Über das Tilgen von Wörtern

Personen, die Wörtern zum Abschied hinterherwinken. Foto: R. v. Cube

Dieser Tage geht es wieder viel über Wörter und welche man benutzen sollte und ob sie jemand verbieten will. Wie immer wird die Diskussion in Superlativen und mit Schaum vorm Mund geführt. Es kostet Kraft und Zeit, überhaupt herauszufinden, was die sich anschreienden Parteien eigentlich wollen. Das liegt daran, dass diejenigen, die eine Idee oder eine Kritik daran haben, meist nicht die gleichen sind, die diese Ideen oder diese Kritik im Ring verteidigen. Die Kämpfer an der Twitter-Front brechen sich aus der differenzierten Betrachtung grobe Stücke heraus, die sie als Keule verwenden, um auf den anderen einzuschlagen.

Kürzlich erschien ein Artikel in der NZZ, der wohl auf einen Beitrag in der New York Times zurückgeht, in dem vor der Abschaffung des Wortes „Frau“ gewarnt wird. Aufhänger ist ein Schreiben der US-Bürgerrechtsorganisation ACLU zum Thema Abtreibungsrecht, in welchem angeblich das Wort „Frau“ nicht vorkomme. Hier gibt es eine interessante Gegenrede (zum NYT-Beitrag), in welcher diese Behauptung widerlegt wird. Die ACLU schreibt in Wirklichkeit die ganze Zeit „Frauen“, ergänzt dies aber immer mal durch den Zusatz “und andere Personen, die schwanger werden können”. Das ist alles. In der Gegenrede wird dann auch erläutert, es ginge gar nicht darum, das Wort „Frau“ abzuschaffen, sondern lediglich darum, dass Transmänner nicht „Frauen“ genannt werden wollen. Das ist hingegen nicht alles.
Es ist erstaunlich, dass Zeitungen wie die NZZ und die NYT eine offensichtliche Lüge verbreiten. Man würde ja denken, jemand, der einen Beitrag zum Sprachgebrauch in der Veröffentlichung der ACLU macht, liest sich als erstes diese Veröffentlichung gründlich durch. Dann sieht man ja, dass da andauernd (16 x!) „Frau“ steht. Das macht die Diskussion ungleich schwerer. Denn auf einmal streitet man über den Wahrheitsgehalt solcher Aussagen. Und nicht über die dahinter liegenden Anliegen.

Das Anliegen verstehen

Um das dahinterliegende Anliegen zu verstehen, ist die verlinkte Gegenrede im Blog The Present Age sehr geeignet. Dort wird nicht polemisiert, sondern ruhig und bescheiden erläutert, was sich Transpersonen wünschen. Allerdings sehr bescheiden. Diese Bescheidenheit ist womöglich eine Bagatellisierung. Dazu gleich. Das Missverständnis beginnt oft schon dort, wo Leute meinen, es wären Transfrauen (also biologische Männer, die sich als Frauen fühlen), die „die Abschaffung“ des Wortes Frau fordern. Nach dieser Lesart wollen diese Personen, dass die Definition von Frau nicht mehr mit den weiblichen Geschlechtsorganen verknüpft wäre, damit sie auch darunter fallen können. Möglicherweise gibt es das auch (es gibt einfach alles), aber das prominentere und einleuchtendere Argument ist, dass Transmänner (also biologische Frauen, die sich als Männer fühlen) eben nicht als Frau angesprochen werden wollen. Sie treten möglicherweise männlich auf, haben einen männlichen Namen, aber in einer Situation, in der es um ihr biologisches Geschlecht geht, werden sie trotzdem als Frau behandelt. Also etwa in einer Frauenklinik. Oder in Abtreibungsdebatten. Für einen Transmann ist es nicht schön, in einer Frauenklinik ein Schild zu sehen, auf dem steht: „Alle Frauen sollen bitte zur Medikamentenausgabe in ihren Zimmern sein“. Und ich?
Neben der eher harmlosen Ergänzung “und weitere Personen …” gibt es auch Vorschläge wie “Menschen, die menstruieren” oder “Personen mit Uterus”. “Person, die das Kind geboren hat” statt Mutter. “Front hole” (Frontloch) statt Vagina. Einige dieser Vorschläge beziehen sich lediglich auf den direkten Umgang mit Transpersonen. Andere zielen allerdings auch auf den allgemeinen Sprachgebrauch, etwa in Gesetzestexten, ab. Tatsächlich begegnen einem schon hier und da Texte, die nicht speziell an Transpersonen gerichtet sind, in denen das Wort „Frau“ wirklich vermieden wird.

