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Corona und Katastrophenschutz: „Eine Katastrophe ist eine Katastrophe ist eine Katastrophe“

Magnus Memmeler mit Maske Foto: Privat


Die Zahlen der Neuinfektionen gehen glücklicherweise zurück. „Das Volk“ traut sich zurück auf die Straße, beflügelt durch mehrere Gerichtsentscheidungen. Mit dem empfohlenen Abstand stehen Demonstranten mehr oder weniger auf Plätzen und Straßen. Demonstriert wird für „Freiheit“ und Erlösung von den Schutzauflagen und dem „Bösen“. Das Verständnis für den Ernst der Lage und die allgegenwärtige Bedrohung durch den Virus werden überwiegend geleugnet. Untergangsszenarien und dystopische Weltbeschreibungen haben Hochkonjunktur. Und jene wissen, wer daran die Schuld trägt: „Die Weltverschwörung…“

Gegen Virologen werden Morddrohungen lanciert und Politiker wie Boris Palmer, aber auch andere, selektieren, was das Zeug hält. Die Angst vor der großen Rezession und das Jammern der Wirtschaft nach Öffnung des Marktes sind ebenfalls Motor des öffentlichen Corona-Diskurses. Derweil der Landesgesetzgeber sich schwer tut, die Lage rechtlich zu verpacken.

Ruhrbarone: Wenn auch nur indirekt, hat NRW die Lage Corona bedingter Virusinfektionen als Katastrophe beschrieben. Wird die Lage nun, wie von Ihnen mehrfach empfohlen, eine Lage für den Katastrophenschutz?

Magnus Memmeler: Viele Bevölkerungsschützer und auch ich sind der Ansicht, dass NRW mit der Verabschiedung des „Gesetzes zur Regelung besonderer Handlungsbefugnisse im Rahmen einer epidemischen Lage von nationaler und landesweiter Tragweite und zur Festlegung der Zuständigkeiten nach dem Infektionsschutzgesetz (Infektionsschutz- und Befugnisgesetz – IfSGB-NRW)“ am 14. April diesen Schritt gegangen ist.

Allein der Gesetzestitel klingt wie ein Zitat aus dem BHKG, das den Katastrophenschutz in NRW regelt:

„§ 1 (1) Ziel dieses Gesetzes ist es, zum Schutz der Bevölkerung vorbeugende und abwehrende Maßnahmen zu gewährleisten. 2. bei Unglücksfällen oder solchen öffentlichen Notständen, die durch Naturereignisse, Explosionen oder ähnliche Vorkommnisse verursacht werden (Hilfeleistung)…“ und „(2) Im Sinne von Absatz 1 Nummer 3 ist: 1. eine Großeinsatzlage, ein Geschehen, in dem Leben oder Gesundheit zahlreicher Menschen, Tiere oder erhebliche Sachwerte gefährdet sind und aufgrund eines erheblichen Koordinierungsbedarfs eine rückwärtige Unterstützung der Einsatzkräfte erforderlich ist, die von einer kreisangehörigen Gemeinde nicht mehr gewährleistet werden kann. Vergleichbare Ereignisse in kreisfreien Städten gelten ebenfalls als Großeinsatzlage; 2. eine Katastrophe ein Schadensereignis, welches das Leben, die Gesundheit oder die lebensnotwendige Versorgung zahlreicher Menschen, Tiere, natürliche Lebensgrundlagen oder erhebliche Sachwerte in so ungewöhnlichem Ausmaß gefährdet oder wesentlich beeinträchtigt, dass der sich hieraus ergebenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit nur wirksam begegnet werden kann, wenn die zuständigen Behörden und Dienststellen, Organisationen und eingesetzten Kräfte unter einer einheitlichen Gesamtleitung der zuständigen Katastrophenschutzbehörde zusammenwirken.“

