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Corona und Katastrophenschutz: Demaskiert durch die Pandemie

Corona in einer Bearbeitung von K. Gercek

Seit dem 15. März 2020 unterhalten sich die Ruhrbarone mit Magnus Memmeler.  Bis heute sind 47 Interviews entstanden, die auf den Katastrophenschutz blicken und auch die Corona-Krise nachzeichnen. Im 48. Interview geht es um demaskierte Mandatsträger, wiedermal um das Unvermögen des Gesundheitsministeriums, um die Ostertage, um zupackende Landräte, um den Bevölkerungsschutz aka Katastrophenschutz und einiges mehr.   

Ruhrbarone: Die ersten Lockerungen wurden nun beim Bund-Ländergipfels beschlossen. Wie geht es Ihnen damit? Passt das alles zum aktuellen Infektionsgeschehen?

Memmeler: Das was die Nation wohl eint, ist das Gefühl „das war ja mal gar nichts“. Den meisten gehen die Lockerungen zum jetzigen Zeitpunkt zu weit und kommen zu früh. Das sehen auch Virologen und Intensivmediziner so. Und andere sind enttäuscht, dass nicht noch mehr möglich gemacht wird.

Aus den unterschiedlichsten Gründen befinden wir uns momentan in einer sehr entscheidenden und riskanten Situation. Hauptgründe für diese missliche Situation sind das Versagen des BMG (Bundesministerium für Gesundheit) und unpassende Wahlgeschenke der Länder, die sich als Schäbig–Wichteln erweisen könnten.

Noch nie hatte ich in dieser Pandemie so sehr das Gefühl eine Satirezeitschrift zu lesen, wie es nach diesem Gipfel der Fall war, als ich in die Tageszeitung schaute. Wir erinnern uns – Impfen, Testen und digitale Nachverfolgung von Infektionsketten sollen uns aus der Krise führen, weshalb sich am Mittwoch alle einig waren, dass man dann auch die Zügel etwas lockern könnte.

Nachdem Herr Spahn dann kurz Klassenkeile bezogen hat, weil nichts von den drei Säulen wirklich fluppt, einigte man sich auf eine Task Force für die Teststrategie, die aus Spahn und Scheuer bestehen soll. Ein Satiremagazin titelte unmittelbar, dass dies damit vergleichbar sei, der sinkenden Titanic die brennende Hindenburg zur Rettung zu schicken. Entweder hat unsere Kanzlerin richtig viel Humor oder sie möchte sich für 16 Jahre Regierungsverantwortung bei uns allen rächen.

Die Gesundheitsämter der Bundesländer meldeten am Freitag nach dem Gipfel 10.044 weitere Corona-Neuinfektionen. Der 7-Tage-R-Wert stieg am Donnerstag laut Robert-Koch-Institut (RKI) auf 1,04 (Vortag 0,99). Der 7-Tage-R- Wert liegt damit wieder über der wichtigen Marke von 1,0, wie das RKI in seinem Lagebericht schreibt. Die Reproduktionszahl R bezeichnet die Anzahl der Personen, die im Durchschnitt von einem Fall angesteckt werden. Das ist alles andere als beruhigend.


Magnus Memmeler mit Maske Foto: Privat

Magnus Memmeler (53 Jahre) lebt in Kamen. Seit über 31 Jahren arbeitet er im Rettungsdienst und Katastrophenschutz. 25 Jahre davon hat er diverse Leitungsfunktionen eingenommen. Er war beauftragt zur Organisation des Sanitätsdienstes beim DEKT in Dortmund und Verantwortlicher einer großen Hilfsorganisation bei der Versorgung und Unterbringung von Geflüchteten in den Jahren 2013 – 2018. Er war zudem Mitglied bei der Stabsarbeit von Bezirksregierungen und in Arbeitskreisen des Innenministeriums bei der Konzeption von Katastrophenschutz-konzepten.

 

 


Und da Zahlen für viele Mitmenschen, die nicht selbst betroffen sind, viel zu abstrakt sind, können wir, wie immer an dieser Stelle, gerne einige Beispiele für das benennen, was gerade im Land passiert.

