A local Hero´s Diary I: Drei Akkorde weiter

Unser Gastautor Carsten Marc Pfeffer berichtet wie seine Local Hero Woche in Bochum gelaufen ist.

Montag, 12. Juli Die Woche der Local Heroes beginnt mit einem Kaffee, einer Selbstgedrehten und der druckfrischen Tageszeitung. Tommyboy hat die Bochumer Kultur mit Dieter Gorny aufgemacht. Die Kreativwirtschaft und die temporäre architektonische Intervention in der Baulücke (t.a.i.b.), kurz: „die Neubausituation City-Tor-Süd“ – wie immer flockig runtergeschrieben. Darunter folgt ein Artikel von mir. „Tenöre wie im Klangteppich verwoben.“ Ich hatte versucht für das Unsagbare in einer Komposition Krzysztof Pendereckis synästhetische Bilder zu finden. Von „pseudointellektuell“ bis „geht gar nicht“, verspotteten mich meine Kritiker. Aus Angst vor einer noch größeren Blamage hatte Tommyboy in meinem Artikel sämtliche Assoziationen relativiert. Daher sind die Tenöre nun auch „wie“ im Klangteppich verwoben. Eine Ungeheuerlichkeit. Ich lege die Zeitung beiseite, koche neuen Kaffee und dreh mir eine weitere Zigarette. Heute geht es zur Konkurrenz.

Die Produktion der Bochumer Stadt- und Studierendenzeitung könnte an diesem Montag nicht enervierender sein. Das Philosophische Institut an der Ruhr-Universität soll aufgeteilt werden. Ein Skandal!, wettert der Mittelbau. Vom Ende der Geisteswissenschaften wird gesprochen. An allem sei nur der Rektor schuld. Persönlich zitiert werden möchte aber keiner. Da ist man als Journalist machtlos. Ich plädiere dafür, weiter an der Gerüchteschraube zu drehen, um das Thema aufzublasen. Zum wiederholten Male werde ich an diesem Morgen als „Spinner“ bezeichnet. Mein Artikel über die wieder erhältlichen Memoiren Tana Schanzaras wird hingegen wohlwollend aufgenommen. Es ist schon eine besondere Ehre, Mitglied der „ältesten kontinuierlich erscheinenden Studierendenzeitung im deutschsprachigen Raum“ (so der offizielle Titel auf Wikipedia) sein zu dürfen. Ich mag auch das Gender-Gap. Ich finde das alles super.
Gegen Mittag wird der Kater unerträglich. Warum musste ich auch bei Helmut und Marita wieder mit den Rabauken bechern? WM-Finale oder nicht, meine Bauspeicheldrüse gibt Pfötchen. Ab heute werde ich mich vegetarisch ernähren, versprochen. Ich entscheide mich in der Mensa für Tofu mit Mozzarella und Brunnenkressesauce. Dr. Schröder tut es mir gleich. Wieder viel zu heiß heute, aber ein Gewitter zieht auf. So, so. Noch Seite 4 setzen und ein letztes Mal Korrektur lesen, dann wird es Zeit für den Feierabend. Die Online-Redaktion muss heute ohne mich auskommen. „Kommt jemand Freitag zu meinem Gig mit Boris Gott?“ – „Vielleicht.“

Habitus des Disparaten

In der U35 gerate ich ins Grübeln. Seit drei Wochen lasse ich mir einen Bart wachsen. Warum? Ich weiß es nicht, aber irgendetwas sagt mir, dass ich mich gegenwärtig in meiner persönlichen Bart-Phase befinde. Ich sehe die Musiker der Prog-Rock-Phase der 70er vor mir. Alle mit Bart. Sie lachen so dionysisch und sind dabei ganz versunken in den Flow ihrer ekstatischen Musik. Aber was hat das mit mir zu tun? Nullkommanix. Ein Bart juckt, man schwitzt mehr und der Habitus verirrt sich im Disparaten. Doch was noch schlimmer ist: mir wächst überhaupt kein richtiger Bart. Die Härchen sind viel zu weich und wie sie sich auf meiner Backe kräuseln, sehen sie eher aus wie Schamhaar. Das irritiert nicht nur mich. Wobei festgestellt werden muss, dass die Frauen in meiner unmittelbaren Umgebung mitleidender auf mich reagieren, die Männer hingegen aggressiver. Ein Dilemma. Aber ich sollte nicht über so einen Scheiß nachdenken, sondern mich um meine Songs kümmern.

Auch in der Wohnung ist es viel zu heiß. Das Gewitter hatte nur für eine vorübergehende Abkühlung gesorgt. Nun ist alles sumpfig. Mein T-Shirt hat sich vom Brustbein aus mit Schweiß vollgesogen und klebt nun beengend an meiner Haut. Runter damit. Ich bin zuhaus. „Kratze den Mann aus dir raus. Verrate die Länder der Väter. Keine Arme, keine Beine, keine Ohren – nur Gefieder“, schallt es aus der Anlage. Ich weiß noch, wie ich zum ersten Mal eine Pressemeldung über Hans Unstern gemailt bekam. Wegen des Namens „Unstern“ hatte ich gedacht, es würde sich um irgend so ein überflüssiges Gothic-Projekt handeln und die Mail ungelesen in den Papierkorb befördert. Als ich Unsterns Debüt dann zu hören bekam, schämte ich mich schrecklich. Heute zählt Hans zu den treuesten Copiloten meiner Tagtraumreisen. Aber zu viel Fremdeinfluss ist natürlich auch nicht gut, wenn die eigenen Songs noch nicht fertig sind. Immerhin ist Freitag bereits der Auftritt.

So geht es nun schon seit vielen Jahren. Zu Bochum Total spiele ich ein kleines Liedermacher-Set im Zacher in der Brüderstraße. Stets ist es mir ein Pläsir. Besonders weil das Ganze so unambitioniert daherkommt. Im Frühling schreibe ich ein paar Songs und im Sommer trage ich sie auf dem Festival vor. Vielleicht folgt im Herbst noch ein weiterer Gig in einer Szenekneipe meiner Wahl, aber im Winter kommt die Gitarre ganz sicher wieder auf den Dachboden. Mehr nicht. Einmal begleitet mich ein Pianist von der Folkwangschule, ein andermal ein Gitarrist aus der lokalen Punk-Band. Mehr braucht es nicht zum Glücklichsein. Und jedes Jahr tun es mir mehr Musiker und Kleinkünstler aus Bochum gleich. Man darf getrost behaupten, dass ich das Off-Programm des Festivals erfunden habe. Das besondere an 2010 ist, dass Bochum Total in diesem Jahr in die Local-Heroes-Woche eingebunden worden ist, wegen Kulturhauptstadt und so. Und irgendwie spricht mich das an. Irgendwie freut mich das, denn ich bin gerne unter Freunden. Doch bin ich kein Freund von Patriotismus, worunter gemeinhin auch der Lokalpatriotismus fällt. Ich lebe hier gerne, wenn es multikulturell, kreativ und unabhängig zugeht. Aber ich habe nicht das Gefühl, hier wirklich verwurzelt zu sein. Doch was hatte ich über die Lieder von Tana Schanzara geschrieben? „Das ist der Sound von Ürdinger und Bierschaum, von Lohntüten und Schrebergartenidyll. Diese Lieder waren wichtig für die kulturelle Identifikationsleistung der Bewohner_innen einer Dorfgemeinschaft namens Ruhrgebiet. Sie sind die Leuchtpfade hin zu einer Kulturmetropole.“ – Da hatte mich wohl wieder der Pathosteufel geritten. Aber vielleicht könnte es so gehen. Letztendlich müssen die Lieder darüber entscheiden. Die Lieder und der Einsatz. Also ran an die Arbeit.

Die Aufhebung der Ökonomie

Die neuen Songs sind in diesem Sommer sehr ausdrucksstark geworden. Der Einfluss von Gisbert zu Knyphausen ließ die früheren Einflüsse von Tom Liwa oder sogar Götz Wiedmann zurücktreten. Keine Frivolitäten mehr! Nur noch ein verzweifelter Schrei nach Liebe. Hören wir doch endlich auf damit, so zu tun, als hätte es Ulla Meinecke und Stefan Sulke nie gegeben. Die Verschichtungen fließen, und ich jedenfalls will mich nur noch verschenken. Ich will auch keine Gage. Lediglich eine zarte Aufhebung der Ökonomie.

Die Probe: schwitzend auf dem Bett. Sechs Stunden später sind die Finger wund gespielt und meine Stimme ist nur noch ein schmerzhaftes Kratzen. Von nun an werde ich jede Stunde eine Ipalat-Halspastille einnehmen und versuchen, mich abzulenken. Was schwierig ist, wenn man das Pony erst mal wachgerüttelt hat. Alles ist jetzt Schall und Rhythmus, hat eine Eigendynamik entwickelt, lässt mich nicht zu Ruhe kommen. Alles schreit nach einem Drink.

Tommyboy ruft an und wir lassen den Tag im Zacher ausklingen. Es ist eine wundervolle friedliche Nacht. Selbst das Klima ist nun erträglich geworden. Vom Bahnhof aus trotten junge Menschen mit ihren Koffern Richtung Jugendherberge. Sambuca oder Grasovka? Wir nehmen einen. Nach zwei weiteren gesellen sich die Mädchen zu uns. Wir scherzen und trinken und planen einen Ausflug an den Silbersee in Haltern. Ich bestelle mir ein Kotelett – aber nur wegen der sagenhaften Panade, wie ich versichere. Dann beginne ich mit Tommyboy über die theoretischen Vorzüge Robert Connells gegenüber Judith Buttler zu streiten. Gerade war es noch Mitternacht, nun ist es schon halb drei. Ein bisschen Schlaf sollte schon sein, immerhin gibt es bis Freitag noch viel zu tun.

Größte deutsche Banane vor dem Aussterben?

Hamborn liegt im Duisburger Norden und dort gibt es, direkt an der A 42, in Sichtweite der IKEA, einen hundertjährigen Botanischen Garten mit einem Tropenhaus. Von unserem Gastautoren Helmut Junge

Das Tropenhaus selbst ist nur etwa 40 Jahre alt, und ist wegen der Finanzkrise der Stadt Duisburg, und den, laut Umweltdezernenten Peter Greulich, viel zu hohen Renovierungs- beziehungsweise Unterhaltskosten stark Schließungsgefährdet. Zwar gibt es einen Ratsbeschluss vom März dieses Jahres, der dieses Tropenhaus als erhaltenswert betrachtet, aber die Stadt Duisburg kann längst nicht mehr souverän über ihren Haushalt entscheiden und am 7. Juli gibt es ein Gespräch mit dem Regierungspräsidenten, wobei dieser noch einmal mit darüber entscheidet, was die Stadt Duisburg mit ihrem Geld tun darf, und was sie nicht damit tun darf.
Kürzlich hat der Umweltdezernent Dr. Peter Greulich in einem Interview mit der WAZ die Heiz-und Personalkosten als unverhältnismäßig hoch, gegenüber dem Nutzen für die Bürger bezeichnet. Er hätte in der Vergangenheit die Örtlichkeit häufiger besichtigt, aber niemals einen Besucher angetroffen. Angesichts der geringen Resonanz müsste ernsthaft über den Erhalt des Tropenhauses nachgedacht werden, zumal das Dach, wie er sagte „abgängig“ sei. Die WAZ Duisburg-Nord schrieb vor ein paar Tagen einen Artikel darüber, der allerdings nur im kleinen Lokalteil DU-Nord zu lesen war!

Nun ist es in der Tat so, dass dieser botanischen Garten kaum über die Grenzen Hamborn hinaus bekannt ist! Aber daß das Tropenhaus gar nicht frequentiert wird, das stimmt nach meinem eigenen Beobachtungen nicht, denn in den 20 Minuten, in denen ich heute meine Fotos geschossen habe, waren außer mir noch vier Besucher gleichzeitig dort. Aufs ganze Jahr hochgerechnet würde das bedeuten, dass etwa jeder Hamborner Bürger einmal im Jahr das Tropenhaus besichtigt.

