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Imitation Of Life/Látszatélet am Theater Oberhausen

Imitation Of Life (Foto: Marcell Rév)
Imitation Of Life (Foto: Marcell Rév)

Am 3.6. hatte das Stück „Imitation Of Life“ vom ungarischen Proton Theatre, das in einer Koproduktion mit den Wiener Festwochen, dem Theater Oberhausen und vielen anderen europäischen Theatern und Festivals entstand, seine Oberhausener Premiere. Regisseur Kornél Mundruczo und seine Autorin Kata Wéber erzählen darin drei Episoden, die über die Wohnung, in der sie sich ereignen, und familiäre Bindungen verknüpft sind. Vor allem aber erhalten sie ganz zu Ende des Stückes eine thematische Klammer durch eine wahre Geschichte.

Zu Beginn will ein Vertreter der Hausverwaltung Frau Lorinc Ruszó aus ihrer Wohnung werfen. Sie ist Roma und hat Schulden. Nur wenige Tage bleiben ihr, dann wird die Wohnung zwangsgeräumt. In Großaufnahme sehen wir Frau Ruszós Gesicht auf der Leinwand. Sie kennt ihre Rechte genau. Ruhig und sachlich verweist sie den Angestellten der Hausverwaltung immer wieder in seine Schranken. Doch dieser bleibt unbeeindruckt. Gleichermaßen kühl setzt er sich über jede rechtliche Einschränkung hinweg und macht klar, dass er am längeren Hebel sitzt. Schließlich sitzt ihm gegenüber nur eine Roma mit Schulden. Und nicht lange dauert es, bis die Frau von ihren Emotionen überrollt wird. Mit Mühe hält sie die Tränen zurück. Erzählt von ihrem Sohn, der verschwunden ist, erzählt von ihrem Großvater, der ihr ein großes Erbe versprochen hatte, das ihren Lebensunterhalt gesichert hätte, das sie aber ausschlug, indem sie ihre Heimat verließ und nach Budapest ging. Später erfuhr sie, das der Großvater nie etwas zu vererben hatte. Und dann erzählt sie vom Tod ihres Mannes, der bei einem sinnlosen Unfall grausam von einem Zug überrollt wurde.

Lili Monoris eindrucksvolles Gesicht, das übergroß auf eine Leinwand projiziert wird und all das in einem ruhigen Ton, der aber immer ihre inneren Kämpfe miterzählt, vorträgt, ist das erste überragende Highlight dieses Abends, der auf Ungarisch mit deutschen Untertiteln gezeigt wird.  Dann wird die Leinwand hochgezogen und wir blicken in die Wohnung, in der sich die beiden gegenüber sitzen. Die Projektion war kein vorproduzierter Film, sondern wurde tatsächlich live hinter der Leinwand gespielt und gefilmt.

Frau Ruzsó bekommt einen leichten Herzanfall, sackt zusammen und der bis dahin eiskalte Mihály Sudár – gespielt von Roland Rába – bekommt es mit der Angst und seinem Mitleid zu tun. Er versucht einen Krankenwagen zu rufen. 76 Minuten dauere es, erfährt er. Es liegt am Viertel, da fährt man immer erst zuletzt hin, weil dort ja nur die wohnen, die kein Geld haben und im schlimmsten Fall auch noch Roma sind. Ein längst verschütteter Gerechtigkeitssinn bricht wieder in ihm hervor. Er verlässt die Wohnung, aber nicht ohne Frau Ruszó vorher zu sagen, dass sie, wenn sie im Krankenhaus ist, nicht aus der Wohnung geworfen werden kann.

In der zweiten Episode ist Frau Ruszó verstorben und Sudár vermietet die Wohnung an eine junge Frau (Veronika Fenyvesi). Eine Menge Bedingungen sind an die Vermietung geknüpft, obwohl der Strom nicht richtig funktioniert und auch sonst eigentlich die Wohnung ein einziges Loch ist. Die Frau unterschreibt dennoch und holt, kurz nachdem der Vermieter gegangen ist, ihren Sohn (großartig: Dáriusz Kozma) in die Wohnung, den sie zuvor verheimlicht hatte. Schließlich schleicht sie sich aus der Wohnung. um ihren Freund zu treffen, den sie nicht mehr liebt, von dem sie sich getrennt hat, weil er sie schlägt, von dem sie aber doch nicht lassen kann.

