Ist Allerheiligen inzwischen nur noch ein Tag für Heuchler?

Allerheiligen. Quelle: Wikipedia, Lizenz: gemeinfrei

Der Einfluss der großen Kirchen in diesem Lande sinkt seit Jahren permanent. Manchen Zeitgenossen dürfte er vermutlich noch immer viel zu groß sein. Andere werden den Rückgang der Bedeutung der Kirche bedauern.

Doch von Jahr zu Jahr kann man es nicht nur an der Zahl der Kirchenaustritte deutlicher sehen, die Menschen wenden sich hierzulande in Scharen von den großen Kirchen und ihren Traditionen ab.

Wer vor Kurzem einmal an einem ‚normalen‘ Sonntag einen Blick in ein Gotteshaus der Katholischen oder Evangelischen Kirche geworfen hat, der kann es nicht übersehen haben. Häufig ist dort kaum noch jemand zugegen, nur in den ersten Reihen überhaupt noch der ein oder andere Besucher zu erblicken. Von handeslüblichen Werktagen an dieser Stelle einmal ganz zu schweigen.

Doch dann gibt es eben auch noch immer diese besonderen Tage im Jahr, die wo dieser Trend der jüngsten Zeit mit Macht kaschiert wird, wo plötzlich jede Menge ‚Scheinheilige‘, zumindest für ein paar Stunden, wieder zu den kirchlichen Traditionen zurückkehren, denen Sie das ganze restliche Jahr über inzwischen so gerne und immer häufiger einfach fernbleiben.

Klar, Weihnachten ist natürlich so ein klassischer Fall. Plötzlich ist in den ansonsten leeren Kirchen im Lande kein Sitzplatz mehr zu bekommen. Auch der 1. November ist in Deutschland vielerorts noch so ein klassisches Datum.

Wenn ‚Allerheiligen‘ ansteht, dann werden die Gräber der lieben Verwandten plötzlich gerne und zahlreich mit Blumen und Kerzen geschmückt, nur um sie dann in den Monaten darauf vielfach wieder komplett zu ignorieren.

Wer selber in der Nähe eines Friedhofes wohnt, so wie ich, der konnte das in den letzten Tagen einmal mehr beobachten. Der Höhepunkt dieser vielen ’scheinheiligen‘ Aktivitäten folgt dann am heutigen Feiertag.

Während der Zustand der Ruhestätten in den restlichen Wochen des Jahres vielfach mehr und mehr zu wünschen übrig lässt, die eigene Freizeit vielen Menschen deutlich zu kostbar zu sein scheint um dann den Gräbern ihrer Toten einigermaßen regelmäßig einen Besuch abzustatten, ist die Phase vor Allerheiligen und der Feiertag selber ein wahrer Wettbewerb der Eitelkeiten.

Wer hat mehr Kerzen auf seinem Grab? Wer das größere Gesteck aufgestellt? Als wäre dies ein Gradmesser für Liebe, oder ehrenvolles Gedenken. Vielfach ist das Ganze wohl einfach nur noch als heuchlerisch und verlogen zu bezeichnen.

Nicht dass wir uns hier falsch verstehen. Grundsätzlich sei es jedem Menschen natürlich selber überlassen wie er seiner Trauer Ausdruck verleiht, wann und wie oft er den Friedhof besucht etc..  Aber diese schleichende Entwicklung der letzten Jahre finde ich schon sehr bedenklich.

Viele Friedhöfe im Lande unterliegen inzwischen einem erschreckenden Verfall. Angehörige und Friedhofsverwaltungen schrauben vielerorts die üblichen Standards in Sachen Grab- und Friedhofspflege im Gleichschritt zurück.

Und wie schon eingangs erwähnt, auch der Einfluss der Kirchen auf die Menschen sinkt. Das Geld ist vielerorts knapp. Alles irgendwie erklärlich.

