Alle für den Steag-Aktienkauf: Stadt für Stadt, Partei für Partei

Kraftwerk Duisburg-Walsum; Foto: Thorsten Bachner via Wikipedia

Am Montag wird auch der Rat der Stadt Duisburg dafür stimmen, dass ein Verbund von Revier-Stadtwerken 51% der Steag kauft. Dies haben am Freitag die Fraktionsvorsitzenden der SPD, der Linken und der Grünen in einer gemeinsamen Pressekonferenz deutlich gemacht – freilich nicht, ohne den geplanten Aktienkauf „an eine Reihe von Forderungen“ zu knüpfen. Bereits vor einer Woche hatte Stefan Laurin an dieser Stelle gute Gründe gegen dieses Kaufvorhaben angeführt. Auch Befürworter einer Rekommunalisierung von Energieunternehmen lehnen den Erwerb der Evonik-Energiesparte ab. 

Die WAZ jedoch kann den linken Bremer Ökonomen Rudolf Hickel mit der Aussage zitieren, es sei „ordnungspolitisch der richtige Weg, die Energieerzeugung wieder mehr in die Hände der Kommunen zu legen.“ Damit werde ein Gegengewicht zu den Stromriesen RWE, EON, Vattenfall und EnBW geschaffen, erklärte er einem WAZ-Redakteur offenbar am Telefon. Mehr erfahren wir über dieses Gespräch nicht, und dass Hickel dafür ist, dass die Kommunen dem Oligopol der vier Großen etwas entgegensetzen, darf als gesicherte Erkenntnis gelten.
Dass „die Steag“, wie es in dem Artikel weiter heißt, „als ein solides Unternehmen angesehen“ wird, dagegen nicht. Zitat: „Nach WAZ-Informationen soll das Risiko für die Stadtwerke, die am Konsortium beteiligt sind, durchaus beherrschbar sein.“ Boah! Jedoch: nach meinen Informationen sind die Risiken, die sich aus der Steag-Übernahme ergeben, absolut unüberschaubar. Durchaus.  

Nicht minder puzzelig will die Konkurrenz von der Rheinischen Post ihren Lesern den Deal schmackhaft machen. Zunächst einmal auch hier der antimonopolistische Hinweis, dass „der Duisburger Verkehrs- und Versorgungskonzern gemeinsam mit seinen Bieter-Partnern seine Position gegenüber den vier großen privaten Energieversorgern deutlich verbessern kann.“ Damit das auch wirklich jeder versteht: „Das erhöht die Unabhängigkeit.“ Aber jetzt kommt das Argument, dem schon die Überschrift dieses Artikels gewidmet ist: „Wertvoll macht das 51-Prozent-Paket aber auch das Knowhow der Steag.“
„Das Knowhow der Steag“ – jetzt musste sie endlich kommen, die Aufklärung darüber, was das denn nun wieder sein soll. Natürlich: „Ihre Ingenieure gelten weltweit als ausgewiesene Fachleute.“ Knowhow ist etwas, das sich in den Köpfen befindet; und diese Köpfe wissen, wie man ein Kohlekraftwerk baut, beaufsichtigt und wartet und noch viel mehr. Das weiß nicht jeder. Aber woher weiß die Autorin, Hildegard Chudobba, Haus- und Hofschreiberin des Duisburger Oberbürgermeisters, dass die Steag-Ingenieure „weltweit ausgewiesene Fachleute“ sind? Egal, wird schon stimmen, also kaufen!  

