
“Erste Amtshandlung – Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) plant Verbot von beliebter Partydroge“, lese ich. Ach, die neue Gesundheitsministerin will dem Lachgas an den Kragen? Na Lachgas, das kenne ich doch. Müssen wir immer alles verbieten? Das waren meine ersten Assoziationen bei dieser Headline.
Meine Schüler der 10. Klasse sollten kürzlich noch, das Model dieser sehr einfach aufgebauten Stickstoffverbindung in ihren Hefter übernehmen. Sie mussten dafür nur drei Kugeln malen, denn es handelt sich um Distickstoffmonoxid, N2O, ein Molekül aus einem Sauerstoff- und zwei Stickstoffatomen. Lachgas war bei meinen Schülern als Party-Droge bekannt. Probiert hatte es aber noch keiner.
Lachgas ist nicht nur Party-Droge und Treibgas in Sahnespendern, es ist vor allem ein Arzneimittel für Narkosen. In meinem Buch steht dazu: “Lachgas ist ein leicht süßlich riechendes, nicht reizendes, farbloses Gas. Es ist ein sehr sicheres Inhalationsanästhetikum und wurde früher bei fast allen Narkosen als Basisnarkotikum eingesetzt. Lachgas besitzt zwar eine gute analgetische, jedoch nur eine schwache narkotische und keine muskelrelaxierende Wirkung. Es verstärkt als Zusatzanästhetikum die Wirkung der anderen Inhalations- und Injektionsnarkotika, die dadurch niedriger dosiert werden können. Die relativ hohen Konzentrationen, die für die Narkose benötigt werden und die dadurch bedingte aufwendigere Wartung der Systeme führten dazu, dass einige Kliniken Lachgas nicht mehr verwenden.“ Aus medizinischer Sicht ist dazu alles gesagt. Es ist ein wichtiges und sehr gut verträgliches Arzneimittel. Warum soll es jetzt verboten werden?
Zunächst muss man zu den reißerischen Überschriften in der Presse sagen, dass die Reglementierung von Lachgas bereits von Ex-Minister Lauterbach geplant und vorbereitet wurde und, dass es lediglich um ein Abgabeverbot an Minderjährige und ein Verbot von Versandhandel und dem Verkauf über Automaten geht. In einigen Städten wie Hamburg, Dortmund, Osnabrück, Frankfurt am Main oder Hanau gilt bereits ein Verbot für den Verkauf von Lachgas an Kinder und Jugendliche.
Das Gas, dessen belustigende Wirkung schon sein Name verrät, ist schon seit Ende des 18 Jahrhunderts bekannt und wurde seitdem als Rausch- und Arzneimittel verwendet. Es gilt als ungiftig und Vergiftungen nach chronischem Gebrauch sind kaum beschrieben. Warum soll jetzt plötzlich eine Gefahr von diesem Stoff ausgehen?
Bis 2016 war Lachgas ein Arzneimittel und unterlag demzufolge dem Arzneimittelgesetz. Dadurch war es nicht frei verfügbar und sein Vertrieb automatisch geregelt. Das hat sich nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs geändert, so dass man Lachgas ohne besondere Einschränkungen überall verkaufen darf, auch an Kinder.
Lachgas ist zwar ungiftig und der Rausch hält nur ca. zwei Minuten an, ganz unproblematisch ist es jedoch nicht. Gefahren drohen bei grob fahrlässigem Gebrauch. Das Gas kühlt beim Austritt an die Luft die Umgebungstemperatur auf bis zu minus 55°C ab. Dadurch kann es zu Erfrierungen kommen. Beim Inhalieren des Gases direkt aus den Gaskartuschen oder Zylindern betreffen diese den Mund und auch die Atemwege. Dieses Risiko gilt allerdings für komprimierte Gase im Allgemeinen. Auch die Gefahr durch den Sauerstoffmangel, z.B. durch Konsum mit einer über den Kopf gestülpten Plastiktüte oder mehrfaches Einatmen kurz hintereinander betrifft auch andere Gase z.B. Helium.
Der Rausch selbst ist vergleichsweise ungefährlich, da er nur äußerst kurz anhält. Das Suchtpotenzial wird kontrovers diskutiert. Eine körperliche Abhängigkeit besteht nicht. Es könnte jedoch eine psychische Abhängigkeit bei exzessivem Gebrauch möglich sein.