Bei Westfleisch in Hamm ist es zu einem größeren Infektionsgeschehen gekommen, weshalb dort 200 Mitarbeitende in Quarantäne geschickt werden mussten. In Düsseldorf hat eine Arzthelferin, trotz Symptomen und später festgestellter Infektion weiter gearbeitet und hatte so Kontakt zu 600 Personen. 270 davon gelten als Kontaktpersonen der Kategorie I mit einem höheren Infektionsrisiko und müssen daher vorsorglich in Quarantäne.

Bei der Mitarbeiterin der Arztpraxis in Düsseldorf wurde die hochansteckende Coronavirus-Mutante B.1.1.7 nachgewiesen. Die Angestellte soll nach Angaben der Stadt trotz Krankheitssymptomen weitergearbeitet haben. Die Frau soll außerdem nicht durchgängig eine Maske getragen haben. Die Arztpraxis wurde durch die Stadt Düsseldorf inzwischen geschlossen.

In einer Schwerpunktklinik in Dortmund wurden in dieser Woche 70 Infektionen festgestellt, weshalb es auch dort zu zahlreichen Quarantäneanordnungen gekommen ist. Da es derlei Meldungen bundesweit gibt warnt der Notfallmediziner Christian Karagiannidis angesichts der Corona-Lockerungen vor drastisch steigenden Infektionszahlen.

„Intensivmedizinern wäre es lieber gewesen, man hätte mit allen Lockerungen bis zum 1. April gewartet. Dann wären wir, was eine Überlastung der Intensivstationen angeht, auf der sicheren Seite gewesen. Im besten Fall hätte man trotz der deutlich steigenden Zahl der Infizierten, die es bei Öffnungen natürlich geben wird, eine dritte Welle auf den Intensivstationen wahrscheinlich ganz verhindern können – weil die rettende Impfwelle immer näher rückt. Jetzt gibt es durch die beschlossenen Lockerungen eine größere Unsicherheit.“

Angesichts des Öffnungsfahrplans von Bund und Ländern gehen zahlreiche Intensivmediziner von dem baldigen Start einer dritten Corona-Welle aus. Am Donnerstag veröffentlichte die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) ein Prognosemodell, das die Intensivbettenauslastung in Abhängigkeit mit der Infektionsdynamik und dem zu erwartenden Impfeffekt prognostiziert. Laut DIVI könnte die Belastung der Intensivstationen in der dritten Welle den Spitzenwert der zweiten Welle erreichen.

Gernot Marx, Präsident der DIVI:

„Wir hätten uns drei weitere Wochen Zeit für das Umsetzen der Impfstrategie gewünscht. Vor allem, da die Mutante B.1.1.7 bereits 46 Prozent Anteil an den Infektionen hat. Die Reproduktionszahl liegt etwa bei 1 – und sollte aus Sicht von uns Intensivmedizinern auf keinen Fall höher ausfallen. Aber man muss ja bedenken: Das ist alles noch unter den aktuellen Lockdown – Bedingungen.“

Angesichts dieser Aussichten, die Intensivmediziner prognostizieren, habe ich die diversen Pressekonferenzen am Donnerstag mit dem Eindruck betrachtet, dass die Herrschaften vor den Mikrofonen uns doch bitte nicht auch noch mit den Details ihrer Inkompetenz behelligen mögen. Wie kann es sein, dass Discounter und Drogeriemärkte seit gestern Selbsttests vertreiben und unser Bundesgesundheitsminister vergessen hat, ausreichend Aufträge anzustoßen. Und so weiter, und so weiter.

Wenn das dann noch durch diverse Berichte zur Vorteilsnahme begleitet wird, in denen klar wird, dass sich Volksvertreter an der Krise bereichern oder sich und die eigene Familie besser schützen, als sie es für die Bevölkerung tun, schafft dies kein Vertrauen. Deutschland offenbart in dieser Pandemie, dass wir in einer durch übermäßige Überregulierung gelähmten Bananenrepublik leben, in der Vitamin B regiert. Leider wird dies noch mit üppiger Inkompetenz garniert.

Ruhrbarone: Es „brodelt“ offensichtlich in Ihnen. Was muss angeprangert werden und was muss sich ändern?

