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Doof und arm anne Emscher

Eine neue Bildungsstudie zeigt was alle wissen: Nirgendwo im Ruhrgebiet sind die Probleme größer als in der  Emscherzone. Lösungsansätze gibt es, aber kein Geld sie umzusetzen.

Detlef Müller-Bölling vom Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), Wilfried Bos von der TU Dortmund, Klaus Peter Strohmeier vom Zentrum für interdiziplinäre Ruhrgebietsforschung (ZEFIR)  und mehr als ein Dutzend weiterer Bildungswissenschaftler haben eine Vorstudie zu einem Bildunsgbericht für den Regionalverband Ruhr (RVR) vorgestellt. Er ist die Grundlage für einen Masterplan Bildung, den der RVR aufstellen will.

Das Ergebnis: Das Ruhrgebiet liegt in allen Bildungsbereichen unter dem Landesdurchschnitt – und besonders übel sieht es in der Emscherzone aus. Nirgendwo im ohnehin nicht bildungsstarken Ruhrgebiet ist die Zahl der Schüler, die ohne Abschluss die Schule verlassen höher, nirgendwo sonst haben mehr Kinder Sprachprobleme und ist die Abiturientenquote geringer.

Der BIldungssektor fügt sich damit in ein tristes Gesamtbild des zentralen Ruhrgebiets: In Städten wie Herne, Gladbeck und Gelsenkirchen finden sich auch die höchsten Arbeitslosenzahlen, die niedrigsten Immobilienpreise, der höchste Bevölkerungsrückgang und die tristesten Innenstädte. Alle Probleme des Ruhrgebiets – zwischen A40 und A2, im Bereich der Emscher sind sie konzentriert. Eine Region der Hoffnungslosigkeit.

Helfen könnten da nur massive Investitionen. Vor allem in den Bildungsbereich und in die frühkindliche Erziehung müsste Geld gesteckt werden: Die Wissenschaflter fordern neben einer besseren regionalen Abstimmung vor allem mehr individuelle Lernförderung, mehr Sprachkurse und einen massiven Ausbau der Kinderbetreuung. Auch sollen künftig mehr Gesamtschulen zur Verfügung stehen, da immer weniger Eltern ihre Kinder auf Hauptschulen schicken wollen. Generell fordern die Bildungsexperten einen Umbau des des Schulsystems:

„Die Metropole Ruhr wird um Strukturreformen im Bildungssystem nicht umhin kommen. Insbesondere im Schulsystem wird eine Reform der bestehenden Bildungsstrukturen erforderlich.

Dies wird durch den Niedergang der Hauptschule, die Gefährdung von Realschulstandorten, den hohe Ansturm auf Gesamtschulen und die notwendige Öffnung des Gymnasiums unabweisbar. Zugleich ließen sich damit auch nicht leistungsgerechte und sozial selektive Übergangsentscheidungen beseitigen.“

Die Struktur des Bildungssystems in NRW könnte sich als Ergebnis der Landtagswahl ändern. Das werden wir in den kommenden Wochen wahrscheinlich auch, zumindest in Ansätzen, erleben. Aber  Vorschläge wie gezielte Sprachförderung und individuelle Betreuung kosten Geld. Und Geld ist nicht da. Weder bei den Kommunen noch beim Land. Die Folgen für die region werden verheerend sein: Schon während des vergangenen Aufschwungs gab es im Ruhrgebiet nicht genug Fachkräfte.

Bald werden zudem die gut ausgebildeten Baby-Boomer in Rente gehen, der Fachkräftemangel wachsen. Unternehmen werden im Ruhrgebiet dann kaum noch die Mitarbeiter finden, die sie benötigen. Sie werden sich in anderen Teilen des Landes ansiedeln. Vorhandene Unternehmen das Ruhrgebiet vielleicht sogar verlassen. Fachkräftemangel und eine hohe Sockelarbeitslosigkeit bei den Schlechtqualifizierten – das Ruhrgebiet steckt in einem Schraubstock. Und eine Lösung ist nicht in Sicht.

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Eva
Eva
13 Jahre zuvor

Grundsätzlich natürlich richtig, dass es im nördlichen Ruhrgebiet besonders trist aussieht. Einer Argumentationslinie kann ich allerdings nicht folgen, nämlich der, dass Unternehmen im Ruhrgebiet Schwierigkeiten hätten, gut ausgebildete Fachkräfte zu finden. Ich denke, es ist genau umgekehrt: Gut Ausgebildete haben Probleme, ein Unternehmen zu finden, das sie einstellt. Das sieht man ja daran, dass Hochqualifizierte sich gezwungen sehen, das Ruhrgebiet zu verlassen, weil sie hier keine berufliche Perspektive haben.