“Da sind zum anderen die Kraftwerke im In- und Ausland, die zum Warenpaket gehören und der heute schon große Anteil regenerativer Energie, die Steag-Kraftwerke und ein gut ausgebautes Fernwärmenetz“, wirbt Chudobba. Dass die Kraftwerke in der Aufzählung gleich zweimal angeführt werden, mag zwar etwas komisch wirken, trifft aber den Nagel auf den Kopf. Kraftwerke, das ist es. Kohlekraftwerke, das ist die Steag. “Der heute schon große Anteil regenerativer Energie“ steuerte nach Angaben der linken Tageszeitung „Junge Welt“ 248 Millionen Euro zum Jahresumsatz 2009 bei, der sich insgesamt auf 2,6 Milliarden Euro Umsatz belief. Etwa neun Prozent, „heute schon groß“, aber das restliche Geld muss ja auch verdient werden.
991 Millionen Euro im Kohlehandel und 891 Millionen Euro mit den zehn deutschen Kraftwerken, fehlt noch gut eine halbe Milliarde, und die werden mit den Kohlekraftwerken in der Türkei, auf den Philippinen und in Kolumbien gemacht. Hier, also dort in Termopaipa (Kolumbien), sollen die Arbeitsbedingungen nicht ganz so toll sein („Come to RAG, we have a very good Betriebsklima“). Das fände der Hermann Dierkes, nur für den Fall, dass an dieser Kritik etwas dran sein sollte, freilich nicht ganz so gut, weshalb er findet, dass die kritisierten Missstände überprüft und abgestellt werden sollen.
„Notfalls müssen die Verträge gekündigt werden!“ Ja, der Hermann. Und, ganz wichtig, die „neue Steag“ soll kein Global Player wie RWE oder EON werden. „Wichtig“, sagt Dierkes, der Chef der Duisburger Linksfraktion. Wer ist dagegen schon Hildegard Chudobba, die Leiterin der Duisburger RP-Redaktion?! Sie schreibt: „Die Auslandstätigkeiten der Steag werten die kommunalen Bieter als ein zukunftsgerichtetes Engagement.“ Kann eigentlich nicht sein. Oder Hermann Dierkes müsste noch einmal mit den kommunalen Bietern reden.  

Sollte aber doch ein „zukunftsgerichtetes Engagement“ ins Auge gefasst werden … – okay, reine Spekulation. Aber was man hat, das hat man. Also zehn Kohlekraftwerke hier, drei im Ausland. Wenn nun aber der Preis für Steinkohle auch in Zukunft so dramatisch steigen sollte wie in den letzten Jahren? Reine Spekulation? – Mitnichten. So sicher die Preisschwankungen auf dem Weltmarkt sind, so sicher gehen die Rohstoffpreise, also auch der Preis für Steinkohle tendenziell nach oben. Von einem beherrschbaren Risiko, wie es in der Auftragspropaganda der Lokalpresse heißt, kann also keinerlei Rede sein.
Matthias Schneider, einer der beiden Sprecher der Duisburger Grünen, hält es gar für möglich, dass Evonik allein deswegen die Steag loswerden will. „Die verbrennen doch fast nur Steinkohle und die erneuerbaren Energien bringen zum Geschäftsergebnis kaum was ein“. Deswegen hatte die Mitgliederversammlung der Grünen am 11. November beschlossen, dass die Entscheidungsträger im Rat aufgefordert werden, „eine Beteiligung der Stadtwerke am Bieterkonsortium abzulehnen und das abgegebene Angebot nicht zu bestätigen. Stattdessen fordern die Duisburger Grünen eine klar ökologische Ausrichtung der Stadtwerke „als regionalen Stromversorger und Energiedienstleister“. In der Mitgliederversammlung wurde vor allem das Auslandsgeschäft der Steag mit Kohlekraftwerken, auf dem sogar die mittelfristige Finanzierung der Steag vollständig basiere, als zu risikoreich und als nicht mehr zeitgemäß kritisiert.  

Am Montag werden die Grünen dennoch dem Aktienkauf zustimmen, wie auch die beiden roten Fraktionen und viele CDU-Stadträte – allerdings mit einer Reihe von rot-rot-grünen Forderungen. Das neue Kohlekraftwerk in Walsum soll mit Kraft-Wärme-Kopplung ausgestattet werden, die Kraftwerke in Herne und Lünen sollen geschlossen werden, auf die Planung neuer Kohlekraftwerke soll ganz verzichtet und die Kohleverstromung langfristig gestoppt werden. Rot-Rot-Grün baut die „neue Steag“ zu einem ökologischen Energie-Erzeuger um.
Ja, so etwas erzählen die rot-rot-grünen Herren ganz ungeniert auf einer Pressekonferenz, und am nächsten Tag steht dieser Unfug dann ganz affirmativ in den Zeitungen. Die Übernahme wird jetzt ernst, da ist politischer Widerstand nicht zu gebrauchen.