Wird etwas verboten?

Das Argument ist also, dass es rücksichtsvoll wäre, einen anderen Begriff zu verwenden. Zweitens, und das ist der Dauerbrenner in Debatten um Cancel Culture, wird postuliert, dass das Wort „Frau“ ja gar nicht abgeschafft würde und erst recht nicht verboten würde. Jeder könnte es benutzen, wie er oder sie will. Es gäbe eben bloß Situationen, in denen es höflicher wäre, es nicht zu tun.
Und hier kommen wir zur falschen Bescheidenheit. Denn dass ein Wort „verboten“ wird, ist in Demokratien ja ohnehin nahezu ausgeschlossen. In Russland ist das Wort „Angriffskrieg“ verboten, da kann man tatsächlich eine Strafe für bekommen. Das ist auch keine Demokratie. In Deutschland sind einige NS-Parolen verboten. Aber normalerweise wird sowieso kein Wort verboten.
Was aber geschieht, ist, dass Wörtern ein moralischer Wert zugeschrieben wird, der diese diskreditiert. Wörter werden als diskriminierend eingestuft und sind dann tabu. Und das geht oft mit rasender Geschwindigkeit. Das sieht man zum Beispiel am Wort „Flüchtling“, bei dem sich neulich jemand ausgedacht hat, es müsste „Geflüchteter“ heißen, was in einigen Milieus quasi über Nacht adaptiert wurde (warum das Wort „Flüchtling“ nicht diskriminierend ist, habe ich hier dargelegt).

Gruppendynamik

Dieser Mechanismus ist selbstverstärkend. Es liegt zweifellos eine ethische Begründung dafür vor, aber es wäre lächerlich, die soziale Komponente dabei zu ignorieren. Wer die neuen Wörter verwendet, gibt sich als Zugehöriger der ethisch überlegenen Gruppe zu erkennen. Es ist ein soziales Distinktionsmerkmal. Und wenn ich einen besonders neuen Begriff „schon“ im Wortschatz habe, kann ich mich als jemand präsentieren, der am Puls der Zeit ist.
Wer die herkömmliche Variante nutzt, outet sich entweder als altmodisch oder als jemand, der bewusst die „diskriminierende“ Form wählt, weil er eine rassistische/sexistische/sonstige Agenda verfolgt. Und das stimmt ja zum Teil auch. Es gibt ganz sicher Menschen, die solche Wörter gerade deshalb verteidigen oder gezielt verwenden, weil sie Rassismus wieder salonfähig machen wollen. Das gibt der Ausgrenzung von Menschen, die die Begriffe benutzen, eine zusätzliche Legitimation. Wenn aber eine ethische Legitimation und gruppendynamische Prozesse zusammenkommen, entsteht dadurch leicht eine Spirale, die sich über den ursprünglichen Gedanken hinaus verselbständigt.
Man muss schon sehr optimistisch sein, um zu glauben, dass alle, die eine neue Sprachregelung aufgreifen, dies nach gründlicher Reflexion und Abwägung tun. Die Beobachtung legt nahe, dass sehr viele Menschen geradezu begierig nach neuen Varianten sind, auch wenn sie noch so sperrig oder unlogisch sind. Sie fragen, von welcher Seite der Vorschlag kommt und wenn er von „ihrer“ Seite kommt, wird er schon umgesetzt.

Daraus folgt nicht, dass es grundsätzlich falsch wäre, die als diskriminierend empfundenen Wörter zu meiden oder neue zu benutzen. Aber daraus folgt, dass Wörter mit rasender Geschwindigkeit den Ruch von etwas Diskriminierenden erhalten können und in einem Teil der Bevölkerung zwar nicht verboten, aber tabu werden. Dann wird es eben nicht mal mehr möglich, zu benennen, was man nicht gut findet.

Wörter werden neu gestrichen

Wenn man der Prämisse folgt, dass es besser „Klinik für Menschen, die Menstruieren“ heißen sollte als „Frauenklinik“, dann gibt es eigentlich keinen Grund, nicht in sehr vielen Fällen das Wort „Frau“ zu vermeiden. Jedenfalls immer da, wo damit auch biologische Frauen gemeint sein können, die zu Männern transitioniert sind. Es gibt keinen Grund auszuschließen, dass bald Leute “F-Wort” sagen werden. Dann ist es eben doch nicht mehr so, dass jeder „Frau“ sagen kann und es nur ab und an höflich wäre, die Transmänner zu erwähnen. Man kann es sagen, muss aber damit rechnen, in ein unfaires Licht gerückt zu werden. Das Wort würde quasi, während man es arglos benutzt, neu angestrichen.

