Israeltag mit Arye Shalicar in Duisburg: „Plötzlich bekommst du Jom Kippur und Holocaust, auf Ecstasy, am eigenen Leib mit“

Arye Sharuz Shalicar: "Plötzlich bekommst du Yom Kippur und Holocaust, auf Ecstasy, am eigenen Leib mit." (Foto: Peter Ansmann)
Arye Sharuz Shalicar: „Plötzlich bekommst du Yom Kippur und Holocaust, auf Ecstasy, am eigenen Leib mit.“ (Foto: Peter Ansmann)

9. Juni 2024, 13:00 Uhr: Es ist Israeltag in der Jüdischen Gemeinde zu Duisburg. Im Gemeindezentrum am Innenhafen ist an diesem Tag viel los. Es gibt israelisches Essen, eine Band ist angekündigt, als Redner ist Arye Shalicar vor Ort. Nach einer kurzen Begrüßung durch den Mülheimer Bürgermeister Marc Buchholz, beginnt Arye Shalicar mit seinem Vortrag über den Terrorangriff des 7. Oktober 2023 und den immer noch andauernden Krieg, der gegen den jüdischen Staat geführt wird. Aus dem Terrornest Gaza, aus dem Iran, aus dem Libanon.

Welches Datum ist heute? Der 9. Juni, 10. Juni, 8. Juni?

In Israel ist die Zeit stehen geblieben. Wir sind schnell vergessen worden und irgendwie geht es weiter. Aber in Israel geht es nicht weiter. Wir sind tatsächlich am siebten Oktober stehen geblieben und das Gefühl, das muss ich direkt am Anfang loswerden, ist: Der siebte Oktober wird noch lange andauern. Das ist eine Realität, die sehr schwierig zu verkraften ist. Für mich persönlich auch sehr schwierig. Jeder Tag, der vergeht, ist einerseits wieder eine Art Horrorfilm. Andererseits jedoch hofft man jeden Tag auf gute Neuigkeiten, so wie gestern z.B. mit der mit der erfolgreichen Befreiung von vier Geiseln.

Aber es ist wie ein Tropfen, in einem Meer von wirklich schwierigen Situationen.

(Arye Shalicar am 9. Juni 2024)

Arye Sharuz Shalicar in Duisburg

Marc Buchholz (CDU), Bürgermeister von Mülheim, eröffnete den Israeltag (Foto: Peter Ansmann)
Marc Buchholz (CDU), Bürgermeister von Mülheim, eröffnete den Israeltag (Foto: Peter Ansmann)

Einiges aus seinem Vortrag ist mir bekannt: Wie z.B. der Morgen des 7. Oktober 2023 bei ihm verlief, weil wir am 8. Oktober telefoniert hatten. Was er über seine Jugend in Berlin und das Überleben dort erzählt, ist mir aus seinem Bestseller „Ein nasser Hund“ bekannt. Die Probleme, bei der asymmetrischen Kriegsführung der IDF gegen die islamischen Terrororganisationen, thematisiert er in seinem Podcast Pulverfass Nahost und in den sozialen Medien. Das er am Abend vor dem Terrorangriff mit seiner Familie in der Nähe des Gazastreifens seine Eltern besucht hat, war mir neu.

Am sechsten Oktober, das habe ich noch nie so öffentlich erzählt, wo ich bei meinen Eltern saß, habe ich über die Armee gelacht. Wisst ihr wieso? Weil als Reservist der israelischen Armee, der übers Alter 45 hinausguckt, ich bin 46, werd 47, muss man, wenn man noch freiwillig Reservedienst machen möchte, das heißt, wenn der Staat im Ernstfall einen reaktivieren möchte, aber man ist über 45, muss man so ein Formular unterschreiben.

Und wenn man dieses Formular unterschreibt, heißt es, man kann jederzeit reaktiviert werden und man kriegt so eine Art jährlichen Bonus vom Staat, als Dank, dass man zur Verfügung steht. Und ich habe kurze Zeit vor dem siebten Oktober meinen jährlichen Bonus – ich glaube, es waren irgendwie 1300 Schenkel, das sind 300 Euro – auf mein Konto überwiesen bekommen. Und am sechster Oktober saß ich bei meinen Eltern und habe meinen Geschwistern erzählt, ich habe €300 geschenkt bekommen für nichts. Für nichts.