Landesarchiv in Duisburg: „Wenn Sauerland das überstehen sollte, …“

Adolf Sauerland

„Wenn Sauerland das überstehen sollte, glaube ich nicht mehr an den Rechtsstaat.“ Dieser Satz hätte von mir sein können. Hätte er, tut er aber nicht. Und wenn ich dies gesagt hätte, was ich – wie gesagt – nicht habe, dann hätte ich mich mit dem, was der Duisburger Oberbürgermeister wohl kaum im Amt „überstehen“ könne, auf Sauerlands Rolle bei der Loveparade-Katastrophe bezogen. Und das wäre ungerecht gewesen – weniger gegenüber Adolf Sauerland, eher schon gegenüber dem Rechtsstaat. Denn, nur einmal angenommen, also rein hypothetisch, es wäre tatsächlich so gewesen, dass Sauerland nicht nur die politische Verantwortung für das Loveparade-Desaster trägt, sondern sich darüber hinaus auch noch persönlich schuldig gemacht hätte (wie gesagt: ein reines Gedankenspiel), dann bedeutet Rechtsstaat eben auch, dass Schuld bewiesen werden muss.

Konkret: die Staatsanwaltschaft müsste eine Dienstanweisung oder ein vergleichbares Schriftstück vorlegen, um zu beweisen, dass Sauerland Verwaltungsmitarbeiter angewiesen hat, sich über geltendes Recht hinwegzusetzen. Selbst unter der rein hypothetischen Annahme, dass Sauerland solch eine strafbare Handlung eventuell hätte begangen haben können, wäre fast sicher davon auszugehen, dass die Staatsanwaltschaft nicht über ein derartiges Schriftstück verfügt. Erstens, weil die Staatsanwaltschaft Duisburg sicherheitshalber auch Wochen nach dem Schadensfall noch engagiert die Kriminalpolizei Köln von einer Razzia im Duisburger Rathaus abgebracht hatte. Und zweitens, weil Sauerlands „Regierungsstil“ das Mündliche eindeutig dem Schriftlichen vorzieht. Deshalb werde ich auch weiterhin an den Rechtssaat glauben, selbst wenn Sauerland die Ermittlungen in der Loveparade-Sache überstehen sollte.

Der Umstand, dass mir das Verhalten einer einzigen Staatsanwaltschaft unerklärlich erscheint, kann meinen Rechtsstaatsillusionen insgesamt nämlich noch nichts anhaben. Schließlich gibt es nicht nur die Staatsanwaltschaft in Duisburg, sondern auch die in Wuppertal. Das ist die Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft für Korruption, was uns thematisch zum Landesarchiv NRW führt, das in Duisburg gebaut werden soll. Sie geht dem Verdacht auf Geheimnisverrat, Untreue und Betrug nach, weil im Januar 2007 ein privater Immobilieninvestor für fast vier Millionen das Grundstück erworben hatte, als nur Insidern das große Interesse des Landes daran bekannt sein konnte. Der Verkaufspreis, den die Firma kurze Zeit später beim Land NRW erzielen konnte, lag bei 21,6 Millionen. Der Verdacht, dass es Adolf Sauerland war, der 2007 dem Essener Unternehmen Kölbl Kruse vertrauliche Informationen über den künftigen Standort des Landesarchivs gegeben haben könnte, ist nicht ganz neu.

Rüttgers und Sauerland beim Spatenstich fürs Landesarchiv (Screenshot WDR)

Neu ist jedoch, dass dem WDR jetzt ein Brief vorliegt, in dem die Firma Kölbl Kruse ausdrücklich auf den Sauerland verweist, um den Verkäufer von ihrer deutlich besseren Offerte davon zu überzeugen, das Geschäft nicht mit dem Land abzuschließen: „Herr Sauerland selbst riet uns zu einem kurzfristigen Notartermin“. Nun muss auch nicht jede Behauptung einer Immobilienfirma in einem Brief an einen Geschäftspartner immer gänzlich den Tatsachen entsprechen. Insofern beweist auch dieses Schriftstück für sich genommen noch nicht viel. Nur: es wäre das „missing link“ in der ansonsten äußerst dubiosen Affäre um das NRW-Landesarchiv. Irgendjemand aus dem kleinen Kreis, der im Januar 2007 in der NRW-Staatskanzlei von der Entscheidung für Duisburg wusste, muss geplaudert haben. Kölbl Kruse nennt im Brief Adolf Sauerland. Jürgen Zurheide kommt in seinem WDR-Beitrag zu dem Ergebnis: „Das, was wir hier vorliegen haben, ist leider so dicht, dass wir davon ausgehen müssen, dass es stimmt.“ Deshalb rechnet Zurheide damit, dass die Ermittlungen der Wuppertaler Staatsanwaltschaft, die sich bislang  gegen Unbekannt richten, demnächst gegen Sauerland als Beschuldigten geführt werden.