Doch warum dann noch immer dieser plötzliche und irgendwie künstlich anmutende Marsch der Eitelkeiten an einem 01. November, und auch die plötzliche, scheinbare Frömmigkeit an Heiligabend?

Die Blumen- und Kerzenhändler freuen sich in diesen Tagen wieder besonders. Und während man auf dem Friedhof das ganze Jahr über so gut wie niemanden antrifft, werden sich am heutigen Feiertag in vielen Städten der Region die Menschen auf den Friedhöfen wieder gegenseitig fast auf die Füße treten.

Geht es hier nicht nur noch darum irgendwelche Mitmenschen zu beeindrucken, oder vielleicht auch das eigene schlechte Gewissen wieder für eine Zeit lang zu beruhigen?

Irgendwie drängt sich der Eindruck doch auf.

 

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Sabine Bühlbecker
Sabine Bühlbecker
4 Jahre zuvor

..Und wenn schon, lieber Robin Patzwaldt, und wenn schon. Nix für ungut, aber was genau möchten Sie denn kritisieren? Den Verfall des christlichen Wertesystems, die Entkirchlichung in Deutschland oder dass die Menschen ritualisiert ihrer Toten gedenken? Denn dieses –Memorialwesen- gehört doch zu unserem kulturellen Erbe, von mir aus auch zu religiösen Glaubenstraditionen, in diesem Falle dem Christentum, aber die haben das ja auch nur übernommen.
Und aller Säkularisierung zum Trotz ist Allerheiligen doch ein sehr schöner Brauch, und hat meiner Meinung nach auch wenig mit Eitelkeit zu tun. Nicht umsonst wurde z.B. der in Mexiko zelebrierte dia de los muertos 2003 von der UNESCO zum Meisterwerk des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit ernannt und 2008 in die Repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit übernommen. 😉

Ich für meinen Teil werde gleich ein paar schöne rote Kerzen auf den Gräbern anzünden. Wenn Sie an Ihrem Fenster stehen und über den Friedhof blicken muss das doch wunderschön aussehen..
Beste Grüße
Sabine Bühlbecker

ke
ke
4 Jahre zuvor

Die Familien werden kleiner , die wenigen Kinder verlassen den Heimatort.
Das hat natürlich Auswirkungen.

Es ist doch toll, wenn es dann Rituale gibt, die noch von vielen Menschen eingehalten werden.

Wolfram Obermanns
Wolfram Obermanns
4 Jahre zuvor

Als Friedhofskirchmeister (das ist in der EKvW der für Friedhöfe ehrenamtlich Verantwortliche für die Friedhöfe einer Gemeinde) kann ich diese Beobachungen und Einschätzungen nur bedingt teilen.

Wenn Friedhöfe einen vernachliässigten Eindruck machen, liegt das zuerst an der Friedhofsverwaltung. Da können kaufmännische Fehler gemacht worden sein, da sind nicht unbedingt die kompetenten Gewerke verpflichtet worden, da wird kein Kontakt zu den Nutzungsberechtigten gehalten etc…

Dazu müssen sich alle Friedhofsträger mit zwei Phänomenen auseinandersetzen:
1. Verwaiste Gräber: Angehörige wohnen, wenn überhaupt noch welche existieren, nur noch in größeren Entfernung. Eine persönliche Pflege, die den Namen verdient, ist dann nicht mehr gegeben.
2. Änderung der Bestattungskultur: Überall ist das Urnengrab heute die bevorzugte Bestattungsart. Die Erdbestattung ist immer noch die zweithäufigste Grabart neben inzwischen dutzenden anderen Möglichkeiten der Beerdigung. Wir müssen die Friedhöfe umbauend dem anpassen.
Damit kann man, das schreibe ich aus eigener Erfahrung, kompetent umgehen. Es gibt genug andere Betreiber und auch Dachorganisationen, die das ebenso forcieren.

Wenn in einer Stadt oder Gemeinde Friedöfe verwahrlosen, dann ist das der Nachlässigkeit der Betreiber geschuldet.