Memmeler: Fangen wir doch einfach mal mit den offensichtlichen Sauereien an, bei denen Berufspolitiker, die hierzulande recht gut vergütet werden, ihr politisches Mandat zur Vorteilnahme ausnutzen.

Die Affäre um „mutmaßlich“ bezahlte Maskenlobbyisten aus dem Bundestag wird gefühlt täglich um Namen ergänzt. Neben Georg Nüßlein sollen mindestens zwei weitere CDU-Abgeordnete entweder für die Vermittlung von Schutzmasken Provision erwartet haben, oder stehen in Verdacht, sich im Bundesgesundheitsministerium für Firmen aus dem eigenen Wahlkreis stark gemacht zu haben, um daraufhin Gefälligkeiten durch Firmenvertreter erhalten zu können. Laut Süddeutscher Zeitung sind neben Nüßlein, Nikolas Löbel (CDU) und Hans-Jürgen Irmer (CDU) mindestens noch zwei Dutzend weitere Mandatsträger in ähnliche Geschäfte verwickelt.

Bei all dieser widerwertigen Bereicherung innerhalb dieser Krise hat noch niemand geprüft, wie denn der Millionenauftrag des BMG an das CDU nahe Unternehmen im Wahlkreis von Jens Spahn vergeben wurde. Hoffentlich tauchen hier nicht auch noch Unregelmäßigkeiten auf, denn beim Spendendinner im Oktober, über das wir vergangene Woche berichtet haben, wurden die Anwesenden, laut Zeit Online, sehr offen dazu aufgefordert, Spenden in Höhe von 9.999,00 € zur Wahlkampfunterstützung zu zahlen, da man dann nicht namentlich als Spender genannt werden müsste.

Angesichts der Maskenaffäre um Herrn Nüßlein ließ sich Spahn wie folgt zitieren:

„Georg Nüßlein ist stellvertretender Vorsitzender der Union, zuständig unter anderem für Gesundheit. Wir haben also regelmäßig miteinander gesprochen. Konkrete Angebote sind an die zuständige Fachabteilung zur Prüfung gegeben worden.“

Also alles korrekt gelaufen …… Die Ermittlungsergebnisse im Fall Nüßlein lassen etwas anderes vermuten.

Bei den NRW Landtagsabgeordneten offenbarten sich nun zwei schwarze Schafe, als es darum ging, sich möglichst rasch die Impfung zu ermöglichen, auf die wir alle warten. Der 49-jährige Ralph Bombis (FDP) und der 56-jährige Markus Wagner (AfD), beide leiten soziale Einrichtungen, haben sich flott impfen lassen, da sie beim Besuch ihrer Einrichtungen ja einer ständigen Gefährdung ausgesetzt sind. Ob das dort beschäftigte Pflegepersonal diese Risikoeinschätzung teilen wird, darf bezweifelt werden.

Herr Bombis hat mindestens seine Frau mitimpfen lassen, die als Prokuristin ja fast genauso intensiven Kontakt zu den Pflegegästen pflegt, wie er selbst. Den Vogel schießt aber Markus Wagner von der AFD ab, der gleich seine ganze Familie impfen ließ. Bei der Impfung seines 16 – jährigen Sohns, für den es eigentlich keinen zugelassenen Impfstoff gibt, musste der besorgte Vater selbstverständlich einen Nachwuchsfußballer des FC Bayern schützen. Schönen Gruß an Herrn Rummenigge.

Diese wenigen Beispiele, die eventuell nur die berühmte Spitze des Eisberges sind, diskreditieren tausende, die sich im Ehrenamt politisch engagieren und tragen genauso dazu bei das Vertrauen in die Demokratie zu untergraben, wie es bei den Wutreden der hoffentlich bald vom Verfassungsschutz überwachten AFD der Fall ist.

Dieser Ärger, den ja nicht nur ich verspüre, musste einfach mal raus, da es noch so viel zu regeln gilt, will man mit den anstehenden Lockerungen nicht vollständig baden gehen.

Ruhrbarone: Ich hoffe, ihr Blutdruck hat sich nun etwas gesenkt. Was gilt es denn nach Ihrer Ansicht nun zu regeln?