Ich halte das für eine akzeptable Resonanz, denke aber, da ist tatsächlich noch einiges an Werbung zu leisten. Dazu kommt noch, daß sich die Bevölkerungszusammensetzung in den letzten Jahrzehnten durch den Zuzug von Menschen aus dem mediterranen Ländern stark verändert hat.
Bei diesen Neubürgern ist nach meiner Beobachtung noch nicht so viel Symphatie für eine Dschungelatmosphäre gewachsen.
Diese Bevölkerungsgruppen wären aber sicher interessiert an Pflanzen, die aus ihrer Heimat stammen. Da wäre eine Sonderausstellung mediteraner Pflanzen sicher keine schlechte Werbeidee.

Nebenbei bin überzeugt davon, dass dieses Tropenhaus eine Attraktion auch für die Bewohner der Nachbarstädte werden könnte. Aber nicht mal im nur wenige Kilometer entfernten Oberhausen weiß jemand, daß dort einige echt attraktive Raritäten zu besichtigen sind.

Da ist also insgesamt, tatsächlich noch einiges an Werbung zu leisten.
Was gibt es denn da zu sehen?
Dort stehen die größten Bananenpflanzen Deutschlands, und die größte deutsche Banane trägt zur Zeit Früchte!
Dort steht ein 8 Meter hoher Ficus, und unzählige mittelgroße und kleinere Pflanzen erzeugen den Eindruck, dass sich der Besucher in einem fantastischen Tropenwald befindet.
Das Haus verfügt über riesige Sortenvielfalt von Fuchsien, vielleicht die größte im großen Umkreis. Die Vegetation im Inneren des Tropenhauses ist also bemerkenswert, und läßt sich, falls das Tropenhaus abgerissen würde, nicht mehr wiederherstellen.
Wie stehen die politischen Parteien in Duisburg dazu?
SPD und CDU haben jeweils bereits mit interessierten Bürgern Ortsbesichtigungen durchgeführt. Auf telefonische Nachfrage hat mir für die Duisburger Grünen deren Fraktionsgeschäftsführer Ralf Krumpholz gesagt, dass seine Fraktion im März für den Erhalt des Tropenhauses gestimmt hätte, und diese Beschlußlage noch gilt.
Die Position der Duisburger Linkspartei zu erfragen war etwas schwieriger, weil deren Geschäftsstelle erst nicht besetzt war und ich dann über die Telefonnummer der Ortsgruppe Hamborn deren Fraktionsvorsitzenden Hermann Dierkes persönlich am Apparat hatte. Der war grad nicht in Sachen Weltpolitik unterwegs, und erklärte mir, daß die Linkspartei das Konzept der Stadtverwaltung zur Stilllegung des Tropenhauses abgelehnt hat, und sich auch in Zukunft für den Erhalt dieses Tropenhaus einsetzen will. Der Regierungspräsident könnte seiner Meinung nach aber im Juli den gesamten Haushaltsentwurf der Stadt Duisburg noch kippen.

Ausblick: Das Tropenhaus ist technisch intakt, und könnte nach Ausbessern von ein paar Dachscheiben noch 20 Jahre ohne größere Kosten eine überregionale Bedeutung bekommen, wenn etwas Phantasie in zusätzliche Events gesteckt würde. Sonderausstellungen z.B. zur mediterranen Pflanzenwelt, oder attraktive Einzelpflanzen einfügen.
Also Werbung machen. Dann kann man vielleicht sogar Eintrittskarten verkaufen, denn bisher ist der Besuch kostenlos.

Ein Hamas Helfer zu Gast bei Freunden – Norman Paech an der Uni Duisburg-Essen

Norman Paech und Lothar Zechlin Foto: Thomas Rodenbücher/Xtranews

Eigentlich sollte man meinen, dass es sich selbst in den schäbigsten Ecken der BRD rumgesprochen hat, dass es sich bei Prof. Dr. Norman Paech um einen schieren Ideologen, einen eingefleischten Israelhasser handelt, mitnichten jedoch um einen netten emeritierten Völkerrechtler, der sich allein der methodischen Suche nach neuen Erkenntnissen verschrieben hat.

Von unserem Gastautor Sebastian Mohr

Paech, selbsternannter Völkerrechtsexperte und bis 2009 außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Linkspartei und seit drei Wochen als authentische Stimme des Free- Gaza Movement in den deutschen Medien unterwegs, vergleicht schon seit Jahren das Vorgehen des israelischen Militärs mit Nazimethoden, empfiehlt die Hamas als Dialogpartner und stellt Israel als einen Fremdkörper im Nahen Osten dar. Juden in der Westbank sind für ihn keine Zivilisten und daher sei der bewaffnete Kampf gegen sie eine völkerrechtliche Notwehr. Auch gebe es keinen Antisemitismus im Nahen Osten und der Terror der Hamas und Hisbollah sei lediglich reaktive Gewalt gegen israelische Aggressoren. Seit seiner Ausflugsreise gen Gaza auf dem Flaggschiff der Gaza Flottille, weiß man nun auch, dass er keine Berührungsängste mit Islamisten und türkischen Faschisten hat, wenn zur Feindfahrt gegen Israel aufgerufen wird.

Trotz oder gerade wegen dieser Obsession erhielt Paech am gestrigen Abend eine weitere Möglichkeit seinen Sermon bezüglich der jüdischen Nation loszuwerden. Diesmal jedoch nicht in einer ranzigen Kabache eines x-beliebigen Ortsverbandes der Linken, sondern in einem eigens dafür hergerichteten Kolloquium, an der Universität Duisburg Essen. Eingeladen hatten ihn Prof. Dr. Zechlin, ehemaliger Rektor der Universität Duisburg Essen sowie langjähriger Freund des hauptberuflichen Israelkritikers, in Zusammenarbeit mit dem Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) und dem Lehrstuhl Prof. Dr. Debiel.

Das Thema seines Gastvortrages lautete schlicht „Völkerrechtliche Fragen des Israel/Palästina Konfliktes“ und rief zwangsläufig jene Gestalten an den Duisburger Campus, die sich seit Jahren in unterschiedlicher Intensität, der Sonderbehandlung Israels verschrieben haben.
Unter den rund fünfzig Anwesenden machten Paechs linke Adepten eindeutig die Mehrheit aus. Namentlich handelte es sich dabei um Genossen der Roten Antifa, dem Initiativ e.V., der Roten Hilfe und der Jugendorganisation der MLKP.

Selbstredend waren auch der Vorsitzende der hiesigen Regionalgruppe der deutsch-palästinensischen Gesellschaft (DPG) und Angestellter des Duisburger Umweltamtes Dr. Ribhi Yousef anwesend, sowie Murat Yilmaztürk, Vorsitzender des vom Verfassungsschutz beobachteten Human Dignity and Right e.V.(HDR). Alles in einem, eine sachkundige Gemeinschaft von aufrichtigen Friedensfreunden.

Annähernd eine Stunde nahm Paech nun sein Auditorium an die Hand und begleitete es hinüber in das paechsche Paralleluniversum. So erfuhr man dort, dass Israels Bedrohung einzig und allein aus seinem Inneren herrühre, kein arabisches Volk es jemals bedroht habe und das schließlich jegliche Aggression im Nahen Osten – man ahnte es schon – von Israel ausgehe. Da überrascht es auch nicht, wenn er über ethnische Säuberungen fabuliert, die momentan in Israel durchgeführt werden. Befeuert durch zustimmendes Gemurmel und jauchzenden Wortfetzen, entblödete Paech sich ebenfalls nicht Katajun Amirpurs historisches Vermächtnis zu reanimieren, in dem er Ahmadinejads Vernichtungsdrohungen gegenüber Israel als einen schlichten Übersetzungsfehler darstellte. Ein Fehler, den Israel und die USA zu verantworten haben und – so raunt es in den paechschen Weiten – den nächsten Waffengang gegenüber dem Iran einleiten soll. Ergo war es ein Heimspiel für den verhinderten Märtyrer und Menschenfreund aus Hamburg und gleichzeitig langersehnter Balsam für ein linkes Konglomerat, was doch in letzter Zeit so sehr unter der Knute der zionistischen, respektive antideutschen Lobby zu leiden hatte. Eben eine Gesinnungstankstelle zum Nulltarif mit universitärem Kolorit.

Das diese Veranstaltung bereits im Vorfeld in den Gesellschaftswissenschaften der Universität Duisburg Essen auf Desinteresse oder gar Wohlwollen traf, sollte eigentlich nicht verwundern, reden wir hier doch über einen akademischen Betrieb, noch dazu in Duisburg, jene Stadt der Boykottwillige und Wohnungsstürmer , in der ebenfalls Massenveranstaltungen von Islamiste niemanden mehr aufzuschrecken vermögen. Lediglich einzelne Studierende waren es, die Paechs Auftreten an einer Universität für inakzeptabel hielten und es im Verbund mit der liberalen Hochschulgruppe vermochten, eine erste Veranstaltung zu unterbinden, so dass Paech und seine Fürsprecher mit einem Kolloquium, statt einer regulären Vorlesung vorlieb nehmen mussten.

Paechs unsägliche Aussagen, seine Delegitimierungsversuche und seine fortwährende Dämonisierung Israels sowie seine offene Zusammenarbeit mit Djihadisten und Faschisten vor Gaza, ließen im besagten Lehrbetrieb jedoch keinen Zweifel an seinen Eigenschaften als Nah-Ost und Völkerrechtsexperten aufkommen, noch regte sich dort Protest hinsichtlich seines Gastvortrages. Im Gegenteil, stellte sich ein Teil des Instituts unverblümt hinter das gestrige Kolloquium.

Diese Ignoranz im akademischen Überbau, spiegelte sich derweilen auch am Bodensatz des ansässigen akademischen Betriebs wieder, in der sogenannten Interessensvertretung der Studierenden im sozialwissenschaftlichen Milieu, dem Fachschaftsrat der Sozialwissenschaften, deren Mitglieder sich sonst im Kampf gegen Ungerechtigkeiten aller Art hervortun. Da wird gerne zum Boykott von Studiengebühren aufgerufen oder ganze Hörsäle tagelang besetzt, aber wenn es darum geht Kritik an einer Veranstaltung eines Hamas Freundes und Kriegstreibers zu äußern, verlässt man sich doch lieber auf die Fachkompetenz und Integrität des ehemaligen Rektors der Universität DUE, respektive Prof. Dr. Zechlins. Jenem, dem man noch vor gut fünf Jahren das Büro zertrümmern wollte, weil man nicht willens war, Studiengebühren zu zahlen.

Wie sich die Zeiten ändern können, oder doch eher nur das Sujet des Anstoßes? Sich gegen den Auftritt eines lupenreinen Antisemiten zu positionieren sollte ein Leichtes sein, doch nicht so in Duisburg. Hier gilt bis auf weiteres: Für das uneingeschränkte Recht auf Israel-Kritik und für die bedingungslose Redefreiheit von Hamas-Helfern und Antisemiten, im Stadtrat, in städtischen Einrichtungen und im universitären Betrieb sowieso.

