Die Dortmunder Stadtgesellschaft zerreißt vor unser aller Augen

Das Konzerthaus auf der Brückstraße in Dortmund. Foto: Robin Patzwaldt

Als vor Jahren das Dortmunder Konzerthaus ausgerechnet auf der von Niedergang geprägten Brückstraße errichtet werden sollte, waren viele Dortmunder entsetzt. Ausgerechnet in diese Schmuddelecke sollte das neue Aushängeschild der Stadt kommen? Vielen leuchtete das nicht ein.

Die Begründung der Planer war jedoch nachvollziehbar: Man wollte dem dort seit Jahren anhaltenden Niedergang Einhalt gebieten, dafür sorgen, dass auch besser situierte Besucher dort anzutreffen waren – und nicht nur Drogensüchtige, Obdachlose etc., um es einmal überspitzt auszudrücken.

Wirklich aufhalten konnte das neue Aushängeschild der Reviermetropole den Abwärtstrend im Viertel jedoch nicht. Inzwischen ist Karstadt verschwunden, das Gebäude einer Unterkunft für wohlhabende Studenten gewichen. An der grundsätzlichen Problematik hat auch das nichts geändert.

Als ich im Mai das Konzerthaus in Dortmund besuchte, war ich erschrocken über das Publikum, das an einem Freitagabend das Gesicht der Brückstraße prägte. Der Niedergang des Viertels hatte sich offenbar nahezu ungebremst fortgesetzt. Ich fühlte mich dort einfach nicht mehr wohl, musste mich quasi zwingen, meinen Gang in Richtung Konzerthaus fortzusetzen.

Als ich dann am Ort der Veranstaltung ankam, wurde die Kluft zwischen den Konzertbesuchern, die sich etwas eingeschüchtert unter dem Vordach des Konzerthauses drängten, und den an ihnen vorbeiströmenden Brückstraßen-Besuchern besonders deutlich. Hier trafen zwei Welten im Abstand von zwei bis drei Metern aufeinander – so unmittelbar habe ich das in meinem Leben bisher nur ganz selten erlebt.

Noch greifbarer wurde die Spaltung der Dortmunder Stadtgesellschaft nach dem Konzert – bei einer Stippvisite auf dem Alten Markt. In gut besuchten Gaststätten saß dort alles, was es sich leisten konnte, ein Bier in gepflegter Atmosphäre zu trinken, während zahllose Obdachlose, Pfandsammler und sonstige arme Schlucker an den versammelten Wohlhabenden vorbeischlichen. Arm und Reich in dieser direkten Konfrontation erleben zu müssen – das verschlug mir, ehrlich gesagt, die Sprache. Niemals hätte ich dort ruhigen Gewissens einen schönen Abend verbringen mögen. Dementsprechend suchte ich auch damals direkt wieder das Weite.

In dieser Woche wurde ich an meine Eindrücke aus dem Vormonat erinnert. In der WDR Lokalzeit wurde in den vergangenen Tagen über „Dortmund à la Carte“ berichtet. Das Essen sei dort sehr teuer geworden, hieß es. Die im Beitrag begleiteten bodo-Verkäufer, die vor Ort versuchten, ein paar Hefte zu verkaufen, könnten sich das Essen dort längst nicht mehr leisten – von Obdachlosen ganz zu schweigen.

Schilderungen, die ich aufgrund meiner eigenen Erlebnisse nur zu gut nachvollziehen konnte.

Noch getoppt wurde mein ungutes Gefühl über die Entwicklung der Dortmunder Innenstadt durch einen wenige Tage später nachgereichten Bericht, in dem es hieß, eine Boutique-Inhaberin plane im Umfeld von „Dortmund à la Carte“ eine Modenschau für hochwertige Mode – angeführt von einem Model aus einer TV-Castingshow. Da krampfte sich mir der Magen zusammen. Es scheint sich kaum noch jemand an diesen scharf aufeinandertreffenden Extremen zu stören.

Dabei kann man zwischen Brückstraße und Altem Markt kaum übersehen, wie sehr die Dortmunder Stadtgesellschaft auseinanderreißt.

Und das Konzerthaus, das diese Lücke einst schließen oder zumindest verkleinern sollte, steht heute mittendrin.

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Lars
Gast
Lars
21 Tage zuvor

Und was haben die Boutique Besitzerin und Gastronomen falsch gemacht? Sorry, da zeigen Inhabergeführte Geschäfte Engagement und beleben die Innenstadt, und das wird jetzt auch negativ ausgelegt…
Dem Autor wäre geraten mal Abends zu Do a la Carte zugehen und die entspannte Atmosphäre zu geniessen, das Stößchen würde er auch für lau bekommen 😉

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