Allerdings – wir kennen dies aus einem anderen Verfahren – geht auch die Staatsanwaltschaft Wuppertal davon aus, dass es noch Monate dauern kann, bis sich der Verdacht der Korruption und des Betrugs hinreichend belegen lässt. Und unter Verweis auf diese Ermittlungen – auch dies kennen wir aus dem anderen Verfahren – ist Sauerland nicht bereit, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. „Wenn Sauerland das überstehen sollte, glaube ich nicht mehr an den Rechtsstaat“, sagte Hans Glassl der Nachrichtenagentur dpa. Glassl ist ein Privatdetektiv, der in diesem Fall für einen Makler ermittelt hat, der sich um drei Millionen Euro Provision betrogen fühlt. Der Schaden für den Steuerzahler sei zehnmal so hoch, meint Glassl. „Da ist soviel schief gelaufen. Das kann alles gar nicht wahr sein.“ Der Detektiv hat seine Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft Wuppertal weitergegeben. Sie ermittelt inzwischen gegen einige Beschuldigte, verschweigt aber deren Namen. Auch das gehört zum Rechtsstaat. Auch darauf hat Adolf Sauerland ein Recht. Zu Recht.

Duisburg-Walsum: die Posse um den Platz geht weiter

Foto: Zwingenberg / Bernis-Blog

In der Posse um die Umbenennung eines Platzes in Duisburg-Walsum wurde am Donnerstag ein weiteres Kapitel geschrieben. Es muss nicht unbedingt das letzte sein.

Wie berichtet, hatte sich die Bezirksvertretung des ehemals selbständigen Stadtteils im Duisburger Norden fraktionsübergreifend darauf verständigt, ihren Rathausvorplatz in „Schalom-Platz“ umzubenennen. Nachdem jedoch der dortige „Heimatverein“ mit dem Hinweis, es gäbe bereits genug Naziopfer-Gedenkstätten, gegen dieses Vorhaben protestiert hatte, beeilten sich die Fraktionen von CDU und SPD, den entsprechenden Antrag von der Tagesordnung des Vorstadt-Parlaments zu nehmen. Kurz darauf bemühte sich der Walsumer CDU-Fraktionschef, eine von ihm auf einer Karnevalssitzung gestellte Suggestivfrage als Volksbefragung zum Thema umzudeuten.

Am Donnerstag, den 18. November, haben sich nach Angaben der WAZ-Stadtteilredaktion die Fraktionsvorsitzenden in der Bezirksvertretung Walsum als Kompromiss auf den Namen „Platz der gemeinsamen Erinnerung“ geeinigt. Damit solle sowohl der jüdischen wie auch der nichtjüdischen Opfer des Nazi-Regimes gedacht werden, aber auch – und wie man annehmen muss: vor allem – der auf der Arbeit umgekommenen Bergleute. Dieser Kompromiss nimmt der ganzen Sache nichts von ihrer Peinlichkeit.

Es kann nicht darum gehen, die einen Toten gegen die anderen auszuspielen. Aller Toten zu gedenken ist ein Fundament jeglicher Kultur. Nur: wo Aller gedacht wird, am gleichen Ort und zur gleichen Zeit, und bei Gedenkveranstaltungen vermutlich auch noch von den gleichen Anwesenden, da wird eigentlich – wenn wir ehrlich sind – niemandem gedacht. Man denkt allenfalls an Vorstadtpolitiker, wie sie in der Bredouille auf einen Namen wie den „Platz der gemeinsamen Erinnerung“ gekommen sein mögen. Einmalig auf der Welt, eine einmalige Peinlichkeit!

