichtertes Schnaufen im Flur… und dann ist sie da, mit so vielen Tüten und Taschen bepackt, dass ein nepalesischer Sherpa vor Neid erblassen würde: unsere Beraterin. Mit einem vorwitzigen „Heidewitzka, haben Sie sich Mühe gegeben!“ wird die Schnittchenplatte abgesegnet. Ein weiteres „Heidewitzka“ gilt der geschmackvoll eingerichteten Altbauwohnung, ein drittes dem Anblick der eigenen Plastikutensilien. Heidewitzka, Zeit, das erste Glas Wein einzuschenken.

Trudelnde Damen und anderes Unkaputtbare
Noch vor der Zeit trudeln die interessierten Damen ein. Davon unberührt packt unsere Plaste&Elaste-Heldin weiter ihre unkaputtbaren Schätze aus und verteilt sie liebevoll in der gesamten Küche. Rot, grün, blau und ein freundliches sonnengelb – es leuchtet und funkelt verheißungsvoll. Erstes zustimmendes Gemurmel, man zischt sich Sätze zu wie „Ne, und da haste ja auch wirklich ein Leben lang was von“. Der Raum füllt sich, die Stimmung ist gut, sehr gut, ein wenig aufgekratzt. Es wird gelacht, getrunken, wir freuen uns, gleich Teil einer verschworenen Zeremonie zu werden. Denn in einen Laden gehen und schnöde Nullachtfuffzehn Ware kaufen, das kann jede! Ha, nicht mit uns! Wir lassen uns etwas präsentieren! Wir gehören zur Geheimsekte der Hl. Kirche vom Göttlichen Universalschäler.
Unsere Beraterin entpuppt sich schnell als alter Geschirr-Guru. Sie ist sympathisch, erzählt zu viel, reißt unbeabsichtigt (?) extrem zweideutige Witze, und kennt alle Kniffe, unsere Konsumbereitschaft ins Unermessliche zu steigern.
Vertrauen aufbauen

Sie stellt sich kurz vor, gibt einen ehrfurchtgebietenden Einblick in ihre bisherige beeindruckende Karriere als Privat-Verkäuferin und erzählt uns, dass sie aufgrund ihrer Leistungen nun einen Dienstwagen fahren darf. Als einzige Beraterin! Alle Achtung, Respekt. Wir entspannen uns, lächeln uns erleichtert zu. Die Frau kann was, hier sind wir in guten Händen. Kriegt ja schließlich nicht jede ihren eigenen Dienstwagen. Die ersten Schnittchen werden fröhlich zum Mund geführt. Eine Stimmung wie beim Lach-Yoga. Nachdem wir nun alle Freundinnen geworden sind, lassen wir uns putzmunter weiter verführen.

 

Unwohlsein erzeugen, es mit warmem Kuchen aber wieder gut machen

Folgendes Horrorszenario wird nun mit bebender Stimme von unserer Beraterin gezeichnet: Ein gemütlicher Sonntagnachmittag, den man nur auf der Couch verbringen möchte, wird jäh durch das schrille Läuten der Türglocke unterbrochen. Heidewitzka, da steht spontaner Besuch auf der Matte! Wie unangenehm! Woher nun schnell einen wohlduftenden und noch ofenwarm dampfenden Kuchen bekommen? Gut, wenn man da eine passende Mikrowellen-Backform (wird hochgehalten) zur Hand hat! Flugs ein paar Eier rein, Milch und Mehl, Mikrowelle programmieren, sechs bis acht Minuten Smalltalk, um die Wartezeit zu überbrücken und „pling!“ – schon fertig. Das gemurmelte „Was riecht denn hier so?“ überhört unsere inzwischen arg schwitzende Propagandistin, sie ist froh, dass alles geklappt hat, hatte sie doch – Heidewitzka! – auf dem Weg hierhin eines ihrer Vorführ-Eier zerbrochen. Was soll‘s, der parallel zum Vortrag gebackene Kuchen wird angeschnitten, herumgereicht, wir essen tapfer. Gar nicht mal schlecht, für einen Ein-Ei-zu-wenig-Kuchen.

Eigene Schwächen erkennen und 3-Kilo-Hack gezielt beseitigen
Weiter geht es im Programm, Kataloge werden verteilt, damit wir unsere Kreuzchen neben den Produktbeschreibungen machen können. Eine ominöse flache Dose in zeitlosem Design wird hochgehalten, geöffnet und – heraus kommen zwei weitere Dosen. Babuschka in platt. Verräterisch zwinkert uns unsere Beraterin zu: „Dieses Prinzip ist unheimlich praktisch, wenn Sie demnächst mal wieder 3 Kilo Hack einfrieren wollen.“ Wir lächeln zaghaft zurück, überlegen fieberhaft, wofür wir jemals 3 Kilo Hack gebrauchen könnten ( für den nächsten Spontanbesuch am Sonntag? Hackskulpturen-Wettbewerb?). Aber was, wenn sie Recht hat? Wenn wir auf einmal da stehen, mit drei Kilo Hack in der Hand, und nicht wissen wohin damit? Inzwischen schwitzt nicht allein die Verkäuferin, erste Rufe werden laut: „Mach mal einer das Fenster auf!“ Wir lernen, dass nicht Hack allein zum Problem werden kann, nein: Wer hat nicht ab und an mal Lust auf ein deftig paniertes Stück Fleisch? Glück fürs Schnitzel, wenn es sich dann in einer bis oben hin mit Paniermehl und Ei gefüllten bunten Schüssel wälzen kann. Das wollen wir unserem Schnitzel auch gönnen! Es hat ja sonst nix. Und die Anstaltsportion Gulasch, die unsere Beraterin augenscheinlich mehrmals pro Woche ihrer Familie auftischt, kann auch in einer solchen Schüssel aufbewahrt werden! Je größer die Fleischmenge, umso besser! Heidewitzka!

