Mit 54 zum Bund? Thomas Hüser erläutert seine Entscheidung zur Rücknahme der Kriegsdienstverweigerung.

Thomas Hüser Foto: Privat


Warum die Rücknahme der Kriegsdienstverweigerung ein legitimer Schritt ist – und auch mit 54 Lebensjahren eine Bedeutung hat. Von unserem Gastautor Thomas Hüser.

Die Entscheidung, eine bereits erklärte Kriegsdienstverweigerung zurückzunehmen, mag auf den ersten Blick irritierend wirken. Schließlich handelt es sich dabei um eine bewusste Erklärung, unter keinen Umständen Waffen zu führen oder an Kampfhandlungen teilzunehmen. Doch die Lebensrealität und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ändern sich, und damit auch die persönliche Haltung. Ich wurde 1990 gemustert. Im Jahr der Wiedervereinigung und zwei Jahre vor dem Vertragsschluss von Maastricht. Der Harvard Historiker Francis Fukuyama veröffentlichte das Buch „Das Ende der Geschichte und der letzte Mensch“, in dem er argumentierte, dass die Entwicklung der Menschheitsgeschichte als Kampf zwischen Ideologien weitgehend beendet sei und sich die Welt nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Fall der Berliner Mauer 1989 auf die liberale Demokratie festgelegt habe. Er irrte spektakulär, aber auch ich hielt das damals für plausibel. Nun, 35 Jahre später, ist alles anders.

Perspektivenwandel und Verantwortungsbewusstsein

Die ursprüngliche Entscheidung zur Kriegsdienstverweigerung habe ich in einer Lebensphase getroffen, die von damals vorherrschenden moralischen, ethischen oder weltanschaulichen Überzeugungen geprägt war. Ich war nicht friedensbewegt im klassischen Sinne. Es schien mir schlichtweg sinnlos zu sein, seine Zeit beim Militär zu verbringen, dass offensichtlich nutzlos geworden war. Alle Nachbarn waren Freunde, große Abrüstungsinitiativen beschäftigten die Verantwortlichen in Moskau und Washington. Auch Deutschlands wiedervereinigte Armee ging rasch auf Schrumpfkurs. Panzer wurden eingemottet, Raketen abgebaut. Und ich ging zur Caritas, um 18 Monate lang Altenpflegerinnen zu Hand zu gehen. Mobiler sozialer Hilfsdienst hieß die Einrichtung. Ich habe also gedient, wo es mir nachhaltiger erschien. Übrigens sechs Monate länger als Wehrpflichtige, die sich für die Streitkräfte entschieden haben.

35 Jahre später änderten sich nicht nur die persönliche Situation, sondern auch die Sichtweise auf gesellschaftliche Herausforderungen. In einer Welt, die zunehmend von sicherheitspolitischen Spannungen geprägt ist, entstand das Bedürfnis, Verantwortung für den Schutz der eigenen Gemeinschaft zu übernehmen. In Zeiten des Krieges und angesichts der globalen Bedrohungen wuchs in mir das Bewusstsein, dass der Dienst an der Waffe nicht nur eine Frage individueller Überzeugung, sondern auch des solidarischen Handelns im Sinne der kollektiven Landesverteidigung ist. Wenn sich die innere Einstellung wandelt und der Entschluss zur Mitwirkung in Verteidigungsangelegenheiten gefasst wird, ist die Rücknahme der Verweigerung eine Anerkennung der Realitäten. Ganz besonders, wenn der eigene Sohn mit 18 im wehrfähigen Alter ist – und die Entscheidung des Fukuyama ist vor allem als Autor des Buches „Das Ende der Geschichte und der letzte Mensch“ bekannt, in dem er argumentierte, dass die Entwicklung der Menschheitsgeschichte als Kampf zwischen Ideologien weitgehend beendet sei und sich die Welt nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Fall der Berliner Mauer 1989 auf die liberale Demokratie festgelegt habe. Als ehemalige Verweigerer muss ich anerkennen, dass nun nur noch die Generation meines Sohnes im Kampfeinsatz stehen kann. Seit 2011 gibt es keine Wehrpflicht mehr. Die Soldatinnen und Soldaten von heute stehen nicht nur potenziell im Kampfeinsatz, sondern sie stehen dort allein, weil die Generationen zuvor die Vorbereitung darauf nicht mehr für notwendig gehalten haben. Wir haben uns also geirrt und lassen nun unserer Söhne und Töchter im Kampf allein. Diese Diskussion habe ich mit meinem Sohn geführt und bin zu dem Schluss gekommen, dass es nicht um das Aufgeben pazifistischer Ideale oder eine plötzliche Befürwortung von Gewalt geht. Vielmehr geht es darum, in einer sich verändernden Welt die eigene Rolle und Verantwortung als Staatsbürger neu zu bewerten.

Die Rücknahme der Kriegsdienstverweigerung ist also kein Zeichen von Inkonsequenz, sondern Ausdruck der Fähigkeit, sich an neue Realitäten anzupassen und meine Überzeugungen kritisch zu reflektieren. Ich war auch bereit, diese Entwicklung medienöffentlich zu kommunizieren und meine Beweggründe darzulegen, denn natürlich bedarf diese Haltung der transparenten Erläuterung. Der Zuspruch, den ich heute erhalte, freut mich sehr. Offensichtlich wird Veränderungswille in unserer Gesellschaft geschätzt. Und mein Sohn fands auch gut, was mir das wichtigste war.

Der gebürtige Gladbecker Thomas Hüser studierte Geschichte, Politik und Philosophie an der Universität Essen (Abschluss M.A.). Nach einer kurzen Tätigkeit als Hochschuldozent, Stationen als Sport- und Verbandsfunktionär (u. a. bei der Vereinigung der Vertragsfußballspieler (VdV) und dem Initiativkreis Ruhr, gründete er das gleichnamige Medienbüro, das vornehmlich Unternehmen, Verbände und Stiftungen in Kommunikationsfragen berät. 2006 war er Kommunikationschef der Standortkampagne „Deutschland – Land der Ideen“.

2009 war Hüser für die Medienarbeit des Vatikan-Musikprojekts „Alma Mater“ verantwortlich. 2014 übernahm er für zwei Jahre den Gründungsvorsitz des Bischöflichen Rates für Wirtschaft und Soziales im Bistum Essen. Er war ebenfalls Vorstandsmitglied im Politischen Forum Ruhr.

Hüser gilt in Kirchenkreisen, Politik und Industrie als gut vernetzt. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde er durch seine Beratertätigkeit für den ehemaligen SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel bekannt. Seit 2020 führte er die französische Recyclinggesellschaft Recylex SA und verkaufte sie an den belgischen Campine Konzern. Im Juli 2022 wechselte er als Geschäftsführer zu Glencore Nordenham. Er führte die letzte Zinkhütte Deutschlands durch die Energiekrise und arbeitet nun an der Transformation der Bleihütte am Standort zur ersten Co2-neutralen Bleiproduktion in Europa. Dieses Projekt unterstützt die Bundesregierung mit 360 Millionen Euro.

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