Sie spielen aber wahrscheinlich auf die Drucksache 17/8881 des NRW Landtages an, in der das Nachtragshaushaltsgesetz 2020 – NHHG 2020 der Landesregierung vorgestellt wird. Um den Nachtragshaushalt in Einklang mit Art. 109 Abs. 3 GG zu bringen, stellt die Landesregierung in ihrer Gesetzesbegründung fest, dass derzeit in Nordrhein-Westfalen die Voraussetzungen einer Naturkatastrophe vorliegen: „Benennung möglicher Notsituationen wegen der Vielzahl und Unterschiedlichkeit denkbarer Anwendungsfälle nicht möglich ist, erfolgt eine Eingrenzung durch drei Kriterien, die gleichzeitig erfüllt sein müssen:
1. Die Situation muss außergewöhnlich sein,
2. ihr Eintritt muss sich der Kontrolle des Landes entziehen und
3. sie muss die Finanzlage des Landes erheblich beeinträchtigen.
Naturkatastrophen sind – in Anlehnung an die Auslegung der Verfassungsregelung zur Amtshilfe (Artikel 35 Absatz 2 Satz 2 und Absatz 3 des Grundgesetzes) – unmittelbar drohende Gefahrenzustände oder Schädigungen von erheblichem Ausmaß, die durch Naturereignisse ausgelöst werden (z. B. Erdbeben, Hochwasser, Unwetter, Dürre, Massenerkrankungen).
Die Voraussetzungen einer Notsituation und einer Naturkatastrophe liegen vor. Die krisenhafte Entwicklung der Infektionen mit dem Corona-Virus in Nordrhein-Westfalen ist dramatisch. Das Corona-Virus bleibt eine sehr ernste Herausforderung für die Menschen in Nordrhein-Westfalen. Die Landesregierung hat bereits zahlreiche Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus und zur Bewältigung der Auswirkungen auf den Weg gebracht. Mit dem Nachtragshaushalt wird die finanzielle Handlungsfähigkeit des Landes sowohl auf der Einnahmen- als auch auf der Ausgabenseite des Landeshaushalts sichergestellt. Damit werden die Voraussetzungen geschaffen, um direkte und indirekte Folgen zur Bewältigung der Corona-Krise über den Landeshaushalt finanzieren zu können.“

Hier haben Juristen eine Möglichkeit gefunden, den Nachtragshaushalt grundgesetzkonform zu gestalten und haben dadurch unbewusst die Landesregierung dazu veranlasst, die derzeitige Lage zur Katastrophe zu erklären. Einen Tag nach dem internationalen Tag der Pressefreiheit dürfen wir hier und heute also feststellen, dass ein Gesetzentwurf vorgelegt wurde, an dem auch das für den Katastrophenschutz zuständige Innenministerium mitgewirkt hat, in dem bewusst Formulierungen aus dem BHKG aufgegriffen wurden, die das Vorliegen einer Katastrophe beschreiben.

Da ich kein Jurist bin, wir an dieser Stelle die vorliegende Drucksache nur kurz beurteilen können und offensichtlich politischer Konsens darin besteht, dass wir die Bevölkerung nicht mit dem Begriff der Katastrophe behelligen dürfen, müssen wir beide und die fachkundigen Bevölkerungsschützer davon ausgehen, dass die Landesregierung uns die Beherrschbarkeit der Lage mit Mitteln außerhalb der Regelungen des Katastrophenschutzes erklären wird. Das steht aber aus meiner Sicht im Widerspruch zur Haushaltsbegründung. Diesen Widerspruch können Juristen, Journalisten und Politiker im Nachgang aufarbeiten oder auch nicht. Einigkeit besteht auf jeden Fall darin, dass alle gestarteten Hilfsfonds notwendig sind und finanziert werden müssen. Das sehe auch ich so! Ergo wird niemand als Nestbeschmutzer auftreten und sich dem Vorwurf aussetzen wollen, notwendige Hilfen zu sabotieren, indem er diesen Widerspruch thematisiert. Ich muß erneut darauf hinzuweisen, dass wir im Bereich des Bevölkerungsschutzes über sehr gute und erprobte Mechanismen verfügen, um Lagen zu begegnen, wie wir sie derzeit SARS-CoV2 bedingt vorfinden. Wie in der vergangenen Woche bereits erwähnt, lagen entsprechende Pandemiepläne längst vor.

Ruhrbarone: Hat sich die Sicht auf den Bevölkerungsschutz in der Krise verändert und sind Verbesserungen für die Zukunft zu erwarten? Leisten die zahlreichen Experteninterviews hierzu einen Beitrag?

