Unstatistik des Monats: Hilft Pflanzenkost gegen Corona?

Gute Gurke? Foto: Frank Vincentz Lizenz: CC BY-SA 3.0

Die Unstatistik des Monats Juni ist die Berichterstattung über eine Studie aus BMJ Nutrition, Prevention & Health zum Zusammenhang zwischen der Ernährung und Coronainfektionen. Denn dieser Zusammenhang existiert in der Tat: Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Coronainfektion einen schweren Verlauf nimmt, ist bei Menschen mit einer pflanzenbasierten Ernährung deutlich kleiner. Zumindest war das in der in der Studie untersuchten Stichprobe von rund 3000 besonders coronagefährdeten Personen aus dem Gesundheitswesen (95 Prozent davon Ärzte) der Fall.

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Sommerferien vor der Tür: Muss ein Urlaub im Ausland jetzt wirklich sein?

Urlaub in Portugal ist schön, aber im Sommer 2021 sehr riskant. Foto: Robin Patzwaldt

Beim Kampf gegen die Corona-Pandemie können wir in Deutschland inzwischen beachtliche Fortschritte verzeichnen. Wer hätte schon vor ein paar Wochen gedacht, dass wir es wirklich schaffen können bis zum Herbst ‚durchgeimpft‘ zu sein, die ‚Herdenimmunität‘ zu erreichen? Es gibt also durchaus Grund für Optimismus, was eine Rückkehr zu einem halbwegs normalen Leben betrifft.

Und doch, sind die Sorgen aktuell halt noch nicht verschwunden. Die Delta-Variante greift insbesondere in England und Portugal um sich, droht auch in Deutschland in den kommenden Wochen zum Problem zu werden. Noch liegt der Anteil der zwei Mal bze. vollständig geimpften Personen in Deutschland halt nur bei rund 34 Prozent. Zu wenig, um gänzlich unbesorgt zu sein, was den Herbst betrifft.

Stellt sich somit, wie auch schon im Vorjahr, zu Beginn des Sommers die Frage, ob ein Urlaub im Ausland in diesen Zeiten denn wirklich verantwortbar ist?

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Auswirkungen der Corona-Pandemie – Was braucht man schon wirklich?

Wer braucht schon eine Wurst mit Emoji-Aufdruck? Foto: Robin Patzwaldt

Nebenan bei der WAZ beschäftigt man sich heute unter anderem mit einer kürzlich veröffentlichten Studie der Postbank, wonach die Pandemie das Kaufverhalten, insbesondere jüngerer Menschen, nachhaltig beeinflusst habe. „Onlinehandel verleitet in der Pandemie dazu, Sachen zu kaufen, die nicht benötigt werden. Das geben zwei von drei Jüngeren zu“, behaupten die Kollegen.

Mich selber hat das heute zum Nachdenken angeregt. Ich selber habe natürlich auch eine Veränderung in meinem Kaufverhalten beobachtet. So war ich zum Beispiel in diesem Kalenderjahr noch gar nicht in den Innenstädten von Dortmund oder Recklinghausen. Etwas, das so in früheren Jahren sicherlich gar nicht denkbar gewesen wäre.

Auch wenn ich in den vergangenen Jahren längst nicht mehr so häufig zum ‚Shoppen‘ vor Ort war, viel mehr im Internet gekauft habe als früher, wäre ich ohne Corona und den dazugehörigen Lockdown etc. doch sicherlich das eine oder andere Mal zum Einkaufen in einigen der mir vertrauten Revierstädte gewesen. Im Jahre 2021 ist das komplett entfallen. Zumindest bisher. Habe ich dadurch in nennenswerten Umfang andere Dinge gekauft als sonst? Nein!

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Judenhass metaphorisch: Ist A. Dirk Moses der neue Achille Mbembe?

Gerichtspalast des Heiligen Offiziums der Heiligen Inquisition, Mexico by GAED 2012 CC 3.0

Eine Attacke reiten ist das eine, eine Metapher reiten ein anderes: Anthony Dirk Moses, Professor für Global Human Rights History in North Carolina/USA, steht im Zentrum eines neu-alten Historikerstreits. Seine Attacke, jüngst auf Geschichte der Gegenwart erschienen, zielt auf die Einsicht, dass der Holocaust ein singuläres Verbrechen gewesen ist und kein koloniales, ein antisemitisches und kein rassistisches. Moses Metapher dafür: Die Singularität des Holocaust sei nur ein frommer „Glaubenssatz“, der im „Katechismus der Deutschen“ stehe, um „Vergebung zu erlangen“. Ein solcher Jargon irritiert, Moses reitet die Metapher ungerührt zu Tode  –  und erweckt eine antijüdische Figur zum Leben, es ist die des Gottesmörders. Vielleicht ist Moses nicht der neue Mbembe, zum neuen Mel Gibson reicht es hin.

In der Genozidforschung zählt A. Dirk Moses zu den Großen, den Holocaust bezeichnet der Australier  –  die These ist originell  –  als „subalternen Genozid“, nämlich als „the destruction of the colonizer by the colonized“. Aus Sicht der Nazis, so Moses, müsse man den Holocaust als einen „‘anti-colonial‘ genocide“ verstehen.

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Der längste Tag

Hawker Typhoon mit Luft-Boden-Raketen Foto: United Kingdom Government Lizenz: Public Domain


Von unserem Gastautor Manfred Barnekow über die Rolle der alliierten Luftwaffe am D-Day und der Vernichtung der deutschen Westfront in Frankreich. 

Am frühen Morgen, heute vor 75 Jahren

Oberstleutnant Josef Priller, den alle Pips nannten, zog aus der großen Wolke, in die er und sein Rottenflieger Wodarczyk über Le Havre hineingeflogen waren, es war kurz vor halb neun an diesem 6. Juni 1944; was er sah, war atemberaubend. Tausende von Schiffen aller Größen, sogar Schlachtschiffe lagen bis zum Horizont vor den Stränden, Landungsboote strebten Gischt hinter sich ziehend dorthin, der weiße Sand voller Punkte, die stürmende Menschen waren. Rauch und Explosionen verdunkelten die durch das Wetter ohnehin düstere Szenerie. Priller war Geschwaderkommodore des Jagdgeschwaders 26, eines der herausragenden Verbände der Luftwaffe, das den gesamten Krieg über am Kanal lag und den unmittelbaren Luftkampf mit England führte, erst offensiv in der Luftschlacht 1940, dann zur Verteidigung des französischen Luftraums. Seine Verluste waren hoch, immer weiter gestiegen in den letzten Monaten und so war Priller an diesem Morgen Kommodore ohne Geschwader, denn das Jagdkommando II hatte gegen seinen lautstarken Protest am Vortag alle seine Gruppen ins Hinterland verlegt, um sie zu schonen. Das Bodenpersonal war per Lastwagen dorthin unterwegs, nur Priller und Wodarczyk waren noch eine Nacht in Lille geblieben. Nun hatte derselbe Ia des Jagdkommandos ihn aus dem Bett geholt und zu einem Himmelfahrtskommando an die Strände der Normandie beordert.