Wie schön ist das, weil es ist doch so ruhig, es passiert nichts. Ich muss nicht mal Reservedienst machen. Seit Monaten habe ich nicht von der Armee gehört. Und das war am sechsten Oktober um Mitternacht. Und das waren die letzten Stunden, wo die Terroristen sich auf den Angriff vorbereitet haben, nur wenige Kilometer südlich, von dort wo meine Eltern wohnen. Und in derselben Nacht saß ich im Auto mit meiner Frau und meinen kleinen Kindern, meinem Elfjährigen und meiner Neunjährigen und wir sind Richtung Tel Aviv gefahren. Ich wohne östlich von Tel Aviv, mitten in der Nacht. Ich weiß nicht, wo ich heute wäre, ich weiß nicht, wo meine Kinder heute wären, wären wir in dieser Nacht des sechsten Oktober eventuell bei meinen Eltern geblieben. Ich weiß es nicht. Und so ist für mich natürlich diese Geiselnahme ein Stück weit, als wenn meine eigene Tochter dort als Geisel gehalten würde.

(Arye Shalicar am 9 Juni 2024)

Humanitäre Katastrophe in Israel

Es ist die Mischung, die Aryes Vortrag unter die Haut gehen lässt: Eine professionelle Sicht auf die Armee, als Angehöriger der IDF. Und die Erfahrungen seiner Jugend. Sein „Kampf“ auf den Berliner Straßen, weil er plötzlich als jüdisch identifiziert wurde. Aus Freunden wurden Feinde. An seinem Verhalten hat sich nichts geändert. So wie Israel gehasst wird von Islamisten, weil es eben nicht um Gaza oder Israel geht, sondern um den Umstand, das Israel ein jüdischer Staat ist.

Die Demonstrationen in Duisburg, auf denen woke Irre für Menschenrechte von Palästinensern in Syrien demonstrieren, sind anzahlmäßig überschaubar. „Kindermörder Israel“ zu schreien, ist wohl cooler als für die Menschen in Jarmuk, einem Stadtteil von Damaskus, auf die Straße zu gehen.

Arye spricht die humanitäre Katastrophe in Israel an: Der Norden wird aus dem Libanon beschossen, es gibt immer noch Raketenangriffe aus Gaza, viele Familien in Israel sind seit Monaten getrennt, weil die Mutter oder der Vater in der IDF dient. In den deutschen Leitmedien, geht das unter. Israel spielt keine Opferrolle, wie es die Hamas macht. Die diesen Krieg beenden könnte, wenn sie einfach den Beschuss Israels einstellen und sich der IDF ergeben würde.

Er thematisiert, die – für einen angegriffenen Staat ungewöhnlichen – Unternehmungen der israelischen Armee, um Menschen in Gaza zu schützen:

Über 10 Millionen SMS, über 10 Millionen Voice Messages, weit über 10 Millionen über Anrufe auf arabisch von israelischen Offizieren und Soldaten, die auf arabisch bei Familien angerufen haben und gewarnt haben: „Bitte geht weg aus diesem Gebiet, weil demnächst werden dort Kämpfe stattfinden.“

Welche Armee in der Geschichte der Menschheit hat in einem Verteidigungskrieg jemals so viel getan, um die Menschen auf der Gegenseite zu warnen? Nichts ist perfekt, versteht mich nicht falsch. Es gibt Unschuldige, auch im Gazastreifen, die diesen Preis bezahlen für ihre eigen Führung. Das tut weh. Aber welche Armee in der Geschichte der Menschheit hat so viel getan, um die Menschen auf der Gegenseite zu wahren? Weil, wenn man die Menschen warnt, warnt man auch den  den Feind mit. Das ist wie ein Schuss ins eigene ins eigene Knie.

(Arye Shalicar am 9 Juni 2024)

Arye Sharuz Shalicar am 8. Juni 2023 im Landwer Café, Sarona/Tel-Aviv (Foto: Peter Ansmann)
Arye Sharuz Shalicar am 8. Juni 2023 im Landwer Café, Sarona/Tel-Aviv (Foto: Peter Ansmann)

„Wir wollen am Ende in den Spiegel gucken können“

Es gibt auch eine gute Nachricht an diesem 9. Juni 2024: Am Tag zuvor, hat eine Spezialeinheit der IDF vier Geiseln befreit. Die von Terroristen bewacht wurden, mit Angehörigen als Schutzschild. Durch den Waffeneinsatz der Geiselnehmer kamen an diesem Samstag Menschen im Umfeld der Terroristen zu Schaden. Dieses Dilemma, weil die Grenzen von Zivilist und Terrorist in Gaza fließend ist und es zu Kollateralschaden kommen kann, spricht Arye am Israeltag ebenfalls an:

