
Warum das Umlagesystem an Grenzen stößt, Österreich kein echtes Vorbild ist, und was Deutschland von Schweden, der Schweiz und sogar den USA lernen könnte. Von unserem Gastautor Carsten Seifert.
„In die Rentenversicherung sollten auch Beamte, Abgeordnete und Selbstständige einzahlen“ Schlägt Bärbel Bas (SPD), Bundesministerin für Arbeit und Soziales, vor. Nach Vorstellung der neuen Ministerin sollen künftig alle in die Rentenkasse einzahlen.
Die Idee ist nicht neu. Sie ist beliebt, klingt gerecht – löst aber das eigentliche Problem nicht. Das deutsche Rentensystem basiert auf dem Umlageverfahren und gerät nicht wegen fehlender Beitragszahler in Schieflage, sondern wegen der Demografie. Heute kommen nur noch 1,8 Beitragszahler auf einen Rentner – Tendenz sinkend. In den 1960ern waren es noch über 4. Gleichzeitig leben die Menschen deutlich länger – und beziehen damit auch länger Rente. Die Rentenkasse wurde und wird auch nicht „geplündert“, wie es in Diskussionen oft heißt – im Gegenteil: Sie wird jährlich mit über 110 Milliarden Euro aus Steuergeldern bezuschusst, weil die laufenden Beiträge längst nicht mehr ausreichen. Und dieses Geld kommt von allen Steuerzahlern – auch von denen, die selbst keine gesetzliche Rente erwarten können.
Österreich wird oft als Vorbild genannt – dort erhalten Rentner rund 80 % des letzten Nettoeinkommens als staatliche Rente. Aber: Die Abzüge dort sind höher, und über 30 % der Rentenausgaben werden jährlich aus Steuermitteln finanziert – deutlich mehr als in Deutschland. Auch dort wächst die Herausforderung: steigende Lebenserwartung, hohe Zuschüsse, schrumpfende Erwerbsbevölkerung. Wenn man Beamte oder Selbstständige in die Rentenkasse einbezieht, bringt das kurzfristig höhere Einnahmen – aber es entstehen auch neue Ansprüche. Das Problem wird nicht gelöst, sondern nur in die Zukunft verschoben.
Die Schweiz und Schweden machen es besser: Beide Länder kombinieren Umlage und Kapitaldeckung – und setzen auf echte Verbreiterung der Basis. In der Schweiz gibt es drei Säulen: Die erste Säule (AHV) ist umlagefinanziert, alle zahlen ein – auch Selbstständige, Beamte und Politiker. Die zweite Säule ist verpflichtend, kapitalgedeckt und wird von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam finanziert. Dazu kommt eine steuerlich geförderte, private dritte Säule. Besonders attraktiv: In der Schweiz sind private Veräußerungsgewinne (Aktien) steuerfrei – ein klarer Anreiz für langfristigen Vermögensaufbau.
In Schweden fließt ein Teil der Beiträge in einen staatlich verwalteten Aktienfonds, der breit gestreut ist und langfristig Rendite erwirtschaftet – für alle, nicht nur für Wohlhabende. Ein Blick nach Norwegen zeigt, wie es auch gehen kann: Der dortige Staatsfonds („Government Pension Fund Global“) speist sich aus den Öleinnahmen des Landes – aber entscheidend ist das Prinzip: Ein staatlich verwalteter, breit gestreuter Kapitalstock, der langfristig und generationsübergreifend wirkt.
Ein weiteres Beispiel: In den USA wird mit dem 401(k)-System eine steuerlich geförderte private Altersvorsorge ermöglicht. Millionen Amerikaner sparen so – oft mit Beteiligung des Arbeitgebers – langfristig und steuerlich begünstigt fürs Alter: Innerhalb des 401(k)-Kontos fallen keine Steuern auf Kapitalerträge an – keine Abgeltungssteuer, keine Zwischenbesteuerung. Versteuert wird erst im Ruhestand bei der Auszahlung. Dadurch kann der Zinseszinseffekt ungehindert wirken – ein Vorteil, den es in Deutschland so nicht gibt.
Auch Deutschland hätte längst einen solchen Bürgerfonds aufbauen können – etwa aus Haushaltsüberschüssen, Privatisierungserlösen oder gezielten Rücklagen. Stattdessen hat man Zeit und Vertrauen verspielt. Übrigens: Deutschland hat sogar eine Art Staatsfonds – den KENFO („Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung“). Dieser wurde 2017 gegründet und verwaltet inzwischen über 24 Milliarden Euro, die von den Betreibern der Kernkraftwerke eingezahlt wurden. Ziel ist es, die Rückbau- und Lagerungskosten langfristig abzusichern – über einen kapitalgedeckten Fonds, der breit gestreut international investiert. Ironie des Ganzen: Für radioaktive Abfälle gibt es langfristige Rücklagen – für die Altersvorsorge der Bevölkerung nicht.
Wir brauchen keine Symboldebatten, sondern ein Rentensystem, das die Realität anerkennt – und auf mehreren, tragfähigen Säulen steht: umlagefinanziert, kapitalgedeckt, steuerlich fair. Wer das ernst meint, muss über Modelle wie in Schweden, der Schweiz, den USA und Norwegen sprechen – und nicht über vermeintlich neue Ideen, die nur alte Probleme verlagern.
Kein Rentenanspruch, kein Erbe – aber ein selbst aufgebautes Depot. Carsten Seifert lebt von Kapitalerträgen und denkt über Altersvorsorge länger nach als viele, die sie regeln wollen.