Man kann tatsächlich davon ausgehen, dass es vielen Walsumern lieber gewesen wäre, man hätte es bei der Erinnerung an die verstorbenen Bergleute belassen und den Platz in Barbaraplatz umbenannt. Nichts wäre dagegen vorzutragen gewesen, den Kumpeln, die bei der schweren Arbeit ihr Leben gelassen hatten, eine besondere Ehre zu erweisen. Man hätte sich so äußerst fragwürdige Einlassungen wie jener, dass es bereits genug Naziopfer-Gedenkstätten gäbe, guten Gewissens schenken können. Und niemand wäre auf die Idee gekommen, dass im Verhältnis zur deutschen Geschichte etwas nicht stimmt – wenn man sich geäußert hätte, bevor der Vorschlag „Schalom-Platz“ auf dem Tisch lag.

Wenn jedoch bei einem sensiblen Thema wie dem Holocaust einmal eine Einigung erzielt wurde, dann muss man zum interfraktionellen Beschluss auch dann stehen, wenn dieser dem ein oder anderen nicht passt. Wenn aber, wie kürzlich in Walsum geschehen, Alles vorbereitet war, sogar der Termin zur Namenseinweihung schon feststand, und dann noch kurz vor Toresschluss die Absage kommt, dann tut man dem Ansehen seines Ortes keinen Gefallen. Wenn dann Michael Rubinstein, der Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde, meint, dass „es einige Leute zu geben (scheint), die mit einem Schalom-Platz Probleme haben“, dann hat er nichts gegen Nicht-Juden, dann hat er einfach nur Recht.

Und noch etwas: es hat nichts damit zu tun, die einen Toten gegen die anderen auszuspielen, wenn man sich vor Augen hält, dass ein Grubenunglück schon etwas Anderes ist als ein Völkermord. Eine Banalität. Wem bei einer Meldung über verunglückte Kumpel in China oder Chile der Holocaust in den Sinn kommt, tickt nicht richtig. Da ist kein Platz für eine „gemeinsame Erinnerung“. Es ist etwas völlig Anderes. Die nach Auschwitz verschleppten Walsumer Juden waren keine „besseren Menschen“ als die Jungs, die im Bergwerk geblieben sind. Wir müssen uns vor Augen halten, dass eine Gaskammer etwas Anderes ist als Grubengas. Den Toten kann es egal sein. Wenn wir da Blödsinn erzählen und schließlich selbst denken, haben wir das Problem.

„Auschwitz“ ist auch nicht etwas besonders „Heiliges“; Auschwitz war etwas besonders Schreckliches. Es ist schwer, dies mit anderen Grausamkeiten, die Menschen Menschen angetan haben und antun, vergleichen zu wollen. Dennoch: manchmal kann man es tun, manchmal muss man es tun: das absolute Grauen als Maßstab nehmen zur Beurteilung von Scheußlichkeiten, die Menschen offenbar nicht müde werden zu begehen. Srebrenica, Ruanda, Darfur – na sicher: es heißt nicht, deutsche Schuld zu schmälern, wenn in Zusammenhang mit diesen Orten des Schreckens auch Auschwitz genannt wird. Man kann, darf und muss den Holocaust vergleichen. Mit anderen Völkermorden, nicht mit Grubenunglücken.

Das ist alles so banal. Dass es dennoch geschrieben werden muss, ist peinlich. Ärgerlich. Mit Bedacht: auch schlimm. Am 30. November entscheidet die Bezirksvertretung Walsum in einer Sondersitzung. Liebe Leute, meine sehr verehrten Damen und Herren, macht Euch bitte nicht lächerlich! Ich komme jetzt schon aus dem Fremdschämen nicht mehr raus. Ich hätte es nicht nötig, ich kenne Euch nicht, und doch … – tut mir bitte, tut Euch den Gefallen: nennt ihn Barbaraplatz, lasst es beim Kometenplatz, Friedensplatz – sehr gern, muss aber nicht. Schalomplatz ist ja wohl gegessen. Macht, was Ihr wollt! Nur bitte, lasst das mit dem „Platz der gemeinsamen Erinnerung“! Strengt Eure Karnevalsköpfe bitte noch einmal eine Viertelstunde ein wenig an! Lest vielleicht diesen Text noch einmal! Oder stellt Euch einfach nur vor, in welcher „gemeinsamen Erinnerung“ Ihr verbleibt, wenn Ihr Euch wirklich nicht entblöden solltet, diese Peinlichkeit durchzuziehen.

