Wahlbeteiligung wird weiter sinken

Das Bild "Reichstag mit Giebel" stammt von RudolfSimon, steht unter CC-BY-SA-Lizenz und wurde dem Archiv Wikimedia Commons entnommen.
Das Bild „Reichstag mit Giebel“ stammt von RudolfSimon, steht unter CC-BY-SA-Lizenz und wurde dem Archiv Wikimedia Commons entnommen.

Die Bertelsmann-Stiftung teilte gestern wesentlich Ergebnisse und Erkenntnisse aus einer gemeinsamen Studie mit dem Institut für Demoskopie in Allensbach mit. Sie gehen von einem weiteren Sinken der Wahlbeteiligung aus. Gravierend neu ist  der Inhalt der Studie allerdings nicht. Von unserem Gastautor Walter Stach.

Wenn ich die Ergebnisse der Studie auf die Entwicklung der Wahlbeteiligung bei den Kommunalwahlen im Ruhrgebiet herunter breche und auf die dazu im Ruhrgebiet gewonnen Erkenntnisse, dann ergibt sich auch   diesbezüglich eine weitgehende Übereinstimmung und eine weitgehende Bestätigung meiner  Eingangsfeststellung  zur Studie: „Gravierend neu ist das alles allerdings nicht.“

Ist deshalb gegenüber der Studie Gleichgültigkeit angesagt?

Nein, meine ich.

Da Gleichgültigkeit laut  Studie stärkste Ursache für Wahlmüdigkeit ist,   wäre  Gleichgültigkeit  gegenüber den Inhalten der Studie fehl am Platze, es sei denn, den politischen interessierten und engagierten Menschen, den politischen Parteien, den Medien ist es aus welchen Gründen auch immer gleichgültig, daß die Wahlbeteiligung stetig sinkt und laut .Studie  weiter sinken wird.

„Nach einem ersten Blick“ in die Studie  will ich erste Fragen aufwerfen und erste Anmerkungen machen, die   möglicherweise zur Diskussion hier im Blog beitragen:

1. Wenn  vor allem einkommensschwache und bildungsferne Teile der Bevölkerung nicht wählen gehen und die stärkste Ursache dafür deren Gleichgültigkeit ist   und 45% dieser potentiellen Nichtwähler als Grund für ihre Zurückhaltung angeben, sie könnten ohnehin nichts ausrichten, dann frage ich mich nach dem  Warum.

-Ist es Fakt, dass sie nichts ausrichten können oder ist es „nur“ ihre persönliche Wahrnehmung?

-Meinen sie in erster Linie damit, daß sie  für sich,  im Sinne einer Befriedigung ihrer unmittelbaren Interessen/Bedürfnisse durch den  Staat/ durch die Kommune nichts ausrichten können oder…?

-Müssen  z.B in den extrem finanzschwachen Kommunen des Ruhrgebietes folglich Zustand und Trend des Nichtwählerpotentiales hingenommen werden, da kommunal für diesen Teil der Bevölkerung wegen der prekären Haushaltssituation keine Mehrleistungen möglich erscheinen und nicht zu erwarten sind?

 

2. Wenn 61% der  potentiellen Nichtwähler sich beklagen, Politik sei für sie oft schwer nachvollziehbar und undurchsichtig, dann ließe sich das ändern, wenn „man“ dass will.

Mangelt es bei den politisch verantwortlichen Akteuren, z.B. in den Kommunen des Ruhrgebietes, an dem unbedingten Willen, Politik nachvollziehbar und durchsichtig zu machen, und zwar möglichst für jedermann? Über Transparenz als eines der obersten Gebote für alle politischen Akteure auf allen politischen Ebenen –Bund, Ländern ,Kommunen – und für alle staatlichen Organe sowie für alle Organe der Parteien ist nicht zu streiten oder?