Die dritte Episode ist eine Traumsequenz, in der der Junge in der nächtlichen Wohnung ein klassisches Poltergeistszenario erlebt, an dessen Ende der verschollene Sohn (aufregend schön:  Zsombor Jéger) der Frau Ruszó erscheint und sich mit ihm einen Apfel teilen will. Weil er kein Messer findet, nimmt er ein Samuraischwert von der Wand. Ganz zuletzt lesen wir auf der Leinwand jene wahre Geschichte, die dem gesamten Abend die Basis gab: Ein Minderjähriger attackierte in Budapest einen anderen Minderjährigen mit einem Schwert. Der Angegriffene wurde dabei schwer verletzt und überlebte nur mit bleibenden Schäden. Da es sich bei ihm um einen Roma handelte formierte sich kurz nach der Tat ein großer antirassistischer Protest. Erst später kam heraus, dass der Angreifer ebenfalls Roma war.

Auf den ersten Blick enthüllt diese Geschichte das Reflexhafte des Protestes. Ein bisschen peinlich ist er, wenn plötzlich offenbar wird, dass gar kein rassistisches Motiv der Tat zugrunde lag. An diesem Abend, nach all dem, was der Zuschauer fast zwei Stunden lang gesehen – oder besser: erlebt – hat, bekommt die Geschichte plötzlich einen überraschenden weiteren Twist. Ist nicht die antirassistische Empörung doch gerechtfertigt? Nicht weil das Opfer der Tat Roma ist, sondern weil der Täter seinerseits ein Opfer der rassistischen Grundstruktur der Gesellschaft ist? Ist das Motiv der sinnlosen Tat schlicht die Verzweiflung über eine Gesellschaft, in der ein Roma von Geburt an keine Chance hat?

Was diesen Theaterabend zu einer Sensation macht, ist nicht nur die hervorragende schauspielerische Leistung. Es ist nicht nur das spektakuläre Bühnenbild (Márton Ágh), das in einem der Zwischenspiele zwischen den Szenen ein Solo gibt. Ein Solo, das so unglaublich ist, das es hier nicht verraten werden soll, um ihm nicht die Wirkung zu nehmen – und ohnehin unmöglich so treffend beschrieben werden könnte, dass auch nur annähernd das wiedergegeben würde, was der Zuschauer in diesen Augenblicken erlebt. Es ist ein Theater der Dinge, das ein Spiel des Lebens ist und tatsächlich zu Tränen rühren kann. Zehn Minuten von so unglaublich trauriger Schönheit, das es schlicht unmöglich ist, sich ihr zu entziehen. Ein Moment, wie er leider ganz, ganz selten im Theater ist, und der zeigt, was auf einer Bühne alles an Unglaublichem und Magischem möglich ist.

Es sind auch nicht nur die Projektionen auf eine Wand aus Sprühnebel, der auch die Zuschauer in eine kalte Feuchte hüllt. Es ist vor allem, dass Mundruczo das alles so selbstverständlich nutzt, ohne jemals effekthascherisch zu sein. Auch seine Geschichte erzählt er so schlicht und fast beiläufig, dass sie dadurch eine zwingende Wahrhaftigkeit erhält. Es ist an diesem Abend immer eine Dringlichkeit zu spüren, die so oft leider im Theater fehlt, selbst wenn es um aktuelle und relevante Themen geht. Hier erzählt jemand, weil er etwas erzählen muss. Und diese Unbedingtheit überträgt sich direkt auf den Zuschauer. Dabei verfügt Mundruczo über ein so sicheres theaterästhetisches Gespür, dass ihm sein Mitteilungsbedürfnis nie in den Agitprop abgleitet. Das ist allergrößte Regiemeisterschaft, die nur ganz selten gelingt.

Bei der Oberhausener Premiere war „Imitation Of Life“ nicht ausverkauft. Mag sein, dass sich Zuschauer abgeschreckt gefühlt haben mögen, da auf Ungarisch mit Untertiteln gespielt wird. Es ist allerdings überhaupt kein Problem und schmälert nicht im Geringsten das Erlebnis. Andererseits wäre im Rahmen eines großen Festivals wie der Ruhrtriennale das auch kein Problem gewesen. Warum also schafft es das Publikum nicht ins Theater Oberhausen, wenn dort das ganz große europäische Theater zu Gast ist? Ist es wirklich so unwahrscheinlich, dass so ein Theaterwunder an einem so kleinen Haus zu sehen ist? Es gab doch schon etliche davon in Oberhausen zu bestaunen: Herbert Fritsch, Andriy Zoldak und Simon Stone zum Beispiel. Sollten nicht mehr Theaterinteressierte im Ruhrgebiet wissen, dass in Oberhausen ganz Großes möglich ist? Es gibt noch vier Mal die Möglichkeit diesen überragenden Abend in Oberhausen zu sehen und sich dafür zu bedanken, dass dieses kleine Haus so großartige Entdeckungen nach Oberhausen holt.

Weitere Termine: 4.,5.,8.,10.6., 19.30 Uhr

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