Um 8:00 Uhr startete er, im Tiefstflug rasten sie in Richtung Le Havre, ganze Geschwader englischer und amerikanischer Flieger über sich, denen sie nicht auffielen, ehe sie in der Wolkenwand vor der normannischen Hafenstadt verschwunden waren, aus der sie über dem Wasser wieder herauskamen. Priller zögerte nicht, er stürzte sich auf den Strand, der als Sword Beach Geschichte machen sollte, fing in 50m Höhe ab und feuerte nach unten, bis die Munition zur Neige ging. Salven von Schiffsflak begleiteten ihn, nicht ein Splitter traf. Dann zog er hoch, Wodarczyk und er hatten das völlige Unwahrscheinliche geschafft, die vergangene Minute zu überleben. Er schalte den Funk ein und rief mit beißendem Sarkasmus in den Äther: „Das also ist der größte Augenblick in der Geschichte der Luftwaffe“. Prillers Zynismus gab in einem Satz wieder, was entscheidend für das Gelingen der Invasionsschlacht werden sollte, die überlegt erkämpfte und methodisch zur Geltung gebrachte absolute Luftherrschaft der Engländer und Amerikaner.

Prillers Flug war das erste Eingreifen der Luftwaffe an jenem Tag, da die Völker der freien Welt es unter Opferung ihrer Söhne unternahmen, Europa von den Deutschen zu befreien. Es blieb nicht das einzige. Insgesamt flog die deutsche Luftwaffe 170 Einsätze am D-Day, es waren zersplitterte Angriffe gegen einzelne Schiffe bis hin zu einer desperaten Attacke von Ju 87 Stukas, die schon vier Jahre zuvor nur bei eigener Luftüberlegenheit Schrecken zu verbreiten wussten und während der Luftschlacht um England britische Jagdflieger zur Bemerkung vom Entenschießen veranlassten. Nadelstiche konnte man das nennen, wenn überhaupt die Alliierten sie gespürt haben. Sie hatten am selben Tag mehr als 14.000 Einsatzflüge. Sie setzten drei Fallschirmdivisionen ab, bombardierten die Bunker des Atlantikwalls, die Knotenpunkte, den Nachschub, sie zerstörten als Tiefflieger jeden deutschen Antransport mit der Genauigkeit eines Uhrwerks.

Die Wende

Keine sechs Monate zuvor hatte der Luftkrieg über Deutschland ein vollkommen anderes Bild geboten. Die Amerikaner hatte ihre Bomberflotte immer weiter ausgebaut, ihr Rückgrat sollten die schweren Bomber sein, die B-17 Flying Fortress und die B-24 Liberator, die in der Erinnerung weniger Bekanntheit haben, obgleich sie in größerer Anzahl als die B-17 eingesetzt wurden. Point Blanc war der Tarnname einer Gesamtkonzeption, die Churchill und Roosevelt Anfang 1943 festgelegt hatten, amerikanische Tagesangriffe auf Punktziele und britische nächtliche Flächenvernichtungen. Tatsächlich bestand die Einigung mehr in der Theorie, weiterhin waren beide Verbündeten von der Richtigkeit ihrer jeweiligen Idee überzeugt und beschränkten die Gemeinsamkeiten auf das unbedingt Notwendige. Die 8. USAAF war erst im Aufbau, ihre Kommandeure waren überzeugt, die deutsche Industrie und Infrastruktur durch gezieltes Bombardieren wesentlich wirkungsvoller ausschalten zu können, als das Bomber Command mit Harris nächtlichen Städtevernichtungen. Getreu der Devise, der Bomber käme immer durch, bewaffneten sie ihre Festungen mit einer rekordverdächtigen Anzahl an Abwehrgeschützen, hatten mit dem Norden-Bombenzielgerät das beste Zielsystem ihrer Zeit und begannen über Hamburg im Rahmen des Gomorrha Unternehmens erstmals in größerer Zahl industrielle Ziele zu vernichten. Zweierlei lernten sie, tatsächlich konnten sie nachhaltigen Schaden anrichten, die Festungen aber waren keine, sie waren entschlossenem Vorgehen deutscher Jäger nicht gewachsen.

Nicht nur sie lernten es, die deutsche Luftwaffe auf der anderen Seite erkannte Stärke und Schwäche ebenso. Sie reagierte schnell und konsequent. Da die amerikanischen Begleitjäger, die Thunderbolts und Lightnings nur bis Belgien und Holland die Bomber schützen konnten und über Westdeutschland umkehren mussten, stellten die deutschen Tagjäger die Bomber erst danach. Zudem wurden ihre Piloten auf Angriffe gegen Bomber spezialisiert, unter Vernachlässigung der Ausbildung zum Luftkampf bei den jungen Piloten und die Flugzeuge immer stärker bewaffnet. Ihre Kanonen wurden furchterregend für die amerikanischen Besatzungen, besonders schwere Jägerverbände zusätzlich aufgestellt. Die Abschusserfolge stiegen, die US Offensiven auf Schweinfurt und Regensburg brachten derart hohe Verluste, dass die Moral der Flieger massiv zu sinken begann. Die Führung der 8. USAAF sah sich gezwungen, eine Pause einzulegen, die großen Angriffe zurückzufahren und das Konzept zu überdenken.