Achim
13 Jahre zuvor

Es stimmt wohl beides: Aktuell gibt es Abwanderungen Hochqualifizierter einzelner Branchen, etwa IT, wo die Zahl der Absolventen die Zahl der Arbeitsplätze übersteigt. Mittel- und vor allem langfristig wird für Deutschland insgesamt ein Fachkräftemangel prognostiziert. Der kann das Ruhrgebiet besonders hart treffen, weil hier zu wenig einheimische Kinder gut ausgebildet werden, und die Region für Außenstehende nicht attraktiv genug ist (vor allem, wenn sie zwischen mehreren Regionen auswählen können).

Die düstere Diagnose zur Bildungssituation in der Emscherzone bestätigt, was sich in den letzten Jahren schon angedeutet und gezeigt hat. Die Frage ist, wann drauf reagiert wird.

PS: Der Link zur Vorstudie läuft ins Leere…

Malte
13 Jahre zuvor

Wie wäre es mit Bildungszwang, aber für die Eltern! Denn, an denen muss es doch liegen! Wir haben hier in Ge alles: Ausbau der Krippen, Sprachförderung im Kindergarten/Kita, Ganztagsschulen usw. Was bringt es, nix! Die Stadt/der Staat nimmt den Eltern fast alles aus der Hand und die schauen nur zu!

Oder doch den Bildungszwang abschaffen und den Kindern mehr Kreativen Freiraum lassen…?

Eva
Eva
13 Jahre zuvor

Dann müssten Arbeitgeber vielleicht mal von ihrem Primat „jung, männlich, technischer Beruf“ abrücken..

Eva
Eva
13 Jahre zuvor

@ Stefan: Dann bleibt aber immer noch: jung und männlich. Die Flexibilität, die von Arbeitnehmern gefordert wird, haben Arbeitgeber noch lange nicht…

Höddeldipöp
Höddeldipöp
13 Jahre zuvor

Zitat: “ Helfen könnten da nur massive Investitionen. Vor allem in den Bildungsbereich und in die frühkindliche Erziehung müsste Geld gesteckt werden …“

Davon bin ich nicht überzeugt. Natürlich muss in die frühkindliche Erziehung investiert werden, aber das zieht den Karren auch nicht aus dem Dreck.

Das Bild ist eigentlich sehr aussagekräftig. Niedrige Mieten könnten ein Standortvorteil sein, wenn man ihn zu nutzen weiß. Stattdessen nimmt man die Höhe der Mieten als Indikator für wirtschaftliche Prosperität, was für ein Unsinn.

Auch wird immer nur geredet von hochqualifizierten Ingenieuren und Facharbeitern, die dann irgendwann fehlen oder abwandern. Wer redet von dem türkischen Automechaniker, der eine eigene Werkstatt aufmachen möchte oder der Konditorin, die vielleicht keine Franchise-Unternehmerin eines Industriebrot-Fabrikanten sein möchte, sondern ihren Kuchen selber backen will.

Wir werden schon aus Gründen des Produktivitätswachstums keine flächendeckenden Industriestrukturen mehr benötigen. Das hat nichts mit Babyboomern oder Alterspyramiden zu tun, sondern mit der Produktivitätsentwicklung. Die Produktivität verdoppelt sich alle 30 Jahre. Und damit halbiert sich die Zahl der benötigten Fachkräfte und der Flächen für die Industriebebauung.

Leben kriegt man in solche Regionen nur, wenn man auf einer ganz anderen Ebene fördert. Im Bereich der Existenzgründung von kleinen Handwerksbetrieben, Gastronomie, Bäckereien, Kioske, Künstler, kleine Tüftlerbuden, kleine Unternehmen, kleine Verlage, etc. Schon wenige solcher Betriebe, die ihre Familien ernähren , können Kristallisationspunkte für größere Strukturen sein. Schon siedeln sich Friseure, Inneneinrichter, Supermärkte, Sparkassen an. Es muss nicht immer ein Technologiepark sein.

Leider kümmert sich die Politik nicht um diese Klientel. Allein bestimmte Regelungen der Krankenversicherung verhindern, dass Kleinstunternehmen überleben können. Steigende oder zu hohe Mieten geben ihnen dann den Rest. Beispiel: Ein Existenzgründer, der 1000 Euro Umsatz macht im Monat, muss aufgrund der Mindestbemessungsgrundlage der gesetzlichen KV einen monatlichen Beitrag von 320 Euro bezahlen. Ein entsprechender Arbeitnehmer übrigens nur 160 Euro. Soll er noch für die Rente zurücklegen und seine Miete bezahlen wird ihm kaum etwas zum Leben übrig bleiben.

