Roberto Ciullli über seine umstrittene Fassbinder-Inszenierung

Am Donnerstag wurde am Mülheimer Theater Fassbinders Schauspiel "Der Müll, die Stadt und der Tod" uraufgeführt. Im vorliegenden Interview, das in den Tagen vor der Premiere geführt und am 24.9.2009 in der Jüdischen Allgemeinen Wochenzeitung veröffentlicht wurde, gibt der Regisseur Auskunft über seine viel diskutierte Aufführung.

Herr Ciulli, es gibt starke Proteste gegen Ihre Fassbinder-Inszenierung. Auch der Zentralrat der Juden und die Jüdische Gemeinde Mülheim sehen sich nach einer Voraufführung in ihrer Kritik bestätigt. Bleiben Sie dennoch dabei, "Der Müll, die Stadt und der Tod" zu inszenieren?

Ja. Wir wussten um die Bedenken, die es gegenüber diesem Stück gibt und haben deswegen bereits im Frühjahr die Jüdische Gemeinde in Mülheim kontaktiert und angekündigt, dass wir das Schauspiel im Rahmen eines dreiteiligen Fassbinder-Projekts spielen möchten. Ich nehme die Ängste sehr ernst und glaube, dass sie berechtigt sind. Trotzdem bedauere ich die Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Zentralrat der Juden und uns. Wir sind aber nach wie vor überzeugt, dass es richtig ist, dieses Projekt zu realisieren.

Warum?

Im Rahmen des Fassbinder-Projektes werden wir auch "Nur eine Scheibe Brot" aufführen. Das Stück handelt von der Problematik, in einem antisemitischen Klima einen Film über Auschwitz zu realisieren. Der dritte Teil des Projekts ist das Drama "Blut am Hals der Katze", das den Verfall der Sprache auch als Ursache und Folge des Faschismus zeigt. Dieses Projekt bietet die Gelegenheit, auf den durchaus vorhandenen Antisemitismus in Deutschland aufmerksam zu machen. Wer über unseren Versuch urteilt, muss sich mit dieser Inszenierung auseinandersetzen.

Wie soll das funktionieren: mit judenfeindlichen Parolen auf der Bühne Antisemitismus zu bekämpfen?

Es gibt in der Theaterliteratur eine Reihe von Texten, die mit judenfeindlichen Parolen gegen Antisemitismus angehen. Auf der Bühne Antisemitismus aufzuzeigen, zu entlarven und zu bekämpfen, ohne die Figuren antisemitische Phrasen und Klischees aussprechen zu lassen, erscheint fast unmöglich.

Haben Sie Verständnis dafür, dass es Menschen gibt, die so etwas partout nicht hören und sehen wollen?

Ja, Menschen denen solch unvorstellbar Schreckliches angetan wurde, müssen mit dem allergrößten Respekt und der allergrößten Nachsicht behandelt werden. Auch darüber habe ich mir Gedanken gemacht. Doch damit solche antisemitischen Äußerungen nicht mehr gehört werden müssen, und das nicht nur auf der Bühne, machen wir diese Inszenierung. Gäbe es in der Aufführung Anhaltspunkte dafür, dass sie antisemitisch ist, wäre ich der Erste, der sie absetzen würde.

Ihr Theater ist sehr stark im Iran vertreten. Glauben Sie, man würde Ihre Inszenierung in Teheran als ein Schauspiel begreifen, das Antisemitismus demaskiert?

Die Frage ist, von welchem Iran wir sprechen. Ich glaube, dass es auch im Iran genug Intellekt gibt, diese Aufführung als einen Beitrag zur Bekämpfung des Antisemitismus in der Welt zu verstehen und sie aus diesem Grund gutzuheißen. Aber es wäre politisch nicht klug, diese Aufführung im Iran zu zeigen. Die Lust ist gering, dort missverstanden zu werden und Applaus von der falschen Seite zu bekommen.