Wie die Deutschen verstanden sie, rasch zu handeln. Hinter ihnen stand ein schier unerschöpfliches Industriepotential und – das Glück in Form eines Flugzeugs, das zur Unterstützung Großbritanniens entwickelt war, ab 1941 geliefert wurde und bei seinen ersten Einsätzen als höchst durchschnittliches Muster ohne lange Zukunft galt, da der amerikanische Allison Motor in größeren Höhen sich als unstet und leistungsschwach erwies. Die P-51 Mustang. Da die Engländer schon mehrere Hundert von ihnen hatten, begannen sie zu experimentieren, sie bauten den berühmten Rolls-Royce-Merlin Motor ihrer Spitfire ein, dies war die Geburtsstunde des vielleicht bedeutendsten Flugzeuges des 2. Weltkriegs. Merlin und Mustang vereinigten sich zu einer schwer schlagbaren Kombination. Überlegen an Schnelligkeit und Wendigkeit, bot sie eine weitere Möglichkeit, ihr Rumpf ließ den Einbau eines zweiten Tanks zu, ihre Reichweite sich damit verdoppeln, mit Zusatztanks war dieser große Wurf in der Lage, tief nach Deutschland hinein den Begleitschutz zu übernehmen. Die USA begannen den Merlinmotor in Lizenz zu bauen, die Mustang massenweise zu produzieren, mit allen Kapazitäten, über die sie verfügten. Anfang 1944 begann die Ausrüstung der Verbände der USAAF, sehr schnell war sie in einer Größenordnung den Bombern beigegeben, die zahlenmäßig alles, was die Luftwaffe aufzubieten hatte, in den Schatten stellte. Was die Deutschen gerade eben noch stark gemacht hatte, wurde nun ihr Verhängnis. Die schwer bewaffneten Me-109 G6 und Focke Wulf 190 A-8 waren zu langsam geworden, ihre Beweglichkeit stark eingeschränkt, die jungen Piloten hatten das Kämpfen gegen Jäger nicht gelernt, fünf- bis zehnfach überlegen griffen die leicht bewaffneten Mustangs sie an, Göring in seinem stets verlässlichen Dilettantismus tat das übrige, er befahl strikt, den Begleitschutz zu ignorieren und nur die Bomber ins Visier zu nehmen. Zu Hunderten starben die deutschen Jagdflieger, nicht nur die frisch ausgebildeten, auch die Experten, die erfahrenen Verbandsführer, wurden immer weniger. Die Bomber konzentrierten sich in erster Linie auf Ziele, die die Produktionsstätten der Luftwaffe betrafen, tatsächlich jedoch lag das Entscheidende der Angriffsserie weniger bei den Zielen, als beim tödlichen Verschleiß der deutschen Piloten. Als die zahlenmäßige Überlegenheit durch ständigen Nachschub aus der Rüstungslawine der USA immer größer wurde, konnten die Amerikaner einige ihrer Verbände von den Bombern lösen, die einen begannen selbstständig die Deutschen schon im Anflug zu suchen, die anderen machten sich als Tiefflieger über deren Flugplätze her. In weniger als drei Monaten, zwischen März und Mai 1944 gewannen sie die Luftschlacht über Deutschland, schalteten sie die Jäger der Luftwaffe aus. Genau rechtzeitig zur Invasion.

Der Inspekteur der deutschen Jagdflieger, Galland, versuchte mit einer letzten Idee die Verluste etwas auszugleichen. Er hielt seine Jäger zurück, insbesondere die frisch ausgebildeten, um eine Jägerreserve anzusammeln, die geballt nach ihrer Aufstellung gegen einen Großangriff antreten sollte, um die Amerikaner zu überraschen und ihnen so erneut hohe Verluste zufügen zu können. Die Deutschen entwickelten ihre Flugzeuge weiter, sie professionalisierten die Produktion innerhalb des Sklavensystems Speers, was sie Jägerstab nannten und Tausende Zwangsarbeiter, KZ Gefangene und ungarische Juden das Leben kostete. Dies aber konnte erst im Herbst zum Tragen kommen. Ihre einzige wirkliche Möglichkeit hatten sie schon lange vorher versäumt. Sie waren seit 1940 dabei, eine revolutionäre Technik reifen zu lassen, den Strahljäger, sie hatten es anfangs nicht mit dem nötigen Nachdruck betrieben. Hitlers Entscheidung, daraus einen “Blitzbomber” machen zu wollen, verzögerte das Projekt zwar endgültig, war trotzdem nicht entscheidend, da die Triebwerksentwicklung stockte und erst im Herbst die Me 262 wirklich einsatzbereit war. Die Fehler wurden vorher gemacht. Am Morgen des 6. Juni 1944 war den gewaltigen und täglich wachsenden Luftstreitkräften der Alliierten kaum mehr als Gallands Reserveaufbau entgegen zu setzen.

Der längste Tag

Die Alliierten konnten es sich leisten, parallel zu den Luftschlägen auf Deutschland systematisch die französische Infrastruktur zu zerstören. Über Frankreich hatte sie zusätzlich die Jäger mit geringerer Reichweite zur Verfügung. Zwei deutsche Jagdgeschwader standen dem gegenüber, viel zu wenig und mit Verlusten, die unerträglich wurden, weshalb die Rückverlegungsbefehle kamen. Hitlers blinder Glaube, dass Terror nur durch Gegenterror zu brechen wäre, hatte dazu geführt, die Kräfte weiter zu verzetteln, indem er Anfang 1944 Nachtangriffe auf englische Städte fliegen ließ, was die Engländer ironisch den Babyblitz nannten. Ohne auch nur im Ansatz Schäden wie das Bomber Command anrichten zu können, verlor die Luftwaffe bei den Bombern gleichfalls ihren letzten Kern. Während ganz Frankreich unter dem Feuer der westlichen Bomber lag, war England bei Tage für die Deutschen unerreichbar geworden. Nur jenen Aufklärern gelang es, die die RAF mit Absicht ab und an durchließ, über Südostengland, wo Pattons Scheinarmee aus Aufblaspanzern hingestellt worden war. Südwestengland dagegen war für die Deutschen ein weißer Fleck. Dort, wo Hunderttausende in Lagern auf die Einschiffung warteten, wo 6000 Schiffe aller Art zusammengezogen wurden, hatten sie, kaum mehr als 100 km entfernt, keinerlei Einblick. Es war die Voraussetzung dafür, sie möglichst lange in dem Glauben zu lassen, die eigentliche Invasion würde am Pas-de-Calais erfolgen.