Memmeler: Ich greife Ihre letzte Frage zuerst auf. Wenn wir nicht die Hoffnung hätten, durch Information zu einem konstruktiv kritischen Diskurs beizutragen, müssten wir heute unsere Interviews beenden. Ja, ich finde es wichtig, dass die Bevölkerung in verständlicher Sprache informiert wird. Ranga Yogeshwar kritisiert beispielsweise eindrucksvoll die Stimmungsmache gegen Virologen. „Statt die Maßnahmen als Erfolg zu feiern und sich über den bislang glimpflichen Verlauf zu freuen wächst die Kritik an Experten. Ein Irrsinn: Würden wir die Feuerwehr abschaffen, nur weil es im vergangenen Jahr nicht gebrannt hat?“ Gerade jetzt brauchen wir Wissenschaftsjournalisten, die Expertenerkenntnisse für uns verständlich machen, wie es Peter Lustig in unserer Kindheit getan hat, als er uns die Welt erklärte. Ab und zu gehört da sicherlich auch mal ein handfester Sprech dazu. In einem Tweet, dessen Absender ich nicht kenne, wurden die 80 Millionen Bundestrainer in uns angesprochen und die Lage mit einem Fußballspiel verglichen, in dem man gerade 1:0 führe und mit der Frage verbunden, ob man jetzt schon den Torwart vom Feld holen sollte. Deutlicher kann man nicht rüberbringen, was Virologen wie Drosten versuchen uns zu vermitteln. Ja, ich finde, dass die zahlreichen Experteninterviews einen wertvollen Beitrag dazu leisten, auch die Wahrnehmung des Bevölkerungsschutzes zu verbessern. Außerdem denke ich, dass es durch die Herausforderungen zu Verbesserungen in der Daseinsvorsorge kommen wird, weil Herausforderungen erkannt werden. Professor Ferdinand Gerlach, Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, hat sehr deutlich angemerkt, dass wir alle vorhandenen Daten nutzen müssen, um die Lage bewerten und bewältigen zu können. Recht hat er. Seit kurzem erfolgen Bettenmeldungen an das DIVI Register, um den permanenten Überblick über vorhandene Intensivkapazitäten zu haben, was bisher, trotz aller vorhandenen Kritik, zum Beispiel aus der Luftrettung, schlicht nicht gegeben war. Wie ebenfalls von Herrn Gerlach gefordert, schreiten Digitalisierung und Telemedizin plötzlich in ihrer Entwicklung voran, um den Druck von Krankenhäusern zu nehmen. Beides sind auch Voraussetzungen, um die vor zwei Wochen thematisierte Novellierung der Notfallversorgung umsetzen zu können. Die Wahrheit ist aber auch, dass wir uns täglich mit neuen Erkenntnissen konfrontiert sehen. Hierdurch ergeben sich zwangsläufig auch neue Lageeinschätzungen, die unter anderem zur Kritik an Herrn Drosten geführt haben. Aber so funktioniert Bevölkerungsschutz nun einmal. Die Lage muss regelmäßig und unter Einbeziehung neuer Fakten neu bewertet werden. Auch wenn die Bundesregierung, wegen der täglich steigenden Erwartung auf Lockerung, reflexartig andere Gutachter, wie z.B. Dr, Wolfgang Wodarg zu Rate zieht, da dieser viele der bisherigen Maßnahmen, die von Herrn Drosten und dem RKI empfohlen wurden, als überzogen bezeichnet, werden die Kommentierungen der Bevölkerungsschützer zunehmend wahrgenommen. Generaloberstabsarzt Ulrich Baumgärtner, der Gehör bei der Bundesregierung hat, hat unlängst die gleichen Empfehlungen formuliert, wie wir sie in der Vergangenen Woche von namhaften Bevölkerungsschützer zitiert haben. Ja, ich hoffe, dass aktuell Maßnahmen begonnen werden, die in der Zukunft beibehalten werden und nicht wie der Schirm im Schrank verschwinden werden, nur weil es gerade nicht regnet.

Ruhrbarone: Das Land NRW hat „versehentlich“ die Anordnung zur Ertüchtigung von Behelfseinrichtungen zur Betreuung von SARS-CoV2 Infizierten mit nur leichten Krankheitssymptomen zurückgezogen. Wurde das inzwischen korrigiert und warum sind solche Einrichtungen wichtig?