Memmeler: Meine Meinung ist völlig irrelevant, da es ausreichend bekannte Experten gibt, die uns helfen könnten. Außerdem liegen viele Lösungen auf der Hand und erschließen sich eigentlich von selbst. Dennoch werden viele Lösungsangebote angeboten wie Sauerbier und von den Entscheidern ignoriert.

Um die Regierungspolitik nicht sofort zu überfordern, sollten wir mit banalen Dingen beginnen, bevor es nachher wieder heißt, dass man das nicht ahnen konnte.

Wie im vergangenen Jahr stehen wir vor der Spargelernte und der Einsatz von zahlreichen Erntehelfern muss hygienekonform vorbereitet werden. Liebe Arbeits-, Sozial- und Gesundheitsminister der Länder – was habt Ihr aus dem letzten Jahr gelernt? Arbeitsschutz ist in der Pandemie auch Katastrophenschutz, wie wir hier bereits oft erwähnt haben.

Wie empfangen wir Reiserückkehrer nach dem Osterurlaub? Zur Erinnerung – die Osterferien beginnen bald. Wiederholen wir hier die Fehler der Sommerferien 2020? Wie gut vorbereitet ist der Schulstart aller Jahrgänge, der nun in zahlreichen Bundesländern ansteht?

In NRW greift jetzt zumindest das Solinger Modell, welches unsere Landesregierung im Herbst noch nieder geknüppelt hat. Kritiker des Schulbeginns vor den Ferien sagen, man solle den Schulstart zu Aldi verlegen, weil es dort Schnelltests, Desinfektionsmittel, Masken, Raumluftfilter und Laptops gibt. Andere sagen, dass so die Schulschließungen aufgrund von Infektionen nicht auffallen, da sie auf den Ferienbeginn fallen. Das mag witzig klingen, ist es aber nicht.

Spargelernte und der Erntehelfer

„Gemeinsam das Leben erleben“ – mit diesem Slogan wirbt die App „Luca“ für ihren Service. Diese App steht aber nicht erst seit gestern bereit, sondern die App könnte bereits seit Mitte des letzten Jahres die Kontaktverfolgung unterstützen. Stattdessen haben wir unsere Daten bereitwillig auf einen Zettel geschrieben, wenn wir ein Restaurant besucht haben.
„Luca“ arbeitet mit QR-Codes. Ein Gast oder auch Kaufhausbesucher trägt seine Daten einmalig in die App ein. Der generierte QR – Code ist dann eindeutig einem Mobiltelefon zuzuordnen.

Natürlich benötigt auch der Betreiber einer Lokalität oder eines Geschäfts „Luca“ auf einem mobilen Endgerät. Beim Betreten von Geschäften oder Restaurants werden über die Codes Daten anonymisiert erfasst. Im Falle einer bestätigten Infektion können die Daten dann mit dem Gesundheitsamt ausgetauscht werden. Laut der Selbstbeschreibung der App – Betreiber ist das Gesundheitsamt die einzige Stelle, die die Daten auslesen kann. Für alle anderen Akteure sind diese Daten unzugänglich.

Bund und Länder wünschen sich doch seit langer Zeit die digitalisierte Nachverfolgung von Infektionsketten. Sie ist möglich und für die Nutzer auch noch kostenneutral und erfüllt die Datenschutzbestimmungen. Angesichts der aktuellen Lockerungen, bei denen der vor kurzem festgelegte Wert von 35 urplötzlich keine Rolle mehr spielt, sondern Läden auch bei Werten von unter 100 unter Auflagen öffnen dürfen, sollten solche Möglichkeiten schnellstens etabliert werden, um einen hohen Wirkungsgrat zu erreichen. Einige Landkreise beweisen Bund und Ländern schon länger, dass das sehr gut funktioniert und haben so nicht nur die Infektionszahlen im Griff, sondern entlasten auch noch die eigenen Gesundheitsämter.

Wir müssen schnell von pragmatischen Lösungen, die lokal geboren werden, lernen. Um übrig gebliebenen, bereits aufgetauten Biontech-Impfstoff noch an die Leute bringen zu können, nutzt das Impfzentrum der Stadt Duisburg eine neu entwickelte Software namens „Impfbrücke“. Per Zufall werden durch die Software SMS an Mitmenschen geschickt, die zur Priorisierungsgruppe gehören, um den Impfstoff in den Arm, statt in die Tonne zu bringen.

