
Die Sozialdemokraten geben sich den Rest. Auf ihrem Parteitag versenkten sie ihren Vorsitzenden und bejubelten ihren desaströs gescheiterten Ex-Kanzler. Von Selbstkritik und Neuausrichtung nach dem historischen Wahldebakel keine Spur. Wer soll diese Partei noch ernst nehmen?
Nach jeder Wahlpleite geloben Parteien, das Ergebnis gründlich aufzuarbeiten und Konsequenzen zu ziehen. Als ich 1983 als Journalist in Bonn anfing, war die SPD gerade nach dem Bruch der sozialliberalen Koalition abgewählt worden. Durch die Demontage ihre Kanzlers Helmut Schmidt im Streit um die Nato-Nachrüstung hatte sie selbst kräftig dazu beigetragen. Doch statt in sich zu gehen, zerfleischten sich die Genossen in 16 Jahren Opposition, bis sie Gerhard Schröder 1998 daraus erlöste. Gelernt aber hat die Partei bis heute offensichtlich nichts aus ihrer Niederlagenserie.
Seit ich es als Journalist und Bürger näher miterlebe, eine ziemliche Ewigkeit, ergeht sich die einst stolze älteste Partei Deutschlands vielmehr in einer Krise nach der anderen. Und immer wenn man denkt, tiefer geht’s nicht mehr, beweist sie das Gegenteil. Und damit sind gar nicht mal allein die Wahlergebnisse und Umfragewerte gemeint. Sondern vor allem das Bild, das die SPD von sich selbst abgibt
Die Grünen haben lange Zeit das Land mitgeprägt, ohne mitzuregieren. Die AfD tut es auf andere Weise ebenfalls, indem sie mit ihren Themen den Diskurs bestimmt und die anderen Parteien vor sich hertreibt. Die SPD hat zu Zeiten, als sie vom Mitregieren im Bund noch weit entfernt war, und danach entscheidende Weichen in der Bundesrepublik mitgestellt – von der Mitbestimmung, sozialen und inneren Reformen, Bürgerechten, der Bildungsexpansion bis zur Ostpolitik Willy Brands. Lang ist’s her.
Keine Ahnung, wozu sie mitregieren
Die letzte Großtat der deutschen Sozialdemokraten, allerdings wider Willen, waren Schröders Sozialreformen vor mehr als 20 Jahren. Davon hat sie sich bis heute nicht erholt. Es folgten 12 Jahren GroKo unter Merkel, die ziemlich sozialdemokratisch regierte, was die SPD weiter schwächte, und das Ampel-Intermezzo von Olaf Scholz.
Nun, eine Wahlpleite weiter, regiert sie zwar irgendwie immer noch weiter mit. Aber sie weiß ganz offenkundig nicht, warum und wofür. Anders ist das Abwatschn von Lars Klingbeil, immerhin auch Vizekanzler, bei seiner Wahl zum Co-Vorsitzenden nicht zu erklären. Nach einem Ergebnis von nur knapp 65 Prozent, auch das ein historischer Tiefpunkt, hätten andere hingeworfen. Aber wer sollte dann die Partei aus dem Dreck ziehen? Bärbel Bas, die die Delegierten mit sozialpolischen Evergreens erfreute und dafür mit 95 Prozent belohnt wurde – eine doppelte Klatsche für den düpierten neuen, nun nicht mehr „starken Mann“ der SPD?
Oder einer aus der linken friedensbewegten Altherrenriege von Stegner und Mützenich, der es vorzog, erst gar nicht zu erscheinen? Nein, die Partei ist auch so am Ende. Klingbeil wird zwar weitermachen und versuchen, sein persönliches Wahldebakel so schnell wie möglich zu verdrängen. Aber die SPD hat nicht nur ihren Vorsitzenden geschwächt, obwohl der aus extrem schwieriger Lage für seine 16-Prozent-Partei überraschend viel in den schwarz-roten Koalitionsverhandlungen rausgeholt hat. Sie hat sich auch selbst weiter dezimiert, ja der Lächerlichkeit preisgegeben.
Eine sprachlose Partei
Oskar Lafontaine trat einst auf dem berüchtigten Mannheimer Parteitag offen gegen Rudolf Scharping an. Es ging um die politische Richtung und die geeignete Person an der Spitze. Aber worum ging es auf dem Parteitreffen in Berlin? Unzufriedenheit mit der von Russland erzwungenen Aufrüstung? Mit dem Kanzler? Mit dem Weiter-mit-Regieren? Oder schlicht darum, dass Klingbeil nach dem von ihm mit verursachten Wahldebakel nach der verbliebenen Macht gegriffen hatte, weil es sonst keiner tat? Also sehr kleines Karo in einer Zeit, in der im wahrsten Sinne um Krieg und Frieden geht, um den wirtschaftlichen Niedergang des Landes und etliche andere Großkrisen?
Offene Kritik wagte niemand auf dem Parteitag – ein geistiges Armutszeugnis. Denn was sollen die Partei und vor allem die Bürger daraus lernen? Nichts.
Merz und die Union jedenfalls können sich freuen. Von der SPD haben sie bis auf weiteres nichts zu befürchten. Die ist mal wieder ganz mit sich selbst beschäftigt und taumelt weiter ihrer völligen Bedeutungslosigkeit entgegen.
Unter ferner liefen
Braucht das Land diese Partei noch? Einstweilen wird sie für eine Regierungsmehrheit im Bundestag benötigt. Aber das kann sich spätestens 2029 ändern. Oder es braucht dann SPD und Grüne, um mit der Union eine Regierung jenseits von AfD und Linke zu bilden.
Schon jetzt läuft sie in den Umfragen unter ferner liefen, deutlich hinter der Rechtsaußenpartei, auf gleicher Höhe mit den Grünen und nicht mehr weit vor der ganz linken Konkurrenz. Auch das eine Demütigung.
In den Niederlanden haben sich die Sozialdemokraten gerade mit den Grünen zusammengetan. Man könnte auch sagen: ihnen angeschlossen. Vielleicht wäre das auch für deutschen Genossen auf Dauer der einzige und beste Weg, wenn sie nicht ganz von der Bildfläche verschwinden wollen. Bei den Ukraine-Hilfen jedenfalls stehen die Grünen, anders als die SPD-Genossen, die sich mit dem Abschied vom freundliche Russlandbild immer noch erkennbar schwer tun. Und auch Wirtschafts- und Sozialreformen wären, trotz allen Geschimpfes auf Robert Habeck, wahrscheinlich mit den Grünen oder einer grün-sozialdemokratischen Partei leichter zu bewerksstelligen.
Viel Gedanken muss man sich jedenfalls um die SPD nicht mehr machen. Sie macht es ja offenkundig selbst nicht. Andererseis ist sie immer für eine Überraschung gut. Meist eine schlechte. Warten wir es also einfach ab.
Bei der SPD hat man mittlerweile den Eindruck, dass die Partei nach dem Grundsatz handelt: Besser nimmer, schlechter immer!