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Unter Piraten

20 Piraten ziehen in den neuen nordrhein-westfälischen Landtag ein. Die neuen Abgeordneten haben sich hohe Ziele gesetzt und wissen, dass in den ersten Monaten vor allem die Tücken des Alltags auf sie warten.  

Bis vor wenigen Tagen trafen sich im Sitzungssaal E1A 17 die Mitglieder der Fraktion der Linkspartei. Geschichte. Der Saal, von dem aus man einen schönen Blick auf den Rhein hat, gehört nun den Piraten. „Wir haben die Plakate der Linkspartei abgenommen“, sagt Joachim Paul, der Spitzenkandidat der Partei bei einer Rauchpause vor dem Landtag, „aber das war es dann schon. Die Räume der Linken, die wir wahrscheinlich beziehen werden, haben wir uns noch nicht angeschaut.“

Paul, der mittlerweile zum Vorsitzenden der Landtagsfraktion gewählt wurde, sagt, dass ihm die Mitarbeiter der Linken leid tun, die nun keinen Job mehr haben. Das hätte nichts mit der Politik der Partei zu tun, die er ablehnt, aber mit Anstand: „Wir wollen da nicht triumphierend einziehen. Das fände ich schäbig.“

Die anderen Piraten nicken.

Wie man sich als Landtagsabgeordneter fühlt? Kai Schmalenbach, bislang Vizechef der Partei: „Das ist noch gar nicht richtig angekommen. Das muss alles noch sacken.“ Bis Ende der vergangenen Woche haben die meisten der neuen Landtagsabgeordneten noch gearbeitet. Waren Systemadministratoren, Lehrer oder Angestellte. Die Vorbereitung auf den Landtag machten sie neben ihrer Arbeit an langen Abenden oder am Wochenende.

Die ersten Schlagzeilen, welche die Piraten gemacht haben, klangen nach kleinen Sensationen. Haufen voller Pizzaschachteln sollen sie im Landtag hinterlassen haben und es gäbe Streit um die Plätze im Plenum. „Nein,“ sagt Schmalenbach, „so war das nicht.“ Klar, sie wollen in der Mitte sitzen, weil sie sich weder als rechte noch als linke Partei verstehen und die Pizzaschachteln hätte man an der Stelle abgelegt, die zugewiesen wurde. Paul: „Wir sind von der Verwaltung mit offenen Armen empfangen worden. Ich habe so etwas freundliches im öffentlichen Dienst noch nie erlebt.“ Konflikte? „Nein.“

Es ist die fünfte Sitzung der künftigen Piratenfraktion. Bis auf einen sind alle gekommen, Hans Jørg Rohwedder fehlt entschuldigt. Alles beginnt ein wenig später, weil der Stream noch nicht steht und der Stream ist wichtig: Eine Kamera überträgt die gesamte Fraktionssitzung ins Internet. Wer will kann zuschauen und ein paar Dutzend machen das auch, obwohl die großen Debatten an diesem Montag nicht geführt werden. Es geht vor allem um Abläufe: Was passiert auf der konstituierende Sitzung des Landtags, wen schickt man in den Ältestenrat zu ihrer Vorbesprechung? Wer nimmt welche Einladung an? Zum NRW-Tag nach Detmold wurde die gesamte Fraktion von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft eingeladen, weil es noch keinen Fraktionsvorstand gibt. Partner, das ist schnell geklärt, dürfen nicht mitgenommen werden. „Aber Fahrer gehen…“ ruft Versammlungsleiter Daniel Düngel in die Runde und alle lachen. Einen Fahrer hat hier keiner. Und auch noch keinen Fraktionsvorstand, keine Fraktionsgeschäftsordnung, keine Fraktionsangestellten.

Ein Berater soll helfen, Mitarbeiter zu finden, zwei Pressereferenten schnell eingestellt werden. Einen Presssprecher will man noch nicht: Joachim Paul: „Brauchen wir einen? Sollen wir uns den leisten? Ein Pressesprecher ist teuer und unser Charme geht verloren. Noch sagen wir ehrlich, wenn wir was nicht wissen. Ein Presssprecher kennt auf alles eine Antwort.“

Paul schlägt stattdessen vor, darüber nachzudenken, die Stelle eines Bürgerreferenten einzurichten, an den sich alle in NRW mit Fragen und Anregungen wenden können.

Die 20 Piraten haben vor allem ein Ziel: Keine Fehler zu machen. Verstößt es gegen die Trennung von Partei und Fraktion wenn man auf dem Blog der Fraktion über die Arbeit im Wahlkreis schreibt?  Will man einen Vizepräsidenten? Nach kurzer Diskussion wird klar: Die Piraten  wollen einen. Gewählt wird Sitzungsleiter Düngel.

Politik? Findet an diesem Tag noch nicht statt. Die Piraten ertasten das neue Terrain. Vor der Sommerpause, das haben sie mittlerweile mitbekommen, wird ohnehin inhaltlich nicht mehr viel passieren. Die Ausschüsse werden erst danach richtig mit der Arbeit beginnen.