3. Wenn 46% der politisch Desinteressierten sagen, Privates und Beruf seien ihnen wichtiger, dann ist auch hier nach dem Warum zu fragen und das nicht zuletzt mit Blick auf eine weitere Feststellung in der Studie, nach der die Nicht  – Wahl vor allem in der jüngeren Generation breite gesellschaftliche Akzeptanz findet, was jedermann aufgrund alltäglicher Gespräche „ vor Ort“ bestätigen wird, wobei graduell deutlich Unterschiede festzustellen sind zwischen der Einschätzung der  „Wichtigkeit/Unwichtigkeit“ von  Politik in der Kommune, im Land im Bund in Relation zur Wichtigkeit  des Privaten und des Berufes –Kommunalpolitik „ehe unwichtig“-..

Da jedoch unbestreitbar  Privates und Berufliches  von politischen Prozessen, von politischen Entscheidungen  wesentlich (mit-)bestimmt werden, ist es naheliegend zu fragen, ob und  warum das nicht erkannt zu werden scheint, vor allem in der jüngeren Generation.

4. Wenn 38% der potentiellen Nichtwähler angeben, von Politik und Politikern enttäuscht zu sein, könnte es z.B. „vor Ort“ naheliegend sein, wäre es sogar m.E. dringend geboten,  nach den Gründen für das Enttäuschtsein der Bürger zu forschen und sich  mit diesen Gründen  politisch –offen und öffentlich, im Bürgerdialog- auseinanderzusetzen:

Oder gilt hier der sattsam  bekannte „Politikerspruch“, nach dem man es ohnehin nicht jedem recht machen und deshalb gar nicht erst auf „politisch Enttäuschte“, auf politische Enttäuschungen einzugehen hat?#

Für mich als  einem –trotz allem- nach wie vor bekennende Sozialdemokraten bestätigt die Studie, dass die unbefriedigenden Umfrageergebnisse der SPD auch damit zutun haben, dass vor allem viele Menschen nicht wählen gehen,  die „man früher“ als potentielle  SPD-Wähler  bezeichnen konnte – Menschen, aus den einkommensschwachen, bildungsfernen Schichten der Bevölkerung.

Wenn es „meiner SPD“ nicht gelingt –nicht gelingen kann -, an diese Menschen heranzukommen, bleibt zu fragen, warum das auch der Partei „Die Linke“ nicht zu gelingen scheint.

Ich war der Auffassung, offensichtlich der irrigen, daß die Existenz der Partei „Die Linke“ nennenswert dazu beitragen würde, daß wieder mehr Menschen aus einkommensschwachen und  bildungsfernen Schichten der Bevölkerung wählen gehen.

Überrascht hat mich, dass nach der Studie die allgemeine Zufriedenheit mit der Demokratie und dem politischen System wächst, obwohl  zugleich die Zahl der Nichtwähler steigt und noch weiter steigen wird.

Ursachen dafür?

Sind die Menschen überwiegend  zufrieden mit ihrer  privaten, mit ihrer beruflichen Situation und daraus folgernd mit dem System, das ihnen diese Zufriedenheit ermöglicht?

Das würde allerdings nicht zwangsläufig ihr Nichtwählerverhalten erklären. Sollte der   mit dem System Zufriedene nicht Anlaß haben, gerade deshalb wählen zu gehen, um dieses System funktionsfähig zu (er-) halten?

Widerspricht diese Zufriedenheit mit der Demokratie und dem politischen System dem in jüngster Zeit vermehrt artikuliertem Unwohlsein am derzeitigen Zustand der Demokratie und dem politischen System?

Ich habe meine derzeitigen Befindlichkeit mit dem Zustand der Demokratie –u.a.hier bei den Ruhrbaronen-  beschrieben  „mit politischer Mief der merkelschen Ära“.

Sind dies überzogene, realitätsfremde Wahrnehmungen, sind dieses nur kritischen Zustandsbeschreibung von Demokratie und politischem  System im Spiegel –und gelegentlich auch anderswo?

Die Studie ist Anlaß , das zu fragen und sie kann Anlaß sein, über Antworten zu diskutieren.

Nicht erst die Studie, aber eben diese auch lässt mich zudem fragen, ob es  ein Interesse  oder ob es mehrfache und unterschiedliche Interessen gibt, den Zustand des Nichtwählerpotentiales –mit steigender Tendenz- nicht nur hinzunehmen, sondern ihn sogar bewusst zu (be-)fördern.