Memmeler: Ingo Morell, Vizepräsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft, hat es auf den Punkt gebracht, als er die Ankündigung von Herrn Spahn relativierte, in der er den weitest gehenden Normalbetrieb in Kliniken in Aussicht stellte. Herr Morell sagte sehr deutlich, dass wir auch in absehbarer Zeit den Begriff Normalbetrieb vermeiden müssten, wenn wir von der sicherlich gebotenen Versorgung Erkrankter reden, die in den vergangenen Wochen nur nach Dringlichkeit abgehandelt werden konnte, weil zum Beispiel planbare und nicht lebensnotwendige OP`s verschoben wurden. Die in der ersten Aprilwoche festgestellte Übersterblichkeit (Mehr Todesfälle als in Vergleichszeiträumen) zeigt aus meiner Sicht, dass wir eine moderate Rückkehr zur Normalbehandlung in Kliniken benötigen, da große Teile dieser Übersterblichkeit wahrscheinlich auf Nichtbehandlung von Krankheiten zurückzuführen sind. Wie in den letzten Interviews bereits beschrieben, wurde der Rettungsdienst um 25% weniger zu Notfällen mit der Verdachtsdiagnose Herzinfarkt allarmiert, als dies üblicherweise der Fall ist, weil die Patienten Angst vor der Infektion in Kliniken haben. Dennoch befinden wir uns in einer dynamischen Lage, die regelmäßig zu Neubewertungen führen wird.

Am 28.04 wurde veröffentlicht, dass die Zahl der SARS-CoV2 Patienten in Dortmunder Krankenhäusern deutlich gestiegen sei. Das zeigt, dass wir weiterhin große Klinikkapazitäten für die Lagebewältigung bereitstellen müssen. Die Meldung vom 28. April steht im Widerspruch zu der Aussage von Herrn Spahn vom 27. April: „In den Krankenhäusern werden die Kapazitäten wegen der Unsicherheiten über die weitere Entwicklung der Corona-Pandemie aktuell nicht vollständig genutzt, obwohl in der Woche nach Ostern der erste Höhepunkt des intensivmedizinischen Bedarfs in der ersten Welle der Corona-Epidemie erreicht wurde.“

Solche Behelfseinrichtungen würden dazu beitragen, dass Kliniken entlastet würden, da nur mit leichten Symptomen belastete Patienten in Behelfseinrichtungen behandelt und gepflegt werden könnten. Natürlich könnten diese Patienten beispielsweise auch in Quarantänebereichen in Seniorenheimen untergebracht werden. Ein solcher Mehraufwand kann aber derzeit nicht geleistet werden. Ein Blick in die Heimfinder App des Landes NRW hat mir gestern gezeigt, dass im Bereich des östlichen Ruhrgebietes ohnehin kaum freie Pflegeplätze in Seniorenheimen gemeldet sind.

Um die Notwendigkeit zu verdeutlichen, muss ich etwas ausholen. Deutschlandweit finden derzeit zu wenige Tests statt. Vor vier Wochen wurden noch 400.000 Tests/KW vorgenommen und vor 2 KW nur noch 323.000 Tests, obwohl Testkapazität, wie berichtet, auf 818.000 gestiegen ist. Der Virologe Alexander Kekulé kritisiert zu Recht, das insbesondere in der Phase der Lockerung Tests erforderlich sind. Cornelia Wanke Geschäftsführerin der Akkreditierten Labore bemängelt den Auftragsrückgang nach Wechsel der Verantwortung von den Gesundheitsämtern und der öffentlichen Finanzierung zu KV-Ärzteschaft. Clemens Fuest, Chef des ifo Instituts sagt: „Das Testen ist offensichtlich nicht Teil der politischen Strategie. Aber wir können die Wirtschaft viel besser ans Laufen bringen, wenn wir massenhaft testen. Es würde enorm helfen.“

Am 29.04 veröffentlichten Frauenhofer-Gesellschaft, Helmholtz-Gemeinschaft, Leibniz-Gemeinschaft und Max-Planck-Gesellschaft eine gemeinsame Stellungnahme. In der heißt es, dass der Rückgang der Neuinfektionen Folge der im März beschlossenen Maßnahmen war. Die Situation wird hier als nicht stabil beschrieben und laut der Experten würde die Erhöhung der Reproduktionszahlen schnell in eine Phase des exponentiellen Wachstums führen. Die Zahl der Neuinfektionen muss weiter reduziert werden, um eine effektive Kontaktverfolgung zu ermöglichen. Außerdem wird die Ausnutzung aller Testkapazitäten gefordert. Wie wichtig das ist, zeigen gerade 3 Zufallsbefunde bei Mitarbeitenden des FC Köln, die bisher ohne offensichtliche Beschwerden lebten. Ohne die ausreichende Anzahl an Tests, auch in Referenzgruppen, die bisher ohne Symptome sind, können wir die Risiken nicht hinlänglich beurteilen.