Ausgerechnet im Wahlkreis von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn schert der Landkreis bei der Impfterminvergabe aus. Dies tut er offensichtlich mit sehr großem Erfolg. Landrat Kai Zwicker punktet jetzt dort mit Flexibilität und pragmatischen Entscheidungen. Das von der Kassenärztlichen Vereinigung entwickelte System bei der Impfvergabe nutzt der Kreis Borken gemäß der Vorgaben des Landes NRW für die Impfterminvergabe der über 80-Jährigen weiterhin. Die Kreisverwaltung hat parallel dazu ein eigenes System bei einem Software-Unternehmen aus der Region in Auftrag gegeben. Darüber lädt sie die Personen aus den Berufsgruppen ein, die bereits jetzt geimpft werden dürfen.

Das Prinzip der Terminvergabe funktioniert wie bei einer Veranstaltung. Das Gesundheitsamt plant quasi kleine „Events“ und schickt z.B. den Pflegediensten dann Einladungen per Mail. Darin sind dann individuelle Ticket-Codes für die Mitarbeiter. Über die QR-Codes lässt sich online der Impftermin buchen.

Anders als bei der Terminvergabe der Kassenärztlichen Vereinigung können sogar Termine für bis zu vier Personen vereinbart werden, um Mitarbeiter aus den Gesundheitsberufen schnell impfen zu können und gleichzeitig können Dienstpläne berücksichtigt werden. Wer sich im Impfzentrum das Ausfüllen von Formularen ersparen will, kann die Impfunterlagen sogar im Vorfeld online ausfüllen.

Landrat Dr. Kai Zwicker:

„Die Pandemie hat uns gezeigt, wie schnell sich manche Dinge ändern können. Ob neue Impfstoffe oder veränderte Zuständigkeiten und Voraussetzungen. Es gibt keinen Tag, an dem nicht irgendetwas Unvorhersehbares passiert. Wir wollten ein System schaffen, mit dem wir schnell und flexibel auf neue Gegebenheiten wie größere und kleinere Intervalle zwischen Erst- und Zweitimpfung reagieren können. Wir freuen uns, dass dies mit einem Anbieter aus unserer Region gelungen ist.“

Wie der Kreis Borken wendet auch mein Heimatkreis inzwischen ein eigenes Ticketsystem an, um die relevanten Berufsgruppen schnell impfen zu können. Und Zack: Bei allen Landkreisen, die so verfahren, bleiben keine Impftermine ungenutzt.

Wir sollten auf die hören, die als Berufspolitiker näher am Katastrophenschutz sind. Und das sind in der Regel die Landräte, die stets sehr früh in die lokale Stabsarbeit eingebunden sind und die Auswirkung von entschiedenen Maßnahmen im Landkreis stets früh und 1:1 bewerten können. Diesen Weg in Bund oder Ländern beschreiten zu können, haben wir leider verpasst. Deshalb gilt es die Ideen zu ermöglichen, die lokal funktionieren, statt im Bürokratiekorsett zu ersticken.

Auch bei der Teststrategie sind es immer wieder die Landkreise, die vormachen, wie man dieses wichtige Instrument auf die Straße schickt, damit wir die Zeit überbrücken können, bis hoffentlich bald auch die Hausarztpraxen impfen dürfen. Auch darüber haben wir bereits berichtet und hoffen, dass das bald losgehen kann. Eventuell muss auch hier mal ein hemdsärmeliger Landrat wie Axel Lehmann aus Lippe oder Mario Löhr aus dem Kreis Unna einige Arztpraxen als Satelliten des Impfzentrums benennen, um zu zeigen, wie das fluppen kann.

Ruhrbarone: Eine Katastrophe bleibt also eine Katastrophe und die Landkreise sind aus Ihrer Sicht nun die, die es regeln könnten?

Memmeler: Ja!