Die Option, es doch ruhig so zu verwenden, wie man es für richtig hält, erlischt, wenn mit Hilfe von gruppendynamischen Mechanismen und moralischer Aufladung die bisherige Deutung sabotiert wird. Wenn viele Menschen kritiklos hinnehmen, dass „Flüchtling“ eine Beleidigung sein soll, wird es eben auch eine Beleidigung. Damit erhöht man letztlich die Verletzbarkeit von Minderheiten. Wenn immer mehr Begriffe als schlimmer Angriff auf die Menschenwürde verstanden werden, kann sich die Stellung von Minderheiten nicht normalisieren, sondern sie werden als Exoten wahrgenommen, bei denen man jedes Wort auf die Goldwaage legen muss.
Der Begriff „Mohr“ hat fraglos Wurzeln in einer rassistischen, kolonialistischen Zeit. Aber er wurde zu meiner Lebzeit nicht als Schimpfwort verwendet (bestimmt findet jetzt jemand irgendein Beispiel, wo es doch geschehen ist, aber ich bleibe dabei, dass das in keiner Weise gängig war). Das ist keine Beleidigung. Das ist einfach eine altmodische Bezeichnung, die in einer Zeit verwendet wurde, in der Schwarze ohnehin meistens schlecht angesehen waren. Apotheken wurden auch nicht danach benannt, um Schwarze verhöhnen. Apotheken heißen eigentlich nie „Idiotenapotheke“, „Clochardapotheke“, „Schwuchtelapotheke“ oder sonstwie beleidigend oder verhöhnend. Mittlerweile ist dieses Wort aber derart umstritten, dass man nicht mehr sicher ist. Wer jetzt noch das M-Wort unzensiert benutzt, muss fürchten, dass sich wirklich jemand verletzt fühlt. Aber nicht, weil das Wort bis vorgestern im allgemeinen Sprachgebrauch verletzend gewesen wäre, sondern weil es künstlich durch schwer nachvollziehbare Aufregung dazu gemacht wurde. Man könnte mit gleichem Recht fordern, das Wort “Narrensitzung” aus dem Karneval zu tilgen, schließlich ist “Narr” ursprünglich mit geistiger oder psychischer Behinderung verknüpft und eigentlich diskriminierend. Hoffentlich habe ich damit nichts ausgelöst. Aber geistig und psychisch Behinderte liegen in der Gunst der Überkorrekten nicht so hoch im Kurs.

Sakrale Aufladung

Das Anderssein wird so zu etwas, das nur noch vage umschrieben, nur geflüstert werden darf. Die Wörter werden geradezu sakral aufgeladen, wenn man sie nicht mehr aussprechen darf, sondern wie religiöse Tabus umschifft. Ein ungünstiger Nebeneffekt ist, dass die übermäßige Empörung, mit der die sogenannten “Woken” auf Tabubrüche reagieren, eine Gegenwehr auslöst, bei jenen Leuten, die das alles noch gar nicht richtig verstanden haben. Das kann niemand wollen.

Es kann nicht falsch sein, niemanden kränken zu wollen. Es muss richtig sein, gegen Diskriminierung vorzugehen. Und doch erscheint die moralische Entrüstung, die einem entgegenschlagen kann, unangemessen. Und doch scheint da etwas unlogisch, wenn ältere Texte von Wörtern gereinigt werden, die heute anstößiger wirken als damals. Erscheint es bizarr, wenn in einer kleinen Runde weißer Leute über Sprache gesprochen wird und jemand „N-Wort“ sagt, als ob es irgendwo einen Sprachgott gäbe, der sonst hört, dass man sündigt. Darf man denken, wie das Wort ausgesprochen lautet? Darf man es flüstern? Gibt es keinen Unterschied dazwischen, ob man sich gegenseitig schenkelklopfend die Rassismen zuspielt oder ob man sich über die Wörter unterhält und sie dabei benennt? Spielt es keine Rolle, ob da überhaupt jemand anwesend ist, der sich davon gekränkt fühlen könnte?