Tritt eines der von Experten beschriebenen Risiken ein, nachdem Klinikressourcen zur Behandlung von SARS-CoV2 Patienten reduziert wurden, müssten Behelfseinrichtungen unmittelbar und ohne jede Planungsphase zur Verfügung stehen, um einen Kollaps im Gesundheitswesen zu vermeiden. Bevölkerungsschutz heißt Prävention, weshalb ich die vorsorgliche Ertüchtigung von Behelfseinrichtungen begrüße, so dies in einem angemessenen und bedarfsgerechten Umfang geschieht. Am 29. April hat das Land NRW in der Allgemeinverfügung des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales (CoronaAVPflege), den Fehler der Vorwoche geheilt. Unter Punkt 6. „Anderweitige Unterbringung von Pflegebedürftigen während einer epidemischen Lage“ werden Landkreise und kreisfreie Städte aufgefordert zu prüfen, ob die Schaffung von Behelfsunterbringungen von Pflegebedürftigen erforderlich ist: „Kann eine stationäre Pflegeeinrichtung aus zwingenden räumlichen, personellen oder organisatorischen Gründen die Maßnahmen nach Ziffer 4 nicht umsetzen oder kann die Versorgung Pflegebedürftiger aus anderen Gründen des Infektionsschutzes nicht in der Einrichtung erfolgen, kann die nach dem Wohn- und Teilhabegesetz zuständige Behörde in Abstimmung mit der unteren Gesundheitsbehörde Pflegeeinrichtungen von der Pflicht zur Aufnahme nach Ziffer 2 befreien und auch die Versorgung von bereits in der Einrichtung wohnenden Personen außerhalb der Einrichtung anordnen. In diesem Fall ist auf Ebene des jeweiligen Kreises beziehungsweise der kreisfreien Stadt sicherzustellen, dass die betroffenen Personen vorübergehend in anderen stationären Pflegeeinrichtungen versorgt werden. Die zuständigen Behörden haben vor der Entscheidung zu einer anderweitigen Unterbringung sämtliche Maßnahmen zur Unterstützung der betroffenen Einrichtung zu ergreifen. Insbesondere sollen soweit möglich und erforderlich zusätzliche personelle Ressourcen, auch unter Nutzung der Möglichkeiten des nach § 15 des Infektionsschutz- und Befugnisgesetzes zu erstellenden Freiwilligenregisters, bereitgestellt beziehungsweise vermittelt werden.“

Zur Konkretisierung der zu prüfenden Maßnahmen heißt es später unter 8. Subsidiäre Versorgungsverantwortung der Kreise und kreisfreien Städte: „Ist in den Fällen nach Ziffer 6 eine Versorgung der Pflegebedürftigen weder in einer anderen stationären Einrichtung noch in einer Rehabilitationsklinik möglich, haben die Kreise und kreisfreien Städte in Konkretisierung ihrer Verantwortung nach § 4 Absatz 1 des Gesetzes zur Weiterentwicklung des Landespflegerechtes und Sicherung einer unterstützenden Infrastruktur für ältere Menschen, pflegebedürftige Menschen und deren Angehörige (Alten- und Pflegegesetz Nordrhein-Westfalen – APG NRW – vom 2. Oktober 2014, das zuletzt geändert durch Gesetz vom 12. Juli 2019 (GV. NRW. S. 374) geändert worden ist) eine anderweitige Versorgung der Pflegebedürftigen sicherzustellen. Hierzu können sie auch eine Versorgung in einem Krankenhaus prüfen und, sofern nicht ohnehin die abrechnungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Krankenhausversorgung vorliegen, eine entsprechende Kostenvereinbarung mit dem Krankenhaus treffen. Wenn die Versorgung nicht ohne die Schaffung übergangsweise nutzbarer zusätzlicher Kapazitäten sichergestellt werden kann, ist bei der Auswahl der Gebäude zu berücksichtigen, dass in diesen Einrichtungen zwingend Einzelzimmerunterbringung zu erfolgen hat. In Fällen der Aufnahme von SARS-CoV-2-infizierten Personen mit leichten Krankheitssymptomen kann eine Kohortenisolierung in Zimmern erfolgen, die nicht mit mehr als zwei Personen belegt werden dürfen. Alle Bewohnerinnen- beziehungsweise Bewohnerzimmer sollen außerdem über eigene oder zumindest sich in räumlicher Nähe befindliche Sanitärräume verfügen.“