Ist es nicht, zumindest auf den ersten Blick, einfacher, ist es nicht zugleich den eigenen Interessen dienlicher, wenn „man“ bei der Wahl und damit auch bei den Gewählten unter sich bleibt, im Kreise einer „bürgerlichen Mittelschicht“  -losgelöst von Wählern und Gewählten aus der Schicht der einkommensschwachen und bildungsfernen Schichten?

Ganz zu schweigen von den 10% der überdurchschnittlichen Reichen im Lande ?

Dass Viele derjenigen, die zu den 1 – 2 % der Menschen  gehören, deren Vermögen im dreistelligen Millionenbereich  bzw. im Milliarden – Bereich liegt,  ihrerseits nicht wählen gehen, sondern  gesteuert, u.a. über  die Wahlkampffinanzierung der  Parteien wählen lassen, will ich  nur nebenbei  anmerken, da das nicht Gegenstand der Studie war.

Welche Partei , welche Parteien sind primär diesem Klientel verpflichtet und folglich wenig daran interessiert, die Wahlbeteiligung in den einkommensschwachen, in den bildungsfernen Schichten zu mobilisieren.

Kann die Wirtschaft ein Interesse daran haben, diesbezüglich „etwas zu bewegen“?

Nein, wohl nicht. Warum auch?

Haben die Medien ein Interesse daran, diesbezüglich  „etwas zu bewegen“?

Nein, wohl nicht. Warum auch?

Ihre Kunden finden sie immer weniger in den einkommensschwachen und bildungsfernen Schichten der Bevölkerung, jedenfalls dann nicht, wenn sich sie im weitesten Sinne der politischen Berichterstattung, der politischen Information, der politischen Kommentierung verpflichtet fühlen.

Und welche Folgen hat  ein bewußtes  gemeinsames Tun oder Unterlassen von  Wirtschaft, Politik und Medien , wenn es um die Mobilisierung/Nichtmobilisierung der Nichtwähler geht?

Auffallend ist jedenfalls, daß regelmäßig nach den Wahlen die wachsende Zahl der Nichtwähler beklagt wird –in allen Parteien, von Repräsentanten der Wirtschaft, in allen Medien, das diese Klagen aber nur von kurzer Dauer sind und danach nichts passiert.

Ich befürchte, daß das mit dem Inhalt der Studie ähnlich ablaufen wird.

Vielleicht gibt es ja zu meinen Fragen, zu meinen Anmerkungen hier im Blog Antworten und kritische Feststellungen, eventuell. auch mit einem besonderen kommunalpolitischen Bezug zur Situation von Demokratie und  politischem System, konkret zur steigenden  Zahl der Nichtwähler in den Kommunen des Ruhrbietes bei den Kommunalwahlen, aber auch –siehe die Intention der Studie-mit Blick auf die bevorstehende Bundestagswahl.

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Robin Patzwaldt
Editor
10 Jahre zuvor

@Walter: Auch ich habe mir dazu gestern, als die Meldung durch die Medien ging, mal ein paar nähere Gedanken gemacht. Allerdings decken sich viele Aussagen der Studie nur sehr bedingt mit meinen tatsächlichen Beobachtungen im Alltag. Dort stelle ich u.a. doch eine wesentlich stärkere Frustration über die handelnden Personen bei vielen Nichtwählern hier im Revier fest, als sie in dieser Studie offenbar eingeräumt wird. Das Politik ‚zu kompliziert‘ ist beklagt da eigentlich niemand. Der ‚Filz‘ und die verkrusteten Strukturen, in denen man nichts bewegen kann und wird, nerven die Nichtwähler in meinem Umfeld dagegen alle sehr. Mich persönlich übrigens auch. Ich gehe allerdings noch immer wählen, obwohl es mir von Wahl zu Wahl schwerer fällt eine Partei aus dem Angebot auszuwählen…
Es scheint mir vor diesem Hintergrund daher auch hierbei nicht unwahrscheinlich zu sein, dass unterschiedliche Studien, je nach Anlass und Auftraggeber auch durchaus unterschiedliche Ergebnisse dazu eingebracht hätten. Ähnlich wie das ja auch häufig mit Gutachten vor Gericht der Fall ist.
Von daher habe ich die Berichterstattung über diese Studie zwar auch durchaus interessiert gelesen, würde ihr aber keine allzu große Bedeutung zumessen. Andere Studie, wohl auch anderes Ergebnis!