Kommunikation und Kontext

Bei näherer Betrachtung gibt es eine grundsätzliche Differenz zwischen jenen, die Wörter tilgen wollen und jenen, die sich über diesen radikalen Ansatz wundern:

A): Niemand soll beleidigt werden.
B): Niemand soll sich beleidigt fühlen.

Beide Sätze klingen ähnlich, offenbaren aber gegensätzliche Vorstellungen von Kommunikation. Jemanden zu beleidigen ist eine Aktivität. Sie setzt eine Intention voraus. Wenn sich jemand gekränkt fühlt, weil er ein anderes Verständnis von den benutzen Wörtern hat, handelt es sich nicht um eine Beleidigung, sondern um ein Missverständnis. B) negiert, dass die Bedeutung von Begriffen immer im Kontext zu verstehen ist.

„Du dreckiges Arschloch“ wird in den allermeisten Fällen als starke Beleidigung verstanden werden. Es ist allerdings durchaus denkbar, dass die Worte, anerkennend-lachend gesprochen, unter Freunden nett gemeint sind. Vielleicht als Reaktion auf einen besonders gelungenen Streich. Aber auch als Beleidigung gemeint, könnten diese starken Worte folgende, achselzuckende Reaktion nach sich ziehen: „Süß. Da sind dir wohl die Argumente ausgegangen.“

„Ist das wieder eines deiner Luftschlösser?“, kann, zärtlich ausgesprochen, so viel meinen wie: „Ich liebe deine Fantasie, aber wir beide wissen, dass es gut ist, wenn ich dich immer mal wieder erde.“ Kalt und feindselig betont könnte der Satz aber auch eine ganz andere Bedeutung haben. „Alles, wofür du die letzten 30 Jahre gebrannt hast, fand ich eigentlich lächerlich, ich habe nur um des Friedens Willen so getan, als ob ich dich unterstütze.“ Der Satz kann, je nach Konstellation, einen ganzen Lebensentwurf und eine jahrzehntelange Beziehung im Handumdrehen entwerten. Solche Kränkungen sitzen hundert mal tiefer als wenn der Partner einen „Arschloch“ nennt.

Deutungshoheit

„Ob etwas diskriminierend ist, müssen die Betroffenen entscheiden“ ist ein oft gehörter Satz, der im ersten Moment plausibel klingt. Wer jedoch behaupt, dass immer nur der Empfänger einer Nachricht entscheidet, wie diese zu verstehen ist, wirft die ganze Idee von Dialog über Bord.
Es ist auch illusorisch zu glauben, es herrsche bei den “Betroffenen” Einigkeit darüber, welche Begriffe gut oder schlecht sind. Das degradiert “die Betroffenen” zu einer homogenen Masse, die von den sprachlichen Tugendwächtern geschützt werden muss. Tatsächlich werden Schwarze, die es wagen, sich etwa von “Mohr” nicht gekränkt zu fühlen, von einigen Leuten als “Token” bezeichnet. Also als eine Art Handpuppe der rassistischen Weißen. Wer „die Betroffenen“ sind, entscheiden die vorwiegend weißen Sprachwärter gerne selbst.

Anschaulich ist auch der Wikipedia-Artikel zum Begriff “Eskimo”:

„Die von Inuit gegründete Nichtregierungsorganisation Inuit Circumpolar Council möchte den Ausdruck Eskimo allgemein durch Inuit ersetzen. Dieses Wort kommt jedoch nicht in allen Eskimosprachen vor und bezeichnet auch nur die kanadischen und grönländischen Volksgruppen, weshalb die Yupik und Iñupiat ihre Eigenbezeichnung verwenden oder sich dem „Volk der Eskimos“ zugehörig fühlen. […] Die meisten Personen in Alaska akzeptieren weiterhin die Bezeichnung Eskimo, möchten jedoch nicht als Inuit bezeichnet werden.“