Saalkarneval in Duisburg-Walsum: Helau! Schalom! Platz!

 

Schalom

In Duisburg-Walsum sollte eigentlich am 27. Januar, dem internationalen Auschwitz-Gedenktag, „zum Gedenken an die Walsumer Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“ ein Teil des Kometenplatzes in „Schalom-Platz“ umbenannt werden.

Dies berichtete die Stadtteilredaktion der WAZ im Duisburger Norden Mitte vergangener Woche. Darauf hatten sich alle Parteien in der Bezirksvertretung Walsum geeinigt. Doch daraus wird jetzt möglicherweise nichts.

Die Idee zur Platzbenennung hatte der Walsumer Grünen-Politiker Franz Tews, der auch Sprecher der Initiative „Erinnern gegen Rechts“ ist. Es habe nämlich „bemerkenswerte Recherchen und Aktionen seitens der Kirchen, Bürgerinitiativen und Schulen gegeben“, um „Licht in ein dunkles Kapitel der Walsumer Lokalgeschichte“ zu bringen. Nachdem nunmehr „die lange verdrängten Schicksals- und Leidensgeschichten der jüdischen Walsumer Familien eindrucksvoll der Öffentlichkeit“ bekannt gemacht worden seien, solle mit der Platzbenennung dauerhaft die Erinnerung an die Opfer wachgehalten werden.

Ein „Schalom-Platz“ in Walsum. Genauer gesagt: in Aldenrade, einem Ortsteil der bis in die 1970er Jahre selbstständigen Stadt am Rhein nördlich der Emscher. Ein Stück deutscher Erinnerungskultur. Nichts sonderlich Spektakuläres; nicht der ganze Platz, nur ein Stückchen. Nicht direkt überstürzt, sondern immerhin gut 65 Jahre nach dem Morden in dem idyllischen Bergarbeiterstädtchen. Und doch: eine anrührende Idee, ein schönes Wort: „Schalom Walsum!“

Ein „Schalom-Platz“ in Walsum. Schalom ist hebräisch und bedeutet etwa Unversehrtheit, Heil, Frieden. Eng wortverwandt mit dem arabischen Salam, moderner übersetzt: Gesundheit, Wohlfahrt, Sicherheit und Ruhe. Schalom ist das zentrale Wort im Judentum und ist der gängigste Gruß unter Juden – sowohl zur Begrüßung als auch zum Abschied: Frieden!

Eine kleine, fast unauffällige Geste des Andenkens an diejenigen, die als Deutsche voll in die Gesellschaft integriert waren, die sich meistens völlig assimiliert hatten, und deren Ruhrpott-Deutsch tausendmal besser war als ihr Hebräisch, das sie – eher schon folkloristisch – allenfalls bei religiösen Festen bemüht hatten, was sie jedoch dennoch nicht davor bewahrt hatte, „einfach so“ in die Gaskammern verfrachtet zu werden.

Nach 65 Jahren wollte der Stadtbezirk nun hingehen und in die Sprache der Ermordeten, mehr: in die ihnen zugeschriebenen Sprache, sagen wir: in ihr Wort für Frieden, Freundschaft und Wohlergehen ein kleines Stückchen Grün umtaufen. Schalom-Platz – warum eigentlich nicht?!

Warum nicht?! Auch dies war in der WAZ Duisburg-Nord zu erfahren: „CDU und SPD machen Rückzieher bei Schalom-Platz … CDU und SPD (zogen) den von ihnen mitformulierten Antrag in der Sitzung der Bezirksvertretung zurück.“ Ob es einen „Schalom-Platz“ in Walsum geben wird, steht deshalb in den Sternen.