Volker Steude
10 Jahre zuvor

Ja, die Politik muss näher an die Menschen und die wiederum müssen näher an die Politik. Das bedeutet mehr Beteiligung und Information der Bürger. Das Interesse der Bürger muss geweckt, sich über politische Themen zu informieren und sich dafür zu engagieren.

Wie das Gelingen soll, dafür gibt es wohl kein Patentrezept. Parteien haben ein Problem, insbesondere auf kommunaler Ebene. Sie bieten ein Gesamtpaket an Positionen an, von dem niemand 100% mittragen will. Ihnen wird unterstellt, das sie ihr Handeln nicht an den Themen ausrichten, sondern an parteipolitischen Erwägungen: Sind die politischen Gegner dafür, sind wir dagegen. Wenn für unser Klientel, diese Lösung die bessere ist, dann setzen wir die durch, auch wenn es für die Allgemeinheit keinen Sinn macht. u.ä.

Hinzu kommt ein Weiteres. Gerade auf kommunaler Ebene denken die Parteien nicht in Lösungen. Sie überlassen das Handeln der Verwaltung und erheben nur da ihre Stimme, wo sie es für politisch opportun halten. Entsprechend werden viele Themen bei den Parteien eigentlich gar nicht bearbeitet, geschweige denn diskutiert. Man schaue nur, welch wenige kommunale Themen auf den örtlichen Internet-Seiten und in den Veranstaltungen vor Ort behandelt werden.

Es wird Zeit, dass mehr „Unabhängige“ in die Politik kommen, die sich für die Themen interessieren und engagieren und die dabei auf keine Partei Rücksicht nehmen müssen.

Auch müssen die Bürger mehr beteiligt, informiert und interessiert werden. Für Bochum haben wir in diese Richtung gerade ein kleines erstes Angebot gemacht: bo-stimmt-ab.de

Walter Stach
Walter Stach
10 Jahre zuvor

Robin,
trotz der von Dir vorgetragenen Bedenken gegen einzelne Aussagen der Studie bzw.gegen die Studie generell, trotz aller denkbaren Spezifika im Ruhrgbiet, die diese Inhalte relativieren könnten, bin ich der Meinung, daß es sich lohnt, möglichst die gesamte Studie zu lesen und sich weiterhin mit ihr zu befassen;nicht nur mit diversen Berichten in den Medien, die bisher m.E. durchweg sehr oberflächlich sind.

Ich habe versucht, nicht nur Zahlen/Daten der Studie wiederzugeben, sondern inhaltiche Fragen zu stellen und zum Inhalt Anmerkungen zu machen, um a.)das Interesse für die Studie zu befördern und b.)dazu beizutragen, daß sich dazu eine öffentliche Diskussion entwickelt, die zeitlich und inhaltlich deutlich über das hinaus geht, was bisher passiert.

skatbruder
skatbruder
10 Jahre zuvor

Um es ganz krass und vielleicht übertrieben zu sagen, aber jene, die „man früher“ als potentielle SPD-Wähler bezeichnen konnte – Menschen, aus den einkommensschwachen, bildungsfernen Schichten der Bevölkerung gibt es wohl nicht mehr.

Wenn es deiner SPD nicht gelingt – nicht gelingen kann -, an diese Menschen heranzukommen, jagt man vielleicht einem Phantom hinter her.

Vielleicht, sollte mein Vor-Kommentator Recht haben, sind die, die es wohl gar nicht gibt, deshalb nicht empfänglich für deine SPD, weil sie die Zuweisung, dass sie arm und bildungsfern also HONKS sind, nicht mehr ertragen können. Dieses Klassenbewusstsein ist seit 1968 vorbei.