Wenn ich die eingangs von mir erwähnten Risiken betrachte, halte ich den in der Allgemeinverfügung unter 8. Vorhandenen Hinweis auf eventuelle Krankenhauskapazitäten für Unsinn, da diese Kapazitäten derzeit zu Gunsten von Regelbehandlungen reduziert werden sollen. Bevölkerungsschutz heißt Prävention. Ergo müssen die Landkreise und kreisfreien Städte alternative Behandlungskapazitäten schaffen, so diese nicht in derzeit nicht genutzten Rehakliniken zur Verfügung stehen.

Ruhrbarone: Wie sehen Sie die nächste Woche? Was wird uns da wohl erwarten?

Memmeler: Zunächst bin ich froh darüber, dass Bundesregierung und Länderchefs am 30. April betont haben, dass wir sehr fragile Erfolge zu verzeichnen haben und noch kein Grund besteht, voreilige Ankündigungen zu weiteren Lockerungen zu machen. Die sollen dann am 06. Mai beschlossen werden. Es ist der Termin, an dem die Datenlage ausgewertet werden soll, um ein neues Lagebild zu erhalten – mehr nicht!

Die Vorfälle in Hochhäusern in Grevenbroich und Gladbeck zeigen, wie unberechenbar die Bevölkerung reagiert. In beiden Fällen haben sich nachweislich positiv getestete Bürger nicht an die Quarantänebeschränkungen gehalten, da sie sich durch diese zu sehr eingeschränkt fühlten und die Maßnahmen in Frage stellten, da deren Sinn angeblich nicht bewiesen sei. Offensichtlich benötigen wir zwei Hilfen. Erstens benötigen wir Wissenschaftsjournalismus, der auch bis in den Bereich von RTL2 Konsumenten verstanden wird, um FakeNews und Verschwörungstheorien kein Gehör zu verschaffen. Zweitens müssen einheitlich geltende Maßnahmen formuliert werden, um klare Regelungen zu schaffen. Lokale Sonderregelungen oder das kommunikative Desaster um die Schulöffnungen in NRW ( Gebauer vs. Laschet ) tragen nicht dazu bei Vertrauen in die Politik und erforderliche die Akzeptanz für derzeit notwendige Einschränkungen zu schaffen. Besonders dann nicht, wenn dabei auch noch Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern vorgeworfen wird, Ihrer Aufsicht für Schulen nicht im ausreichenden Maße nachzukommen.

Angesichts der aktuellen Zahlen zur Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit und befürchteten Insolvenzen benötigen wir aber genau dieses Vertrauen und diese Akzeptanz, wenn wir zu einer relativen Normalisierung kommen wollen.

Man darf nicht darauf verweisen, dass SARS-CoV2 vorwiegend für Alte und Vorerkrankte ein Risiko darstellt, was im Übrigen in dieser Ausschließlichkeit nicht stimmt. Denn mit solchen Aussagen wird dem Vorschub geleistet, dass sich junge und vermeintlich gesunde Menschen unvernünftig verhalten. Das dann nämlich zum echten Risiko für alle würde – auch und besonders für alte Menschen und Menschen mit Vorerkrankung. Und Menschen wie Herrn Boris Palmer empfehle ich, seine Aussagen beim nächsten Treffen der Grauen Wölfe oder bei der Frauenhilfe Tübingen zu wiederholen. Mal sehen, wem dann nicht mehr zu helfen ist.

Ruhrbarone: Vielen Dank für die ausführliche Beantwortung unserer Fragen. Ich bin gespannt, was uns nächste Woche beschäftigen wird.

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