Der Autor ist Mitglied im Bündnis gegen Antisemitismus Duisburg

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Die Initiative Nachrichtenaufklärung holt vergessene Themen ans Licht

Medien lieben Kriege. Von A wie Afghanistan bis Z wie Zagreb – militärische Intervention sind immer ein dankbares Thema, schließlich lassen Tote, Trümmer und Traumata die Einschaltquoten und Auflagenzahlen in die Höhe schnellen. Dass es alternativ auch erfolgreiche zivile Konfliktlösungen gibt – wie beispielsweise beim Nepal-Konflikt und bei der Loslösung der baltischen Staaten von der Sowjetunion – wird in den Medien gerne klein gehalten. Friedliche Lösungen verkaufen sich nicht gut. Von unserer Gastautorin Malina Opitz

Eine solch einseitige oder lückenhafte Berichterstattung kann ein Fall für die Initiative Nachrichtenaufklärung (INA) sein, die auch das Thema „zivile Friedensstrategien“ publik machte. Die Initiative wurde 1997 vom Medienwissenschaftler Peter Ludes nach dem US-amerikanischen Vorbild „Project Censored“ gegründet und ermittelt jedes Frühjahr eine Top-Ten, der in den Medien am meisten vernachlässigten Themen. Auf die Liste schafften es dieses Jahr auch: „Die rechtswidrige Anwendung von Polizeigewalt“, „Lücken bei der Finanzaufsicht bei Kirchen“, „Patente auf menschliche Gene und Gensequenzen“ und an erster Stelle „Notstand im Krankenhaus: Pflegebedürftige allein gelassen.“

Zuvor waren rund 150 Vorschläge aus der Bevölkerung eingegangen. In Uni-Seminaren wurden sie auf Relevanz und Vernachlässigung geprüft und anschließend einer Jury aus Wissenschaftler und Journalisten vorgelegt. „Unsere Top Ten sind fast immer komplexe und rechercheintensive Themen ohne aktuellen Anlass“, sagt Miriam Bunjes, die das Rechercheseminar an der TU Dortmund leitet. Im journalistischen Alltag fehle schließlich oft die Zeit für aufwendige Recherchen neben dem Tagesgeschäft. „Wir machen das bekannt, was nicht laut aufschreit. Der aktuellen Top 1 – zur widrigen Situation von Pflegebedürftigen in Krankenhäuser – fehlte offenbar eine Lobby mit Einfluss: Obwohl es ein halbe Million Menschen betrifft, haben die deutschen Medienvertreter das Thema übersehen.“ Nach der Veröffentlichung habe es viele Journalistenanfragen gegeben. Das sei enorm wichtig, damit die Themen nicht sogleich wieder in der Versenkung verschwänden.

Jeder kann Themen einreichen…Hier

Der kretische Pope

Blick auf die Bucht von Matala mit den berühmten Höhlen

Wir waren zum ersten Mal auf Kreta. So ein paar alte Traditionen zu entdecken, hatten wir schon gehofft, schließlich hatten wir ja mal, lang, lang ist`s her, Alexis Sorbas gesehen und dachten, dass sich dort auf der Insel vielleicht doch noch etwas an Tradition erhalten hat. Von unserem Gastautor Helmut Junge

Aber selbst die ländliche Bevölkerung hat sich mittlerweile längst der modernen Zeit angepasst, und so ist uns außer ein paar schwarz gekleideten, sehr alten Frauen, die am Straßenrand Apfelsinen verkauften, zumindest optisch kein traditionelles Element aufgefallen. Die jungen Frauen und die jungen Männer jedenfalls waren nicht anders gekleidet als die, die wir üblicherweise in Deutschland antreffen. Alle sprechen Englisch und viele sogar Deutsch und sind sehr nett, besonders zu uns Deutschen. In den Städten gibt es Internet Cafés, so dass ich dort sogar die Diskussionen bei den Ruhrbaronen verfolgen konnte. Witzigerweise las ich dort sogar den Ruhrbaroneartikel über Südkreta. Es hat also zeitgleich mindestens zwei Ruhrbarone-Leser auf Kreta gegeben. Obwohl also rein äußerlich für einen flüchtigen Besucher nichts von der alten Tradition zu erkennen ist, hat es doch ein Erlebnis gegeben, dass ich in dieser Form nicht erwartet hätte.
Und das war ein kluger religiöser Schachzug.

Als wir eines morgens auf der Treppe in unserem Hotel in Rethrymno standen und Richtung Rezeption gingen, hörten wir die laute Stimme eines Priesters, der eine religiöse Zeremonie abhielt. Die Priester der griechisch orthodoxen Kirche werden allgemein Popen genannt. Sie gehören auf Kreta zum normalen Straßenbild und haben immer einen schwarzen Kittel an und tragen einen Zopf am Hinterkopf, dürfen aber im Gegensatz zur katholischen Priestern heiraten, denn die Trennung der beiden christlichen Kirchen erfolgte schon lange vor der Einführung des Zölibats.

Natürlich wunderten wir uns darüber, dort im Hotel einen Popen zu hören, und als wir näher kamen, konnten wir durch eine halb geöffnete Bürotür sehen, dass dort zwei oder drei Leute standen, und der Stimme dieses Popen lauschten. Den Popen selber konnten wir nicht sehen, hatten auch keine Ahnung, um was es bei dieser Aktion ging. In der Rezeption selbst war niemand anwesend. Wir legten unseren Zimmerschlüssel auf die Theke und machten, wie geplant, unseren Tagesausflug. Nachmittags kamen wir zurück und holten unseren Zimmerschlüssel in der Rezeption ab. Bei solchen Gelegenheiten machten wir mit der Dame an der Rezeption meistens einen kurzen Smalltalk. So auch diesmal. Dabei fiel mir wieder der Pope vom Vormittag ein. Wir fragten sie, ob sie wüsste, was der Priester am Morgen veranstaltet hätte. Ja, sie wusste es, schmunzelte , und erzählte uns, dass dieser Priester wegen ihrer Tochter da gewesen sei. Ihre Tochter hätte vor einigen Tagen ein Baby bekommen, und es wäre Tradition, dass eine Mutter bei so einer Gelegenheit, nach altem orthodoxen Ritus 40 Tage lang bei dem Kind bleiben müsste, und dabei die Öffentlichkeit zu meiden hätte.

Jetzt seien bei ihrer Tochter erst 12 Tage vergangen, aber ihre Tochter fühle sich erholt, und hätte zudem noch das Glück, dass sie ihr Kind bei ihrer Schwiegermutter gut versorgt unterbringen könnte. Außerdem wäre sie für ihren Arbeitgeber wichtig, so dass sie nicht so lange fehlen wollte. Beim Nachdenken über eine Lösung für dieses Problem, sei ihr der Gedanke gekommen, einen Priester zu engagieren, der durch eine religiöse Fürsprache bewirkt, dass ihre Tochter von dieser traditionellen religiösen 40 Tage Regel befreit wird. Der Priester sei praktischerweise in ihr Hotel gekommen, hätte das nun gemacht, und so könnte ihre Tochter unbesorgt in die Öffentlichkeit, und sogar wieder arbeiten gehen. Dabei lächelte sie verschmitzt, und wir hatten das Gefühl, dass sie sich freute, mit diesem Trick dem lieben Gott ein Schnippchen geschlagen zu haben.

Kreative in die Industrie!

Während das Ruhrgebiet noch auf die Kreativwirtschaft setzt ist man in Berlin schon weiter: Industrie soll her. Doch auch die Hauptstadt hat ausser bunten Broschüren nicht viel zu bieten. Von unserem Gastautor Frank Muschalle. Frank betreibt das Blog Frontmotor, stammt aus dem Ruhrgebiet und lebt und arbeitet in Berlin.

Wer ist kreativ?
Ich kenne etliche Anhänger von Richard Floridas These, dass die Zukunft den Kreativen gehört. Aber ich kenne keinen Manager oder Politiker, der sie in Deutschland mal in größerem Stil richtig umgesetzt hätte. Geht es um „Kreative“, fühle ich mich auch als Ingenieur angesprochen. Ich habe an der Entwicklung von StartStop-Automatiken und Hybridantrieben mitgearbeitet. Ich habe Wettbewerbe für Konzerngeschäftsideen und Hauptstadtphotographien gewonnen. Ich weiß, wovon ich rede, wenn ich sage: Kreativität wird in der Industrie nicht wirklich wertgeschätzt. Das „Management“ von Kreativen, bzw. das Verwerten ihrer Leistungen, schon eher. Ich habe schon länger den großen Plan in der Tasche, um irgendwann den Absprung zu machen. Aber irgendetwas hält mich davon ab.

Richard Floridas Leistung liegt meiner Meinung nach darin, zu erkennen, wie wichtig der Modus ist, in dem Kreative arbeiten. Welches die Bedingungen sind, die sie für attraktiv halten. Aber auch unter welchen Bedingungen, aus Kreativen ein Big Business werden kann. Kreativ sind in diesem Zusammenhang alle, die Werke schaffen, die durch ein gewerbliches Schutzrecht schützbar sind, also Texte, Grafiken, Filme, Fotos, Musik, technische Lösungen und Software.

Die kreativen Geschäftsmodi
Es gibt Kreative, die in Vorleistung gehen. In ihr Werk investieren, ihre Schutzrechte absichern und dann Kunden dafür suchen, die bereit sind, für Lizenzen zu bezahlen. Das sind die Unternehmer in eigener Sache. Sie schaffen Produkte, die sich durch einfaches Kopieren beliebig vervielfachen und als Stücklizenzen verkaufen lassen. Diese Kreativen schaffen Arbeitsplätze in der Entwicklung, Redaktion, im Studio und in der Produktion und sie generieren Steuereinnahmen. Ihnen kommen Multiplikatoreffekte zu.

Und es gibt Kreative, die mögen die gleiche Ausbildung und Bildung genossen haben, und die gleichen Dinge tun, sogar die gleichen Werke herstellen. Der wichtige Unterschied: Sie tun dies im Auftrag. Als Dienstleistung. Ihr Vorteil: Sie müssen keine Investitionen riskieren, kein Eigenkapital beschaffen. Und sie haften nicht. Ihr Nachteil: Sie werden nach Aufwand bezahlt und haben in der Regel eine Klausel in ihrem Dienstleistungsvertrag, nach der sie die Verwertungsrechte an ihren Auftraggeber abgeben. Diese Kreativen sind die Prototypen der Ich-AGs. Sie erfinden das Rad immer wieder neu, im Auftrag für andere. Von Multiplikatoreffekten profitieren sie nur wenig.

Richard Florida und seine Anhänger wie Wolf Lotter meinen erstere, wenn sie von der Creative Class schwärmen. Auch der frühere Blogger, Podcaster und heutige Chefinnovator bei HP, Phil McKinney meinte die Produktentwickler, als er sagte: Kreativität kann jeder lernen. Man muss es einüben, es fällt nicht vom Himmel. Die Politik und viele Wirtschaftsförderungen jedoch haben das Thema lange missverstanden und dachten, hinter mancher Ich-AG lauere ein Steve Jobs.

Richtig ist auf jeden Fall: Nur durch kreative Leistungen schaffen wir neues Wachstum (wenn wir das wollen). Nicht durch Nachahmung und Preisdumping. Einer der wenigen richtigen Sätze von Angela Merkel lautet: Wir dürfen um soviel teurer sein, wie wir besser sind. Aber um besser zu sein, muss man etwas riskieren. Und braucht einen Instinkt für Chancen. Was wir im vergangenen Jahrzehnt aber erlebten war: Ihr müsst um so viel billiger werden, wie wir Euch schlechter managen. Das war die Ansage in vielen Konzernen.

Der freiberufliche Auftragsprogrammierer konkurriert gegen die unschlagbar billigen Konkurrenten aus Indien und China. Der Lizenzgeber aber, der ein Produkt für einen neuen Markt erdacht, geschaffen und mit Schutzrechten abgesichert hat, muss wenig Konkurrenz fürchten. Hat das jetzt jeder verstanden, der Politik gestaltet und Wirtschaftsförderung betreibt?