Laut Bundesregierung sind angeblich nicht genügend Schnelltests vorhanden. Der Landrat von Böblingen, einer der wenigen, der schon seit Wochen auf die Schnellteststrategie setzt, sagt klar:

„Tests sind auf dem Markt ausreichend vorhanden“.

Und die Apotheker bestätigen:

„Wenn Bedarf besteht, können wir innerhalb weniger Tage auch 10 Millionen Schnelltests organisieren“.

Das kann auch ich bestätigen, da ich jeden Tag mehrere zehntausend Tests angeboten bekomme, weil in Pflegediensten die Testpflicht schon lange besteht. Profis aus den Landkreisen könnten Herrn Scheuer und Herrn Spahn sehr schnell die jeweiligen Ministerien mit tausenden Containern zustellen – und das zu akzeptablen Preisen, statt wie bei den FFP2 Masken für Senioren knapp 3 Milliarden Euro auszugeben, um jedem angeschriebenen Senior 2x 3 Masken zukommen zu lassen, bei denen der Zuzahlungsbetrag bereits den aktuellen Einkaufspreis überschreitet.

Bund und Länder ersticken in Datenschutzbedenken und allen möglichen Rechtsbedenken, um dann am Ende etwas auf den Weg zu bringen, was regelmäßig durch Verwaltungsgerichte wieder einkassiert wird. Bundesweit sind nun tausende Menschen damit beschäftigt Rechtsbewertungen vorzunehmen, um zu klären, was die Freigabe von AstraZeneca nun für die Impfstrategie in Bund, Ländern und Landkreisen bedeutet.

Das wir an einem Punkt sind, wo wir einfach mal machen müssen, statt zu lamentieren und immer wieder neue Impfreihenfolgen festzulegen, zeigt ein offener Brief des Verband der Feuerwehren (VdF) NRW sehr deutlich.

Bernd Schneider und Christoph Schöneborn weisen als Vertreter des VdF NRW zur Recht auf ein Versäumnis hin, welches auf zahlreiche Einsatzkräfte des Bevölkerungsschutzes zutrifft. Endlich werden die Verbände laut, da zu befürchten steht, dass die Impfreihenfolge erneut zu Ungunsten von Einsatzkräften und medizinischen Fachberufen geändert wird, da der zunächst wenig beliebte Impfstoff nun unbedingt bei Senioren verimpft werden soll.

Jeder Landrat würde nun sicherlich gerne sehr pragmatisch verfahren und entscheiden, dass eine drohende dritte Welle ohne Bevölkerungsschutz und lokale medizinische Versorgung nur schwer zu meistern sein wird. Würde man sich zusätzlich noch an den Empfehlungen von Karl Lauterbach und zahlreicher Virologen orientieren und die Impfintervalle strecken, könnten wir sehr rasch Erstimpfungen ermöglichen, um möglichst viele Menschen so gut zu schützen, wie es aktuell eben geht. Dass bald viel mehr Impfstoff da sein wird, als die Impfzentren allein verimpfen können, wissen wir ja bereits.

Der Bevölkerungsschutz muss zurück in das Bewusstsein von Politik und Gesellschaft. Das ist Experten spätestens seit 2016 bekannt, als Bundesinnenminister de Maizière heftig kritisiert wurde, weil er anlässlich der Vorstellung des Konzeptes „Zivile Verteidigung“ empfahl, Notvorräte zum Selbstschutz anzulegen.

Die von uns allen zu Recht belächelten Hamsterkäufe im Frühjahr 2020 zeigten, dass Bevölkerungsschutz zurück ins Bewusstsein muss und de Maizières Empfehlung stets sehr vernünftig war. Bevölkerungsschutz lebt von der Basis in den Regionen. Selbstschutz beginnt in den Haushalten und wird durch die lokalen Bevölkerungsschutzstrukturen in den Landkreisen getragen. Erst diese Grundlage verschafft den Ländern und viel später auch dem Bund die Möglichkeit, Ressourcen planen zu können.

Die notfallmäßig organisierte Versorgung in der Flüchtlingskrise war eine unglaubliche Leistung aller Beteiligten. Gestemmt wurde diese in den Landkreisen und häufig genug, obwohl sich Bund und Länder eingebracht haben und nicht weil sie das taten. Hochwasser, Dürre, Stürme, Stromausfälle und und und sind Teile des breiten Aufgabenspektrums im Bevölkerungsschutz.

