
Nordrhein-Westfalen hat sich ein industriepolitisches Leitbild gegeben. Mit grünen Floskeln und arrogant zur Schau getragener Selbstgewissheit wird es den wirtschaftlichen Niedergang des Landes beschleunigen.
In Nordrhein-Westfalen schätzt man den Luxus: Das Land gönnt sich mit Mona Neubaur eine Diplom-Pädagogin und Grüne als Wirtschaftsministerin. Und die hat nun ein „Industriepolitisches Leitbild für Nordrhein-Westfalen“ vorgelegt. Am Anfang des der Leitbild-Broschüre finden sich vier Grafiken, die zeigen, dass der erste Satz der Präambel – „Nordrhein-Westfalen ist ein traditionsreicher, starker Industriestandort“ – im schlimmsten Fall eine Lüge und im besten eine unhinterfragte Floskel ist:
Bei der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts, den Ausgaben für Forschung und Entwicklung, der Investitionsquote oder der Wertschöpfung im verarbeitenden Gewerbe – Bürokratensprech für Industrie – liegt das Land unter dem Bundesdurchschnitt. Ein Desaster, zumal sich Deutschland im dritten Rezessionsjahr befindet und die Deindustrialisierung ungebrochen weitergeht. Als Reaktion auf diese katastrophale Entwicklung hat sich das Wirtschaftsministerium in Düsseldorf entschlossen, mit Schwulst zu reagieren:
„Nordrhein-Westfalen ist ein Land, das viel Kraft und auch Mut hat, die Dinge anzupacken“, ist in dem Leitbild zu lesen. „Damit das so bleibt, unterstützen wir, die Landesregierung und die Partnerinnen und Partner des Zukunftsdialogs, den Erhalt und Ausbau industrieller Produktion und Wertschöpfung in Nordrhein-Westfalen auch in schwierigen Zeiten genauso wie die Entwicklung neuer Stärken – mit dem klaren Zielbild der ersten klimaneutralen Industrieregion in Europa. Deshalb setzen wir uns als Akteure in den verschiedenen Bereichen dafür ein:
- die Versorgung mit wettbewerbsfähiger Energie sicherzustellen;
- die Investitionen für den Ausbau der nachhaltigen Infrastruktur, Forschung und Entwicklung und nachhaltige Produktion zu erhöhen;
- leistungsstarke und neue Unternehmen rund um die industriellen Wertschöpfungsnetzwerke zu etablieren;
- die Beschäftigtenpotenziale für Industrie und industrienahe Dienstleistungen zu heben und weiter zu qualifizieren;
- Entscheidungs- und Genehmigungsstrukturen zu schaffen, die sowohl sachgerecht als auch dynamisch sind.“
Wettbewerbsfähige Energie – das heißt bei Neubaur natürlich Sonne und Wind: „Erneuerbare Energien sind die Basis für eine zukunftsfeste, klimaneutrale und zuverlässige Energieversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen.“ Doch da Strom in NRW wie in ganz Deutschland teuer ist, wird der Zeitpunkt, an dem die Preise „wettbewerbsfähig“ sind, in die Zukunft gelegt: „Die Transformation des Energiesystems geht zunächst mit einer Steigerung der Systemkosten einher. Diese Transformationskosten überlagern im Übergang die sinkenden Stromerzeugungskosten durch den vermehrten Einsatz günstiger erneuerbarer Energien.“
Dass genau diese – von allen Parteien zeitweise übernommene – grüne Ideologie dabei ist, NRW und Deutschland wirtschaftlich zu ruinieren, ist in dem Leitbild natürlich nicht zu lesen. Und während Länder wie die USA, aber auch China, mit allen zur Verfügung stehenden technologischen Möglichkeiten – zu denen neben den Erneuerbaren auch Kernenergie und die Abspaltung und Lagerung von CO₂ durch Carbon Capture Storage gehören – arbeiten, zaubert Neubaur ein weiteres grünes Kaninchen aus ihrem Zylinder: „Der Fokus dabei liegt zum einen darauf, die Energieeffizienz industrieller Verfahren zu steigern.“ Natürlich ist es immer gut, Energie zu sparen – und die Industrie hat das in den vergangenen Jahren auch getan: Sie hat ihren Energieverbrauch durch Stilllegung von Anlagen und Verlagerungen ins Ausland gesenkt. Neubaur hat das nicht verstanden – vielleicht ist es ihr auch egal.
Dass Wirklichkeit und grüne Ideologie nicht zusammenpassen, stört im Leitbild ohnehin nicht:
„Wasserstoff wird mittel- und langfristig neben elektrischem Strom zum zweiten zentralen Energieträger in Nordrhein-Westfalen. Bereits heute wird grauer (aus fossilen Quellen hergestellter) Wasserstoff in der stofflichen Anwendung von der Industrie in großen Mengen benötigt. Der Bedarf wird zukünftig, besonders mit Blick auf Chemie und Stahl, noch weiter steigen. Absehbar und teilweise bereits in diesem Jahrzehnt müssen daher ausreichende Mengen an grünem Wasserstoff zu wettbewerbsfähigen Bedingungen zur Verfügung stehen.“
Schon vor zwei Jahren konnte man im Handelsblatt lesen, dass es keinen günstigen grünen Wasserstoff geben wird:
„Eine Mischung aus mehreren Entwicklungen sorgt dafür, dass die Kosten für tatsächliche Wasserstoffprojekte gerade höher sind als früher angenommen“, sagt Jens Burchardt, Energieexperte bei BCG. Statt drei Euro pro Kilogramm würden für grünen Wasserstoff ab 2030 voraussichtlich Preise zwischen fünf bis acht Euro aufgerufen. Auch der tagesaktuelle Wasserstoffpreisindex Hydex schwankt aktuell zwischen vier bis acht Euro je Kilogramm. Branchenteilnehmer berichten dem Handelsblatt teilweise sogar von Preisen bis zu zehn Euro.“
Auch dass Ende vergangenen Jahres Unternehmen wie Eon und RWE ihre Wasserstoffprojekte zurückgefahren haben, scheint für das „Industriepolitische Leitbild“ keine Rolle zu spielen.
Peinlich ist, dass Arndt G. Kirchhoff, Präsident Unternehmer NRW, und Ralf Stoffels, Präsident der IHK NRW, das Leitbild unterstützen. Sie wissen es besser – aber bei den industrie- und energiepolitischen Debatten der vergangenen Jahre gefielen sich Unternehmensvertreter darin, jeden grünen Unsinn öffentlich zu bejubeln, um dann zu klagen, wenn dessen Konsequenzen Betriebe und Arbeitsplätze bedrohten. Das Leitbild, das ist heute schon absehbar, wird bald ein Leidbild werden.
„So reicht mir eure Hände
Und gebt mir eure Herzen
Ich warte
Es gibt nur eine Richtung
Eine Erde und ein Volk
Jawohl! Ein Leitbild“
Laibach, Geburt einer Nation