Den Gewerkschaften geht es doch ähnlich. Anstatt sich den Niedriglohnsektor vor zu nehmen, überlassen sie das Thema der Politik und suchen dort eher den Posten als Minister, als dass sie den Niedriglöhnern versuchen zu überzeugen, in die Gewerkschaft ein zu treten (was sich die wegen der knappen Kohle auch nicht leisten können). Ausser bei sich solidarisierenden kleinen Berufsgruppen (Piloten, Lokfuhrer etc.) muss doch auch der Gewerkschafter nach Kundschaft suchen.

Walter Stach
Walter Stach
10 Jahre zuvor

Nachtrag:

Robin,
im SPIEGEL 22/2013 hat der Sozialpsychologe Harald Welzer seinen Wahlboykott begründet. Ich denke, die von ihm vorgetragenen Gründe könnten, zumindest teilweise, mit denen, die aus Deinem Bekanntenkreis für den Wahlboykott zu hören sind, übereinstimmen.
Solche Gründe schließt die Studie der Bertelsmann-Stiftung selbstverständlich nicht aus. Sie sind aber lt.Studie nicht maßgebend für die Mehrheit der Nichtwähler.

Im übrigen:
Ich kann den Argumenten von Welzer nichts Überzeugendes entgegen halten.
Und trotzdem: Ich werde weiterhin mein Recht, wählen zu können, wahrnehmen.

Robin Patzwaldt
Editor
10 Jahre zuvor

@Walter: Klar, das alles mal tiefschürfender zu hinterfragen und zu thematisieren ist sicherlich völlig richtig. So hatte ich das auch nicht gemeint. 🙂

Walter Stach
Walter Stach
10 Jahre zuvor

-4-Skatbruder-,
wir können uns ja darüber streiten, welches Einkommen bestimmend ist, um als „einkommensschwach“ zu gelten, wir können uns auch darüber streiten, was bestimmend ist, um dem bildungsfernen Teil der Bevölkerung zugerechnet werden zu können, nur streiten können wir uns nicht darüber, daß es einkommenschwache und bildungsferne Schichten/Gruppen/Teile der Bevölkerung gibt.

Und wenn besonders die Menschen, die diesen Schichten/Gruppen/Teilen der Bevölkerung zugeordnet werden können, lt.Studie nicht wählen gehen, dann kann das zur Kenntnis genommen werden, dann kann aber auch darüber nachgedacht und darüber diskutiert werden.
Ich habe expliziert SPD-bezogen festgestellt, daß es dieser „meiner“ Partei nicht zu gelingen scheint, diese Menschen zu erreichen, sie zu animieren, wählen zu gehen. Ich meine sogar -leider-sagen zu müssen, daß die SPD das -nicht-mehr kann. Und ich habe, ich denke durchaus folgerichtig, gesagt, daß für mich „DIE LINKE“ eine Partei hätte sein können, die diesen Teil der Bevölkjerung hätte erreichen, d.h. zur Wahlteilnahme hätte aninmieren können. Das gelingt der Partei „DIE LINKE“aber eben nicht, jedenfalls nicht so, daß sich das Potential der Nichtwähler aus diesen Schichten der Bevölkerung deutlich reduziert hätte.

Puck
Puck
10 Jahre zuvor

Versetzen wir uns doch mal in die Lage der „einkommensschwachen und bildungsfernen Schichten“, wie das heute so beschönigend (und nicht selten verlogen) heißt.
Fangen wir mal mit dem Begriff an. Ist das Rücksichtnahme? Oder Überheblichkeit? Was ist das für eine Gesellschaft, in der man nicht einmal mehr arm sein darf? Wird da nicht suggeriert, daß man vielleicht nicht arm wäre, wenn man sich bildungsmäßig mal etwas auf den Hosenboden setzt? Mal ein gutes Buch liest, anstatt schon am Nachmittag RTL zu kucken?

Ich plädiere dafür, Arme und Abgehängte sagen, das ist vielleicht ehrlicher und schiebt den Armen und Abgehängten nicht noch die Schuld dafür zu, daß sie arm und abgehängt sind.