Die Selbstgefälligkeit, mit der gängige Moralisten Leute zurechtweisen, die das E-Wort sagen, und erklären, es heiße korrekt Inuit, kann da doch ins Wanken kommen. Und so ähnlich geht es mit allen Wörtern. Roma wollen auch nicht gerne unter der Sammelbezeichnung „Sinti und Roma“ geführt werden, wenn sie doch gar keine Sinti sind. Andere finden das okay. Andere bezeichnen sich weiterhin als „Zigeuner“. Das heißt nicht, dass man dann grundsätzlich gleich die alte Bezeichnung nehmen sollte. Aber es heißt, dass man vermutlich keine allgemeingültige Lösung finden wird. Dass man auch weiterhin je nach Kontext verschiedene Worte brauchen wird. Und dass es legitim sein sollte, die alten Wörter auch weiterhin auszusprechen, um sich überhaupt darüber unterhalten zu können, was man jetzt meint. Vielleicht ist es eben doch ein Unterschied, ob ich eine Dokumentation über ein bestimmtes Yupik-Dorf drehe und dafür möglichst detailreiche Informationen gebe, oder ob ich einem Kind beibringe, dass es überhaupt Leute gibt, die im Schnee wohnen. Das kann Interesse für „die Eskimos“ wecken und vielleicht Nachforschungen zu Inuit, Yupik, Iñupiat auslösen. Ob das Kind diese Eskimos mit den abfälligen Augen eines Kolonialisten betrachtet oder mit fasziniertem Interesse wird nicht am Wort liegen.

Wessen Gefühle zählen?

Interessant ist auch, dass die Parole „Es zählt nur, ob sich jemand verletzt fühlt“ in der Debatte um das Wort „Frau“ nur wenig Beachtung findet. Ich habe jedenfalls nicht beobachtet, dass die Transszene sich sonderlich darum schert, wenn Frauen sagen, dass es sie kränkt, Formulierungen wie „gebärende Person“ oder „Frontloch“ zu hören. Man kann einwenden, dass das ja nicht zu ihnen gesagt werde. Aber erstens stimmt das nicht, weil es eben durchaus Vorschläge gibt, solche Ausflüchte nicht nur im direkten Kontakt mit Transpersonen, sondern allgemein zu verwenden. Und zweitens werden andere Worte ja auch schon dafür gecancelt, dass jemand sie nur hören könnte, obwohl man ihn damit nicht anspricht.

Ich will an dieser Stelle anführen, dass es natürlich Transpersonen (oder sich für deren Rechte einsetzende Personen) gibt, denen die geschilderten Gefühle von Frauen nicht egal sind. Solche, die sich viele Gedanken um genau die Fragen machen, die ich hier betrachte. Solche, die hadern und nach Lösungen ringen. Das Problem ist, dass diejenigen lauter sind, die radikal und polemisch auftreten. Die sind vielleicht nicht mal in der Überzahl. Aber die prägen die Debatte. Wenn ich hier „Parteien“ benenne, beziehe ich mich immer auf die lauten. Wenn ich überspitzte Begriffe wie „Sprachwächter“ und „Moralisten“ verwende, meine ich damit den selbstgefälligen Teil der Szene, der unreflektiert und narzisstisch auftritt und letztendlich einen Machtkampf führt. Diese Leute streben nicht nach Ausgleich oder Wahrheit. Genau die gleichen Leute gibt es auch auf der anderen Seite. Die verbreiten z. B. o. g. Lügen und auch das versuche ich zu benennen.

schmerzhafte Erinnerungen

Schauen wir noch einmal auf Satz B). Die Konstellationen, in denen Begriffe jemandem wehtun können, ohne dass der Kontext eine Kränkung intendiert, sind jene, wo ein schmerzhafter Umstand zur Sprache kommt. Die Kränkung besteht ja nicht darin, dass jemand extra „Frau“ sagt, um einen Transmann zu demütigen (auch das kann es aber geben). Sondern darin, dass diese Person trotz Transition nicht in vollem Umfang dem entspricht, was allgemein unter einem „Mann“ verstanden wird. Man kann das umschreiben. Man kann “Person, die menstruiert” sagen. Das ändert trotzdem nichts an der Leidensgeschichte und dass es demütigend sein kann, als gefühlter Mann unter lauter Frauen auf einer Station zu liegen. Das Schmerzhafte ist nicht das Wort “Frau”, sondern der Umstand, eine Person zu sein, die menstruiert.
Die Mohrenapotheke heißt nicht so, um einen schwarzen Menschen zu ärgern. Ihr einziger Makel besteht darin, daran zu erinnern, wie schwarze Menschen von den Europäern behandelt wurden (und teils noch werden). Wenn man aber der Ansicht ist, dass niemand mit dieser Erinnerung konfrontiert werden sollte, dann müsste man auch das “K” aus Edeka streichen, Gebäude aus der Kolonialzeit abreißen (bei DDR-Gebäuden macht man das ja auch) und Geschichtsbücher in abgetrennten Arealen der Bücherei unterbringen.