Berlin und das Ruhrgebiet im Dienstleistungszeitalter
Landes- und Regionalpolitiker haben einige Lernprozesse hinter sich. Und gerade das Ruhrgebiet und Berlin haben sehr ähnliche Lernprozesse hinter sich. Beiden brach die industrielle Basis weg. Sie beobachteten wie Massenarbeitsplätze aus der Produktion nach Fernost exportiert wurden. Ihre Reaktion darauf: Dann müssen wir uns auf das stürzen, was nicht exportiert werden kann: Dienstleistungen. Die müssen immer am Kunden, also im Lande, erbracht werden. Deshalb waren Dienstleistungen das neue Allheilmittel. Doch sie taugten als wirtschaftspolitische Strategie nur dafür, Leute über Wasser zu halten. Beispielsweise in Callcentern. Callcenter haben keine Schornsteine und beschäftigen trotzdem hunderte von Leuten zu beliebig flexiblen Arbeitszeiten. Und nutzen Telekommunikation, waren also nach dem Verständnis von Regionalpolitikern „innovativ“.

Ein früherer Kollege sagte vor fünfzehn Jahren so passend: „Deutschlands Zukunft liegt nicht darin, dass wir uns alle gegenseitig die Haare schneiden.“ Da wussten wir noch nicht, dass es auch eine Dienstleistungswelle für Akademiker geben würde: Dienstleistung, oder gar Beratung, als Euphemismus für „akademische Leiharbeit“. Wieder ein Missverständnis zwischen Politik und Wirtschaft. Der dienstleistende Akademiker ist ein vagabundierender Experte mit Out-of-Area-Einsätzen fern seiner Heimat und Familie. Die Beratungsfirma steuert wenig zu seiner Expertise bei. Die erwirbt er sich im Job. Seine Expertise ist das Einzige, was ihm keiner nehmen kann. Wohlgemerkt, eine Expertise für eine Bedingung, die die andere definiert haben: Softwareprodukte, Prozesse, Rechte, Standards.

Kreativ ist der Experte, der eine unbediente Marktlücke erkennt, und eine Produktidee entwickelt. Einen Prototypen bastelt und an Probanden testet. Sich dann Startgeld bei Freunden und Familien leiht und damit zur Bank geht und weiteres Geld leiht. Das ist mein Verständnis. Doch die meisten meiner Bekannten, die das Zeug hierfür hätten, bleiben lieber angestellte Kopfwerker. Das Ruhrgebiet hat das Malocherethos auf den Kopf übertragen. Berlin wiederum hat seine antikapitalistische Grundhaltung verinnerlicht. Man gründet nicht, um reich zu werden.

Der Kreative – arm, aber sexy
Der Berliner Senat schwamm eine Weile auf der kreativen Welle mit. Weil Berlin so viele Kreative hat: Zig Modedesigner in der Kastanienallee in Berlin Mitte. Tausende „selbständiger“ Softwareentwickler. Aber daraus wurden nur ganz wenige produzierende Unternehmen, die „ansprangen“ und schutzrechtsfähige Standardprodukte in die Welt verkaufen. Wir haben keinen neuen Steve Jobs und keinen neuen Karl Lagerfeld. Und erst recht keine neuen Produktionsstätten mit vielen Arbeitsplätzen. Jedenfalls keine, die das Ergebnis der Berliner Wirtschaftsförderpolitik wäre.

Doch seit einigen Tagen gibt es hier eine neue „Agenda“: Zurück zur Industrie. Oder, als Imperativ und mit Link zur Vergangenheit:

Kreative in die Industrie!

„Hauptstadt im Gespräch“
Vor einigen Tagen hat der aus seiner Lethargie erwachte Wirtschaftssenator Wolf (Linkspartei) einen „Masterplan“ veröffentlicht. Darin drücken die üblichen Verdächtigen von IHK, „Netzwerken“, Wirtschaftsförderungen etc. aus, was Berlin „jetzt“ braucht und dass Berlin „alle Chancen hat“. Man hat aber auch nichts verpasst, wenn man dieses Pamphlet nicht gelesen hat.

Am Samstag, 05. Juni, hingegen fand im Charlottenburger Ludwig-Erhard-Haus die zweite „Berliner Ideenkonferenz“ der SPD statt. Motto: „Neue Industrialisierung – Nachhaltiges Arbeiten und Wirtschaften“.

Dort fielen Stichworte, die ich vor Jahren vergeblich versuchte, in der Berliner FDP zu etablieren. Aber heute ging es los. Heute war, um bescheiden anzufangen, die Rede von AEG als Blaupause für Apple, weil schon der alte Rathenau wusste, dass man neuartige Produkte besonders kundenfreundlich gestalten muss, damit sie von Kunden angenommen werden. (Das stimmt: die alten Dreh-Lichtschalter im Keller waren den Drehschaltern nachempfunden, mit denen man davor die Gasleitung für die Beleuchtung aufdrehte.)

Auf dem Podium tummelten sich ein Wirtschaftsprofessor, ein Berater für Wirtschaftsförderung, der Manager des Technologiezentrums Adlershof und sogar eine echte Unternehmerin: Gabi Grützner von der micro resist GmbH. Sie ist auch Beirätin für Mittelstand beim Wirtschaftssenator..

Zuerst befürchtete ich, dies sei wieder mal eine Veranstaltung, bei denen sich die nicht wenigen Angestellten der Wirtschaftsförderung, Landesbank, Stadtmarketing, IHK und öffentlich finanzierten „Netzwerkkoordinatoren“ gegenseitig Vorträge halten und Kaffee und Kekse anbieten. Aber das war doch etwas anders, besser:

Denn während die Philosophie vieler Teilnehmer sonst lautet: „Hauptsache, man wird nichts gefragt“, war das Publikum ausdrücklich zu Ideen und Fragen aufgerufen. Außerdem hatte man mit Christian Stahl einen schlagfertigen Moderator.

Unverzichtbar: Die nacheilenden Propheten von McKinsey
Das Opening besorgte McKinsey mit der sensationallen Erkenntnis, dass Berlin „mehr kann“. Modellstadt für -Achtung: Sensation- Elektromobilität sein zum Beispiel. Berlin sei hier im Wettbewerb mit dem Ruhrgebiet und Singapur. Man müsse „jetzt“ etwas tun.

Ich hatte genau das der Berliner Senatsverwaltung für Umwelt schon mal vor zwei Jahren vorgeschlagen. Antwort damals: Elektroautos sind zu leise. Die schleichen sich an Fussgänger ran und fahren sie dann um. Außerdem sind die noch völlig unterentwickelt. Sagte mir damals eine wissenschaftliche Angestellte aus der Senatsverwaltung. Wenn nun aber McKinsey das gleiche schreibt und fordert, ist das etwas ganz anderes. Dann ist das professionelle Kreativität aus gutem Hause.

Der Technozentrumsmanager
Der Adlershofer Manager lobte McKinsey ausdrücklich dafür, dass die sich mal „hingesetzt und nachgedacht“ hätten. Das erinnerte mich an die Art, mit der sich Wolfgang Schäuble neulich bei Josef Ackermann für dessen „Engagement“ in Griechenland bedankte…

Der Volkswirt
Der Professor für Volkswirtschaft griff als nächstes das Bild vom Kreativen mit Laptop im Cafe auf, um zu verdeutlichen, dass die neuen Industrien nicht mehr mit großen Hallen und Schornsteinen daher kommen.

Die Unternehmerin
Worauf ihm die Unternehmerin Grützner später erwiderte: „Ich habe schon lange nicht mehr mit einem Laptop im Cafe gesessen habe. Ich muss eigentlich andauernd irgendwelche Aufgaben und Probleme lösen und finde nie Zeit, mit meinem Laptop im Cafe zu sitzen.“

Sie wies darauf hin, dass achtzig Prozent der Berliner Unternehmer weniger als fünfzehn Mitarbeiter haben. Und dass es angesichts des niedrigen Gehaltsniveaus in Berlin schwierig sei, Hochschulabsolventen und ausgelernte Azubis im Unternehmen zu halten. Viele wanderten einfach ab nach Süddeutschland. Kreativität sei auch wichtig, aber zum Handwerkszeug fürs Wachstum gehöre mehr. Denn jedes neue Produkt müsse aus einer erfolgreichen Cash-Kuh finanziert werden.

Kapital? Kein Bedarf
Da fiel mir eine Diskussion aus meinem sozialliberalen Gesprächskreis im Grunewald ein. Ich meldete mich am Mikro: „Ich wundere mich, warum das Stichwort Kapitalbedarf und Unternehmensfinanzierung noch nicht genannt wurde.“ Einwurf vom Moderator: „Sie meinen, nach all den unrealen Zockereien jetzt mal in was Reales investieren?“ – Und ich so: „Genau: Warum kann ich als Berliner nicht in Berliner Startups investieren? Warum werden hierfür nicht mal Fonds aufgelegt und Foren für Anleger und Existenzgründer organisiert?“.

Heftiges Kopfnicken bei der McKinsey Beraterin. Doch Kopfschütteln bei der Unternehmerin. Wie bitte? „Nee, ich kann Ihnen nur raten: Bleiben Sie selbstbestimmt! Holen Sie sich keine Mitbestimmer ins Haus. Die Berliner Banken haben während der Finanzkrise alle weiter gut funktioniert und den Berliner Mittelstand mit Krediten versorgt. Die IBB hat die 250.000 Euro Startdarlehen aufgelegt und die Mikrokredite. Funktioniert alles gut.“

Woran es wirklich hapert
Was ihr viel Dringender fehle seien gute Vertriebsmitarbeiter. Das wiederum wusste ich seit fünf Jahren, als ich mit der IHK Frankfurt/Oder und Professor Fricke von der TFH Wildau mal eine Vertriebs- und Marketinginitiative für Technologieunternehmen organisiert hatte. Da waren wir auch mal in ihrem Unternehmen zu Gast.

Da war ich baff. Mein im Kern immer noch liberales (aber eben sozialliberales) Weltbild ein wenig erschüttert. Dem Berliner Mittelständler fehlt es nicht an Kapital oder Krediten. Die McKinsey Beraterin sagte mir später in der Pause, solche Fonds gebe es inzwischen. Man könne hin und wieder im -nächste Überraschung:- Tagesspiegel davon lesen, oder Werbung sehen.

Was Frau Grützner von der Berliner Politik erwarte, waren nur zwei Dinge: Erstens, werdet schneller. Sie könne selten so lange warten, bis die Politik etwas entschieden habe. Und man werfe im Bezirk nicht alle Regeln um, wenn mal der Bürgermeister wechselt. Und zweitens: Lasst Euch was einfallen, womit Ihr die jungen Leute in Berlin haltet. (Wenn man das so liest, wundert man sich: Ich dachte immer, vor allem die Jugend ziehe es nach Berlin..).

Mein Zwischenresüme, bevor der SPD-Landesvorsitzende Müller- zum „Hard Talk“ (Konfrontationsinterview) musste: Die neue Industrialisierung kommt sehr sozialdemokratisch daher. Die Berliner Unternehmer wollen kein Fremdkapital mehr und leiden nicht unter Kreditklemmen. Sie erwartet von der Politik, dass die Verwaltung schneller wird. Und dass irgendwer die Jugend im Lande hält.

Dazu also wurde noch Gastgeber und SPD – Chef Michael Müller interviewt. Er eröffnete mit einem verblüffenden Statement: „Die Politik will sich zurücknehmen, wenn auf dieser Konferenz über Ideen diskutiert wird.“ Klang das nur in meinen Ohren so schwach..? Was er von der McKinsey – Studie halte, nach der Tourismus, Elektroautos und die Pharmazie bis zu 500.000 neue Arbeitsplätze hergäben? Antwort, und das fand ich gut: „Es ist richtig, so einen hohen und konkreten Anspruch zu haben.“ Und außerdem sei es Gerhard Schröder zu verdanken, dass die SPD wieder über Wirtschaft spreche und Kompetenz beanspruche.

Drei dicke Pfunde, mit denen Berlin im Wettbewerb um die neue Industrialisierung wuchern könne, seien die leeren Großflächen inmitten der gewachsenen Großstadt: Tempelhof, Tegel und der alte Humboldthafen, nördlich vom neuen Hauptbahnhof. Richtig. Mit sowas kann das Ruhrgebiet überhaupt nicht dienen.