Der deutsche Führungsaufbau war letztlich unklar. Die Heeresgruppe, die Frankreich verteidigen sollte, unterstand Rommel, bestand aus der starken 15. Armee unter dem kriegserfahrenen General von Salmuth am Kanal und der wesentlich schwächeren 7. Armee unter General Dollmann in der Normandie, der seit dem Frankreichfeldzug nie mehr ein Kriegskommando geführt hatte. Rommel selber wusste seit Afrika welche Folgen alliierte Luftüberlegenheit für die Bewegungen der eigenen Truppe hatten. Daraus resultierte seine Idee des längsten Tages, der Überzeugung, dass der Kampf an den Stränden am ersten Tag über Sieg oder Niederlage entschiede, da aus der Bewegung wegen der alliierten Luftmacht keine Kampfmöglichkeit mehr bestehen würde. Er hatte vornherein in seiner Planung die eigenen Flieger abgeschrieben. Die Zerstörung seines Schienennetzes, der er zusehen konnte, festigte diese Haltung. Ihm allerdings vorgesetzt war der OB West, Feldmarschall von Rundstedt, der, von Hitler 1941 im Osten abgesetzt, nur eigene Luftüberlegenheit kannte und glaubte bei der Invasion den Feind ausmanövrieren zu können, wie einst im Frühjahr 1940. Damit verfolgten die beiden entscheidenden Befehlshaber der Deutschen unterschiedliche Ansätze.

Es sollte noch schlimmer kommen, am D-Day hatte Dollmann seine Divisionskommandeure zu einem Kriegsspiel geladen, jene, die schon zuvor losgefahren waren, waren nicht auf ihrem Posten, Rommel besuchte seine Gattin bei Stuttgart, weil er das Wetter für zu schlecht für eine Invasion hielt, Rundstedt verweigerte die vorzeitige Alarmierung trotz aufgefangener Funksprüche, nur Salmuth reagierte, aber bei ihm fand keine Invasion statt. Ungeachtet des deutschen Chaos, ihrer gewaltigen Flotte, die alles übertraf, was je eine Landung versucht hatte, der absoluten Überlegenheit auf allen Gebieten, gelang das Unternehmen Eisenhowers Verbänden nur knapp. Vor den Landungen bombardierten die Amerikaner die Bunkerlinien der deutschen Widerstandnester. Dies gelang besonders gut im Landungsabschnitt Utah auf der Halbinsel Cotentin, wo der deutsche Widerstand nach kurzem Gefecht gegen die Landungstruppen zusammenbrach, besser gelang es den Verteidigern, sich in den Abschnitten Juno, Gold und Sword zu schützen, angeschlagen konnten sie sich einige Zeit halten und Briten wie Kanadiern schmerzhafte Verluste zufügen. Dazwischen und damit entscheidend für die Verbindung war der amerikanische Landungsstreifen, der den Codenamen Omaha Beach erhalten hatte. Wohl höchstens 300 bis 400 Deutsche mit Artillerie, Mörsern und Maschinengewehren erwarteten zehntausende Angreifer. Die Bombardierung ihrer Bunker schlug fehl, aufgrund von Navigationsfehlern erfolgten die Abwürfe zu spät, die Bomben pflügten nur Felder um. Das Desaster ist bekannt, an einigen Punkten bis in den Nachmittag hielten die wenigen Deutschen die Invasion dort auf. Einen fürchterlichen Blutzoll hatten die tapferen Befreier Europas vor Colleville- und Vierville-sur-Mer zu zahlen. 1500 bis 2000 Gefallene, nicht zuletzt, da die Luftunterstützung ausgeblieben war. Zur selben Zeit allerdings wurden die Straßen, die Kreuzungen, die Schienen in der gesamten Normandie zerbombt, Tiefflieger machten Jagd, auf alles, was sich hinter der deutschen Front bewegte. Es gelang den Deutschen nicht, bei Tage Truppen und Panzer zu den Stränden zu bringen. So fiel auch Omaha Beach am Ende. 30 bis 50 Deutsche sollen überlebt haben. Sie bekamen zu keinem Zeitpunkt Unterstützung durch ihre hinter ihnen in Stellung liegenden Divisionen. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, wie das Unterfangen ohne die erdrückende Beherrschung des Luftraums hätte ausgehen können.

Die Schlacht

Die Invasionsschlacht begann erst an jenem Junimorgen. Sie sollte tatsächlich zwei Monate dauern. Die meisten der jungen Soldaten aus den USA und England hatten keine bis wenig Kriegserfahrung und Nazideutschland bot eine Mischung aus Ostfrontkämpfern und vollkommen fanatisierten, meist sehr jungen SS Soldaten auf, die in der Heckenlandschaft der Normandie ideale Verteidigungsmöglichkeiten fanden. Hinter den Stränden gelang es weder den Amerikanern noch den Engländern ihre Ziele im Zeitplan zu erreichen. Die Schlacht wurde zu einem Abnutzungskrieg.

Galland musste seine Jägerreserve abgeben. Fast alle Verbände der Reichsverteidigung wurden in einem geplanten Verfahren auf mehr oder weniger improvisierte Flugplätze nach Frankreich verlegt. 1800 Maschinen hatten sie nach kurzer Zeit zur Verfügung. Es waren bunte Mischungen aus Jägern, die für den bodengeführten Kampf gegen Bomberverbände ausgebildet waren, oft ohne Erfahrung. Sie mussten nun über Schlachtfeldern antreten, die Reste der Bomberverbände ohne jede Vorerfahrung sollten Schiffe versenken. Nicht weniger als 32.000 Flugzeuge hatten USAAF und RAF zur Verfügung, systematisch darauf vorbereitet. Jägerpatrouillen sicherten die Strände, Tiefflieger unterbanden die deutschen Bewegungen bei Tage. Die RAF hatte mit der Hawker Typhoon ein Flugzeug speziell dafür entwickelt, schwer bewaffnet, selbst mit Raketen. Keine Wehrmachtskolonne war vor ihnen sicher. Am 17. Juli fiel Rommel selbst den Tieffliegern zum Opfer. Mittlere und schwere Bomber griffen die deutschen Linien und strategischen Punkte im Hinterland an. Jagdschutz in gewaltiger Überzahl begleitete sie, stürzte sich auf die wenigen deutschen Jäger, die erneut verboten bekamen, sich zu wehren und nur die Bomber abzuschießen hatten, ehe die Überlebenden auf ihre zerstörten Flugplätze zurückkehrten und sich im Chaos zu den nächsten provisorischen Flugfeldern durchschlagen mussten. Bis Ende Juni hatten die Deutschen ca. 800 Flugzeuge verloren, die Alliierten 1300, mehrheitlich durch Flak, 800 von 1800, 1300 von 32.000. Bis zum Ende der Schlacht verlor der Westen zwar mehr als 4000 Kampfflugzeuge, die Luftwaffe hingegen praktisch alles, was eingesetzt war. Prillers sinnloser Wahnsinnseinsatz in den ersten Stunden symbolisierte bestens den gesamten Auftritt der Luftwaffe in diesem Kampf. Er fügte dem Gegner keinen nennenswerten Schaden zu, während die Jägerreserve für die Reichsverteidigung einfach verschwand. Unter den deutschen Soldaten kursierte bald der geflügelte Spruch: “Wenn Du ein Flugzeug in Tarnfarben siehst, ist es ein Engländer, ist es silbern, ist es ein Amerikaner, siehst Du gar keins, so ist es ein deutsches”.

