Aufregung im Zirkuszelt

Die demokratische Regenbogenfahne über dem Reichstag. Foto von RudolfSimon

Der Kanzler erregt mal wieder Anstoß, weil er Symbolpolitik mittels queergestreifter Regenbogenflaggen infrage stellte. Das sagt mehr aus über seine Kritiker als über ihn.

Lud man Olaf Scholz in die Hauptarenen des politmedialen Zirkus ein, die Talk-Schaubühnen des öffentlich-rechtlichen Fernseh-Unterhaltungsprogramms, konnte man sicher sein, dass ihm nichts Überraschendes, gar Anstößiges entfuhr. Wie auch sonst nicht. Bei seinem Nachfolger ist das anders. Für den gesellschaftlichen Diskurs ist das gut – nicht aber für Dauerempörte, die das Hissen des Regenbogens für einen zentralen Akt der Politik halten.

Ich glotze schon lange nicht mehr TV (Nina Hagen). Schon gar nicht Talkshows, wo gefühlt immer gleiche Selbstdarsteller ritualhaft Fragen der Zeit abhandeln oder solche, die die jeweilige Redaktion dafür hält. Unter Anleitung von Moderatorinnen und Moderatoren, die selten moderieren, vielmehr den inszenierten Streit anheizen, um Quote zu schaffen. Jedoch fast nie Erkenntnisgewinn.

Am Sonntagabend hatte nun, wie ich andernmorgens den allfälligen Besprechungen in div. Medien entnehmen konnte, Sandra Maischberger Friedrich Merz als Einzelgast eingeladen. Vorbereitet hatte sie sich dafür wie üblich mit Karteikarten voller Fangfragen, etwa nach seiner Privatfliegerei – als Ausweis seiner im doppelten Sinn Abgehobenheit. Merz soll das alles, hieß es überwiegend, recht geschickt und für ihn überraschend ruhig pariert und immer wieder versucht haben, das Gespräch auf für ihn wirklich wichtige Fragen zu lenken.

Nachträgliche Empörung

Tage später sorgt nun eine Randbemerkung von Merz für verzögerte Erregung in den klasssischen und sozialen Medien, die sich gerne aus solchen Show Acts speisen. Auf die Frage von Maischberger, was er davon halte, dass Bundestagspräsidentin Julia Klöckner das Anbringen der sog. Regenbogenflagge auf dem Reichstag nur noch an einem Tag pro Jahr erlaubt, soll er gesagt haben: Das Gebäude des Bundestags sei kein Zirkuszelt, auf dem man beliebig Flaggen hisse.

Sicherlich kann man bezweifeln, ob das eine sonderlich glückliche Wortwahl war, weil Merz ja wissen muss, wie aufgeladen dieses (Schein)Thema ist. Jedenfalls für einen Teil des Publikums und der politisch-medialen Klasse. Anderen, vor allem seinen Wählern, wird er aus der Seele gesprochen haben. Und so ist Merz nun mal. Etliche dürften ihn gerade deswegen gewählt haben.

Kaum bestreitbar richtig ist, dass der Bundestag und sein Gebäude, in dem die Nazis schreckliche Showveranstaltungen abhielten, bis sie den von ihnen als „Quasselbude“ verhöhnten zentralen Ort der Demokratie anzündeten, ebendies ist: eine Stätte, die Respekt verdient und demokratische Würde ausstrahlen soll. Keinen Klamauk. Gerade weil die Demokratie von vielen Seiten infrage gestellt wird. Nicht nur in Deutschland.

Schwarz-Rot-Gold sind der demokratische Regenbogen

Zurecht gab es deshalb breiten Protest, als Reichsbürger, Quer-Nichtdenker, Coronaleugner u.a. den Reichstag zu stürmen versuchten. Das Hissen der Regenbogenflagge als Bekenntnis zu einer vielfältigen, diversen Gesellschaft, in der sexuelle und andere Minderheiten dieselben Rechte genießen wie alle anderen, ist damit natürlich in keiner Weise vergleichbar.

Dennoch zeugt die anhaltende Diskussion über den Erlass der neuen Hausherrin, die queere Fahne in diesem Jahr beim Christopher Street Day nicht aufzuziehen zu lassen, sondern nur am Tag gegen Homophobie, von einer unangebrachten Unernsthaftigkeit. Schließlich haben weder Klöckner noch Merz das bunte Tuch verboten, auch nicht über dem Bundestag. Vielmehr sagte der Kanzler laut Protokoll bei Maischberger: Jeder könne vor seiner eigenen Haustür Fahnen hissen, wie er wolle. „Aber wir reden hier über das deutsche Parlament und im deutschen Parlament werden nicht jeden Tag beliebig irgendwelche Fahnen aufgehängt, sondern die deutsche Nationalflagge und die europäische Flagge.“

Schwarz-Rot-Gold, die Farben der im 19. Jahrhundert hart erkämpften, nach 1945 wieder errungenen deutschen Demokratie, sind das zentrale Symbol der staatlichen und gesellschaftlichen Freiheit und Vielfalt. Da hat Merz völlig recht. Sie sollten nicht durch andere Symbole ersetzt werden. Und sei es noch so gut gemeint.

Kampf für Freiheit – überall

Nichts spricht dagegen, sie gelegentlich durch andere Zeichen zu ergänzen. Zum Beispiel die ukrainsche Flagge, aus Solidarität mit den Ukrainerinnen und Ukrainern, darunter viele queere Menschen, in ihrem Freiheitskampf gegen die russische Tyrannei, für die der Einsatz für die Rechte von Homosexuellen u.a. Minderheiten Beweis der Verkommenheit des Westen ist. Oder den Davidstern – Beistand für die angegriffene jüdische Minderheit und die jüdisch-demokratische Nation großer Vielfalt. Natürlich auch den Regenbogen.

Unter der Kuppel des Reichstags hat der Bundestag vor Jahren die Gleichstellung der Homosexuellen bei der Eheschließung beschlossen – ein historischer Tag, nachdem vor allem Schwule unter den Nazis und auch noch lange danach entrechtet waren und verfolgt wurden. Sicherlich ist noch einigtes zu tun für die Gleichbehandlung auch anderer queerer Menschen. Aber das macht sich nicht daran fest, ob eine bunte Fahne an einem oder zwei Tagen über dem Reichstag flattert. Oder ob der Kanzler darüber eine flapsige, aber durchaus ernst gemeinte Bemerkung macht.

Weniger Aufregung wäre auch in diesem Fall hilfreich. Es gibt schließlich noch andere, womöglich (noch) wichtigere Fragen, mit denen sich das Land und die Medien beschäftigen sollten. Selbst im erhitzten Sommerloch.

 

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hase12
hase12
4 Tage zuvor

Friedrich Merz hat vollkommen recht, wenn er sagt, (sinngemäß wiedergegeben) dass das Parlament keine Quasselbude bzw. kein Zirkus is, sondern eine Stätte der Würde. Passenderweise in einer Talkshow. Talkshow bedeutet – ins Deutsche wörtlich übersetzt – Schalkschau.

paule t.
paule t.
4 Tage zuvor

@ hase 12: Sie brauchen ein neues Englisch-Wörterbuch.

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