Elektromobilität? – Nur schienengebunden
Und dann fragte ihn der Moderator, was er denn von Berlin als Modellstadt für Elektromobilität halte. Müller antwortete: „Also, für Entfernungen unter 100 Kilometern muss eigentlich keiner mit dem Auto fahren. Meine Vision ist die einer Großstadt, in der der öffentliche Nahverkehr so gut ist, dass niemand mehr ein Auto braucht.“

Dieses Statement, ein echtes Statement gegen das Auto als Produkt und für Mobilität als Dienstleistung, brachte den größten Applaus auf der gesamten Veranstaltung. Wir waren wieder am Ausgangspunkt des Diskurses angekommen.

Duisburg nach dem Karstadt-Coup

„Wir haben es gehofft, aber natürlich haben wir auch gebangt. Und es ist so passiert, und wir sind glücklich“, sagt Rita Rodenbücher, die Betriebsratsvorsitzende bei Karstadt in Duisburg, dem WDR. Eine Beitrag von unserem Gastautor Werner Jurga.

Sie wissen vermutlich schon, was passiert ist. Und wenn nicht, können Sie es sich denken. Der Rat der Stadt Duisburg hat gestern in einer kurzen, nicht öffentlichen Sitzung beschlossen, auf die Erhebung von Gewerbesteuern bei dem insolventen Warenhauskonzern zu verzichten.
Dass 98 % der Städte mit Karstadt-Häusern einen solchen Verzicht erklären, ist eine der Bedingungen dafür, dass der Insolvenzverwalter seinen Rettungsplan überhaupt in Kraft treten lässt. Sonst spielen nämlich die Gläubiger nicht mit. Einerseits.
Andererseits gehe den Städten durch diesen Verzicht kein einziger Cent verloren. Weil es ja nur um rein „virtuelles“ Geld gehe, weil Karstadt ja insolvent ist, und was man sich sonst so erzählt bzw. erzählen lassen muss.

Wir reden also über einen Verzicht, der im Grunde gar kein Verzicht ist, auf den die Gläubiger aber doch zwingend bestehen, weil sie nun einmal Prinzipienreiter sind. So kennt man sie doch, diese Hedgefonds, Private Equitity Fonds und wie sie sonst alle so heißen, an die der Super-Manager Middelhoff dereinst Karstadt verkloppt hatte.
Zugegeben, die ganze Sache ist auch für besagte Gläubiger in Sachen „creating value“ nicht ganz so toll gelaufen wie für Herrn Middelhoff selbst. Und dies führt dann dazu, dass selbst Sozialdemokraten ihren Respekt bekunden. Selbstverständlich nicht für Herrn Middelhoff, der sich – möglicherweise nicht immer ganz gesetzestreu -eine goldene Nase verdient hat, sondern Respekt für die Gläubiger.
Wenn die nämlich so richtig Verluste gemacht haben und versuchen zu retten, was zu retten ist, sind das nämlich – im sozialdemokratischer Terminologie – gar keine Heuschrecken mehr, sondern einfach nur Leute, vor denen man einfach Respekt haben muss.
Opfer bringen, tolle Sache – egal ob Investoren oder Arbeitnehmer. Und wenn Letztere dann auch noch bereit sind, demnächst noch mehr Opfer zu bringen, dann, ja dann …
… sind sie glücklich. Wie Frau Rodenbücher. Die einfach nur darauf hofft, dass irgendwie gerettet werden kann, was vielleicht noch irgendwie zu retten ist. Für die meisten Karstadt-Beschäftigten ist es die einzige Chance. Denn wenn die Stelle weg ist, ist sie weg.
Insofern sieht es für die Belegschaft schon etwas anders aus als für die Gläubiger. Sicher, die Motive zur Erlangung sozialdemokratischen Respekts ähneln sich. Auch hier gilt: wenn weg, dann weg. Das Geld, aber eben in den meisten Fällen nur ein Teil des Geldes. Irgendwie wird es schon weitergehen. Gehedget wird schließlich immer.
Trotzdem: wenn´ s ums Geld geht, hört die Freundschaft auf. Und der Insolvenzverwalter tut sowieso nur seine Pflicht. Und so hat er in freundlichen Worten über eine Anwaltskanzlei der Stadt Duisburg dargelegt, dass es absolut rechtswidrig ist, wenn eine Stadt nicht auf ihren Anspruch auf die Gewerbesteuer verzichten möchte. xtranews hatte aus einem der Redaktion vorliegenden Schreiben zitiert.
Der Insolvenzverwalter reagierte mit diesem Vorgehen auf eine Entscheidung des Rates der Stadt. Am Montag, den 10. Mai, hatte der Stadtrat einstimmig (!) einen Verzicht auf die Gewerbesteuer abgelehnt. Das heißt: nicht ganz einstimmig. Der Oberbürgermeister hatte sich als einziger dafür ausgesprochen.
Es kam zu wütenden Protesten der Karstadt-Belegschaft, die schon am 12. Mai ihrem Ärger vor dem Rathaus und vor dem SPD-Parteibüro Luft machte. Auch in der örtlichen wie überörtlichen Presse wurde ein enormer Druck aufgebaut, der glauben lassen wollte, das weitere Schicksal Karstadts hinge vom Abstimmungsverhalten im Duisburger Stadtrat ab.

Der Ältestenrat wurde einberufen, der eine weitere Sitzung des Stadtrates anberaumte, der gestern, am 21. Mai 2010, gerade einmal zwanzig Minuten dafür brauchte, seine Entscheidung vom 10. Mai zu revidieren. Und – irgendwie schön: abermals fiel der Beschluss einstimmig. Nur eben, dass gestern das exakte Gegenteil beschlossen wurde, nämlich der Steuererlass.
Dass die SPD sowohl in diesem Beitrag als auch bei den gewerkschaftlichen Protesten besonders erwähnt wird, ist folglich nicht ganz fair. Es mag zum einen dadurch erklärlich werden, dass sowohl das Karstadt-Personal als auch ich in besonderem Maße auf die SPD hoffen – wenn auch die Hoffnungen nicht immer deckungsgleich sind.
Es liegt aber auch daran, dass sich die sozialdemokratische Fraktion den 180o-Schwenk schwerer gemacht hatte als die anderen. Während die CDU recht früh ein Einlenken auf die Linie ihres Oberbürgermeisters signalisierte, schwiegen Linke und Grüne eisern. Dagegen posaunte die FDP – als wolle sie unbedingt ihrem Umfaller-Image besonders eindrucksvoll gerecht werden – öffentlich heraus, auf jeden Fall bei ihrer ablehnenden Haltung bleiben zu wollen.
Bei der SPD mag man den Prozess der demokratischen Willensbildung innerhalb der Fraktion kritisieren. Und dass sich die Sozialdemokraten in ihrer Außendarstellung mit Ruhm bekleckert hätten, lässt sich beim besten Willen nicht sagen. Doch dass es eine ernsthafte Abwägung zwischen den nachvollziehbaren prinzipiellen Bedenken gegen einen Steuererlass und den scheinbar verheerenden Folgen eines Duisburger Sonderwegs gegeben hat, steht außer Frage.

Die Duisburger Kommunalpolitik steht – unabhängig von vordergründig parteipolitischen Betrachtungen – in diesen Tagen und Wochen nicht gut da. Sie wirkt – sei es Karstadt, sei es das Duisburger Stadtfenster, sei es die Duisburger Freiheit – manchmal inkompetent, häufig ohnmächtig. Dabei geht es doch um etwas!
Jedes einzelne dieser drei Projekte ist bedeutend für die Innenstadtentwicklung. Doch die Sache ist ernster: laufen die Dinge auch weiterhin so bedenklich wie bislang, ruinierte dies nicht nur das Prestige des Oberbürgermeisters (was zu verschmerzen wäre), es nährte Zweifel an den demokratisch gewählten (Kommunal-) Politikern insgesamt.
Zugegeben: die Einflussmöglichkeiten auf die Entwicklungen in Sachen Karstadt sind relativ gering. Inzwischen ist ein neuer Bieter aufgetaucht. Offenkundig wird hier ein großes Rad gedreht, und eine einzelne Kommune kann da nur schwer hineingreifen. Manchmal reicht auch schon eine solche Einsicht, um sich nicht weit über die Region hinaus lächerlich zu machen.
Doch meistens kann man auch ein wenig mehr bewirken. Dann geht mehr; mehr als nur Kleinigkeiten. Was auch immer geändert werden muss, ich kann mir nicht helfen: ich werde den Eindruck nicht los, in vielen Fällen würde schlicht ein höheres maß an Professionalität ganz gut tun.

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Drei Gründe für die Waldorfschule

Wir dokumentieren einen Vortrag zum Thema „Sekten und Psychogruppen“, den unser Gastautor Andreas Lichte am 5. Mai auf  Einladung des Ministeriums für Gesundheit und Soziales Sachsen-Anhalt hielt. Lichte ist einer der prominentesten Kritiker von Waldorfschulen in Deutschland – und ebenso prominent sind auch seine Kritiker. Am Ende befindet sich ein Text von Waldorf-Gründer Rudolf Steiner zum Thema Masern. Interessant für alle, die sich überlegen, ihre Kinder in die Hände von Anthroposophen zu geben.

Warum entscheiden sich Eltern für eine der 217 anthroposophisch geprägten Waldorfschulen in Deutschland?

Nach dem „PISA-Schock“ suchen immer mehr Eltern nach einer Alternative zur öffentlichen Schule. Manchen reicht schon die ganzheitliche Zauberformel der Waldorfschulen „Lernen mit Kopf, Herz und Hand“. Andere sind gründlicher. Aber: Je mehr man sich informiert, desto weniger weiss man – Eltern-Informations-Abende der Waldorfschulen sind reine Werbeveranstaltungen.

Viele Eltern wissen aber ganz genau, was sie tun, wenn sie sich für eine Waldorfschule entscheiden. Im folgenden werden drei Gründe für deren Schulwahl behandelt, die ich vorweg als Thesen formuliere:

These I: Die Leistungen des Kindes sind zu schwach, um auf einer öffentlichen Schule zu bestehen. An der Waldorfschule sind die Abschlüsse leichter.

These II: „Man bleibt gern unter sich“ – Besserverdienende wollen eine Schule ohne Kinder aus sozial schwachen Verhältnissen und ohne Ausländer.

These III: „Man bleibt gern unter sich“ – in der Waldorfschule teilt man die „alternativen“, esoterischen Überzeugungen der Eltern.

An der Waldorfschule sind die Abschlüsse leichter

Diese These sei am Beispiel der nordrhein-westfälischen Gesetzgebung für die Waldorfschulen erläutert. Am 13. Februar 2008 traf sich der Ausschuss für Schule und Weiterbildung des nordrhein-westfälischen Landtags, um über die „Verordnung über den Erwerb von Abschlüssen der Sekundarstufe I an Waldorfschulen“ zu informieren.

Landesministerialrat Marietrud Schreven gab im Auftrag von Bildungsministerin Barbara Sommer einen Bericht ab. LMR‘ Schreven stellte zunächst allgemein die Ziele der neuen, zentralen Abschlussprüfungen vor. Es gelte, Zitat, „sich an nationalen Bildungsstandards zu orientieren, Bildungsstandards, die die Anforderungen für den mittleren Abschluss transparent machen sollen, die Abschlüsse über die Länder hinweg vergleichbar machen sollen.“ Knapp gesagt: Die neue Gesetzgebung solle Chancengleichheit gewährleisten.

