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Staatsakt: „Die Nazi-Opfer wurden ermordet, weil sie Migranten waren“

Heinz Buschkowsky Foto: Felgentreu_Buschkowsky.JPG: David Wintzer Lizenz: GNU ab 1.2 /CC

In Berlin ist gestern der Opfer des Rechtsterrorismus in Deutschland gedacht worden. Während bei dem Staatsakt würdige Reden gehalten wurden, meldete sich danach Neuköllns Bürgermeister Buschkowsky medial zu Wort. Und selbst an dem Tag, an dem der Toten des Neonazi-Terrors gedacht wurde, musste er über sein Paradethema referieren: die angeblichen Versäumnisse der Migranten bei der Integration. Von publikative.org

Im Konzerthaus am Berliner Gendarmenmarkt hat die zentrale Gedenkveranstaltung zur Erinnerung an die Opfer rechtsextremistischer Gewalt stattgefunden. Bundeskanzlerin Merkel bat die Familien der Opfer um Verzeihung, sie entschuldigte sich für falsche Verdächtigungen durch die Ermittlungsbehörden. Viele Angehörige seien über Jahre hinweg selbst im Visier der Sicherheitsbehörden gewesen. “Diese Jahre müssen für sie ein Albtraum gewesen sein”, sagte Merkel. Die Morde seien “eine Schande für unser Land”. Besonders beeindruckend waren zudem die Reden der Angehörigen der Opfer.

Weniger beeindruckend war der Auftritt von Heinz Buschkowsky. In der ARD betonte der Neuköllner Bürgermeister nach der Trauerfeier, es gebe ja auch viele Probleme bei der Integration, so könnten mehr als 70 Prozent der Erstklässler mit Migrationshintergrund in Neukölln kein Deutsch. Später war zudem noch von gefährlichen Parallelgesellschaften die Rede. Was genau das Ganze mit der rassistischen Mordserie und dem Gedenken an die Opfer zu tun hat? Schwer zu sagen. Haben die Migranten vielleicht ein bisschen selbst schuld, weil sie sich angeblich nicht gut benehmen? Und was sollte Buschkowsky eigentlich zum Thema Rechtsterrorismus beitragen? Warum stand da kein Fachmann für Rechtsextremismus, sondern ein Star der Integrationsdebatte, zwar kein Sarrazin, aber immerhin ein Buschkowsky, der gerne polarisiert? Und wurde bei Trauerfeiern für RAF-Opfer eigentlich mit einem marxistischen Ökonomen über die Nachteile des Kapitalismus debattiert?

Kann man Deutscher werden?

Ganz nebenbei: Die Opfer wurden nicht von den Rechtsterroristen ermordet, weil sie besonders schlecht oder ausgesprochen gut, so wie Buschkowsky & Co. sich das wünschen, integriert waren, nein, sie wurden mit Kopfschüssen exekutiert, weil sie Migranten waren. Und sie wurden posthum öffentlich zu angeblichen Kriminellen gemacht, weil sie Migranten waren. Und weil sie Migranten waren, wird sogar an dem Tag der Trauerfeier über ihre vermeintlichen Versäumnisse gesprochen, anstatt die rechtsextreme Parallelwelt in Teilen Ostdeutschlands zu thematisieren, aus denen die Täter stammen, oder über Rassismus in den Medien, oder über einen designierten Bundespräsidenten, der ausdrücklich den Begriff “Überfremdung” benutzt.

Aber nein, damit würde man den Blick auf das eigentliche Problem lenken, auf den weit verbreiteten Rassismus in Deutschland. Da ist es doch bequemer über die Migranten zu palavern, die sich sowieso nicht anpassen wollen und angeblich überwiegend kein Deutsch können, auch wenn Migranten so angepasst sein können, wie die Deutschen es wollen, sie bleiben dennoch Migranten. Dem deutschen Blutsrecht und den tief verankerten völkischen Ansichten in der Bevölkerung sei Dank: Deutscher wird man nicht, Deutscher ist man.

Einfach mal die Klappe halten, “schweigende” Mehrheit!

Wie wirkungsmächtig diese leider überhaupt nicht schweigende Mehrheit ist, wurde in Deutschland in den vergangenen Jahren mehrmals deutlich, als die Menschen in diesem Land immer wieder in “wir” und “die” eingeteilt wurden, beispielsweise in der sogenannten Integrationsdebatte, die in Wirklichkeit eine Ausgrenzungsdebatte war; Millionen Mal wurde “mal was gesagt”, weil “man das ja wohl mal sagen dürfte”. Die Rassismus-Experten bei NPD und Konsorten waren begeistert.

Eine Rebellion des verrohenden Bürgertums gegen die, die unter ihnen stehen und keine Lobby haben, Feigheit und dumpfe Vorurteile wurden als Mut und kritisches Denken verkauft. Und selbst im direkten Umfeld der Trauerfeier, mit dem der Opfer der deutschen Rassisten gedacht wurde, konnten die mal-Sager nicht einmal die Klappe halten.