Gedenktage sind Tage, an denen man in besonderer Weise dem gedenkt, dem dieser Tag gewidmet ist. Solche Tage geben dem Leben Struktur und Rythmus. Alle, die diese Tage auf ihre Weise begehen, machen schon mal keinen Fehler.
Mir sind alle willkommen, die sich, wenn auch nur an dem einen Tag, der schmerzlich vermissten erinnern, der eigenen Sterblichkeit stellen und versuchen ein ehrendes Andenken zu bewahren. Wie und in welchem Glauben Menschen das tun, geht mich erstmal gar nichts an. Ob ich manches schön oder doch interessant finde, kann ich mit mir allein abmachen.
Heuchelei zu unterstellen, käme mir dabei als letztes in den Sinn. Bei den plötzlich dann doch bedachten Grabstätten denke ich eher an menschliche Schwäche, Gedankenlosigkeit, Nachlässigkeit und begrenzte materielle Möglichkeiten.

An Heuchelei denken meiner Erfahrung nach vor allem Menschen, die selbst sehr viel Erfahrung damit haben.
Aber hier wird zu einem auf der Seele liegenden Dauerthema geschrieben, da wird man schon mal ungerecht. Und darum schreibe ich dazu auch noch mal: das Problem ist der Träger.
Mich würde wundern, wenn dieser an anderer Stelle weniger nachlässig wäre. Wie sieht es aus mit Arbeitshaltung der Mitarbeiter, Haushaltsdisziplin, Sauberkeit, Pünklichkeit, korrekter Verwaltung?

Berthold Grabe
Berthold Grabe
4 Jahre zuvor

Jede Moral hat ihre Doppelmoral, manche offensichtlicher manche "hinterlistiger", das ist auch eine Frage des Zeitgeistes weniger der Moral selbst.
Die Schnelllebigkeit der Zeit, die Vereinnahmung der "Freizeit" durch monetarisierte Gesellschaftsstandards, die Weitgehende Erwerbstätigkeit der Frauen haben den erodiernden Trend
bei Kirchen und Traditionen beschleunigt. die völlig Verbetonierung kirchlicher Strukturen macht angesichts des üblichen just in time Stresses, ob selbst verursacht oder gesellschaftlich, einfach zu anstrengend um sich da noch zu engagieren.
Was bleibt sind Feiertage wie Weihnachten Ostern oder mancherorts Allerheiligen.
die politischen Ersatzhandlungen wie Umweltschutz und soziales Engagement passen besser in diesen Zeitgeist und können auch schneller an der Garderobe wieder abgegeben werden, sie beschränken sich meist auf ebenso kurze Einzelaktionen die im Grunde nicht häufiger als der Kirchenbesuch an Weihnachten bedient werden.
Abgesehen davon das die mediale Aufmerksamkeit diesen Statements mehr öffentliche Wahrnehmung beschert.
Bedenklicher ist da eher der Verlust an inhaltlicher Tiefe, die bei den christlichen Kirchen durch die Verkrustung übertüncht und beim sozialen Engagement oder Umweltschutz gar nicht mehr vorhanden sind außer jenseits der öffentlichen 'Wahrnehmung, dann aber auch bei den Kirchen.

Klaus Lohmann
Klaus Lohmann
4 Jahre zuvor

Allerheiligen ist der einzige Tag im Jahr, an dem auf der Straße am nächstgelegenen städtischen Friedhof ein noch größeres Verkehrschaos herrscht als zu den bekannten OpenAir-Festivals und Alkoholiker-"Oktoberfesten" im direkt nebenan gelegenen Revierpark. Dass die "Unser Grab muss schöner werden"-Leute sich dabei gegenseitig überfahren und so für etwas mehr "Umsatz" auf den durch "Kundenschwund" gebeutelten Friedhöfen sorgen, wäre doch die eigentliche Satire des Moments.

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