Die größte Gefahr sehe ich beim Lachgas durch seine inaktivierende Wirkung auf Vitamin B12. Lachgas oxidiert das Vitamin irreversibel, so dass es nicht mehr wirken kann. Da Vitamin B12 wichtig für den Erhalt der Myelinhülle, also der “isolierenden Hülle“ unserer Nervenzellen, ist, führt ein B12-Mangel, wenn er nicht erkannt und behandelt wird, zu schweren Nervenzellschädigungen bis hin zu einem irreversiblen Rückenmarkschwund mit Bewegungsstörungen und Lähmung. Er tritt durch Lachgas allerdings nur dann auf, wenn es extrem häufig konsumiert wird. Solche chronischen Schäden sind deshalb auch nur seltene Einzelfälle. Es darf auch nicht vergessen werden, dass der Konsum für einen zweiminütigen Rausch doch etwas umständlich und bei einer Flasche mit 650g für 28 € auch ziemlich teuer ist. Und wenn man nicht grobfahrlässig damit umgeht, ist die Partydroge für Erwachse und bei gelegentlichem Gebrauch vergleichsweise ungefährlich. Einen Massenkonsum mit häufigen Todesfälle wird es wahrscheinlich nicht geben. Laut Bundesinstitut für Risikobewertung liegen belastbare Daten zur Nutzung von Lachgas in Deutschland bisher nicht vor.
Einzelne Giftinformationszentren melden einen Anstieg von Anfragen zu Lachgas: “Die Informationszentrale gegen Vergiftungen am UKB vermeldet nun konkrete Zahlen, die einen Hinweis auf den Anstieg des Lachgaskonsums in NRW darstellen und das zunehmende Problem sowie den Handlungsbedarf unterstreichen: 2023 wurden bei der Giftzentrale über das gesamte Jahr 17 Beratungsfälle aufgrund von Lachgaskonsum registriert. Genauso viele Fälle wurden in 2024 schon in der ersten Jahreshälfte gemeldet.“
Auch das Giftinformationszentrum Nord in Göttingen (zuständig für Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein) meldet eine Zunahme von Anrufen zu Vergiftungsunfällen mit Lachgas. Während es bis 2022 im Durchschnitt zwei bis drei Anrufe pro Jahr gab, waren es 2023 19 und 2024 in der ersten Jahreshälfte bereits 27 Anrufe zu Lachgas. Allerdings sollte man dabei bedenken, dass das GIZ Nord im Jahr 50000 mal kontaktiert wird. Da erscheinen die Anfragen zur Lachgas dann doch noch relativ gering So verwundert es mich auch nicht, dass das Wort “Lachgas“ beim GGIZ in Erfurt (zuständig für Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt , Thüringen) noch nicht einmal auf der Homepage auftritt.
Die European union drug agency (EUDA) resümiert, und das deckt sich auch mit meiner Einschätzung: “Die überwiegende Mehrheit der Menschen konsumiert kein Distickstoffmonoxid. Diejenigen, die es tun, konsumieren in der Regel selten relativ geringe Mengen. Die meisten Konsumenten inhalieren gelegentlich kleine Mengen Distickstoffmonoxid, vielleicht ein bis drei Ballons in einer Sitzung, einige Male pro Jahr. Obgleich es nicht möglich ist, einen „sicheren“ Konsum zu definieren, und diese Art des Konsums nicht risikofrei ist, scheint diese Art des Konsums im Vergleich zu intensiveren Konsummustern nur ein begrenztes Gesundheitsrisiko zu bergen.“
Vergessen wir bei der ganzen Diskussion um Lachgas auch bitte nicht, dass Lösungsmittel schnüffeln, Hypoxie-Spielchen und auch der gute alte Alkohol wesentlich gefährlicher und auch viel billiger zu bekommen sind. Das von der Ampel legalisierte Cannabis birgt deutlich mehr Risiken als Lachgas. Auch wenn ich im Allgemeinen für deutlich weniger Reglementierung bei Rauschmitteln bin, da sie durch eine Kriminalisierung der Suchkranken deren Möglichkeiten zur Therapie einschränkt und gravierende Begleiterscheinungen begünstigt, ist zum Schutz der Kinder und Jugendlichen, bei denen der beschriebene Vitamin12-Mangel deutlich gefährlicher ist, da sich die Nervenzellen noch im Wachstum befinden, das Vorhaben der Gesundheitsministerin durchaus nachvollziehbar und sinnvoll. Ein komplettes Verbot von Besitz und Verkauf von Lachgas wie es in Dänemark, Großbritannien und der Schweiz besteht, halte ich jedoch für völlig überzogen.