In dieser Dilemma-Situation versucht die israelische Armee versucht so präzise wie möglich vorzugehen. Und deshalb kann ich auch mit Gesicht, mit Namen, mit Stolz vor euch stehen und das sagen, weil ich das fühle, weil ich das spüre. Nicht weil Netanyahu oder irgendjemand sagt, sondern weil ich die Truppe kenne. Weil: Wer ist die Truppe?  Das sind meine Nachbarn, das sind meine Freunde von der Uni, das sind meine Kumpels von der Arbeit, das ist meine Nachbarin, die unter mir gewohnt hat und auch am siebten Oktober reaktiviert wurde. Das ist die Truppe, das sind wir, das bin ich. Wir wollen am Ende in den Spiegel gucken können. In den Spiegel gucken können.

(Arye Shalicar am 9 Juni 2024)

Aryes Worte zum 7. Oktober 2023 gehen unter die Haut. Weil sie den Terror greifbar näher bringen. Weil er, wenn er von den Angehörigen der IDF spricht, die gerade Israel verteidigen, nicht von irgendwelchen Soldaten erzählt. Sondern von Nachbarn, Arbeitskollegen und Bekannten. Am Samstag, dem 8. Juni 2024, einen Tag vor dem Israeltag in Duisburg, erinnerte mich Facebook an einen Beitrag von vor einem Jahr, dem 8. Juni 2023. Die Szene von vor einem Jahr kommt mir, während Arye spricht, viel weiter weg vor. Wie aus einem anderen Leben. Dort, am Café Landwer, hängt jetzt (Am 26. Mai 2024 war ich dort!) ein Schild: „We stay happy!“

Auch das Versagen der israelischen Sicherheitsbehörden thematisiert Arye an diesem Israeltag:

Wir haben das Schutzschild fallen lassen. Das letzte Mal, als wir das Schutzschild fallen gelassen haben, war 50 Jahre davor, am Jom-Kippur-Krieg. Und von diesem Jom-Kippur-Krieg habe ich immer wieder gehört und auch vom Holocaust habe ich immer wieder gehört, so wie alle in Deutschland. Plötzlich bekommst du Jom Kippur und Holocaust, auf Ecstasy, am eigenen Leib mit. Holocaust und Jom Kippur mit einem Start am siebten Oktober in einer Mini-Ausführung. Natürlich, nicht vergleichbar mit dem Holocaust. Aber für uns Juden und für den Staat Israel ist der siebte Oktober schon eine Art Jom Kippur und Mini-Shoah. Weil nach der Shoah, ist es der Tag, an dem die meisten Juden auf bestialische Weise ermordet wurden.

(Arye Shalicar am 9 Juni 2024)

Die Botschaft, die dabei aber am Ende mitschwingt, ist deutlich: Wir wollen und werden keine Opfer mehr sein. Israel wird leben.

Gefragt: Autogramme von Arye Shalicar (Foto: Peter Ansmann)
Gefragt: Autogramme von Arye Shalicar (Foto: Peter Ansmann)

Die Pause zwischen Vortrag und dem Aufgriff der Band war für Arye Shalicar alles, aber keine Pause. Besucher des Israelstages wollen Fotos von ihm machen, Menschen wollen Selfies mit ihm anfertigen, andere Leute wollen ein Autogramm von Arye. Oder ihm einfach nur die Hand schütteln und danken. Arye und ich ziehen uns kurz in den Hinterhof der Gemeinde zurück, plaudern über dies und das. Zwölf Tage zuvor war ich noch mit meiner Freundin und meinem Sohn bei Arye Zuhause beim Abendessen. Ich erzähle Arye was über den Innenhafen in Duisburg und wie dieser früher aussah. Eine Stadtführung war diesmal zeitlich schwer möglich. Immer wieder wollen Menschen Arye danken und auch Fotos machen. Falls Die israelische Armee die Kategorie „Popstars“ einführen sollte, wäre Arye in dieser Liste wohl ganz weit oben.