Crossposting: Der Artikel erschien bereits auf publikative.org

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Stefanie
Stefanie
12 Jahre zuvor

Bis zu dem Satz

„Und wurde bei Trauerfeiern für RAF-Opfer eigentlich mit einem marxistischen Ökonomen über die Nachteile des Kapitalismus debattiert?“

dachte ich, der Autor hat recht. Warum muss ausgerechnet an so einem Tag angesprochen werden, wo Probleme bei der Integration gegeben sind. Als ich den Satz dann aber las, wurde mir ganz schnell klar, dem Autor geht es nicht es um diesen Tag für die Opfer, sondern primär darum, seine politischen Ansichten durchzuboxen. Kapitalismuskritik, die dem Kapitalismus die Schuld an den Verbrechen gegeben hätte, das wäre o.k. gewesen, also den Tag gegen den Kapitalismus zu instrumentalisieren. Tolle Kämpfer gegen Rechtsextremismus, denen es letztlich gar nicht um die Opfer geht, sondern nur darum, diese für die eigenen politischen Ansichten zu instrumentalisieren. Da ist mir so eine Taktlosigkeit eines Buschkowskis um einiges lieber, dem es letztlich nämlich wirklich um die Menschen geht, indem er deren Probleme anspricht und nicht darum, diese zu instrumentalisieren für einen Systemwechsel, wie es der Autor dieses Gastbeitrages tut.

Stefanie
Stefanie
12 Jahre zuvor

Und ich weiss auch eigentlich gar nicht, was das hier

„Einfach mal die Klappe halten, “schweigende” Mehrheit!“

soll, über diesen Tag.

Alles was ich hörte und las über die Gedenkfeier war positiv. Egal aus welcher politischen Ecke. Viele Unternehmen etc. haben sich an der Schweigeminute beteiligt. Das ist doch ein tolles Zeichen. Anstatt herauszuarbeiten, dass Deutschland eben diese Verbrechen verurteilt und sich hinter Migranten stellt, wird eine Stimme rausgepickt und so getan durch diese Überschrift, als ginge der Mehrheit diese Mordserie am Arsch vorbei, weil es doch nur Migranten waren, die ja eh selber schuld sind. Keine Ahnung, was das soll. Ich fand den Tag würdig und ein deutliches Zeichen und anstatt hier anzusetzen und zu sagen, die Gesellschaft hält bei so was zusammen, kommt da, die Mehrheit schweigt. Migranten tun Sie damit keinen Gefallen, denn was ja deutlich wurde – zumindest in den Redeausschnitten, die ich hörte – dass die Opfer sich im Stich gelassen fühlten – zu recht – und den Eindruck beschlich, sie seien hier eigentlich nicht gewollt. Dass sie aber gewollt sind, zeigte doch dieser Tag. Also anstatt diese Stimmung zu transportieren für ein Gefühl, wir leben hier alle ZUSAMMEN, egal wo jemand her kommt, wird vermittelt, die meisten wollen Euch nicht. Finde ich unsäglich und dem Tag völlig unwürdig.

Als ich hier auf dem Blog las, dass gestern Neonazi-Demos stattfanden, dachte ich, das kann doch nicht wahr sein. Was ist das für ein Zeichen, wenn an einen solchen Tag die marschieren dürfen. Dass ich aber nun auch lesen muss aus anderen Ecken, dass die Deutschen Migranten gar nicht wollen, finde ich erschreckend nach so einem Tag, der der Einigung und nicht der Spaltung dienen sollte und eigentlich doch hierbei auch sehr gelungen war. Immer diese Miesmacher…

mir
mir
12 Jahre zuvor

Der Trauerakt hat mir gut gefallen.

Mir wäre aber wohler, wenn alle Verbrecher samt Anstifter, MIttäter, Beihelfer dieser Terrorzelle hinter Schloß und Riegel kommen und der staatliche Geheim- und Verfassungsschutz ihr Verhalten in dieser Sache klar dokumentiert, vor allem warum sie unfähig waren innerhalb von mehr als zehn Jahren eine Terrororganisation nicht erkannten.

Marco
Marco
12 Jahre zuvor

Wenn ich an Buschkowsky denke,sind wohl die Migranten selber schuldig das sie von faschistischen Terroristen ermordet wurden.

der, der auszog
der, der auszog
12 Jahre zuvor

Die Kritik an Buschkowsky und der Blick in die Provinz, die in der deutschen Hauptstadt bereits im Stadtteil Neukölln zu beginnen scheint, sollte erlaubt sein.

Ähnlich provinziell, deprimierend und an den Opfern vorbei wirkt die lokale Berichterstattung der WAZ Gelsenkirchen. In der Redaktion um Friedhelm Potthoff scheint es sich immer noch nicht herumgesprochen zu haben, dass der Begriff Döner Morde zum Unwort wurde, weil mit dem Ausdruck ganze Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt werden und er die Opfer selbst in höchstem Maße diskriminiert, indem sie aufgrund ihrer Herkunft auf ein Imbissgericht reduziert werden.