All das heißt nicht, dass man stattdessen leichtfertig Slurs und kränkende Begriffe verwenden sollte. Und tatsächlich kann es ja auch sein, dass unangenehme Personen Vorwände suchen, um unter vermeintlich neutraler “Benennung” solche Wörter zu verbreiten. Aber dann sind wir eben wieder beim Kontext. Das lässt sich erkennen und benennen. Da ist die Intention eben doch, jemanden zu beleidigen.
Den Kontext zu beachten, bedeutet, jedesmal aufs Neue zu prüfen, welche Wörter mein Anliegen rüberbringen können. Dazu gehört auch, die Rezipienten zu berücksichtigen. Wenn ich eine Veranstaltung leite und sage: “Wir gehen jetzt gemeinsam zum Mittagessen”, ist das unverfänglich. Wenn unter den Teilnehmern ein Rollstuhlfahrer ist, könnte es höflicher sein, das anders zu formulieren. Wenn alles Rollstuhlfahrer sind, wird man vielleicht direkt ein anderes Wort als “Gehen” wählen. Deswegen muss man nicht allgemein “G-Wort” sagen.
Wenn ich Mitarbeiter in einer Frauenklinik bin und einen Transmann behandle, wäre ich ein Arschloch, wenn ich ihn so begrüße: “Für uns sind Sie aber eine Frau, ist das klar?” Ich werde, sofern ich empathisch bin, passende Worte wählen. (Wobei es gut sein kann, dass ein herzlicher Mensch mit null Ahnung von korrekter Sprache tausendmal fürsorglicher ist, als ein Fiesling, der das passende Vokabular beherrscht.) Ich werde auch mit älteren Herrschaften anders reden als mit jungen Leuten. Mit jemandem, der ängstlich wirkt, anders als mit einem Selbstbewussten.
"
Das Problem ist, dass die sprachpolizeilichen Vorgaben sich nicht auf solche differenzierten Situationen beziehen, sondern immer absolut gelten. Die bescheiden auftretenden Befürworter “gerechter” Sprache werden einwenden, mehr würden sie doch gar nicht fordern. Mag sein. Aber die Gruppendynamik, die sie entfesseln, stürzt sich auf neue zu tilgende Wörter wie ein Heuschreckenschwarm. Die Kunst ist, sich nicht auffressen zu lassen, und dabei weiterhin gegen Rassismus und Sexismus aufzustehen. Darum geht es nämlich eigentlich.

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SvG
SvG
1 Jahr zuvor

@ Autor: „Aber geistig und psychisch Behinderte liegen in der Gunst der Überkorrekten nicht so hoch im Kurs.“ Das setzte ja auch die Fähigkeit zur Selbstreflexion voraus.

Helmut Junge
Helmut Junge
1 Jahr zuvor

Wenn das Wort „Wort“ getilgt ist, hat sich die Sache endgültig erledigt.

Haax
Haax
1 Jahr zuvor

Der nächste Winkelzug ist nich gar nicht bedacht:
Was ist dann mit Personen, die durch Krankheit, Unfall oder sonstige Umstände ihren Uterus verloren haben. Die können dann weder menstruieren noch gebären. Und Frontloch? Was ist mit Personen, die zB darauf reduziert wurden und zB sexuellen Missbrauch erleben mussten? Ob die das dann gut finden, als „Loch“ tituliert zu werden? So lässt es sich immer weiter spinnen.

Helmut Junge
Helmut Junge
1 Jahr zuvor

„Das ändert trotzdem nichts an der Leidensgeschichte und dass es demütigend sein kann, als gefühlter Mann unter lauter Frauen auf einer Station zu liegen. Das Schmerzhafte ist nicht das Wort “Frau”, sondern der Umstand, eine Person zu sein, die menstruiert.“

Ich kenne keinen einzigen Mann, der ein Problem damit hätte, auf einer Frauenstation zu liegen. Das Gegenteil ist sogar sehr oft der Fall. Das ist vielen Männern sogar ein Wunschtraum. Jemand, der sich als Mann fühlt, sollte eigentlich ähnlich ticken. Sonst fühlt er sich m.M. eben genau nicht als Mann.

paule t.
paule t.
1 Jahr zuvor

Auch wenn ich nicht mit allen Schlussfolgerungen in diesem Artikel übereinstimme – es ist eine Wohltat, hier mal einen sachlichen, ruhig argumentierenden Artikel zu einem solchen Thema zu lesen, der die Intentionen hinter Sprachkritik, die sich gegen Diskriminierung richten will, anerkennt.

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