Türkei: Nichts als warme Worte

Recep Tayyip Erdogan Foto: Glenn Fawcett Lizenz: Gemeinfrei


Bis sich eine Bundesregierung zu Maßnahmen gegen die Türkei durchringen wird, könnten noch Monate vergehen. Nach der Wahl wird sich die Politik lange mit sich selbst beschäftigen.

Um vier Uhr Morgens begann die spanische Polizei das Hotel in Málaga zu umstellen, in dem der Kölner Schriftsteller Dogan Akhanli mit seiner Freundin Urlaub machte. Um kurz nach acht Uhr stürmten die Beamten sein Zimmer und nahmen ihn fest. Interpol lag eine Red Notice der Türkei vor. Darin forderte die Türkei andere Länder auf , Akhanli ausfindig zu machen und festzunehmen. Kein Land muss dem Folge leisten, Spanien tat es trotzdem und das auf Geheiß der Türkei zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen: Erst Anfang August wurde der türkischstämmige Schwede Hamza Yalçın auf Wunsch der Türkei festgenommen. Er soll Mitglied der verbotenen Volksbefreiungspartei-Front der Türkei (THKP-C) sein.

„Ich gehe davon aus“, sagt Akhanli Anwalt Ilias Uyar, „das Dogan Akhanli von türkischen Sicherheitskräften überwacht wurde, die dann seinen Aufenthaltsort der spanischen Polizei gemeldet haben. Er kam ja nicht zufällig in eine Verkehrskontrolle, sondern wurde gezielt festgenommen.“

Uyar flog noch am selben Tag nach Spanien. Schon vorher verständigte er das Auswärtige Amt. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) wurde aktiv, telefonierte mit seinem spanischen Amtskollegen Alfonso Dastis und bat darum, Akhanli nicht an die Türkei auszuweisen. Am Sonntag kam Akhanli wieder auf freien Fuß, darf aber Madrid nicht verlassen. Bis Akhanli wieder zu Hause in Köln ist, wird es Oktober sein. Zumindest die Existenz des Schriftstellers in Madrid ist durch ein Stipendium des Goethe-Institutes gesichert. Uyar wundert sich jedoch, warum sein Mandant nicht von den deutschen Sicherheitsbehörden über die Gefährdung informiert wurde: „Es hat im Fall von Dogan Akhanli keine Gefährdungsansprache gegeben. Das hätte man alles verhindern können.“

Erdogan sammelt Geiseln. Und er will immer mehr von ihnen. Er sammelt sie unter angeblichen oder realen Oppositionellen in Türkei, wo 50.000 Menschen seit dem Putsch in Haft genommen wurden und unter Ausländern und Menschen, die schon lange nicht mehr in der Türkei leben: Der Welt-Korrespondent und Jungle-World Mitherausgeber Deniz Yücel, der Menschenrechtler Peter Steudtner und die Journalistin Mesale Tolu sind nur die prominentesten Beispiele. Ein schon lange in Wuppertal lebender Türke wurde im Juli im Urlaub in der Türkei festgenommen, weil er auf Facebook Erdogan kritisiert hat. Das Erdogan Geiseln nimmt, wird von Politikern fast aller Parteien kritisiert, wenn sie nicht gerade, wie der Dortmunder Landtagsangeordnete Volkan Baran (SPD) oder die nordrhein-westfälische Staatssekretärin für Integration Serap Güler (CDU) in dem Land Urlaub machen und entspannte Fotos in den sozialen Netzwerken posten.

Bundeskanzlerin Angela Merke (CDU) will die Zollunion mit der Türkei nicht erweitern und wirft dem Land vor, Interpol zu missbrauchen. Gabriel und Justizminister Heiko Maas bezichtigen in einem Gastbeitrag im Spiegel Erdogan, in der Türkei „die Menschenrechte im Namen religiös begründeter Glaubenssätze“ abzubauen und in Deutschland einen Kulturkampf vom Zaun zu brechen. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter und seine Linkspartei-Kollegin Sevim Dagdelen wollen Erdogans Auslandsvermögen einfrieren lassen und Grünen-Spitzenkandidat Cem Özdemir fordert ein Ende der Hermes-Bürgschaften, mit denen deutsche Investitionen in der Türkei abgesichert wurde. FDP-Chef Christian Lindner will gar die wirtschaftlichen Beziehungen einfrieren.

Nach jeder Verhaftung, nach jeder Beleidigung oder auch der Erklärung hiesiger Parteien zum Feind der Türkei sind es seit Monaten die nahezu gleichen Worte und Forderungen, die fallen – nur Taten sind ihnen bislang kaum gefolgt. Das Auswärtige Amt verschärfte im Juli seine Sicherheitshinweise für die Türkei, erließ aber keine Reisewarnung, die kostenfreie Stornierungen von Urlauben ermöglicht hätte. Gabriels Ankündigung von April, Visaerleichterungen für türkische Oppositionelle, Künstler, Wissenschaftler und Journalisten einzuführen, blieb folgenlos. Und das Mitarbeiter des Moscheeverbandes DITIB türkischstämmige Schüler und ihre Eltern im Auftrag und in Zusammenarbeit mit dem türkischen Geheimdienst MIT ausspionierten, beendete bislang nicht die Zusammenarbeit der Sicherheitsdienste beider Länder.

Erdogan bekommt zwar nicht seinen Willen, durfte im Referendumswahlkampf in Deutschland nicht auftreten und wird keine Oppositionellen oder geflohene Militärs ausgeliefert bekommen, aber zusätzlich Druck wird ihm durch die Bundesregierung auch kaum gemacht.

Die Aussagen aller Politiker gegen Erdogan und sein Regime sind eher Wahlkampf. Eine Ende der Hermesbürgschaften, großzügige Einreisemöglichkeiten für Erdogan-Gegner, ein Ende der Zusammenarbeit mit der türkischen Polizei und den türkischen Sicherheitsdiensten und eine scharfe Reisewarnung – all das gibt es bislang nicht und es ist auch nicht absehbar. Die bestehende Politikpause wird noch monatelang weiter gehen: Dem Ende des Wahlkampfs werden sich wochenlange Sondierungsgespräche und Koalitionsverhandlungen anschließen und wenn die vorbei sind, wird sich eine neue Bundesregierung mit wohlmöglich zahlreichen Ministerinnen und Ministern auf neuen Posten erst einmal einarbeiten müssen. Für Erdogan bedeutet das, dass er noch lange ohne Konsequenzen fürchten zu müssen wüten kann. Und für Deniz Yücel, Peter Steudtner, Mesale Tolu und all die anderen Geiseln in türkischer Haft, dass es nicht absehbar ist, dass sich Politiker wirklich mit mehr als warmen Worten für sie einsetzen.

 

Der Artikel erschien in ähnlicher Form bereist in der Jungle World

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