Ich erwähne, Aryes Vorliebe für Currywurst ist dank Instagram und Facebook bekannt, dass es zwanzig Gehminuten von hier, beim Citygrill auf der Untermauerstraße, die mutmaßlich beste Currywurst der Welt käuflich zu erwerben gibt. Eigentlich eher als Scherz. Ein Flackern in seinen Augen verrät, dass er diese Option kurz in Erwägung zieht. Wir einigen uns aber auf das Essen in der Jüdischen Gemeinde und holen uns Brot, Würste und Salat.

Die Currywurst setzte ich gedanklich  auf die Agenda für Aryes erste Stadtführung durch Duisburg, zu einer anderen Zeit.

Arye Sharuz Shalicar in Duisburg (Foto: Peter Ansmann)
Arye Sharuz Shalicar in Duisburg (Foto: Peter Ansmann)

Yonina

Es geht, nach der Pause, musikalisch weiter im Programm. Yonina, eine Kombination aus den Vornamen des Gesangsduos  Yoni und Nina Tokayer, thematisiert auch den 7. Oktober 2023, den Krieg gegen den Terror und jüdische Spuren auf (heute) feindlichem Gebiet.

17:00 Uhr: Der Israeltag in Duisburg ist beendet. Arye ist auf dem Sprung nach Düsseldorf.

Die Ruhrbarone hatten ein paar Fragen an Arye:

Ruhrbarone: Arye, du warst jetzt zum ersten Mal in Duisburg. Wie war es?

Arye Sharuz Shalicar: Alles hier ist sehr entspannt, muss ich sagen, in der jüdischen Community. Es war sehr nett, hat Spaß gemacht. Hoffe, dass ich das nächste Mal auch ein Stück weit mehr von Duisburg mitbekommen kann. Wo man die beste Currywurst essen kann, musst du mir dann zeigen.

Ruhrbarone: Jetzt war ja aber heute der Eindruck gehabt, du bist ja ein Popstar hier Bilder machen, Autogramme mit dir machen. Also erstmal kenntlich hier, ja, du gehst mit diesem Image um.

Arye Sharuz Shalicar: Du hast natürlich ein schönes Gefühl, dass es Leute gibt, die deine Arbeit, deinen Einsatz wahrnehmen in jeglicher Hinsicht. Es gibt ja diejenigen, die mich wegen der Armeesache kennen, es gibt diejenigen, die meine Bücher gelesen haben, es gibt diejenigen, die mir in den sozialen Medien folgen. Also es gibt verschiedene Ansätze, aber das ist natürlich immer sehr schön.

Ruhrbarone: Jetzt war ja auch ein Plan eigentlich, dass ich dir was von Duisburg zeige. Ein paar andere Ecken außer dem Innenhafen. Das ging jetzt aus Sicherheitsgründen nicht. Ist das dann die andere Seite der Bekanntheit, dass du dich nicht so frei bewegen kannst, wie du willst?

Arye Sharuz Shalicar: Ja, leider. Das mit dem frei bewegen ist schwierig. Da gibt es natürlich auch das Klientel, das mir Böses will, die das auch offen zeigen und sagen. Und die kommen normalerweise auch nicht alleine, sondern weil sie feige sind, dann in Gruppen und bewaffnet wahrscheinlich auch. Das muss ich nicht unbedingt riskieren. Aber wie du siehst, ich bin hier unbewacht unterwegs. Also es ist nicht so, dass ich jetzt hier in Panik bin oder sowas.

Ruhrbarone: Gerade Duisburg, nachher bist du noch in Düsseldorf mit deinem Vortrag. Warum dieser Vortragsmarathon?

Arye Sharuz Shalicar: Schau, also das hier ist ja Israeltag und die Veranstaltung nachher in Düsseldorf ist auch um den Unabhängigkeitstag herum. Es geht darum, hier und in Düsseldorf, dass man ein Stück weit die Realität Israels ein Stück weit erklärt. Wenn jemand für die israelische Armee viele Monate im Einsatz war, ist das natürlich besonders interessant. Weil ich durch meinen Einsatz, auch hier bei vielen, irgendwie so ein bisschen Bekanntheitsstatus erworben habe, wird da gerne bei mir angefragt.

Jüdische Gemeinde Duisburg: Foto mit Arye Shalicar (Foto: Peter Ansmann)
Jüdische Gemeinde Duisburg: Foto mit Arye Shalicar (Foto: Peter Ansmann)

Mehr zum Thema: Arye Sharuz Shalicar‘s Nahost Pulverfass – Kriegsbericht aus Israel

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