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Im Fegefeuer der Befindlichkeiten


Die französische Filmemacherin und Publizistin Caroline Fourest hat mit „Generation Beleidigt“ ein Essay über den „Wachsenden Einfluss linker Identitärer“ geschrieben. Es ist vor allem ein warnender Ausblick auf die Zukunft.

Will man in den USA einen Film machen, ist „Sensitivity Counselor“ fast so wichtig wie der Drehbuchautor, der Kameramann oder der Regisseur. Wie durch ein Minensucher leitet der Sensitivity Counselor das Filmteam über das Feld der Befindlichkeiten. Wird die Rolle des Transsexuellen auch durch einen Transsexuellen verletzt? Könnten Text oder Teile der Ausstattung eine Minderheit beleidigen? Darf der Regisseur überhaupt diesen Film drehen? Nehmen sich Weiße eines Thema wie Rassismus an, ist das schon einmal schwierig. Aber als Spike Lee den in Chicago spielenden Film Chi-Raq drehte gab es Kritik, dass Lee ja gar nicht aus Chicago kommt, sondern, in Atlanta geboren, in Brooklyn aufwuchs. Der Koch Jamie Oliver bekam Probleme, weil er ein Reisgericht mit einer jamaikanischen Gewürzmischung vorstelle – die in Jamaika allerdings nur für Hähnchengerichte genutzt wird.
Caroline Fourest Buch „Generation Beleidigt – Von der Sprachpolizei zur Gedankenpolizei“ ist voll solcher Beispiele. Sind Yoga-Kurse kulturelle Aneignung?  Warum werden die Rollen von Indigenen beim Théâtre du Soleil nicht ausschließlich mit Indigenen besetzt? Mit der Frage, ob eine französische, feministische Laizistin sich über das Kopftuch äußern darf, wurde Fourest während ihrer Arbeit an einer amerikanischen Universität selbst konfrontiert. Und das sind noch die harmlosesten Beispiele, die sie beschreibt. Als der Biologieprofessor Bret Weinstein, ein engagierter Bürgerrechtler und Vorkämpfer gegen Diskriminierung jeder Art, sich an der Evergreen Universität dagegen aussprach, dass Weißen an einem Tag der Zugang zur Hochschule untersagt werden sollte, weil dies für ihn als „Bürgerrechtler – vielleicht sollte ich sagen, auch als Jude – inakzeptable (ist). Wenn die Leute anfangen, mir zu sagen, wohin ich gehen kann und wohin nicht, klingt das für mich wie ein Warnsignal.“ Studenten forderten daraufhin die Entlassung Weinsteins, bedrängten und bedrohten ihn. Auf Hilfe seiner Universität konnte er nicht setzen. Schließlich verließ er den Campus.

Es solche Vorfälle, um die es geht, wenn auch in Kontinentaleuropa über Cancel Culture diskutiert wird. Und nach der Lektüre des Buchs ist klar, dass solche Zustände verhindert werden müssen. Es geht darum, dass Gruppen an den Hochschulen und auch immer mehr in den Medien jeder Freiheit der Debatte einschränken, keine Diskussion mehr wollen und die Identität in das Zentrum rückt. Dürfen sich Weiße zu Rassismus reden? Laizisten zum Islam? In den USA, sagt die Autorin, hätten Professoren Angst, Themen anzusprechen, über die sich ihre Studenten aufregen. Zum Beispiel, wenn ihnen die Lektüre von Ovid zugemutet wird. Es droht Jobverlust. Braucht nicht jede Gruppe einen Safe-Space, in dem sie vor allen sie vielleicht irritierenden Ansichten geschützt ist? Fourest meint nein: Die Identitätspolitik, ein weitere Ausdruck der sich gegen den Universalismus und die Aufklärung stellenden Postmodernen, beschreibt sie als ein repressives System, dessen Protagonisten sich nicht gegen die Unterdrückung der Frau oder die Verfolgung von Homosexuellen stellen, sondern gegen Meinungs- und Kunstfreiheit. Profitieren von all dem nur die politische Rechte, denn der postmoderne Wahn schwäche die Linke. „Es ist Zeit, Luft zu holen und von neuem zu lernen, die Gleichheit neu zu denken, ohne der Freiheit zu schaden.“

