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Phantastische Gruselreise durch die Hustadt, Bochum und das Ruhrgebiet

Rezension zu Pia Lüddeckes Roman: In Dreams

Mysteriöse Dinge ereignen sich im Dunstkreis der Ruhr-Universität. Menschen verschwinden. Bei Nacht werden dämonische Tiere mit glühenden Augen gesichtet. Eine zwielichtige Firma wirbt für ein ominöses Wellnessprogramm. Und ständig diese Stromausfälle…
Die junge Literaturstudentin Indra und der neurotische Psychologie-Doktorand Arno Löwenherz widmen sich der Erforschung luzider Träume, als sich ihr beschauliches Leben in einen Alptraum verwandelt. Unversehens wird Indra in die unheimlichen Vorgänge rund um das angebliche Wellnessinstitut verwickelt. Doch wer zieht die Strippen? Die Frage quält nicht nur ihren Freund und Mentor, der ohnehin hinter allem eine Verschwörung wittert. Sollte er damit Recht behalten?

Die Autorin PIA LÜDDECKE kam in einer dunklen Gewitternacht im finstersten Winkel des Ruhrgebiets zur Welt. Die Faszination für das Fantastische und den morbiden Grusel begleitet sie seit ihrer Kindheit. Sie studierte Germanistik und Angliistik an der Ruhr-Universität Bochum und arbeitet hauptberuflich als Journalistin. IN DREAMS ist ihr dritter Roman.

„Ich bin mit einem ruckelnden Aufzug in den dreizehnten Stock des Hades gefahren, um herauszufinden, wo du wohnst.“, schnappte sie. „Ich habe die U-Bahn nach Herne genommen, die halsbrecherische Busfahrt durch das Getto überlebt und eine Methadonpatientin nach dem Weg gefragt! Dann habe ich ganz alleine diesen Autofriedhof hier überquert, der, nebenbei bemerkt, eine recht passable Kulisse für einen Horrorroman von Stephen King abgeben würde. Mein Traumtherapeut wird tief enttäuscht sein, wenn er bei unserer nächsten Sitzung erfährt, dass ich sein Geschenk verloren habe. Für dich hat das Kästchen keinen Wert, wahrscheinlich ist sowieso bloß ein Sahnebonbon drin. Mir bedeutet es aber sehr viel! Und ich habe die Nase gestrichen voll! Es war ein langer Tag! Ich bin hungrig und übermüdet und habe kalte Füße – keine gute Kombination! Als ob mich meine luziden Träume nicht schon genug quälen würden. Ich will nur noch nach Hause und meine verdammten Spaghetti! Ich habe das Recht auf meine Spaghetti! Aber vorher will ich das Schatzkästchen!“
Der Rotschopf schwieg, wie um ihre Schimpftirade wirken zu lassen. Verwirrung flackerte über sein Gesicht, gefolgt von etwas anderem, das sie nicht einordnen konnte. „Du hast einen Traumtherapeuten?“
„So ist es!“, erwiderte Indra und ärgerte sich, dass ihr diese persönliche Information herausgerutscht war. Er musste sie für komplett irre halten. „Ich träume nun mal sehr intensiv. Aber es tut nichts zur Sache. Ich wollte damit nur sagen, dass ich für heute genug habe.“
Der Dieb schien anderer Meinung. Es kam ihr so vor, dass er sie erstmals ansah – richtig ansah: „Deine Träume. Fühlen die sich manchmal… real an?“
„Hä?“ Was sollte die Fragerei. „So real, wie sich luzide Träume nun mal anfühlen. Mein Therapeut nennt es ‚ein faszinierendes Phänomen‘. Ich selbst finde es eher anstrengend, weil man selten zur Ruhe kommt.“

Der Dieb trat einen Schritt auf Indra zu und starrte sie dabei ganz seltsam an, starrte ihr direkt in die Augen. Dann wanderte sein Blick zwei Zentimeter nach rechts und verharrte auf einem Punkt an ihrer Schläfe. Okay, das wurde langsam schräg. Sie wich instinktiv ein Stück zurück.
Der Rotschopf folgte ihr in Zeitlupe, als wäre auf ihrer Stirn ein Schmetterling gelandet, den es mit dem Glas einzufangen galt. „Diese kleine Narbe da, hast du das schon länger?“
Indras Finger tasteten unwillkürlich nach dem haarfeinen Mal in Form einer Mondsichel, das sie seit ihrer Kindheit spazieren trug. Der Kerl war ein ausgezeichneter Beobachter, das musste man ihm lassen. „Was geht dich meine Narbe an?“
„Eine Menge“, sagte er, „falls du, wie ich annehme, eine Waise bist.“
Indra war völlig perplex. Wie konnte er ihr Geheimnis einfach so erraten? Hatte sie irgendein verräterisches Detail an sich?

Die Autorin hat ein gutes Gespür für komisch-surreale Szenen mit Tendenz zur Groteske, Dialogwitz und präzises Timing. Das gilt insbesondere für das sukzessive Hinübergleiten der Handlung von realen Schauplätzen, die dem Ruhrgebiets-Leser sehr bekannt vorkommen, in surreale Orte und hinüber in phantastische Locations. Sie spielt damit einerseits das gesamte Spektrum der Fantasy-Grusel-Literatur aus und verknüpft es mit Elementen des neuen RUB-Romans und Ruhrpott-Items. Hat man sich als Leser erst mal damit arrangiert, dass sie dem realen Ruhrgebiet das Potential eines Grusel-Kabinetts zugesteht, so kann man die beschriebenen Orte durchaus mit ihrem schrottigen und abgefuckten Charme mehr akzeptieren in dem Wissen, dass so eine Story in Oberkassel nicht funktionieren würde. Die Story beginnt lapidar, gewinnt beim Nachtmarkt im Hades zum ersten Mal an Fahrt und zieht den Leser schließlich mit dem Auftreten von Fox (die oben zitierte Leseprobe) in ihren phantastischen Bann. Das eignet sich nicht unbedingt für Leser mit einer ausgeprägten Phantasie, die auch zukünftig gerne Nachts bei Vollmond über menschenleere Straßen, vorbei an Autofriedhöfen, verwaisten Schrottplätzen und belebten Rabenkolonien wandern möchten, ohne dabei das Gefühl zu haben, dass ES gleich passiert. Allen anderen Lesern sei IN DREAMS als Neuerscheinung der fantastischen Gruselliteratur für lange, wolkenverhangene Winternächte an die Herzen gelegt.

Pia Lüddecke: In Dreams.
Roman, 425 Seiten, Broschur
Edition Outbird, Gera 01. Oktober 2021
ISBN: 978-3-948887-22-3, 17,- EUR

Aktuelle Lesungstermine unter: https://pialueddecke.de/termine/

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