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Alles außer Pop – Rollator Rock Rebellion

Die neue SUICIDAL TENDENCIES („Get Your Fight On“) ist schon ein paar Monate alt, aber ich bin eben auch nicht mehr der Schnellste. Außerdem ist diese Platte gar kein Album, sondern laut Selbstauskunft eine 10-Song-EP. Das ist ungefähr so gaga, wie die Tatsache, dass das angekündigte nächste Album („Still Cyco Punk After All These Years“) so heißt, als wäre es ein Remake des Klassikers „Still Cyco After All These Years“, tatsächlich aber ein Remake von Mike Muirs Solo-Debut „Lost My Brain“ ist.

Normalerweise suche ich ja lieber nach neuen Bands, als mich durch die Spätwerke abgetakelter Legenden zu quälen. Aber bereits die letzte BODYCOUNT hat mich vollends überrascht und mit der neuen SUICIDAL ist es dasselbe Spiel. Bei der BODYCOUNT bestand die Überraschung nicht darin, etwas irgendwie Neues geboten zu bekommen, sondern in der schieren Energie, Wut und Frische, mit der sie ihr bekanntes Konzept in dieses Jahrzehnt trugen. Frische ist auch das Wort, das mir zur ST als erstes einfällt.

Dabei ist das alles ja eigentlich total anachronistisch. Oder eben nicht? Die SUICIDAL TENDENCIES machen das, was wofür sie schon immer standen, nämlich eine Musik, die man mal Crossover nannte, bevor dieses Genre zu einer Schablone aus Rap und E-Gitarren erstarrte und eine Band namens CLAWFINGER es mit solcher Fremdscham auflud, dass ich mich (nach einer passageren DOG EAT DOG und RATM-Phase) davon distanzierte. Jedenfalls stand dieses Wort einst nicht für die Schablone, sondern das Gegenteil: also die Offenheit, die Experimentierfreude, die Erlaubnis, Hardcore und Metal mit Reggae, Rap, Rock oder Funk zu mischen. Nicht alles, was Bands wie BAD BRAINS, TOKEN ENTRY oder D.R.I. damals fabrizierten, klingt heute noch erträglich. Zeitgemäß schon gar nicht. Also drohen Adjektive wie altmodisch oder nostalgisch. So etwas noch mal anzuhören, beschwört alte Zeiten herauf. So etwas noch zu machen hingegen …?

Ist ein Akt der Rebellion. Was die SUICIDAL TENDENCIES auf „Get Your Fight On!“ zusammenmusizieren ist Crossover und Punk und Anarchie. Nölig-rotzige Melodien und Phrasen wie “Kids unite” könnte man Herren um die 50 als peinlich auslegen. Aber die Energie und Kaltschnäuzigkeit, mit der sie geliefert werden, lassen das nicht zu. SUICIDAL mischen Reggea und Rap und Schnulzigkeit in ihre neuen Songs, als hätte es nie eine Ausformung und Kodifizierung der Genres gegeben. Sie schreiben die Stücke so bar jeder abgedroschenen Versatzstücke und Strukturen, dass selbst jene Riffs und Stilelemente, die bekannt klingen, in ein frisches Gewand gewoben scheinen. Selbst wo sie balladesk werden, treiben sie noch.
Hintereinander Titel namens “Get Your Right On”, “Get Your Bass on”, “Get Your Shred On” und “Get Your Fight On” zu schalten ist doch auch schon abgefuckt, möchte ich postulieren. Vor allem, wenn zwei davon Instrumentalstücke sind, die einzig dazu dienen, die Fingerfertigkeit von Bassist respektive Gitarrist vorzuführen.
Diese Musik klingt für heutige Ohren – so meine ich – nicht cool. Sie klingt aber auch nicht so versteinert, wie bei alteingesessenen Bands üblich, die einfach ihre Fans bedienen wollen. Das ist Musik, die sich Blöße gibt, weil sie einfach nur aus Freude am Spielen entstanden ist. Leck-mich-am-Arsch-Musik und somit: Punk.

Der Autor schreibt hier alle zwei Wochen über Musik. Über Musik redet er auch im Podcast Ach & Krach – Gespräche über Lärmmusik.

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