Caroline Fourest Generation Beleidigt: Von der Sprachpolizei zur Gedankenpolizei
Edition Tiamat, 18 Euro

 

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Berthold Grabe
Berthold Grabe
3 Jahre zuvor

Im Grunde ist nichts davon ernsthaft justiziabell und vollständig von der Meinungs- und künnstlerischen freiheit gedeckt.
Es zählt nicht, wer irgendwas wie auffassen kann, sondern ausschließlich die Intention des Autors, Verfasser, Regisseurs.
Alles andere ist subjektive Willkür.
Und es wird Zeit, das dies rechtlich eindeutig festgestellt wird und somit jeder Klage dieser Art von vorne herein die Grundlage entzogen wird.
Es ist schlicht irrelevant, ob sich jemand diskriminiert fühlt, es muss auch der Intention entsprechen.
Es kann nicht sein, dass jede beliebige Interpretation bereits als Tatbestand geltend gemacht werden kann.
Wäre es so wäre auch die Zurückweisung des Begriffs eines Ermächtigungsgesetztes aktuell in der Pandemie bereits eine justiziable Diskriminierung.

Ottoburger
Ottoburger
3 Jahre zuvor

Nach etlichen Hundertjahren des Ringens um das Verständnis von Toleranz ist die Menschheit in eine Phase des Vergessens durch ‚neglect and selection‘*) der Suchmaschinen wie Bing und Google getreten. Blähköpfen und Dickschifffahrern und anderem mit einer reichlichen Ausstattung des Eigennutzstrebens statt „moralisch motivierten Beiträgen zum Gemeinwesen“ wurde Toleranz und Empathie zum abwegigem Gedanken der Geschichte.

*) Deutschland hat Erfahrungen: „Hier wird selektiert! /Internet macht frei!/“ … und Duisburg ist echt wie sein Image.

Ottoburger
Ottoburger
3 Jahre zuvor

Am 19. Nov 2020 schreibt Michael Schulze von DuisTop-Blog „In eigener Sache“: die Wiederkehr des Bergrechts in Duisburg seit 100 Jahren.
https://www.viewww.de/123/duistop-forum/2020/11/19/in-eigener-sache/

Duisburg ist echt „transculturally selfish but yet moraly motivated“ – Ich mach mein Ding und Du machst Dein Ding! Aber lass mich bloß in Frieden: Der Ruhrpott wird sich zum RuhrLab des NewDingDing der Juxta-Kooperation entwickeln.

Was kommt nach der Kooperation, als jeder machte was er wollte?: Ich hab schon immer SPD gewählt, aber lass mich bloß mit Politik in Frieden! (Demografie statt Demokratie)

EinLipper
EinLipper
3 Jahre zuvor

Was Linke mit diesem identitären Quark anstiften ist brandgefährlich, wer hindert Rechtsextreme daran, sich auch auf solche "Grundsätze" zu berufen?
Jede "gefühlte" Diskriminierung als Tatsache anzuerkennen führt zur Diktatur der moralisierenden Identitätspolitik. Im Ergebnis dürfen dann auch nur noch alte weiße Männer alte weiße Männer kritisieren.

Laubeiter
Laubeiter
3 Jahre zuvor

Guten Morgen. Ich las das Buch. Die Autorin fühlt sich berufen, den Stimmen im öffentlichen Raum Legitimität zuzuweisen oder zu bestreiten. Wenn die Autorin sich dabei als eine Stimme unter vielen versteht, gut; wünscht sie, dass Positionen, die sie für illegitim hält, wieder verschwinden, dann fehlt mir ein Verständnis von Dissens. Die Gesellschaft entwickelt sich durch Dissens. Was 1977 eine exzentrische Gruppe marginalisierter Frauen sich ausgedacht hat, steht heute im Zentrum des Denkens vieler. Wenn heute Leute auf Klassenzugehörigkeit oder Geschlecht pfeifen und auf Anerkennung anderer Dimensionen ihrer Identität pochen, so ist das vielelicht kakophon, so bedenklich wie Caroline Fourest erscheint es mir nicht.

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