Einen anderen Begriff als Dönermorde, wie Beispielsweise Morde an Einwanderern, scheint man in Gelsenkirchen nicht zu kennen:
https://www.derwesten.de/staedte/gelsenkirchen/ich-finde-das-ist-zu-wenig-id6394862.html

Abnick Grabotki
Abnick Grabotki
12 Jahre zuvor

Als ich gestern punkt 12 im Kaufland Bottrop an der Kasse stand und alle Kassiererinnen (wahrscheinlich mit Migrationshintergrund?) nach der Lautsprecherdurchsage aufstanden (Schweigeminute), fragte ich Jene, warum die Schweigeminute stattfindet, kamen die Kassiererinnen nach gegenseitiger Befragung zu der Antwort, wegen des Überfalls des Kauflandes Oberhausen!

Klaus
Klaus
12 Jahre zuvor

Was ich an der gestrigen Feier reichlich suspekt finde, ist, dass die seitens der Mordopfer nur die türkischen Angehörigen auftreten durften. Und selbstverständlich unter Einbeziehung türkischer Diplomaten und Politiker.

Von den Angehörigen des Griechen und der deutschen Polizistin kein Wort.

Weiß jemand mehr dazu?

Stefanie
Stefanie
12 Jahre zuvor

@Klaus

Ich las oder hörte, dass jeder der Angehörigen jemanden hätte sprechen lassen können. Dass aber wegen der großen Medienpräsenz sich das nur die beiden (?) zugetraut haben. Verständlich, erfordert schon Mut, vor der halben Nation zu sprechen. Umso mehr Respekt haben die verdient, die es machten. Irgendwo las ich in einem Kommentar in einer Kommentarspalte, dass sich jemand aufregte, dass ein Vater auf Türkisch sprach und wertet dies als Zeichen mangelnder Integration. Für diesen scheint die Sprache mehr wert zu sein als die Inhalte. Aber da solche Reaktionen absehbar waren, werden sicherlich einige erst recht entschieden haben, es besser nicht zu riskieren, etwas zu sagen als dass alles auf die Goldwaage gelegt wird.

Da tun sich ja beide Lager nichts, wie man dem Text oben, über den wir reden, entnehmen kann. Bloss was finden, was man dem anderen um die Ohren knallen kann.

Ulrich
Ulrich
12 Jahre zuvor

Buschkowsky ist ein eitler Selbstdarsteller dessen Auftritte immer schwerer erträglich werden, und das betrifft nicht nur seine Aussagen über Migranten. Im letzten Jahr hat er in einer Bild-Kolumne Berliner Richter als „Schwachmaten“ bezeichnet weil die das Verfahren einen Wirt der Alkohol an eine Minderjährige ausgeschenkt hatte einstellten. Später wurde dann bekannt dass es zu dieser Einstellung gekommen war weil ein geladener Mitarbeiter des Bezirksamtes Neukölln, also des Bezirks in dem Buschkowsky Bürgermeister ist der Verhandlung ferngeblieben war. Als der Tagesspiegel dieses Thema aufgriff fühlte sich Buschkowsky in seiner Ehre gekränkt und zog vor Gericht. Wie zu erwarten zog er dabei den Kürzeren, Anwalts- und Gerichtskosten von über 7000 € übernahm der Bezirk Neukölln.

Leider hat der Mann in Berlin „Narrenfreiheit“, niemand traut sich wirklich ihn in die Schranken zu weisen. Er selbst gefällt sich als „starker Mann“, tatsächlich hat er aber nicht einmal seine eigene Verwaltung im Griff.

Walter Stach
Walter Stach
12 Jahre zuvor

Nicht Buschkowski ist im konkreten Falle das Problem. Das Problem heißt ARD.Wie kann diese öffentlich-rechtliche Anstalt mit ihren vielen guten Redakteuren nur auf den Einfall kommen, nach einer bewegenden Trauerfeier, nach dem m.E.insgesamt erfolgreichen Versuch, einen der Würde der Toten gerecht werdenden Staatsakt durchzuführen, einen Bezirksbürgermeister aus Berlin zur Kommentierung einzuladen?
Daß Buschkowski als „Kommunaler“ dann die aus seiner Sicht bestehenden Probleme vor Ort anspricht, speziell die in seinm Bezirk kann doch niemanden überraschen und darf nicht verwundern.
Die ARD ist mit der Einladung von Buschkowski der Bedeutung des Staataktes und der Würde der Trauerfeier nicht gerecht geworden. Sie ist zu kritisieren! Es ist schlimm, daß im Nachgang zu dieser über den Tag hinaus bedeutsamen staatlichen Trauerfeier Buschkowski und seine Ansichten diskutiert werden (müssen).

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