Und über das was dann kommt, haben die Piraten ihre eigenen Vorstellungen, die schnell an der Wirklichkeit zerbrechen könnten. Simone Brand, eine von drei Piratinnen in der Fraktion, hofft auf eine Arbeit im Parlament die ziemlich nah an dem sein dürfte, was sich die Erfinder dieser Institution ursprünglich einmal vorgestellt haben: „Mir haben andere Landtagsabgeordnete gesagt, dass die zwei Jahre während der Minderheitsregierung die besten des Landtags waren, weil über die Fraktionsgrenzen hinweg diskutiert wurde.“ Brand will, wie die anderen Piraten auch, keine Fundamentalopposition machen. Gesetze der rot-grünen Mehrheit sollen, so sie die Piraten gut finden ebenso unterstützt werden wie Initiativen von CDU und FDP. „Und natürlich wollen wir die anderen mit unsere Vorschlägen auch überzeugen.“ Von der neuen Kultur des Landtags schwärmten am Wahlabend auch die Fraktionschefs von SPD und Grünen, Norbert Römer und Reiner Priggen in einem gemeinsamen Interview. Die kommenden Jahre werden zeigen, was sich davon im Parlamentsalltag einer mit stattlicher Mehrheit ausgestatteten Regierung halten wird.

Brand will sich vor allem um den Verbraucherschutz kümmern und sieht den von Umwelt-, Landwirtschafts- und Verbraucherschutzminister Johannes Remmel stiefmütterlich behandelt. Und natürlich Innenpolitik.

Für Paul ist Transparenz das Querschnittsthema, das sich durch alle Politikbereiche durchzieht. „Weitere Schwerpunkte werden für uns die Finanz-, Haushaltspolitik, Datenschutz und Bürgerbeteiligung sein.“ Die starren Grenzen zwischen den Ausschüssen, die sich traditionell am Zuschnitt der Ministerien orientieren, sollen durch Arbeitsgruppen innerhalb der Fraktion aufgebrochen werden: „Energie und Wirtschaft sind ein Ausschuss, Umwelt ein anderer. Wir wollen das unsere Leute über die Grenzen der Ausschüsse zusammen arbeiten und sich so gegenseitig befruchten.“ Datenschutz soll auch in der Bildungspolitik ein wichtiges Thema werden: „Es kann nicht sein, dass Daten von Schülern, die E-Books verwenden, an Verlage weitergeleitet werden.“

Mit einem anderen haben Paul und die Piraten sogar beste Aussichten, die Herzen der rot-grünen Landesregierung zu erobern: „Wir wollen das Schluss ist mit dem Ausverkauf des Tafelsilbers der Städte und sind gegen weitere Verlagerungen von staatlichen  Aufgaben an Private.“

Das sehen SPD und Grüne bekanntlich ebenso und werden sich über die neuen Mitstreiter für mehr Staat vor  Privat im Landtag freuen.

Der Artikel erschien in ähnlicher Form bereits in der Welt am Sonntag

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Hanno
Hanno
11 Jahre zuvor

Wie schön! Und wie vernünftig die sind. Weder rechts noch links (!), keine Fahrer, Pizzaschachteln. Alle sind nett. Die rauchen sogar! Und dass sie noch keinen Presseprecher haben, macht ja nun wirklich nix, solange Artikel wie dieser hier erscheinen.

Andrea "V"
Andrea "V"
11 Jahre zuvor

naja, lass die mal machen, schlimmer als SPD/CDU/GRÜNE und die Giftpilze kann es ja nicht werden..

Ulli
Ulli
11 Jahre zuvor

finde besonders gut, dass sach- und nicht parteibezogen entschieden wird.

Jenner
Jenner
11 Jahre zuvor

Wär schön, wenn die Ruhrbarone am Ball bleiben und öfters darüber berichten könnten ?

TuxDerPinguin
TuxDerPinguin
11 Jahre zuvor

Nein, bitte bloß nicht.
Wenn, dann über alle Parteien. Dann wärs gut.
Aber Internet is schon voll genug von Piraten-Artikeln, weils hohe Klickzahlen und Kommentare bringt…
oh mist… jetz hab ich solche Artikel auch noch angepriesen…

Hans-Dampf
Hans-Dampf
11 Jahre zuvor

#3 Genau Ulli, Piraten kennen keine Parteien sondern nur noch Sachargumente.

Mit dieser Denke können sich LobbystInnen und andere interessengebundene ExpertInnen wenigstens besser durchsetzen.

Ich wünsche allen Piraten(wählerInnen) ein paar Grundkurse in Politikwissenschaften…Nur damit sie einmal wissen, wovon sie reden.

Spider
Spider
11 Jahre zuvor

@Hans Dampf

Wenn man sich auf Sachargumente anstatt Parteipolitik beschränkt hätte, hätte es wohl keine
vorgezogenen Neuwahlen gegeben. Vermutlich hätte es auch gereicht, die Parteipolitik zu vergessen.

Die Kosten dieser Neuwahl sind durch die Überhangmandate übrigens nochmal gestiegen, da jetzt mehr Abgeordnete bezahlt werden müssen.

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