Dann folgte eine kurze Darstellung der Waldorfschulen und deren Sonderbehandlung durch das NRW-Bildungsministerium, LMR‘ Schreven sagte, dass „sich die Waldorfschulen besonderer Privilegien erfreuen“, wie beispielsweise „den Unterricht durch Klassenlehrer – der Klassenlehrer ist in Waldorfschulen aufgrund des pädagogischen Konzepts sehr wichtig –, obwohl diese Klassenlehrer keine staatlichen Lehramtsprüfungen haben und nicht an einer staatlichen Hochschule unterrichtet wurden.“

Im Grundgesetz Artikel 7, Absatz 4, Satz 3 heißt es aber: „Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen (…) in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen (…)“

Der Schulrechtler Prof. Hermann Avenarius sagt zu einer vergleichbaren Baden-Württembergischen Sonderregelung für die Waldorfschulen: „Es widerspricht dem Grundgesetz. Auch die an Waldorfschulen tätigen Lehrkräfte benötigen eine wissenschaftliche Ausbildung, die nicht hinter den öffentlichen Schulen zurücksteht. Von diesem Qualifikations- und Qualitätsniveau können sie nicht entbunden werden.“

Schließlich erläuterte LMR‘ Schreven die Besonderheiten des neuen Gesetzes für die Waldorfschulen, hier nur einige entscheidende Passagen wiedergegeben, Zitat Ausschuss-Protokoll:

Seite 8: „Diese [anderen Privat-] Schulen legen eine komplette externe Prüfung ab. Das bedeutet, in allen abschlussrelevanten Fächern finden externe Prüfungen statt. Demgegenüber verfahren wir an Waldorfschulen anders. Die Prüfungen werden an den Waldorfschulen selbst durchgeführt.“

Seite 9: „Die Klausuren werden von Waldorflehrkräften selbst erstkorrigiert. Auch das gibt es in anderen Fällen nicht.“

Seite 10: „Denn es werden nur zwei bis drei schriftliche Prüfungen zentral gestellt. Alle anderen Noten sind waldorfeigene Noten, die auf dem Abschlusszeugnis erscheinen und die, soweit sie den Fächern des Regelsystems entsprechen, natürlich abschlussrelevant sind. Das heißt, sie haben ein Abschlusszeugnis mit dem kompletten Spektrum ihrer Noten, wobei lediglich die Noten in Deutsch, Mathematik bzw. Deutsch, Mathematik und Englisch auf zentralen Prüfungen beruhen.“

Seite 11: „Da wir [wie von den Waldorfschulen gefordert] Vornoten nicht anerkennen können, können wir dieses Verfahren „Vornote und Abweichungsprüfung“ nicht durchführen. Wir haben dafür aber die Möglichkeit eröffnet – diese Möglichkeit haben die Schüler im Regelsystem nicht –, dass eine Nachprüfung gemacht wird. Das heißt, Schülerinnen und Schüler, die punktuell in einer schriftlichen Prüfung versagt haben, können nach den Sommerferien nochmals eine schriftliche Prüfung in diesem Fach machen. Mit dieser schriftlichen Prüfung können sie ihre Note entsprechend verbessern. Das heißt, die bessere Note der Nachprüfung ersetzt die schwächere Note im ersten Durchgang.“

Konnte es NRW den Waldorfschülern noch leichter machen? Die Abgeordnete der Grünen, Sigrid Beer, meint ja. Zitat Beer: „Hinsichtlich der anderen Bundesländer verweise sie auf Niedersachsen, wo 70 % der Abschlussnote, sowohl hinsichtlich der schriftlichen als auch hinsichtlich der mündlichen Prüfung, durch die Vornote zustande komme.“

Chancengleichheit? Wie vom Gesetzgeber beabsichtigt? Deutlicher kann die Bevorzugung der Waldorfschulen nicht sein, und das offensichtlich nicht nur in NRW.

Die strengste Prüfungsordnung für Waldorfschulen gibt es in Bayern, aber auch dort wissen sich Waldorfeltern zu helfen: Für das Abitur wechselt Kind einfach auf eine Waldorfschule in einem anderen Bundesland. Hier ein Interview aus der Jugendsendung „Südwild“ des Bayerischen Rundfunks vom 17. September 2008:

Mirko M.: „Ich war 12 Jahre hier in Coburg auf der Waldorfschule und den restlichen Teil dann in Marburg, also in Hessen, und hab‘ mein Abitur dort gemacht.“

Moderatorin: „Warum bist du nach Hessen gegangen?“

Mirko M.: „Also in Bayern ist es ein bisschen schwierig, da sind die Waldorfschulen staatlich nicht anerkannt (…) Für mich waren es 3 Gründe, warum ich gewechselt bin:

– dass wir keine Vorzensuren hatten, was wirklich schwierig war

– dann auch die externen Abschlüsse, z.B. hier am Gymnasium (…)

– und wir hatten natürlich noch Russisch als zweite Fremdsprache, wo man als Jugendlicher natürlich auch nicht so gern mitmacht.“

„Man bleibt gern unter sich“ – Besserverdienende wollen eine Schule ohne Kinder aus sozial schwachen Verhältnissen und ohne Ausländer.

Spricht man mit Eltern über deren Beweggründe, sich für eine Waldorfschule zu entscheiden, so hört sich das oft so an, als lese man eine Imagebroschüre der Waldorfschulen. Fragt man freundlich aber beharrlich nach, so lösen sich die pastellfarbenen Traumbilder nach und nach in Luft auf. Und schliesslich hört man: „Ich wohne in (Berlin) Kreuzberg. Da schicke ich mein Kind doch nicht in eine Schule mit hohem Ausländeranteil!“

Richtig, das hat der Autor so erlebt. Nur ein „Einzelfall“? Der ehemalige Waldorfschüler und Anthroposoph Sebastian Gronbach schreibt im anthroposophischen Magazin „info 3“, Zitat:

„Ich konnte vor einigen Tagen erleben, wie die neuen Erstklässler eingeschult wurden. Zwei Schulen, zwei Bilder: Die Grundschule, eine Regelschule, feierte diesen Tag und begrüßte unter den Neuen ein gutes Drittel Kinder, mit dem, was man heute »Migrationshintergrund« nennt. (…)

Der gleiche Tag, wenige Kilometer weiter. Eine Waldorfschule. Auch hier werden die neuen Kinder begrüßt. Das Bild unterscheidet sich kaum von dem in den vergangenen Jahren an dieser Waldorfschule: Kein einziges Kind mit Migrationshintergrund – doch; vor einiger Zeit gab es mal das Kind einer Anwaltsfamilie. Alle Kinder sprechen reines Deutsch. (…)

Heute sind Waldorfschulen Eliteschulen (…)“

Was Gronbach schildert, bestätigt auch eine Statistik des „Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen“ (KFN). In der „Studie 2005 – spezielle Befunde zu Waldorfschulen“ wurde der ethnische Hintergrund der Schüler erhoben.

In der 4. Klasse der untersuchten Schulen betrug der Ausländeranteil:

– staatliche Grundschule: 22,6 %

– Waldorfschule: 2,8 %

In der 9. Klasse der untersuchten Schulen betrug der Ausländeranteil:

– Gesamtschule: 30,3 %

– Waldorfschule: 4,0 %

Die Studie des „Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen“ belegt auch, dass es in Waldorfschulen kaum Kinder aus „sozial benachteiligtem Milieu“ gibt. Waldorfschulen liegen meist in einer „besseren Gegend“, aber selbst auf der Clay Allee im Villenviertel Berlin-Dahlem bildet sich ein allmorgendlicher Stau, wenn die reichen Mamas ihre Kinder in die Rudolf Steiner Schule Berlin bringen und in der zweiten Reihe halten.

Wie sieht es aber im „Märkischen Viertel“ in Berlin aus, in einem Hochhausviertel, das eher von sozial schwachen Bürgern und Ausländern bewohnt wird (50 % sozialer Wohnungsbau)? An der Waldorfschule Märkisches Viertel machte ich mein Praktikum während meiner Ausbildung zum Waldorflehrer und … Ausländer oder Kinder aus dem Viertel konnte ich dort nicht entdecken.

Eine ehemalige Schülerin schreibt mir dazu in einer e-mail:

“Hallo Andreas,

also ich kann Ihre Wahrnehmung durchaus bestätigen. KEIN Schüler kam aus dem Märkischen Viertel oder aus benachteiligtem Milieu. Ich hatte mal eine Mitschülerin in der sechsten oder siebten Klasse, doch diese war genauso schnell wieder dort wo sie herkam: Nämlich auf einer Schule im MV. (…)”

Im Grundgesetz heisst es aber, GG, Artikel 7, Absatz 4, Satz 3: „Die Genehmigung [von Privatschulen] ist zu erteilen, wenn (…) eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird.“

Natürlich würden die Waldorfschulen niemals zugeben, dass sie gegen das Grundgesetz verstossen. Gründe, Schüler abzulehen, finden sich viele, zum Beispiel dieser von der Psychologin Aiga Stapf beschriebene:

„Eltern berichteten wiederholt, dass Kinder vom Waldorfkindergarten und der Waldorfschule abgelehnt wurden. Die Kinder mussten u. a. bei dem Aufnahmegespräch etwas malen: ein Sechsjähriger malte z.B. ein Haus ohne Tür, wozu er kommentierend auf Nachfrage der Waldorfpädagogin sagte: »Die Tür ist hinten.« Dies wurde von ihr als ein »Anzeichen« dafür gedeutet, dass das Kind seine Seele nicht öffnen will, sie lehnte die Aufnahme ab.”

„Man bleibt gern unter sich“ – in der Waldorfschule teilt man die „alternativen“, esoterischen Überzeugungen der Eltern.

Wie ermittelt man, ob eine bestimmte „Soziale Gruppe“ die selben Überzeugungen teilt? Mit umfangreichen Befragungen? Für die Waldorfschule – bzw. Anthroposophen – könnten das beispielsweise solche Fragen sein:

– „Glauben Sie an Karma?“

– „Glauben Sie, dass Ihr Kind, als es noch ein Geistiges Wesen war, Sie für seine Inkarnation als Eltern ausgewählt hat, weil Sie ihm die besten Voraussetzungen für die Erfüllung seines Karmas bieten?“

Wer antwortet darauf wahrheitsgemäss? Dieses Verfahren scheint doch sehr fehleranfällig. Gibt es vielleicht irgendein objektives, gemeinsames Kennzeichen, das man wissenschaftlich, statistisch, erfassen könnte? Ja:

Im März 2008 reist das Schulorchester einer Schweizer Rudolf-Steiner-Schule, der „Freien Oberstufenschule Baselland“ in Muttenz, zu einem Konzert in die Salzburger Rudolf Steiner Schule. Der Gastauftritt findet internationale Beachtung: Nicht nur in Salzburg, nein, in ganz Österreich, in Deutschland und Norwegen – überall brechen die Masern aus.

Im April 2010 lese ich von Masern in Mettmann, NRW. Als ich der Pressestelle des Kreisgesundheitsamtes sage, dass ich mich für den Masernausbruch interessiere, fragt man: „Wieso? Die Masern sind doch schon wieder vorbei.“ Ich sage: „Das mag sich vielleicht merkwürdig anhören, aber ich möchte wissen, ob eine Waldorfschule betroffen war.“ Am anderen Ende der Leitung macht es „aaah“, man weiss sofort Bescheid und sagt: „Dann ist es wohl am besten, wenn Sie Frau Kohnert zurückruft.“ Das tut Regina Kohnert, stellvertretende Leiterin des Kreisgesundheitsamtes Mettmann, und bestätigt mir, dass alle Masernfälle in Waldorfschulen aufgetreten sind. Die Kinder hätten Kontakt zur Waldorfschule in Essen gehabt, auch dort gibt es die Masern …

„Masern werden von Waldorfschule zu Waldorfschule übertragen …“, aber da sage ich Frau Kohnert wirklich nichts neues.  J E D E R  der mit Impfprävention zu tun hat, weiss das.