Wer in diesem Lande Rahmenbedingungen schaffen will für kleine Unternehmer und Existenzen, die dann Kristallisationskerne in solchen Regionen sein können, der muss sich um diese Leute kümmern und nicht um die Ansiedlung von Großunternehmen und deren Ausbildungsbedürfnisse. Die Alternative wäre, große ehemalige Siedlungsgebiete in Steppe und Urwald umzubauen und dann Wiesente dort waiden zu lassen. Da muss man sich halt entscheiden, was man will.

Wolfram Obermanns
Wolfram Obermanns
13 Jahre zuvor

Ob mehr Geld so pauschal die Lösung ist?
Wenn in Oberhausen, Herne und Dortmund an einem Programm wie „Gütesiegel Individuelle Förderung“ praktisch nicht teilgenommen wird (s. Vorstudie Anlage 2 S. 59), dann hat das nicht unbedingt mit wenig Geld zu tun, schließlich sehen die Zahlen für Bochum und Essen ganz anders aus.

Persönlich finde ich es im Übrigen äußerst befremdlich, wenn vorhandene Vergleichsarbeiten für so ein Staatsgeheimnis gehalten werden, daß sie hier nicht einmal der Forschung zugänglich gemacht werden (ebda. S. 57). Zuungunsten von Forschung, Gemeinden und Kindern werden wessen Interessen geschützt?

Perik O'Loso
13 Jahre zuvor

@ #8: Apropos Bildung, Babyboomer, Alterspyramide: Der gestrige Feuilleton-Aufmacher der FAS von Alleswisser Schirrmacher war ziemlich erschreckend:
https://www.faz.net/s/RubCF3AEB154CE64960822FA5429A182360/Doc~E3DC6658AC889496795D9AE18F1120F9D~ATpl~Epalmversion~Scontent.html
Vielleicht sollte man „anne Emscher“ auf die Ausgaben für Bildung tatsächlich verzichten und das Gebiet endlich fluten. Mann, ist das alles bitter.

Arnold Voß
Arnold Voß
13 Jahre zuvor

@ Perik O´loso

Das besondere Problem in der Emscherzone ist, dass es zugleich dort überdurchschnittlich viele junge Menschen mit Migrationshintergrund geben wird, die auf eine zunehmend überalterte deutsche Mehrheitsgesellschaft stößt. Da sind die Missverständnisse und Konflikte schon jetzt vorporgrammiert.

Ex-Gladbecker
Ex-Gladbecker
13 Jahre zuvor

Ach ja, das REX-Kino…
Als ich noch Kind war, liefen da sogar Filme. Wenn ich alle paar Wochen mal in meiner alten Heimat bin, meide ich nach Möglichkeit die Innenstadt. Die ist inzwischen so tot, dass sogar die vor 10 Jahren aus dem Boden geschossenen 1 €-Läden dort kaum noch bestehen können. Außerdem sind die mit Papier verklebten Schaufenster von dem Klotz am Eingang zur Innenstadt, der früher Karstadt und dann kurzzeitig Hertie war, wenig einladend.

Das hat aber weniger mit Bildung sondern mehr in erster Linie mit dem Entstehen von Mega-Einkaufszentren nach amerikanischem Vorbild ab den späten 90ern zu tun. In Gladbeck gings konkret bergab, als ca. 30 CE 91-Busminuten entfernt das Centro eröffnet hat. Ein Schicksal, dass gerade viele mittelgroße Städte im Pott teilen. Ironischerweise musste Oberhausener Innenstadt zuerst dran glauben.

Angelika
Angelika
13 Jahre zuvor

Da war ich doch vor einigen Tagen in Hattingen und da sah ich… (auch Leerstand – aber hallo, der ist ganz und gar nicht zu übersehen; kein Wunder, dass R. van Dinther dort nicht punkten konnte …).

Und kürzlich war ich in Köln und da sah ich… (grusel – ich gehe nicht näher darauf ein …).

Und im letzten Dezember war ich in Lübeck und da sah ich…

Man kann so einiges entdecken, wenn man will – nicht nur „…anne Emscher“ …

p.s.: Und was ich am letzten Freitag in Bonn sah (bekanntlich am Rhein, wo es angeblich ach sooo schön ist und weit weg von „…anne Emscher“) hat mich auch nicht vom Hocker gerissen.

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