Nun ist halt eine Pandemie dazu gekommen. Deutschland hat das alles bislang recht gut gewuppt, weil wir einen leistungsfähigen Bevölkerungsschutz haben. Dieser Bevölkerungsschutz beruht auf etlichen tausend motivierten Ehrenamtlichen, die sich lokal engagieren, weil sie ihre Region schützen wollen.

Corona legt gnadenlos Defizite im Bevölkerungsschutz offen

Corona legt nun gnadenlos auch im Bevölkerungsschutz offen, was in den letzten Jahren verpennt wurde. Das Virus bringt den Föderalismus im Bevölkerungsschutz an seine Grenzen, weil es keine zeitlich und räumlich begrenzte, sondern eine dynamische bundesweite Lage ist. Sinnbild hierfür ist, wie auch schon mehrfach berichtet, der Schneewitchenschlaf des BBK.

Die bundesweiten Pandemie-Großübungen 2007 und die Risikoanalyse 2012 zu einem Pandemieszenario haben wir hier schon oft erwähnt. Eigentlich hatte das BBK damals sein Potential bewiesen. Trotzdem bleiben seine über Jahre erarbeiteten Kompetenzen in dieser Krise ungenutzt, weil die Zusammenarbeit von Bund und Ländern nie geregelt wurde. Was passiert also aktuell? Die Landkreise retten sich mit Kreativität selbst, weil eine Pandemie einfach keine Katastrophe sein darf.

Ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie nutzen erst 40 Prozent der Gesundheitsämter eine einheitliche Software, die vom Bund zur Verfügung gestellt wurde. Die gefühlt unendlich vielen und unterschiedlichen Ansätze der Länder bei Schulöffnungen, im Kitabetrieb, dem Einsatz von Schnelltests oder der Beschaffung von Masken sind den Bürgern kaum zu erklären. Nein, der Bund weiß sicherlich nicht alles besser. Das haben wir hier leider schon oft feststellen müssen. In bundesweiten Schadenslagen, das haben wir hoffentlich für die Zukunft gelernt, benötigen wir ein zentrales Lagezentrum.

Und hoffentlich küssen Bevölkerungsschutzexperten das BBK bald wach und sorgen in der Politik für das Bewusstsein, dass der Bund den Ländern und die Länder den Landkreisen die Mittel zur Verfügung stellen müssen, um ein gemeinsam formuliertes Schutzziel sicherstellen zu können. Hierbei muss sodann sichergestellt sein, dass die Beteiligten auf ein gemeinsames Lagezentrum zugreifen können. Wie groß das bisherige Versagen ist, wenn es gilt eine zentrale Lagebewertung vornehmen zu können, zeigt sich darin, dass wir es bislang lediglich erreicht haben, ein Zentralregister für Intensivbetten zu etablieren.

Deutschlands Bürgermeister und Landräte sollten viele Maßnahmen einfach gemeinsam beschließen. Viele Probleme, die wir heute im Bund und in den Ländern diskutieren, wären sicherlich schnell vom Tisch. Ich sage nur Solingen, Rostock, Borken und und und. Mit den 3 Milliarden vom Bund, hätten die Landkreise mehr als Milliarden Masken beschaffen können, statt einen wochenlangen Verwaltungsakt einzuleiten, um fälschungssichere Bezugsscheine bei der Bundesdruckerei herstellen zu lassen.

Bis dieser Pragmatismus einkehrt, hoffen wir darauf, dass Bund und Länder die bald beginnende Erntesaison, die Osterferien und die Reiserückkehrer ausnahmsweise mal auf dem Schirm haben und Innovationen wie der App Luca eine Chance geben, uns zu schützen, bis ausreichend Landräte kreativ geworden sind.

Ruhrbarone: Schönen Dank und bleiben Sie gesund.

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Robert Müser
Robert Müser
3 Jahre zuvor

Vielen Dank für die ungeschönte Darstellung des aktuellen Irrsinns in diesem Land unter pandemischen Bedingungen.