So warnt Dr. Axel Iseke vom Gesundheitsamt Münster Ende April: „Es ist nicht ausgeschlossen, dass es über die Waldorfschule auch in Münster zu einem größeren Masernausbruch kommt.“ Denn in Essen sind die Masern ja schon, und Zitat Presseerklärung Münster: „Familien aus dem Umfeld von Waldorfschulen seien häufig überregional vernetzt.“

Doch wer weiss genaueres über die Infektionskette Waldorfschule? Doch sicher das „Robert Koch Institut“ (RKI), „die zentrale Einrichtung der Bundesregierung auf dem Gebiet der Krankheitsüberwachung und -prävention“. Dort müssen seit der Einführung der Masern-Meldepflicht im Jahr 2001 alle Fälle gemeldet werden. Ich spreche mit der Epidemiologin Dr. Anette Siedler. Doch sie überrascht mich, meint, dass das RKI nicht den Verursacher der Krankheit ermittetele, der weltanschauliche Hintergrund einer Schule nicht berücksichtigt werde. Auch die entscheidende Information kann Dr. Siedler nicht liefern, sie sagt: „In Deutschland gibt es keine verlässlichen Zahlen zur Impfrate in Waldorfschulen bzw. öffentlichen Schulen.“

In der medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“ werden Zahlen genannt, sie sollen hier als Orientierung dienen, auch wenn sie sich auf Schweden beziehen:

Geimpft waren gegen MMR (Masern-, Mumps-, Röteln- Kombinationsimpfung):

– in öffentlichen Schulen: 93 %

– in Waldorfschulen: 18 %

61 % der Waldorfschüler hatten eine Masernerkrankung durchgemacht.

Warum untergraben Waldorfschulen das Ziel der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Masern bis 2010 in Europa auszurotten? Und warum werden Menschen dem Risiko einer Infektion mit einer schweren Krankheit ausgesetzt?

Masern sind nämlich keinesfalls eine „harmlose Kinderkrankheit“:

– bei etwa 20–30 % der Masern-Fälle kommt es zu Komplikationen. Durchfall, Mittelohrentzündungen und Lungenentzündungen sind dabei am häufigsten, oft ist eine stationäre Aufnahme erforderlich.

– Die Meningoenzephalitis ist selten (bei 0,1 % der Erkrankungen), verläuft jedoch in 15–20 % der Fälle tödlich. In weiteren 20–40 % bleiben dauerhafte Schädigungen des Gehirns zurück.

– Die subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE) ist eine sehr seltene Spätkomplikation nach Maserninfektion, verläuft nach langem Siechtum aber immer tödlich.

In Waldorfschulen treffen sich 2 Gruppen von Impfverweigerern, Zitat Dr. Georg Vogt, Gesundheitsamt Duisburg: die „ideologisch verhärteten Anthroposophen“ und die „oberkritischen Gebildeten“.

Anthroposophen – natürlich auch der anthroposophische Schularzt der Waldorfschulen – folgen Rudolf Steiner. Steiner begründet, warum die Masern eine Krankheit sind, die man durchmachen muss, so:

Ein Mensch hat in seinem letzten Leben zu viel „gegrübelt“, was zu einer „Schwäche der Seele“ führt. Die Masern sind die „physisch-karmische Wirkung“ dieses Fehlverhaltens im letzten Leben. Die Masern macht man durch, „um organische Selbsterziehung zu üben“, „die Krankheit kann in einen geistigen Prozeß zurückverwandelt werden“ …

Wer meint, dies sei aber eine völlig idiotische Zusammenfassung, der überzeuge sich selbst: Im „Anhang“ gibt es Steiners Karma-Masern-Quacksalberei im Original zu bestaunen.

Und was ist mit der zweiten Gruppe der Waldorf-Impfverweigerer, den „oberkritischen Gebildeten“, für die Entscheidungen von Medizinern und Gesundheitsbehörden nicht gelten?

Im Januar 2010 durften rund 260 Kinder der Rudolf Steiner Schule Berlin zu Hause bleiben. Als Quarantäne-Massnahme wurde der Schulbesuch vom Gesundheitsamt Steglitz-Zehlendorf untersagt, nachdem in der Waldorfschule Masern aufgetreten waren. Ein Vater, von Beruf Anwalt, klagte gegen den Ausschluß der Schüler beim Verwaltungsgericht und verlor:

„Das Gericht gab der Behörde Recht. Die Kinder könnten bei einer Erkrankung Mitschüler anstecken, bevor sie selbst sichtbare Symptome zeigen, hieß es zur Begründung. Ihr Interesse am Schulbesuch müsse angesichts der Ansteckungsgefahr der mitunter sogar tödlich verlaufenden Krankheit zurücktreten.“

Vorher hatte der Vater der zuständigen Berliner Stadträtin in einem Brief geschreiben:

„Allein die Tatsache, dass Masern auch tödlich verlaufen können, gibt der Gesundheitsverwaltung meines Erachtens nicht das Recht, derartig einschneidende Maßnahmen zu ergreifen.“

Fazit und Fragen

– Kultusministerien beschließen Gesetze, die die Waldorfschulen bevorzugen. Das Grundgesetz findet bei den Waldorfschulen keine Beachtung.

– Eine „Elite“ lebt auf Kosten der Allgemeinheit: Waldorfschulen werden zum grössten Teil aus öffentlichen Steuermitteln finanziert, sind aber eine geschlossene Gesellschaft von Privilegierten.

– Aus ideologischen Gründen setzen die Waldorfschulen die Gesundheit von Menschen aufs Spiel. Die Gesundheitsbehörden engagieren sich zwar sehr bei der Minimierung der Risiken für die Allgemeinheit, bekämpfen aber nicht die eigentliche Ursache des Problems.

Kann sich eine demokratische Gesellschaft wie die Bundesrepublik Deutschland eine Parallelgesellschaft Waldorfschule leisten? Ist diese Parallelgesellschaft politisch gewollt?

Anhang:

Rudolf Steiner begründet, warum Masern eine Krankheit sind, die man durchmachen muss:

„Nehmen wir an, im späteren Leben bekommt eine Persönlichkeit Masern, und wir suchen nach dem karmischen Zusammenhang dieses Falles. Wir finden dabei, daß dieser Masernfall aufgetreten ist als eine karmische Wirkung von solchen Vorgängen in einem vorangegangenen Leben, die wir etwa so beschreiben können: Die betreffende Individualität war in einem vorhergehenden Leben eine solche, die sich nicht gern um die äußere Welt bekümmert hat, sich nicht gerade im grob egoistischen Sinne, aber doch viel mit sich selber beschäftigt hat; eine Persönlichkeit also, die viel nachgeforscht hat, nachgedacht hat, aber nicht an den Tatsachen der äußeren Welt, sondern die im inneren Seelenleben geblieben ist. Sie finden auch heute sehr viele Menschen, welche glauben, daß sie durch In-sich-abgeschlossen-Sein, durch Grübeln und so weiter zur Lösung von Welträtseln kommen können. Bei der Persönlichkeit, die ich meine, handelte es sich darum, daß sie mit dem Leben so fertigzuwerden suchte, daß sie innerlich nachgrübelte, wie man sich in diesem oder jenem Falle verhalten soll. Die Schwäche der Seele, welche sich daraus ergeben hat im Verlaufe des Lebens, führte dazu, daß im Leben zwischen Tod und neuer Geburt Kräfte erzeugt wurden, welche den Organismus in verhältnismäßig später Lebenszeit noch einem Masernanfall aussetzten.

Jetzt können wir uns fragen: Wir haben auf der einen Seite den Masernanfall, der die physisch-karmische Wirkung ist eines früheren Lebens. Wie ist es denn aber nun mit dem Seelenzustand? Denn das frühere Leben gibt ja als karmische Wirkung auch einen gewissen Seelenzustand. Dieser Seelenzustand stellt sich so dar, daß die betreffende Persönlichkeit in dem Leben, wo sie auch den Masernanfall hatte, immer wieder und wieder Selbsttäuschungen unterworfen war. Da haben Sie also die Selbsttäuschungen anzusehen als die seelisch-karmische Folge dieses früheren Lebens und den Eintritt der Masern als die physischkarmische Folge jenes Lebens.

Nehmen wir nun an, dieser Persönlichkeit wäre es gelungen, bevor der Masernfall eintrat, etwas zu tun, um sich gründlich zu bessern, das heißt, um eine solche Stärke der Seele sich anzueignen, daß sie nicht mehr ausgesetzt wäre allen möglichen Selbsttäuschungen. Dann würde diese dadurch heranerzogene Seelenstärke dazu geführt haben, daß die Masernerkrankung hätte unterbleiben können, weil das, was im Organismus schon hervorgerufen war bei der Bildung dieser Organisation, seinen Ausgleich gefunden hätte durch die stärkeren Seelenkräfte, welche durch die Selbsterziehung herangezogen worden wären. Ich kann natürlich nicht ein halbes Jahr über diese Sachen reden; aber wenn Sie weit im Leben herumschauen und alle Einzelheiten, welche sich als Erfahrungen darbieten, von diesem hier gegebenen Ausgangspunkt aus betrachten würden, so würden Sie immer finden, daß das äußere Wissen voll bestätigen würde – bis in alle Einzelheiten -, was hier gesagt worden ist. Und was ich jetzt gesagt habe über eine Masernerkrankung, das kann zu Gesichtspunkten führen, die erklären, warum Masern gerade zu den gebräuchlichen Kinderkrankheiten gehören. Denn die Eigenschaften, die genannt worden sind, kommen in sehr vielen Leben vor. Insbesondere in gewissen Zeitperioden haben sie in vielen Leben grassiert. Und wenn dann eine solche Persönlichkeit ins Dasein tritt, wird sie so schnell wie möglich Korrektur üben wollen auf diesem Gebiet und in der Zeit zwischen der Geburt und dem gewöhnlichen Auftreten der Kinderkrankheiten, um organische Selbsterziehung zu üben, die Masern durchmachen; denn von einer seelischen Erziehung kann ja in der Regel in diesem Alter nicht die Rede sein.

Daraus sehen Sie, daß  wir wirklich davon sprechen können, daß die Krankheit in gewisser Beziehung wieder zurückverwandelt werden kann in einen geistigen Prozeß. Und das ist das ungeheuer Bedeutsame, daß wenn dieser Prozeß in die Seele als Lebensmaxime aufgenommen wird, er eine Anschauung erzeugt, die gesundend auf die Seele wirkt. In unserer Zeit braucht man sich nicht besonders zu wundern, daß man so wenig auf die Seelen wirken kann. Und wer die Zeit heute vom geisteswissenschaftlichen Standpunkt aus durchschaut, der wird es begreifen, daß so viele Mediziner, so viele Ärzte Materialisten werden (…)“

Rudolf Steiner, „Die Offenbarungen des Karma“, GA 120, FÜNFTER VORTRAG, Hamburg, 20. Mai 1910, S. 102ff

Die Waldorfschule, Rudolf Steiner und die Anthroposophie

Die erste Waldorfschule wurde 1919 in Stuttgart vom Anthroposophen Emil Molt, Besitzer der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik, als Betriebsschule gegründet. Molt beauftragte Rudolf Steiner mit der pädagogische Leitung der neuen „Waldorf“-Schule.

Rudolf Steiner (1861–1925) promovierte 1891 mit der schlechtmöglichsten Note „rite“ in Philosophie; die 1894 versuchte Habilitation scheiterte. Um 1900 kam er in Kontakt mit Helena Petrovna Blavatskys esoterischer „Theosophie“. Von 1902 bis 1912 leitete Steiner die deutsche Sektion der „Theosophischen Gesellschaft“, die er 1912/13 abspaltete und unter dem Namen   „Anthroposophie“ neu gründete.

Steiner ist nach eigener Aussage Hellseher. Er behauptet, in der „Akasha-Chronik“, einem allumfassenden „Geistigen Weltengedächtnis“ im „Äther“ lesen zu können. Steiner erklärt: „Erweitert der Mensch auf diese Art [d.h. durch Steiners Anthroposophie] sein Erkenntnisvermögen, dann ist er (…) nicht mehr auf die äußeren Zeugnisse angewiesen. Dann vermag er zu  S C H A U E N , was an den Ereignissen nicht sinnlich wahrnehmbar ist (…).“ Die Anthroposophie schöpft damit aus esoterischen, okkulten Quellen, die für Nicht-Anthroposophen reine Fiktion sind.