Nächste Frage wäre, welche Partei die Armen und Abgehängten denn wohl wählen sollen.
Die FDP – nein, das war jetzt ein Scherz.
Die Grünen? Mit ihrer neuen Bürgerlichkeit zwischen Manufactum und Solaranlage auf dem Dach (die subventioniert wird von den Steuern derer, die sich keine Solaranlage leisten können, dafür aber ständig die Stromrechnung erhöht bekommen) und Grillfleisch vom Biometzger?
Die CDU, die gemeinsam mit der FDP mit der geistig-moralischen Wende die Spaltung der Gesellschaft eingeleitet hat? Die CDU, die ständig behauptete, gegen die Arbeitslosigkeit zu kämpfen, während sie eben diese Arbeitslosigkeit ständig benutzte, um Arbeitnehmerrechte zu stutzen?
FDP und CDU, die noch immer gegen einen MIndestlohn sind, weil der angeblich den Untergang des Abendlandes einleitet (obwohl GB, Frankreich und selbst die angeblich so knallhart-kapitalistischen USA damit ganz gut fahren?)
Oder die SPD, die zusammen mit den Grünen die „geistig-moralische Wende“ mit der Agenda 2010 rechts überholte? Besonders apart die Förderung von 400-Eur-Jobs und die Möglichkeit, Sklavenjobs mit HartzIV aufzustocken: So subventioniert die Gesellschaft – und das sind wir alle! – den Arbeitgebern mit Steuergeldern die Gewinne, will heißen, die Möglichkeit, Gewinne auf Kosten der Allgemeinheit abzuschöpfen wurde optimiert!

Die „früher-typsichen-SPD-Wähler“ gibt es nicht mehr? Doch, die gibt es noch. Es ist die SPD von früher, die es nicht mehr gibt. Die gibt es nicht mehr, seitdem man – analog zu „New Labour“ in GB – die Partei dem „Genossen der Bosse“ überließ. Einem Blender, dessen Pose in Disigner-Anzug und Zigarre dem bourgeois-ehrpusseligen Titel „Parvenue“ ganz neues Leben einhauchte.
Vor kurzem hat sich Herr Schröder von seinem nach der Kanzlerschaft angetretenen lukrativen Job – nur ein Schelm sieht da einen Zusammenhang mit gewissen politischen Entscheidungen – beurlaubt, um sich bei einem öffentlichen Auftritt dafür zu beglückwünschen, daß die Agenda 2010 so prima funktioniert.
Ja, die Agenda 2010 funktioniert tatsächlich prima, aber nicht so wie sich das die „früher-typischen-SPD-Wähler“ so gedacht hatten.

Bleibt Die Linke. Wenn ich da mal aus dem Gedächtnis und vermutlich ziemlich unkorrekt Tucholski zitieren darf: Das sogenannte einfache Volk versteht fast alles falsch, fühlt aber das meiste richtig (falls jemand das Zitat korrekt zur Hand hat, bitte korrigieren!).

Das einzige, das mich froh macht: Die Enttäuschten, Armen und Abgehängten verfallen offenbar nicht auf die Idee, Rechtsparteien zu wählen.