Amerikaner und Engländer auf der anderen Seite waren in der Luft omnipräsent. Die Verluste beider Seiten in der Invasionsschlacht am Boden hielten sich tatsächlich die Waage. Doch während über den Kanal permanent Nachschub und neue Soldaten auf dem Kriegsschauplatz eintrafen, blieben die deutschen Ausfälle ohne Ersatz. Trotz der Bindung an das Hinterland war es fast unmöglich, Nachschub angemessen nach vorn zu bringen. Abgenutzt wurde nur die deutsche Seite. Bei Tage erstarb jede Truppenverlegung. Rommels Ausgangsüberlegung war richtig gewesen, konsequent drang er noch im Juni bei Hitler vor („die Truppe kämpft allerorts heldenmütig, jedoch der ungleiche Kampf neigt dem Ende entgegen“), diesen zur Kriegsaufgabe zu bewegen, selbstredend völlig vergebens. Mit jedem Tag wurde die Wehrmacht daher schwächer, offensive Operationen waren nahezu ausgeschlossen. Langsam kämpften sich die Verbündeten voran, der erste große Erfolg war die Eroberung der Halbinsel Cotentin mit der Hafenstadt Cherbourg, dann drückten sie die Deutschen nach Süden zurück, die Amerikaner erfolgreicher als die Briten, die lange vor Caen liegen blieben. Mehr als sich an Ort und Stelle festzukrallen, dabei auszubluten, konnte SS und Wehrmacht nicht gelingen. Es war die Konsequenz einer bis dahin unbekannten Luftüberlegenheit. Den Schlusspunkt setzten Massenbombardements von B-17 Bombern auf die deutschen Linien, die dem entscheidenden Durchbruch bei Avranches vorausgingen, als die Deutschen die Eingebrochenen ihrerseits mit einer verzweifelten Gegenoffensive abschneiden wollten, war es RAF, die sie aus der Luft zusammenschlug, dass sie bei Falaise eingekesselt werden konnten. Die Wehrmacht in Frankreich ging unter. Nur zwei Wochen danach zog de Gaulle in Paris ein. Mindestens 14.000 Franzosen, das mag nicht vergessen werden, wurden Opfer der Bomben, zahlten mit ihrem Leben für Frankreichs Freiheit. 16.000 Flieger von Royal Air Force und USAAF starben zwischen dem 06. Juni und der Auflösung des Kessels von Falaise für die Niederringung des schlimmsten Feindes der Menschheit.

Die Befreiung Westeuropas von der Herrschaft der Nazideutschen war wahrhaftig die große Stunde der Luftwaffe. Der alliierten, denn sie war der entscheidende Faktor der Invasionsschlacht.

 

 

Antisemitismus neu definiert? „Jerusalemer Erklärung“ ist BDS im Wissenschaftskostüm

Pro-Israel-Demo in Berlin 2009 by Dana Bondarenko and Sergey Gavrilov CC 3.0

„Ungeeignet, unklar, diffus“. Die Doktorarbeit von Franziska Giffey? Die „Jerusalemer Erklärung“, angerichtet von 200 „internationalen Wissenschaftler:innen mit Schwerpunkten in der Antisemitismusforschung und verwandten Bereichen“. Im März hatten die 200 kund getan, sie hätten Antisemitismus „neu definiert“ und, sieh an, ein neues Ergebnis gefunden: BDS, die anti-israelische Hetzkampagne, sei „per se“  –  aus sich heraus  –  „nicht antisemitisch“. Lars Rensmann, in der Antisemitismusforschung eine Adresse, hat sich die „Jerusalemer Erklärung“ näher besehen, es sind keine Blumen, die er ihr überreicht: Die 200 hätten sich „keinen Gefallen getan“ damit, ihre „erstaunliche Unkenntnis der Antisemitismus- und Rassismusforschung der letzten Jahrzehnte“ zu beweisen. Was sie zuwege gebracht hätten, sei „schlichtweg falsch und analytisch unbrauchbar“. Die Amadeu Antonio-Stiftung hat Rensmanns Expertise jetzt auf Belltower News gestellt, es lädt dazu ein, die „Jerusalemer Erklärung“ noch einmal zu lesen. Um zu verstehen, wie das geht, dass Antisemitismus aus der Welt hinaus gewissenschaftet wird.

Lars Rensmann, in Bochum geboren, Professor für Politik in Groningen, ist Mitglied des Editorial Boards des Journal for the Study of Antisemitism, es ist die in der internationalen Antisemitismusforschung maßgebliche Fachzeitschrift. Von den 28 Wissenschaftlern des Boards tragen gerade einmal zwei die „Jerusalem Declaration“ mit.

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Corona und Katastrophenschutz: Ende gut, alles gut?

Corona in einer Bearbeitung von K. Gercek

Zum 60. Mal seit dem 15. März 2020 unterhalten sich die Ruhrbarone mit Magnus Memmeler.  Das wird vorerst das letzte Interview zum Thema sein. Bis heute sind 59 Interviews entstanden, die auf den Katastrophenschutz blicken und die Corona-Krise nachzeichnen. Im 60. Interview geht es um den fehlenden Impfstoff, eine Bundes-App mit Startproblemen, um einen Gesundheitsminister, der wieder mit Millionen um sich wirft, um den Katastrophenschutz im Wandel und einiges mehr. 