Unsere wohlgenährte Beraterin erzählt und schwitzt, hält Dosen hoch, schärft Messer und raspelt alles klein. 25 Frauen, die sich im normalen Alltag nach gesunden Ernährungsgrundsätzen richten, brav ihren Joghurt mit Obst zum Frühstück essen, Kohlenhydrate am Abend meiden und sich über den Glykämischen Index austauschen, sorgen sich inzwischen sehr um ihren steigenden Blutdruck. Wir überlegen: Sollte sie nicht einen etwas fitteren Eindruck machen, wenn sie uns die Vorteile eines 3 Kilo Berges Hack aufzeigt? Und was ist mit dem ganzen Cholesterin in dieser Panade? Hm. Schnell stibitzen wir ein weiteres Schnittchen, sich um Andere sorgen macht immer so hungrig.

Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft
Es ist so weit! Darauf haben wir den ganzen Abend gewartet: Die Geschenke werden verteilt! Was wird sie dabei haben in ihrem nikolausähnlichen Sack? Oh nö. Viele langgezogene Gesichter bei den regelmäßigen Besucherinnen diverser Schnupperparties: Schon wieder so ein blöder Schüttelbecher! Ich aber freue mich und stecke ihn mir schnell in die Tasche. So was kann ich gebrauchen, gibt ja immer irgendwas zu schütteln. Außerdem ist bald Weihnachten.

Gemeinschaftsgefühl erzeugen
Die Show neigt sich langsam dem Ende zu und unsere freundliche Beraterin gibt noch einmal alles, steuert auf das große Finale zu. Jetzt beginnen ihre Sätze mit „Ich fand das am Anfang ja auch total bescheuert…“ oder „Ich konnte mir ja auch nicht vorstellen, wozu das nützlich sein soll…“ Gespannt hängen wir an ihren Lippen. Wie würden diese Geschichten ausgehen? Wendet sich dank flexiblem Kunststoff alles zum Guten?

Und dann holt sie aus, präsentiert uns den ultimativen Clou, die Geheimwaffe in der Sammlung ihrer Anekdötchen und Schreckensszenarien. Wir stöhnen schmerzverzerrt und nicken uns wissend zu. Ja, wir sitzen alle in einem Boot. Sie lächelt verschwörerisch, mit einem Ausdruck im Gesicht, der all das Leid ausdrückt, das wir liebenden und fürsorglichen Frauen auf der ganzen Welt bereits erfahren mussten und haut es raus: „Das kennen Sie doch bestimmt auch: Ihr Mann sitzt vor dem Fernseher, guckt Fußball und isst Chips, während Sie in der Küche stehen und versuchen, ihm etwas Gesundes zu kochen…“ Oh, und wie wir das kennen! Zarte Hoffnung keimt auf, hat sie eine Lösung für dieses Dilemma? Sie hat!
Ich habe allerdings nicht mitbekommen welche, ich war grad Schnittchen holen.
Freudestrahlend guckt sie abschließend in die Runde und sagt den existentiellen Satz, der zur ersten Antwort auf meine eingangs gestellten Fragen wurde:
„Wir sind doch alle Hausfrauen!“

Einige Zeit später. Die Gästinnen sind weg, die Beraterin ist weg. Schwer beladen blieb sie tatsächlich noch kurz im Türrahmen stecken, befreite sich aber selbständig und ging hinaus in die Nacht. Nicht ohne zu erwähnen, dass morgen bereits die nächste Party auf sie warte, die nächste Mission, um Frauen an ihre wahre Bestimmung zu erinnern: Schnitzel zu panieren, ohne sich die Hände schmutzig zu machen. Stille in der Wohnung.

Wir sammeln uns kurz, lachen, erzählen, räumen zusammen auf und essen die restlichen Schnittchen. Für meine Freundin hat es sich gelohnt, der Umsatz garantiert ihr ein futuristisches Supergeschenk. Ich habe nichts gekauft, bin dennoch voller Stolz, dabei gewesen zu sein. Ich weiß jetzt um meine Verantwortung als Frau im versorgerischen Gesamtgefüge und fühle mich unfassbar weiblich, während ich zufrieden den Rest vom Kuchen in Alufolie einschlage. Was man doch mit der richtigen Alufolie so alles einschlagen kann.

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