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axel
axel
14 Jahre zuvor

„Gäbe es in der Aufführung Anhaltspunkte dafür, dass sie antisemitisch ist, wäre ich der Erste, der sie absetzen würde.“

Demnach hätte Ciulli das Stück absetzen müssen! Schließlich hatte sowohl der Zentralrat der Juden in Deutschland als auch die Mülheimer Gemeinde sich gegen die Inszenierung ausgesprochen.

Jens Kobler
14 Jahre zuvor

Ohne dass ich das Stück gesehen hätte – und sehe ich manche Stücke oder Filme, ertappe ich mich immer mal wieder bei etwas wie z.B. dem Erbe meines Aufwachsens hier und lerne daraus (hoffentlich das Richtige) – empfinde ich folgendes öffentliches Schauspiel immer wieder als interessant: a) Ciulli wird (als messenger?) gescholten, Fassbinder kommt davon. b) Die deutsche pro-israelische und die deutsche pro-muslimische Fraktion ergänzen sich in ihrem aufstachelnden Gestus manchmal schöner als ein simpler Nazi sich das ausgedacht haben könnte. c) Noch vor einiger Zeit wurden Hitler-Fotos hierzulande gar nicht erst abgedruckt oder überklebt. Das geht mit Antisemitismus (z.B.) so nicht, aber auf die Bühnen oder ins Fernsehen kommt er vorsichtshalber mal nicht. Bei Porno und Psychofolter ist das etwas anderes, das will der Plebs ja sehen. d) Der Ansatz, Antisemitismus müsse allüberall bekämpft, dürfe aber nie gezeigt werden, hat schon immer dazu geführt, dass viele Deutsche dann eben erst recht nur bekämpfen worauf sie Bock haben – am besten alles. e) Letzten Monat habe ich in Berlin einen Auschwitz-Überlebenden geshen, der am Ende einer Podiumsdiskussion einen Polen anging, weil sich dieser seiner Meinung nach (stellvertretend: wieder) zu lässig gegenüber der aktuellen Ost- und Europa-Politik Deutschlands verhält. Nun war die Diskussion dort hoffentlich kein Schauspiel, aber dass aus Rücksicht auf die Traumata Überlebender jetzt Lernen aus der Geschichte aufgegeben werden soll… Ich war dem Überlebenden sehr dankbar, denn ich hätte das so nicht sagen können. f) Fassbinder Seit an Seit mit dem Iran? Hm.

Philipp Engel
Philipp Engel
14 Jahre zuvor

Es ist schon ein Armutszeugnis, dass das deutsche Feuilleton nahezu einstimmig auf Ciullis Inszenierung hereingefallen ist. Der Mann wollte mit seinem in der Provinz gelegenen und medial stark vernachlässigten Theater Aufmerksamkeit und womöglich sogar -wenn auch nur als Fußnote – in die Theatergeschichte eingehen.

Das ist ihm eindrucksvoll gelungen. Allein: Auf wessen Kosten geschieht das Ganze? Das scheint man leider vergessen zu wollen.

Die WELT – ansonsten sowohl in der Politik- als auch in der Kulturberichterstattung außerordentlich differenziert und von hoher journalistischer Qualität/Klarsicht – behauptete etwa, der Zentralrat der Juden in Deutschland habe nicht aus Empörung, sondern als Pflichtübung die Absetzung des Stückes gefordert.

Ich habe mit vielen Überlebenden gesprochen, man kann mir glauben, die Angst und Abscheu ist echt; eine Pflichtübung war der Wunsch nach Absetzung des Stücks sicher nicht.

Wenn Ciullis Stück nicht antisemitisch ist, verletzt es immer noch Gefühle. Man scheint vergessen zu haben, dass es immer noch Menschen gibt, deren Eltern, Geschwister oder Ehepartner sich durch „ebenjenen“ Schornstein in Rauch auflösten, der in Ciullis antisemitischer Travestie-Show eine zentrale Rolle spielt.

Es ist nicht weniger als einer derjenigen Momente im deutsch-jüdischen Verhältnis, wo man sich, wie Henryk M. Broder, genötigt fühlt zu fragen: Bin ich verrückt geworden oder sind es die anderen?