Ruhrbarone: Hallo, Herr Memmeler. Endlich wird es Frühling, die Temperaturen knacken die 20-Grad-Marke und passend dazu können wir uns alle über zahlreiche Lockerungen freuen. Welche Erkenntnisse brachte der Impfgipfel?

Memmeler: Ja, endlich ist Frühling. Die zurückliegenden 14 Tage mit viel Regen und Wind haben uns alle in den wenigen möglichen Aktivitäten zusätzlich eingeschränkt, weshalb die aktuellen Lockerungen verständlicher Weise von allen begrüßt werden. Leider fällt das Begrüßen der Lockerungen manchmal zu freimütig aus und führt deshalb lokal auch immer wieder zum Anstieg bei den Infektionszahlen. Bestes Beispiel hierfür sind erneut Meldungen von der Urlaubsinsel Sylt.

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Corona und Katastrophenschutz: Deutschland macht Lockerungsübungen

Corona in einer Bearbeitung von K. Gercek

Zum 59. Mal seit dem 15. März 2020 unterhalten sich die Ruhrbarone mit Magnus Memmeler.  Bis heute sind 58 Interviews entstanden, die auf den Katastrophenschutz blicken und die Corona-Krise nachzeichnen. Im 59. Interview geht es um den permanenten Impfstoffmangel, um den digitalen Impfpass, um die chronische Kommunikationsstörung eines Ministers, um die Reform des Katastrophenschutzes und einiges mehr. 

Ruhrbarone: Deutschland macht Lockerungsübungen. Die Biergärten öffnen und freie Übernachtungsmöglichkeiten für die Nord- und Ostseeküsten stehen in den nächsten Wochen kaum noch zur Verfügung. Wie es scheint, kommt nun alles wieder in die gute, alte Ordnung?

Memmeler: Leider ist nicht alles wieder gut. Ich empfehle allen Regierenden und ganz besonders Jens Spahn die Lektüre des „Leitfadens zur Krisenkommunikation“ des BBK mit Aktualisierungsstand August 2014.

Angesichts des aktuellen Lockerungswahnsinns muss man ja fast froh sein, dass Pfingsten verregnet und ungemütlich stürmisch ist. So leid es mir für jeden Gastronomen tut, der dem Zeitpunkt entgegen gefiebert hat, zumindest wieder Außengastronomie betreiben zu können, so beunruhigt bin ich durch die aktuelle Kommunikation unserer Regierenden, die suggerieren, dass quasi alles wieder möglich ist und wir bald alle geimpft sein werden.

Beides ist Quatsch und das führt aktuell dazu, dass nicht nur die Querdenker Stress verursachen. Solange wir Meldungen lesen, dass zum Beispiel rund 200 Menschen in Velbert-Birth unter Quarantäne stehen, da bei Bewohnern die Indische Virusmutation nachgewiesen wurde, sollten wir nicht zu viel Euphorie bei der Bevölkerung auslösen, wenn wir die derzeit gute Entwicklung nicht zu Nichte machen wollen.

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 Imperialismus und Kolonialismus werden instrumentalisiert, um die Ideen des Westens anzugreifen

Darstellung einer spanischen Galeone (Ausschnitt) Bild: Cornelis Verbeeck, ca. 1618/1620 Lizenz: Gemeinfrei

Über Kolonialismus und Imperialismus wird zurzeit viel diskutiert. Im Kern so banal und ein alter Begleiter der Menschheit wie der Krieg, soll beides gegen den Westen instrumentalisiert werden. Was eine äußerst dumme Idee ist.

Für den Westen und alle Denker und Denkerinnen, die er hervorgebracht hat, gilt, dass sie Imperialisten waren und vom Kolonialismus profitierten. Ob Goethe, Austen, Shakespeare, Newton, Darwin oder Mozart: Sie alle waren Profiteure der Ausbeutung des globalen Südens. An ihren Gänsekielen, Taktstöcken und Rechenschiebern klebt Blut. In der FAZ war zu lesen,

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Am Ende kommandierte Rokossowski die Siegesparade in Moskau

Konstanty Rokossowski Foto: Mil.ru Lizenz: CC-BY 4.0


Heute vor 75 Jahren begann der sowjetische Angriff, der die deutsche Ostfront zusammenbrechen ließ. Erdacht und gegen den Widerstand Stalins durchgesetzt hat ihn der polnisch-sowjetische Marschall Konstantin Rokossowski, der noch wenige Jahre zuvor in Stalins Foltergefängnissen gequält wurde. Von unserem Gastautor Manfred Barnekow.

Rokossowski

Konstantin Rokossowski stand seinem Herrn am 20. Mai 1944 gegenüber. Stalin hatte die Marschälle und Generäle zur Besprechung geladen, das Thema war nichts weniger, als der Wehrmacht einen Todesstoß zu geben. Rokossowski legte seine Planung vor, die Heeresgruppe Mitte, den Kern der Ostfront zu vernichten.

Schon bis dahin hatte er ein höchst bemerkenswertes Leben vorzuweisen. Seine Ahnen entstammten dem polnischen Uradel, die Vorfahren waren nach Aufständen im 19. Jahrhundert nach Russland gezogen, sie fingen mittellos ein neues Leben an. Als Vater und Mutter 1910 starben, musste er die höhere Schule verlassen, verdiente sein Geld als Arbeiter und meldete sich zu Beginn des ersten Weltkriegs freiwillig in die zaristische Armee, brachte es zum Korporal. Nach der Revolution schloss er sich den Roten an, stieg schnell auf, beendete den Bürgerkrieg als Regimentskommandeur. Generalstabslehrgänge machten aus ihm einen führenden General, dessen Karriere abrupt 1937 in den Folterkellern der GPU endete. Jeschows Schergen folterten, schlugen ihm die Zähne aus, Scheinhinrichtungen sollten ihn brechen, bevor er zu 10 Jahren Lagerhaft verurteilt wurde. Im sibirischen Norilsk schien sein Leben der Zerstörung preisgegeben.