Bleibt die Darstellung in den Medien. Da muß man sich mal fragen, wer denn „die Medien“ so sind, bzw. wer denn „die Medien“ so mehrheitlich macht. Um einen Job bei einem Fernsehsender oder Zeitung zu bekommen, ist neben einem Studium mindestens ein undotiertes Praktikum inzwischen obligatorisch. Also mehrere Jahre, die von Mami und Papi finanziert werden müssen. Jemand, der aus „einkommensschwachen und bildungsfernen Schichten“ kommt, hat da einfach nicht die richtigen Eltern. Entsprechend sieht das Bild in den Medien aus, das nicht ohne Einfluß auf die öffentliche Meinung geblieben ist: Arme sitzen schon morgens vor dem TieWie und gucken RTL, saufen, rauchen, ernähren sich ungesund, sind tätowirt, haben fettige Haare, sind aber wahnsinnig gerissen, wenns darum geht, unser aller Steuergelder abzugreifen, um sich einen Lenz zu machen.
Dem Bild in den Medien ist zuweilen deutlich anzumerken, daß man den Terminus „einkommensschwache und bildungsferne Schichten“ als Schutzschild benutzt – damit einem nicht womöglich ein entlarvendes „Proletenpack“ rausrutscht.
Damit erfreut man den Angestellten, der zwar potentiell auch von Arbeitslosigkeit und so dank Agenda 2010 von akuter Armut bedroht ist, indem er vorgeführt bekommt, daß er ja ganz anders ist (sitzt nicht schon morgens vor dem TieWie und guckt RTL, säuft und raucht nicht, ernährt sich wenigstens manchmal gesund, ist nicht tätowiert und wäscht sich regelmäßig die Haare), ihm kann das also nicht passieren, gaaanz ausgeschlossen.
Also kein Grund, sich aufzuregen.

Und die Armen und Abgehängten?
Die knirschen mit den Zähnen.

Frank
Frank
10 Jahre zuvor

@Walter Stach:
Ich erlebe die SPD z. B. in Berlin als entfremdet von ihrer früheren Wähler- und Mitgliederschaft. Sie lässt die „Normalen“ Leute (Angestellte, Freiberufler) links liegen und sammelt nur noch bei Randgruppen.

Das führt dazu, dass man als SPD-Mitglied dauernd mit Themen versorgt wird, die einen überhaupt nicht interessieren. Dafür bleiben die Themen, die brennend interessieren unbehandelt. Es gilt mittlerweise sogar als latent „rechts“, wenn man mal eigene Probleme (ich sage: Probleme der Mehrheit) auf der Agenda sehen will: Verkehr, Energiesteuern, die EURO-Krise, Unternehmensansiedlungen und -gründungen und nicht zu vernachlässigen: innere Sicherheit.

Über den ESM wurde nicht diskutiert, Autofahren wird dammt, das Bahnnetz ist heruntergekommen, und um seine Sicherheit in S- und U-Bahnen abends muss sich jeder selber kümmern.

Die Menschen sind nicht an Politik desinteressiert, aber an den Parteien und ihrem Personal.

Walter Stach
Walter Stach
10 Jahre zuvor

-9-
Frank,
ich könnte jetzt loslegen und wesentliche Gründe für die Probleme „meiner“ SPD vortragen, teilweise decken die sich mit den von Dir angesprochenen. Daß die Probleme der SPD zur Zeit in Berlin gravierender sind als z.B. in NRW hat „berlinspezfische“ Gründe, wie Du offensichtlich besser weißt als ich.

Ein Problem für die SPD ist die Existenz der Partei „DIE LINKE“, mit dem die SPD zu leben hat, und vor allem ist es ein grundlegendes Problem für die SPD, den kuzr-,mittel- und langfristig „richtigen“ Umgang mit der Partei „DIE LINKEN“ zu finden.
Ich gehöre nicht zu denjenigen, die nach wie vor meinen, „DIE LINKE“ würde sich mit der Zeit „erledigen“. Ich bin vielmehr der Auffassung, daß „DIE LINKE“ für die SPD kein Tabu sein darf, wenn es um eine partielle oder gar umfassendere Form von Zusammenarbeit geht – sh.u.a.Koalition auch auf Bundesebene, Tolerierung einer SPD/Grünen Minderheitenregierung durch die LINKE.

Allerdings liegt es nicht an der SPD, zumindest nicht nur an ihr, wenn die Studie der Bertelsmann-Stiftung zu dem Ergebnis kommt, daß die Wahlbeteiligung weiter sinken wird.
-Ich hatte in meinem Gastkommentar -sh.SPD-LINKE-angemerkt, daß ich der offensichtlich irrigen Meinung war, „DIE LINKE“ würde es schaffen, Menschen, die den sog.einkommenschwachen/bildungsfernen Schichten zugeordnet werden, anzusprechen, zu mobilisieren, zu animieren, wählen zu gehen. Warum funktioniert das seitens der Partei „DIE LINKE“ nicht?
Sh.dazu auch Puck -8-.
Puck, neben dem „Knirschen mit den Zähnen“ gäbe es andere Handlungsoptionen für all die Benachteiligten, Unterdrückten, Diskriminierten in unserer Gesellschaft gegen das Establishment, aber……………………………??