Die Demokratie vor Ort kuscht vor dem Heimatverein Walsum e.V., über den im Internet nicht mehr zu erfahren ist, als dass ein gewisser Helmut Schorsch dessen Sprecher ist. Und jetzt kommt´s: „Man habe vergessen, den Heimat- sowie den Knappenverein einzuschalten, so die Fraktionsvorsitzenden Peter Hoppe (CDU) und Jürgen Feuchtner (SPD).“

Feuchtner entschuldigte sich inzwischen beim Heimatverein, der den Namen „Schalom-Platz“ ablehnt. Und der Vorsitzende Schorsch hat auch ein gewichtiges Argument dafür, warum. Denn: „Naziopfer-Gedenkstätten gibt es genug.“ CDU-Bezirkspolitiker Hoppe wollte es jetzt aber genau wissen. Im Geiste der direkten Demokratie bot sich ihm bei der Prinzenproklamation der Karnevalsgesellschaft (KG) Grün-Weiß Walsum in der Walsumer Stadthalle die Gelegenheit, das Volk direkt zu befragen.

600 Narren seien anwesend gewesen, steht in der WAZ. Und da hat der CDU-Fraktionschef einfach einmal „in die lustige Runde (gefragt), wer dafür sei, dass der Aldenrader Rathausvorplatz in „Schalomplatz“ umbenannt werden soll.“ „Keiner hat die Hand gehoben“, wusste Schorsch vom Walsumer Heimatverein zu erzählen, um daraus zu schlussfolgern: „Das Meinungsbild ist so, dass das keiner will.“ Als er das gehört hatte, war allerdings SPD-Feuchtner – nach eigenen Angaben – „umgefallen“. Er bleibe bei Schalomplatz; denn: „Das ist eine Sauerei ohne Ende, wie da Stimmung gemacht wird.“

Nur nicht in die Luft gehen! Und auch nicht Umfallen. Karneval ist doch dafür da, dass Stimmung gemacht wird.  Und Heimatvereine gibt es genug. Karnevalsvereine auch. Schalom, Peace und Helau!

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Wer verübte das Ketchup-Attentat auf Duisburgs OB-Sauerland? Das Interview mit dem Attentäter

Der Rheinhauser Sozialarbeiter Rolf Karling, der auch mal als Kameramann in Kriegseinsätzen tätig war, bespritzte heute Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) mit Ketchup. Aus Protest gegen Sauerlands Verhalten nach der Loveparade. Gerade habe ich mit Rudolf Karling gesprochen.

Rolf Karling: Ketchup für Sauerland
Rolf Karling: Ketchup für Sauerland

Her Karling, Glückwünsche wären nicht statthaft – aber irgendwie kann ich klammheimliche Freude nicht verhehlen.

Karling: Wobei ich persönlich nicht stolz auf die Aktion bin. Ich konnte nur nicht anders: Der OB hat ja bislang alles nach der Loveparade ignoriert, ich wollte ihn halt symbolisch treffen.

Wie war der Ablauf der Aktion?

Heute hatte der OB einen Außentermin zur Einweihung des neuen Marktplatzes in Duisburg-Rheinhausen, da wohne ich um die Ecke. Ich habe also der Lokalpresse Bescheid gesagt – kommt mal vor Ort, es wird ein paar gute Bilder geben.

Bilder von Ketchup, die wohl das Blut symbolisieren sollen, das aus Ihrer Sicht am Duisburger OB wegen der Loveparade klebt.

Ich habe eigens Kinderketchup genommen, nichts Scharfes, nichts mit Curry oder Pfeffer, ich wollte den OB natürlich nicht verletzen.

Seit er wieder Termine in der Bevölkerung macht macht, wird Duisburgs OB Sauerland von Pfeif- und Sprechkonzerten begleitet.

Das wird auch meiner Sicht bis zu seinem Rücktritt so bleiben. Die Stadt ist immer noch von den Folgen der Loveparade traumatisiert.

Duisburgs wertloser Heuking-Bericht

Die Stadt Duisburg hat einen Bericht zur Loveparade-Katastrophe  veröffentlicht. Die Quintessenz: Die Stadt hat im Vorfeld der Loveparade einen guten Job gemacht. Für die Sicherheit auf dem Gelände und in dessen Umfeld  seien Polizei und Veranstalter verantwortlich gewesen.

Die Stadt Duisburg hat heute auf ihrer Internetseite einen 32seitigen Bericht der Anwaltskanzlei Heuking, Kühn, Lüer, Wojtek veröffentlicht – den sie selbst in Auftrag gegeben hat. Wir haben bei der Stadt und Heuking nachgefragt, was der Bericht gekostet hat. Heuking will sich dazu nicht äussern. Wenn  wir die Information von der Stadt erhalten,  werden wir sie sofort in den Artikel einpflegen.