Die Waldorfschule war für Steiner von Beginn an ein wirksames Instrument zur Verbreitung seiner esoterischen Heilslehre „Anthroposophie“. Und die „Anthroposophie“ ist bis heute verbindliche Grundlage des Unterrichts jeder Waldorfschule, Rudolf Steiner deren unangefochtene Autorität. Wie weit die Verehrung geht, mag man am Umfang der Rudolf-Steiner-Gesamtausgabe ermessen: Sie hat zurzeit 354 Bände.

Auf welchem Wasser segeln die Piraten?

Am Ende tappte auch Jens Seipenbusch, wiedergewählter Bundesvorsitzender der Piratenpartei, in die Falle: Er habe die NRW Piraten im Wahlkampf kaum unterstützen können, weil die gespalten seien.

Von Hans Immanuel Herbers

Hans Immanuel Herbers
Hans Immanuel Herbers

Der Autor war einer der Spitzenkandidaten der Piratenpartei zur Landtagswahl in NRW. Er ist evangelischer Pfarrer und Diplomtheologe und lebt in Bad Salzuflen. Bis 1994 leitete Herbers zehn Jahre die grüne Ratsfraktion in Bad Salzuflen, er war außerdem Mitglied des Präsidiums des nordrhein-westfälischen Städte- und Gemeindebundes

Und schon leuchtete vor den geistigen Augen medialer Beobachter ein Bild von Fraktionen und Strömungen auf, das den Charakter der Piratenpartei endlich leichter erfassbar und beschreibbar zu machen versprach. Und so wurden solche Strömungen auch fleißig gesucht, strömte die anwesende Presse aus, um Protagonisten welcher Richtungsgruppe auch immer auszumachen. Erfolglos.
Was ist nur los mit der Piratenpartei, dass sie nichtmal fassbare Strömungen liefert? Man versuchte es mit „Kernies” (die sich auf Kernthemen beschränken) oder „Genders” (die Frauenanliegen gesondert erörtern). Alles erfolglos. Und die von Seipenbusch ausgemachte Spaltung in NRW war schon gar nicht zu finden – es ging da um eine landesinterne Strukturdiskussion, die auf politische Programmfragen gar keinen Einfluss hat.
Wer aufmerksam hinsah, konnte aber grade hier erkennen, warum die Piratenpartei keine „Strömungen” hat und warum sich Piraten solchen Schablonen erfolgreich entziehen.
Den Piraten fehlt der Glaube an die kämpfenden Kollektive. Hier vielleicht ist ihr wichtigster Unterschied zu anderen – und ihr modernster Zug. In Strömungskämpfen anderer Parteien reiben sich immer dieselben Seilschaften an den jeweiligen Themen. Alles wird wahlweise „rechts / links”, „konservativ / liberal”, „realo / fundi” durchdekliniert. Das ist auch folgerichtig: Sehen die herkömmlichen Politstrategen die Gesellschaft doch als Schlachtfeld im Kampf von Gruppeninteressen, zu deren Anwalt, Sprachrohr oder Gegner man sich wahlweise erklärt.

Politikwissenschaftler sekundieren gern: Solange Umweltverbände die Grünen unterstützen, Gewerkschaften die SPD, katholische Vereine die CDU und irgendwer anderes die FDP, passt das Bild von den gesellschaftlichen Gruppen, die von den Parteien widergespiegelt werden. Und in ähnlicher Weise spielen sich dann auch Strömungskämpfe innerhalb der Parteien ab.
Nicht so bei den Piraten. Sie wehren sich erfolgreich gegen Kollektives und gegen Verströmung. Und das gilt auch für ihr längst definiertes gesellschaftliches Potential.
Beim Bundesparteitag konnte man das am vergangenen Wochenende gut sehen. Wer noch gemeinsam gegen Anliegen von klassisch-grüner Frauenpolitik auftrat konnte schon eine Stunde später zum Thema des bedingungslosen Grundeinkommens auf völlig unterschiedlichen Seiten stehen. Und das ist gut so. Abends auf dem Rheinschiff sah man sowieso alle gemeinsam bei pfälzischem Wein.

Mancher Journalist hält dies Fehlen klarer Strömungen für ein Zeichen der Unreife. Das Gegenteil ist der Fall.
Piraten stehen für eine Gesellschaft, die sich nicht mehr kollektivistisch identifiziert. Man ist, wenn überhaupt, in der Gewerkschaft weil die bestimmte Services bietet. Man ist, wenn überhaupt, in Verbänden um deren Dienstleistung und Erfahrungsaustausch wahrzunehmen. Selbst bei der Kirchenmitgliedschaft geht das vielen so. Derweil organisiert sich Gesellschaft neu, vernetzt sich längst auch unter älteren Kleingartenfreunden digital und punktuell. Unter der dünnen Schicht der Verbändegesellschaft wächst längst die kommende Gesellschaft der freien Geister, die ungezwungen Standpunkte austauscht, themenbezogen zusammenwirkt und die ihre neue Freiheit immer energischer verteidigt. Für diese Gesellschaft freier, nicht vereinnahmter Bürger stehen die Piraten.

Und genau darum gibt es auch keine Strömungen. Ich wage auch zu prophezeien, dass es sie nicht geben wird. Piraten wollen nicht in Schubladen und können es auch gar nicht. Wer mit Anna und Lisa für Genderthemen antritt kann zugleich mit Lisa und Max energisch gegen Annas und Davids Idee eines deutschen Laizismus argumentieren und wiederum mit ganz anderen für Grundeinkommen reden. Das ist kein Widerspruch und kein Loyalitätsproblem. Es ist Ausdruck lebendiger Diskussionskultur, die auf die Anliegen und Themen achtet und nicht darauf, was zu irgendeiner Strömung passt.

Naiv? Nicht politikfähig? Das kann nur der folgern, der glaubt Politik brauche feste Feindbilder und Gruppenkämpfe. Doch diese Art Politik ist zunehmend Politik von Gestern.
Linke brauchen Feindbilder – Spekulanten, Reiche, Profiteure. Piraten fragen dagegen danach, was alle brauchen.

Um ein Blog zu zitieren: „Was ist mit Allgemeingütern? Wollt ihr wirklich, dass Genmaterial von Pflanzen und Tieren in Zukunft den Konzernen gehören, nur, damit es die Wirtschaft ankurbelt? Können wir womöglich einstmalige Allgemeingüter zurückerobern, können wir die Kultur der Kulturindustrie entreißen und wieder allen in die Hände geben?”
„Wo die FDP über die Faulen oder Leistungsunwilligen richtet, stellt die Piratenpartei die Frage nach den Bürgerrechten. Wie weit darf der Staat in das Privatleben eingreifen? Wie ermöglichen wir es jeder Einzelnen und jedem Einzelnen, das beste aus ihrem Leben zu machen? Respektieren wir unsere Unterschiede und Neigungen?”
Wo Konservative von traditionellen Werten reden, fragen Piraten nach alten und neuen Freiheiten – in der festen Überzeugung, dass nur freie Menschen der Gesellschaft ein tragfähiges Fundament geben können.
Piraten nehmen die liegengelassene Stafette wieder auf, die von 1848 über die libertären Anliegen der „Jugendbewegung” des frühen 20. Jahrhunderts, die Bürgerinitiativen seit den 70er Jahren bis zu den Bürgerbewegten der ostdeutschen Revolution immer wieder vom freien Einzelnen in selbstgewählter Gemeinschaft angestossen wurden. Erst das digitale Zeitalter schafft mit seinen völlig neuen Vernetzungsmöglichkeiten die materielle Basis für die Entfaltung solcher Freiheit. Dass nicht nur junge Menschen davon in hoher Millionenzahl längst Gebrauch machen, hat die klassische Politik ebenso wie große Teile der Medien noch nicht realisiert. Und darum können sie die Gewässer, auf denen die Piraten segeln, nicht erkennen. Der Glaube, die Piraten dümpelten auf dem Trockenen, ist dagegen Illusion.

Die Kernthemen der Piratenpartei stehen darum nicht für eine Ein-Themen-Partei. Sie kennzeichnen Lebenserfahrung und Lebensgefühl eines wachsenden Teils der Gesellschaft. Für die Piraten wird es darauf ankommen, bei jeder Erweiterung ihrer Programme den Zusammenhang mit dieser Lebenswirklichkeit aufzuzeigen. Nur was dazu passt, wird als Gewinn wahrgenommen werden. Dazu war das in der Tat breite Programm der NRW Piraten noch zu wenig diskutiert und abgewogen. Die Richtung aber stimmt.

Für die politische Konkurrenz und die medialen Beobachter wird es darauf ankommen, endlich die digital vernetzte Gesellschaft in ihren Folgen für den Einzelnen, in Chancen und Risiken, in Freiheitsgewinn und Veränderung von Gruppenidentitäten wahrzunehmen. Solang das nicht passiert, bleiben auch scheinbar nahestehende Parteien den Piraten fremd.

Warum dann aber nur 1,5% in NRW? Nun sind 1,5% ja ehrenwert – die Grünen kamen bundesweit 1980 auch nicht auf mehr und zogen nur drei Jahre später in den Bundestag ein. In den NRW Landtag kamen sie dann erst 1990 mit grade 5,05%. NRW ist das schwierigste Pflaster aller Länder was Chancen neuer Formationen angeht. Und die scheinbar extrem knappe Frage einer Mehrheit des äußerst unbeliebten Rüttgers/Pinkward-Duos brachte natürlich viele dazu, diesmal noch kleinere Übel zu wählen.

Natürlich spielten auch die Piraten selber dabei eine Rolle. Die große Mehrzahl der Aktiven sind erst weniger als ein Jahr dabei. Noch sind Piraten in den Kommunen nicht verankert, noch sind in großen Teilen des Landes Piraten unbekannt. Zudem fehlte völlig der amüsierte Medienhype vor der Bundestagswahl – kein Wunder in der parteipolitisch festgezurrten Medienlandschaft zwischen Rhein und Weser. Doch diese Faktoren sind momentan. Schon eine mögliche Neuwahl des Landtages brächte ganz andere Bedingungen.

Neuwahl? Ja. Aus Piratensicht nur konsequent und ehrlich. Die Wahl vom 9. Mai war die Abwahl der CDU-FDP Koalition. NRW hat sich mit klarer Mehrheit gegen Rüttgers und Pinkward entschieden. Aber es war keine Entscheidung für etwas. Die wurde den Wählern auch gar nicht abverlangt. Die SPD versprach Freude, Hoffnung, Stolz und Kraft. Die Grünen versprachen, in jedem Fall zu regieren. Die Linken versprachen die Rache der Enterbten. Es wäre nur richtig, nach dem völlig unklaren Ausgang nun dezidiert zu fragen: Welche Regierung wollt ihr?

Piraten sehen dem gelassen entgegen. Von Platz 17 werden sie auf Platz 6 des Stimmzettels steigen, sie werden auf der doch soliden Kampagne des Frühjahrs aufbauen und frei vom Rüttgers/Pinkward-Gespenst ihre Alternativen anbieten. Nicht als radikale Splitterpartei am Rande der Gesellschaft sondern als neue politische Kraft in der Mitte einer sich neu definierenden Gesellschaft freier Menschen mit einem freien Selbstgefühl.
Der Bundesparteitag in Bingen war dafür ein wichtiger Meilenstein. Er brachte die nötige Stabilität und das gesicherte Selbstbewusstsein, dass diese politische Kraft erst am Beginn eines erfolgversprechenden Weges ist. Und er brachte die Erkenntnis, dass Piraten sich vor Verantwortung nicht drücken werden und von Feindbildern nicht die Sicht trüben lassen.