Nach der sowjetischen Katastrophe im finnischen Krieg aber wurde er ohne jede Begründung in ein Erholungsheim nach Sotschi verbracht. Einigermaßen zu Kräften gekommen, tat er im alten Rang erneut Dienst in der Armee, als hätte es die letzten Jahre nicht gegeben. Er hatte die Allmacht des Woschd in seiner ganzen Brutalität erfahren. Nach dem deutschen Überfall verzögerte Rokossowski den Fall von Smolensk, in der alles entscheidenden Schlacht um Moskau befehligte er eine wichtige Verteidigungslinie, auch in den schweren Zeiten der Sowjetarmee gehörte er zu den erfolgreichen Offizieren. Seine Stunde aber kam ein Jahr danach. Er kommandierte als Oberbefehlshaber der Don-Front die Einschließung der 6. Armee bei Stalingrad. Der Feldmarschall Paulus wurde sein Gefangener, den er der Presse vorführte und verhörte. Von da an war er prominent.

Der Plan

Rokossowski war von der eigenen Stärke und der Schwäche der Deutschen überzeugt, er glaubte fest daran, mit mehreren Einbrüchen zugleich den Einsturz der deutschen Front bewerkstelligen zu können, ihre Armeen nacheinander aufzusplittern, in immer neuen Umschließungen zu vernichten, in der Lage zu sein, den gesamten Mittelabschnitt der deutschen Ostfront auszulöschen. Ein skeptischer Stalin schlug nur einen Stoß von Süden hinter die deutschen Linien vor, in der Hoffnung, so viel wie möglich abzuschneiden. Der Mann, der wusste, wie eine Laune seines Gegenübers, der Widerspruch nicht schätzte, Leben beenden konnte, widersprach. Rokossowski bestand auf seinem Doppelangriff. Der Diktator begann ein Spiel mit ihm. Er wurde hinausgeschickt, wiedergeholt, brachte dasselbe vor, musste erneut gehen, sich von Malenkow und Molotow bedrohen lassen und sagte Stalin ein drittes Mal, was er dachte. Das rote Monster muss Vergnügen daran gehabt haben, denn nun stimmte der Vater der Völker seinem General, der bald Marschall werden sollte, zu aller Überraschung zu. Der Plan stand.

Die Heeresgruppe Mitte

Die Heeresgruppe Mitte, das Bollwerk der Wehrmacht, das zwischen der Roten Armee und dem Reich stand, war einmal die Speerspitze des Russlandfeldzuges gewesen. Sie schlug die gewaltigen Kesselschlachten von 1941, blieb vor Moskau im Schlamm liegen, erhob sich bei Frost, um vor der Hauptstadt auszubrennen. Sie wurde nicht durchbrochen, aber die hohen Verluste nahmen die Offensivkraft. Mit dem ersten Kriegstag begann in ihrem Rückraum die Ermordung der russischen Juden durch die Einsatzgruppen, ohne dass ihre Führer auch nur protestierten. Der Kommissarbefehl wurde umgesetzt, ebenso der völkermörderische Gerichtsbarkeitserlass, der die Zivilbevölkerung für vogelfrei erklärte. Der Partisanenkrieg erfasste Weißrussland, die Methode der Nazis war das wahllose Töten seiner Menschen, das Auslöschen der Dörfer ganzer Landstriche als Repression. Wer sich Oradour erklären will, muss nur wissen, dass die SS Division „Das Reich“ zuvor in Russland war, sie verfuhr, wie sie es mit Hunderten russischer Ortschaften, deren Namen niemand mehr kennt, gemacht hatte. Der Krieg im Osten war durch und durch verbrecherisch, nicht nur seine Kommandeure Täter. Seit der Feldmarschall von Kluge, der sich dem Widerstand zugehörig fühlte, ohne je etwas Widerständiges zu tun, lediglich Hitler das Leben rettete (“Sie können den Mann doch nicht einfach so beim Essen erschießen”), im Herbst 1943 nach einem Autounfall ausfiel, führte Ernst Busch die Heeresgruppe, ein überzeugter Nazi minderer militärischer Begabung. Die Soldaten waren unterernährt, obwohl man die Bevölkerung ausraubte, sie hungern ließ und Busch eine grauenvolle Aktion durchführte, in der Zehntausende, die man als “Esser” loswerden wollte, zusammengetrieben, in Hungerlager nahe der Front gepfercht wurden, bis niemand mehr hineinpasste. Hunderte, vielleicht Tausende kamen um, dann nahm die Wehrmacht die Hauptkampflinie zurück und überließ wie geplant die eingezäunten Sterbenden der Roten Armee. Ungefähr 750.000 Mann kommandierte Busch, nur 450.000 von ihnen waren Frontsoldaten. Die Löcher, die im Südabschnitt und im Westen zu stopfen waren, hatten die Truppe ausgezehrt, Panzerarmeen ohne Panzer, nur noch wenige Flugzeuge, kaum schwere Waffen, statt Frontlinien Stützpunkte. Rokossowski schätzte seinen Feind richtig ein.

Die Ausgangslage

Seit Sommer 1943 hatten die Deutschen im Südabschnitt eine Niederlage nach der anderen erlitten, die Verbände waren nahezu an jener Stelle zurück, wo sie 1941 zum Vernichtungskrieg aufgebrochen waren. Die Heeresgruppe Mitte aber hatte nur die Region um Smolensk verloren, wie ein riesiger Ballon ragte sie nach Russland hinein, jeder Laie konnte erkennen, ein Kessel, den man nur schließen musste. Busch begab sich mehrfach zu Hitler, um darum zu bitten, den Rückzug antreten zu dürfen, eine vielleicht verteidigungsfähige Linie auf Höhe der südlichen Heeresgruppen herstellen zu können. Hitler lehnte ab, der OB der 4. Armee, Heinrici, meldete sich krank, er wollte keine Verantwortung für das unvermeidliche Desaster tragen. Die deutschen Heerführer waren sich mit Stalin einig, sie vermuteten einen Angriff im Süden gegen die 2. Armee, der die Heeresgruppe abschneiden sollte. Ihre unzureichenden Verteidigungspläne beruhten darauf.