Der Bericht belastet den Loveparade-Verantstalter Lopavent und die Polizei: Die hätte beispielsweise durch parkende Wagen Fluchtwege verkleinert. Lopavent soll sich nicht an Auflagen gehalten haben.Schlecht weg kommt auch der Gutachter der Stadt, Prof. Schreckenberg. Der hat das Gesamtkonzept von Lopavent als  „gut“ bezeichnet.  Der Bericht ist gut für die Stadt: „Die Stadt Duisburg hatte keine  allgemeine oder gar übergeordnete Zuständigkeit für die Sicherheit der der gesamten Veranstaltung.“

Der Heuking-Bericht arbeitet formal die Verfahren der Stadt ab und kann keine Mängel erkennen. Fehler haben nur die anderen gemacht.

Das es innerhalb der Verwaltung Kritik an dem Loveparade-Konzept gab, wird ignoriert. Auch die Frage der politischen Verantwortung wird nicht gestellt. Duisburg hat für sein Geld einen weitgehend überraschungsfreien Bericht bekommen, der die Stadt und den OB gut aussehen lässt. Bezahlt von den Steuergeldern der Duisburger Bürger, die Aufklärung und die Übernahme politischer Verantwortung wünschen.

Am 25. Juli haben wir geschrieben, dass die Vertuschungsgefahr Grund genug für den Rücktritt (nicht nur) von OB Adolf Sauerland ist. Der Heuking-Bericht zeigt, dass Sauerland sein Amt zu nutzen weiß, um sich selbst reinzuwaschen. Er hat den Zugriff auf die Akten, er kann bestimmen wie sie interpretiert werden. Und Sauerland nutzt seine Chance. Aufklärung geht anders. Sie geht gegen die Stadt, gegen Sauerland und gegen Lopavent. Vielleicht auch gegen die Duisburger Polizei. Das alles werden wir nach dem Abschluss der Ermittlungen wissen.

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Der Ruhrpilot

Trauerzug zum Loveparade-Desaster
21 schwarze Ballons symbolisieren die 21 Toten: Trauerzug zum Duisburger Loveparade-Desaster. Bild Rodenbücher

Loveparade: Wulff fordert Hilfsfonds für Opfer-Familien…Der Westen

Loveparade II: Tod im Tunnel…FAZ

Loveparade III: Die Chronologie des Versagens…Welt

Loveparade IV: Wiedersehen mit der Angst…Spiegel

Loveparade V: Bewegende Rede von Hannelore Kraft…Pottblog

Loveparade VI: Der fehlende Anstand des Alexander Dobrindt…F!XMBR

Loveparade VII: Zeit gehen zu lassen…Unkreativ

Ruhr2010: Kulturhauptstadt 2010 geht ohne Änderungen weiter…Welt

Verkehr: Komplettsperrung bei Bochum-Stahlhausen…Ruhr Nachrichten

NRW: Ministerin verlangt Frauenquote für Aufsichtsräte…Der Westen

Bochum: BP bietet Aral zum Verkauf…WiWo

Bochum II: Uni-Neubau versus Wald…Ruhr Nachrichten

Dortmund: 20 000 beim Juicy Beats im Westfalenpark…Der Westen

Gelsenkirchen: Gelsenkirchen feiert seinen Galaktischen…Spiegel

Justiz: Keine Menschen zweiter Klasse…Law Blog

Debatte: Das alte Europa wird zum Morgenland…Welt

Der Ruhrpilot

Loveparade: Bosbach fordert im ZDF Sauerlands Rücktritt…Der Westen

Loveparade II: Im Westen geht die Sonne unter…Spiegel

Loveparade III: Teilnehmer-Zahlen  waren gefälscht…Der Westen

Loveparade IV: Ein Rathaus ruiniert seinen Ruf…Zeit

Loveparade V: Monitor über die Loveparade…Pottblog

Loveparade VI: Die Loveparade ist für die Bigotten ein Teufelswerk…Welt

Loveparade VII: Menschen geraten in Panik, weil sie sterben…NZZ

Piraten: Flaute und Spaß dabei…Süddeutsche

Bochum: Zeltfestival Ruhr steigt mit vielen Top Acts…Ruhr Nachrichten