Umso wichtiger und erfreulicher ist es, dass zumindest der Spiegel und vor allem die FAZ der Inszenierung ablehnend gegenüberstehen.

Philipp Engel
Philipp Engel
14 Jahre zuvor

@ Jens Kobler:

„Die deutsche pro-israelische und die deutsche pro-muslimische Fraktion ergänzen sich in ihrem aufstachelnden Gestus manchmal schöner als ein simpler Nazi sich das ausgedacht haben könnte.“

Unter anderem Ihre Äußerung meine ich, wenn ich sage, dass einen die Reaktionen auf Ciullis Inszenierung verstören.

Sie sprechen zynischerweise von einem „öffentliche Schauspiel“. Tatsächlich aber geht es um authentische Gefühle der Verletzung. Vergessen Sie das bitte nicht.

Jens Kobler
14 Jahre zuvor

@Philipp Engel:
Sie kennen mich nicht sehr gut, daher wissen Sie nicht, auf wen das „Zynische“ zielt. Und ich vergesse selten, deshalb habe ich gegen Ende auch von einer persönlichen Begegnung erzählt. Und dort gehe ich auch darauf ein, dass ein Nicht-Vergessen natürlich mit sich zieht, dass u.U. alte Wunden manchmal wieder aufgerissen werden müssen – warum da dann manche aus der für die Taten verantwortlichen Gruppe keine Verletzungen zu spüren scheinen, das ist halt auch eines der Probleme im Rahmen des Themas. Wie sollen wir bitte erinnern und mahnen ohne Finger auf Wunden zu legen?

Als sinnvoller empfinde ich es aber übrigens, wenn über die derzeit aktiven Faschist/innen und Nazis in Deutschland gesprochen wird – was auch bei dem Verweis auf Polen anklingen sollte. (Es war eine Podiumsdiskussion Anfang September https://www.fgbrdkuba-berlin.de/txt/20090913-tag-der-mahnung.pdf , ein Wochenende nach der Demonstration in Dortmund https://www.ruhrbarone.de/nazis-demonstrieren-in-dortmund/ – recht tagesaktuell das alles mal wieder übrigens, sieht man die Skepsis Polens gegenüber einer von u.a. Deutschland geführten EU).

Noch ein Gedanke: Deutschland nimmt sich mittlerweile mehr heraus die aktuelle Politik Israels zu kritisieren, als dass Israel sich zur äquivalenten Außenpolitik Deutschlands äußert – es gibt Missverhältnisse, und selbst nach 1945 meist eher zugunsten der Deutschen. Mag sein dass auch diese Beobachtung gewisse „Zynismen“ nährt und mich von Schauspielen reden lässt, in Bezug auf die Politik einiger Menschen im deutschen Feuilleton natürlich (wobei die WELT ja „Entwarnung“ gegeben hat https://www.welt.de/die-welt/kultur/article4736723/Kalte-Welt-mit-reichen-Juden.html , aber was bedeutet das eigentlich genau nun wieder bzw. muss man das so schreiben?).

btw: Ich sprach von „deutschen pro-Fraktionen“ im Sinne von Destabilisierung und Aufhetzung, auch nach Innen, die fast wie Waffenlieferungen in beide Lager funktionieren. (Und Waffenlieferungen sind sicher auch ein Thema der aktuellen Koalitionsverhandlungen. Man darf Leutheuser-Schnarrenberger und einige andere FDPler durchaus mal unterstützen derzeit – aber auch die Möllemann-Abteilung nicht vergessen).

P.S. (nach Lektüre von 3): „antisemitische Travestie-Show“ ist schon ein harter Vorwurf, und ich denke mich spricht der Stil der Inszenierung wohl auch nicht an. Italien, Jahrgang `34, der Herr Ciulli. Nachvollziehbar. Und auch damit sind hoffentlich einige Anspielungen in meinem ersten Kommentar verständlicher.