Puck -8-
Auch mir ist mehr als nur unbehaglich bei der Verwendung der Begriffe „einkommenschwache und bildungsferne „Schichten, aber sie scheinen ja für Sozilogen,Politologen,Statistiker usw. unverzichtbar zu sein.
Ich denke, das Verwenden dieser Begriffe kann und darf nicht einhergehen mit einem respektlosen Umgang im Miteinader mit den Menschen, die diesen Schichten -leider- zuzurechnen sind.

Ich habe den Eindruck, daß es sich mit der Prognose in der Studie der Berteslmann -Stiftung „Wahlbeteiligung wird weiter sinken, ähnlich verhalten könnte wie mit den Prognosen zum „Klimawandel“.

Niemand bestreitet den Istzustand -Nichtwähler, steigende Tendenz/Klimawandel,steigende Tendenz-.

Viele nehmen den Zustand zur Kenntnis -Nichtwähler,Klimawandel-; „es ist wie es ist“ und „es wird doch alles maßlos überbewertet“.

Und die Ursachen für das wachsende Potential der Nichtwähler und für den Klimawandel?
Sie lassen sich -auch über diverse Studien- benennen.

Und Problemlösungen in Sachen Nichtwählerpotential/Klimawandel?
Sie werden beinahe tagtäglich diskutiert, aber nicht entschlossen,konsequent, zielgerichtet, angepackt ; weder in der Gesellschaft noch durch den Staat.

Also……….?
-richten wir uns ein auf eine Demokratie, in der es selbstverständlich sein wird, daß nur noch weniger als 50% der Wahlberechtigten wählen gehen , also leben wir dann eben mit und in einer Volksherrschaft , die nur noch von weniger 50% des wahlberechtigten Volkes mittels Wahlen praktiziert wird.

-richten wir uns ein auf ein Leben in einer von Folgen des Klimawandels bestimmten Umwelt, die dann eben „im großen wie im kleinen“ eine andere sein wird als heute.

Für mein persönlliches Leben ist das altersbedingt „so oder so“ unwichtig.

Aber sich damit Abfinden, „es“ zur Kenntnis nehmen, den Kindern und Kindeskindern sagen „richtet Euch darauf ein“?
Das ist nun ‚mal nicht mein Ding.

Das gelingt mir nicht.

Frank
Frank
10 Jahre zuvor

@Walter:
Zumindest im Bundestag hat die LINKE die meisten und besten Anfragen an die Bundesregierung eingebracht. Die Antworten waren oft erst der Auslöser für SPD und Grüne, ein Thema aufzugreifen.

Ansonsten erinnert die aufgeteilte Linke an USPD und SPD. Wenn die SPD ihre Eigenen nicht immer wieder hinters Licht führen würde (z. B. massive Steuererhöhungen für neu geschlossene Ehen, bei denen beide verdienen, die Blockade bei der Milderung der kalten Progression), wäre die Bindung stärker.

Die SPD fordert bei den Ihren dauernd Solidarität ab, kämpft aber nicht mehr für ihre früheren Kernthemen.

Aber ich stimme Dir zu: Das gilt inzwischen auch für CDU und FDP.

Davon wird die Alternative für Deutschland profitieren, bei der ich inzwischen auch Mitglied bin. Diese wird zumindest die Nichtwähler abholen, die sehr wohl um die Bedeutung von Politik wissen, sich aber von den Altparteien nicht mehr vertreten fühlen.

Walter Stach
Walter Stach
10 Jahre zuvor

Frank,
ich hoffe, daß „Deine“ AFD tatsächlich potentielle Nichtwähler zur Teilnahme an der Wahl animieren kann.

Frank
Frank
10 Jahre zuvor

@Walter: Danke!

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