Dreifach ist der 22. Juni ein Schicksalspunkt im großen Sterben. Am 22. Juni 1940 kapitulierte Frankreich, der 22. Juni 1941, der 129. Jahrestag des Angriffs Napoleons, war der Tag des Überfalls auf die Sowjetunion, der aus dem Krieg den Vernichtungskrieg machte und den Auftakt der Shoa bedeutete. Das Bedürfnis der Sowjets nach Rache, nach Selbstbefreiung von aller Last und allen Ängsten, wird es gewesen sein, den großen Angriff auf den 22. Juni 1944 zu legen. Mit mehr als 1,4 Millionen Soldaten; Tausenden von Panzern, Flugzeugen und Geschützen, über zehnmal mehr, als die Deutschen hatten, schlugen sie im Osten der deutschen Front zu, dort wo der Ballon am tiefsten ins russische Land hineinragte, nördlich und südlich der Stadt Witebsk, wie Rokossowski es vorgeschlagen hatte. Keine drei Wochen nach der Invasion in der Normandie, koordiniert mit der westlichen Kriegsführung.

Die Schlacht

Die jüdischen Bielski-Partisanen

Was sich darauf abspielte, war wie eine Spiegelung des Geschehens in Weißrussland drei Jahre zuvor. Den sowjetischen Blitzkrieg hat es jemand genannt. Schon in den ersten Tagen riss die deutsche Front Hunderte Kilometer auf, Armeen wurden abgeschnitten, eingeschlossen, versuchten als flüchtende Wanderkessel gen Westen zu gelangen, Busch wurde abgesetzt, sein Nachfolger Model vermochte nichts zu retten. An der Beresina wiederholte sich das Inferno, das einst Bonapartes Grande Armee untergehen ließ. In den Wäldern vor Minsk gingen die Besatzer zugrunde, erschossen, erschlagen, die Partisanen bildeten Linien, sie aufzuhalten, bis die regulären russischen Verbände sie vernichten konnten. Die Vergeltung schlug auf die Täter zurück. Die jüdischen Partisanen der Bielski-Brüder, die im Urwald von Naliboki Geflüchtete aus den Ghettos in Waldlagern geschützt und zu Kämpfern gemacht hatten, sie bildeten die Barriere, vor denen die Fliehenden der 4. Armee zugrunde gingen. Sie machten keine Gefangenen und hatten allen Grund dazu. In Wilna drangen jüdische Kämpfer ein, niemand soll sagen, sie hätten sich wie Schafe zur Schlachtbank führen lassen. Vor Minsk eroberte die Rote Armee die Reste des Lagers Maly Trostinez, des kaum bekannten Vernichtungslagers auf russischem Gebiet. Hier hatte man 1942 und 1943 Transporte deutscher Juden ermordet, mit Gaswagen oder erschossen, aus Köln, aus Wien, aus anderen Städten. Ihre Leichen lagen in Massengräbern, als die Mörder fürchteten, die Russen könnten zurückkehren, wurden jüdische Häftlinge gezwungen, die verwesenden Toten auszugraben und zu verbrennen, alle brachte die SS in den Tagen vor der Befreiung um.

Minsk war schon Anfang Juli genommen, jetzt konnten die Sowjets fast ungehindert weiter vorstoßen, hinein nach Polen, bei Lublin fiel ihnen ein intaktes Vernichtungslager in die Hände, Majdanek, Gaskammern und Krematorien konnten nicht mehr zerstört werden, die Welt bekam einen ersten Anblick der Wahrheit des Judenmordes zu Gesicht. Doch mühsam baute die 2. deutsche Armee, die intakt geblieben war und sich vorsichtig zurückzog, den Schleier einer neuen Front auf. Die Sieger, die Hunderte Kilometer in wenigen Wochen vorgedrungen waren, ermüdet, auch sie hatten entsetzliche Verluste erlitten. Während die Deutschen weit über 400.000 Mann an Toten, Vermissten, Verwundeten, Gefangenen verloren, waren es bei der Roten Armee sogar 750.000 gewesen. Eine neue Seite trat in den Kampf ein, die polnische Heimatarmee. Sobald die Russen auf der Ostseite der Weichsel angelangt waren, begann der Warschauer Aufstand. Stalin stoppte seine Offensive, er sah zu, wie die Deutschen ihm die Drecksarbeit der Vernichtung des polnischen Widerstandes abnahmen, er ließ dort, wo ihm Kämpfer der Heimatarmee in die Hände fielen, diese entwaffnen, oft festnehmen und gründete in Lublin eine kommunistische polnische Regierung. Die Nachkriegszeit zog auf, mit ihr der Eiserne Vorhang. Polen tauschte nur den Unterdrücker.

Die Bedeutung

Zhukov, Montgomery und Rokossowski in Berlin

Als der Sommer sich dem Ende neigte, hatte die Wehrmacht nichts mehr, was sie einer nächsten Offensive hätte entgegenwerfen können. Selbst das Abschneiden der Heeresgruppe Nord, deren Flanke nach dem Verschwinden der Heeresgruppe Mitte im Süden völlig offen war, gelang am Ende dank Hitlers neuerlicher Weigerung, auch sie zurück zu nehmen. Die deutschen Verluste waren nicht auszugleichen, die Sowjets hatten damit kein Problem. Stalin genoss seinen Triumph, in dem er 50.000 Gefangene durch Moskau treiben ließ. Die deutsche Propaganda konzentrierte sich auf die Invasionsschlacht, um den Blick der Menschen vom Osten wegzulenken. Selbst der Zusammenbruch dort schien erträglicher, als das, was sich gerade zwischen Witebsk und Warschau abgespielt hatte. Es war die größte Niederlage, die je deutsche Streitkräfte in der Geschichte erlitten. Sie hätten unverzüglich kapitulieren müssen. Nichts, gar nichts konnte die Liquidierung des germanischen Mordstaates noch abwenden, jeder Tote, den Deutsche bis zum Ende beklagten, in den Ardennen, in Ostpreußen, Pommern und Schlesien, in Dresden, in Berlin und anderswo, haben nur jene, die sinnlos weiterkämpften, zu verantworten, niemand anderer. So markiert der 22. Juni 1944 den Beginn des Schlusspunktes des 2. Weltkriegs. Goebbels Mantel des Schweigens wirkt in der deutschen Geschichtsbetrachtung indes bis heute fort. Es war angenehmer, sich von den Alliierten besiegt zu fühlen, als durch die Rote Armee den Blattschuss empfangen zu haben.

Vor alle dem jedoch steht Rokossowskis Mut, Stalin zu widersprechen. Er kommandierte die Siegesparade in Moskau.

Der Artikel erschien bereits am 22. Juni 2018