Philipp Engel
Philipp Engel
14 Jahre zuvor

Meine Besprechung der Fassbinder-Inszenierung kann man in der „Jüdischen Allgemeinen“ oder auf dem Blog „Die Achse des Guten“ nachlesen. Hier die Links:

https://www.juedische-allgemeine.de/epaper/pdf.php?pdf=../imperia/md/content/ausgabe/2009/ausgabe41/17.pdf

https://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/fassbinder_in_muelheim_ein_aesthetisches_und_ethisches_desaster/

Jens Kobler
14 Jahre zuvor

@P.E.: Mir fiel nach Lektüre noch ein: Welche aktuellen Stücke über Antisemitismus, Holocaust oder Rassismus in Deutschland finden Sie denn gut oder angemessen?

Philipp Engel
Philipp Engel
14 Jahre zuvor

@ Jens Kobler

1) Mir ist eine schlechte, ungemein langweilige Aufführung des Nathan lieber als Ciullis Fassbinder-Inszenierung.

2) Zu Ihrer Frage: Bleiben wir doch im Jahr 1985, dem Jahr der verhinderten Frankfurter Inszenierung:

Ich halte sehr viel von Thomas Bernhards zwei Jahre zuvor veröffentlichtem Drama „Vor dem Ruhestand“, ein Stück, das heute leider kaum noch aufgeführt wird. 1988 wurde dann, kurz vor Bernhards Tod, am Wiener Burgtheater sein „Heldenplatz“ unter großem Jubel sowie Protesten der österreichischen Nationalisten ( angeführt vom jungen Jörg Haider) uraufgeführt.

Das sind Stücke, die Ciulli, würde er es ernst meinen mit seinem Vorhaben, den Antisemitismus zu bekämpfen, aufführen müsste. Nur kämen dann zur Uraufführung nicht AD und ZDF und schon gar nicht alle Theaterkritiker der Bundesrepublik wie es bei seiner Fassbinder-Inszenierung der Fall.

Ein Essay, der Thomas Bernhards Auseinandersetzung mit der Judenfeindlichkeit Österreichs thematisiert, ist in Arbeit und wird demnächst im Feuilleton der Jüdischen Allgemeine Wochenzeitung erscheinen. Leider wurde dieser Aspekt in seinem Werk bislang nicht ernsthaft herausgearbeitet.

Jens Kobler
Jens Kobler
14 Jahre zuvor

@P.E.: Danke. Ich halte solche Beispiele für wichtig, gerade auch, aber nicht nur, um dem Vorwurf entgegen zu treten, es ginge bei Kritiken um „Alarmismus“ oder „Pflichtübungen“ – Vokabeln, die nicht gerade ernsthafte, inhaltliche Auseinandersetzungen fördern. Auch daher freue ich mich über die Ankündigung des erwähnten Artikels zum Werk von Thomas Bernhard.

Thomas
14 Jahre zuvor

>Leider wurde dieser Aspekt in seinem Werk bislang nicht ernsthaft herausgearbeitet.

Doch. Und: Türlich. Vergl. zeitgenössische Bernhardrezeption.

Ernsthaft? Niedlich.

Bernhard? Die alte Leier: Der Unterschied zwischen Streicheln und Schlagen liegt oft in der Geschwindigkeit.

Zu Haider? Nix:

https://www.ruhrbarone.de/wer-outete-haider-schulerzeitungsredakteur-aus-schlafstadt-dusseldorfs-der-jorg-will-eh-blos-kuscheln/

Thomas
14 Jahre zuvor

@Philipp Engel:

Ja. Kann ich. Muß ich aber nicht. Bin ja kein Germanist. Oder Kommaschwabe.

Im Ernst: Zeitgenössische Bernhardrezeption?

Deine These, steil wie der Primus in der Schule:

„Leider wurde dieser Aspekt in seinem Werk bislang nicht ernsthaft herausgearbeitet.“

Mein Einwurf: Doch. Längst.

Etwa hier:

https://shorl.com/stedrunagrehydro

ch_we
ch_we
14 Jahre zuvor

Jan Süselbeck schreibt da auch drüber:

https://www.stroemfeld.de/de/buecher_D_163_2/

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