Eine Ergänzung von mir:
Wenn ich mir die Ergebnisse der letzten Abstimmungsrunde zwischen Bund und Ländern anschaue, so fällt mir auf, dass insbesondere die Länderfürsten Angst vor der eigenen Verantwortung in Sachen Lockerungen bekommen haben. Diesen Eindruck haben die diversen Pressekonferenzen in den Ländern bei mir verstärkt. Es macht halt einen Unterschied ob man monatelang Dinge vom Bund fordert und nun selber damit klar kommen muss …

Jupp Posipal
Jupp Posipal
3 Jahre zuvor

Von einem Land vieler einzelner Macher, wurden immer mehr Verantwortliche zu einer Klasse der Schacherer.
Von wegen Ruck (Bundespräsident Herzog 1997!) durch eine viel zu bequem gewordene Gesellchaft. Abenteuerlich konstruierte "Bedenken" begründete mit vielen leeren Worten oft nur es sollte bleiben wie es ist. Verwalten statt Gestalten hinterfragte keine noch so offensichtliche Fehlentwicklung, oder forcierte dringende Priorisierungsveränderungen (gerade bezüglich Haushaltsmittelentscheidungen oder Organisationsveränderungen). Allem wohl und keinem Weh. Das kam doch dem öffentlich praktiziertem Palaver im Ungefähren bei allen politischen Farben sehr entgegen. Man könnte , man sollte , man müsste in der Tagesschau; und dann hat man endlich Zeit für die eigenen Interessen. Nach dem explodierenden "Beraterunwesen" parallel zu gut bezahlten Abgeordnetenmandaten, über mehrfach monatlich gezahlte Lobbyistenpauschalen haben wir mit aktuell bekannt gewordene Provisionen (in einer staatlichen Gefährdungs- bzw. Krisensituation) die nächste Stufe der spätrömischen Dekadenz erreicht.
Da wir alle offensichtlich jeden Tag hunderte weitere Tote (pro Tag vergleichbar mit Opfern in Deutschland aus zumindest einem Flugzeugabsturz) durch Corona nur noch als Zahl hinnehmen, dürfen wir uns nicht beschweren das eine Politikerkaste die Geschicke des Landes steuern (sollten), welche auch als oberste Chefs zum Teil riesiger Behörden und Verwaltungsressourcen selten verwertbare Qualitäten mitbrachten. Ob sie Scholz, Span, Scheuer, Klöckner, Giffey oder "Luschet" oder Schwesig heißen.
Das in der Presse leider unterlassene Hinterfragen und Nachhaken führte zu einem Lavieren und Taktieren in zu vielen Beörden, welches erst eine mit sich selbst beschäftigende Bürokratie hat explodieren lassen. Umbetten statt Versetzen oder Neuorganisation. Von Bergbaubehörden ohne Zechen, über über Autobahnverwaltungen ohne stringenten Plan bzw. Verantwortung (A1-Brücke bei Leverkusen, Pfusch bei der dadurch weggespülten A20); bis hin zu zur recht einfachen Geldwäsche, Cum-Ex-Steuerhinterziehnung oder Wirecard-Aufsichtspleite. Warum transparent -vergleichbar- durch IT-gestützte Abläufe (SORMAS in 400 Gesundheitsämtern) , wenn durch schriftliche Formularsachbearbeitung doch auch schell gehandelt wird? Zumindest Werktags! Bei der Corona-Rückverfolgung liegt das konkrete Handlungsversagen bis auf wenige wohltuende Ausnahmen (Münster, Freiburg, etc.) auf der politisch besetzten Bürgermeisterebene mit tatkräftigem Unterlaufen durch irrlichternde Landesfürsten.
Warum kein höherer Verantwortungsdruck nach "bewiesenem" Zuständigkeitsversagen z.B. durch Rückstufung von höheren Diensträngen auf die Eingangstufe des gehobenen Dienstes? Solange jeder Politiker exorbitante Ruhegelder, oder höhere Beamte immer noch mehrere tausend Euro Pensionen selbst bei völligem Versagen behalten; wird sich auch noch ohne ggf. strafbewerte Ermittlungsrisiken (sofern es unser Rechtsstaat überhaupt noch verfolgen kann / will) leider nichts ändern.

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