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Die goldenen Jahre des Ruhrgebiets gehen zu Ende

Eckkneipe in Gelsenkirchen
Die goldene Zeiten sind vorbei (Foto: Roland W. Waniek)


Was war das eine wilde Party. Der Restalkohol vernebelt uns noch immer den Kopf und der Nachdurst begleitet die Erinnerung an rauschende Nächte und lustvolle Exzesse. Doch leider ist jedes Fest einmal vorbei und auch das Ruhrgebiet erwacht nun mit schwerem Kopf und wird langsam die vergangenen Jahrzehnte als goldene Zeit erkennen, die durch Corona und die Folgen der Pandemie beendet wurde.

Wirtschaftlich ging es mit dem Revier in den vergangenen Jahrzehnten bergab, keine Frage. Mittlerweile ist man zum Armenhaus der Republik geworden und Ostdeutsche auf Besuch brechen in Tränen aus, wenn sie die heruntergekommenen Innenstädte von Oberhausen, Herne oder Marl sehen. So viel Elend, so viel Armut, so viel Hässlich- und Trostlosigkeit ist man zwischen Rostock und Jena nicht gewohnt.  So hohe Arbeitslosenzahlen übrigens auch nicht.

Im Kreis ihrer Amtskollegen werden die Oberbürgermeister aus dem Ruhrgebiet als „Jammerwessis“ bezeichnet, aber das Jammern hat sich gelohnt: Auch wenn man sich in vielen Revierstädten vergleichsweise wenig um Bildung, Verkehr oder Jobs kümmerte, man hat es mit dem Geld aus Europa und Süddeutschland schon krachen lassen: Dortmund, Duisburg und Bochum bauten neue Konzerthäuser, Bochum auch noch eine europaweit prämierte U-Bahn Haltestelle. Man ließ als Kulturhauptstadt Europas gelbe Luftballons steigen, gönnte sich Kulturfestivals und ließ sich bei ulkigen Werbekampagnen von pfiffigen Agenturen über den Tisch ziehen. Es war auch nicht billig, sich mit dem selbstgewählten Namen „Metropole Ruhr“ zum Klassenkasper der Regionen Deutschlands zu machen. Auf Pump wurde für eine Milliarde Euro das Energieunternehmen Steag gekauft. Die Städte hielten lange an den RWE-Beteiligungen fest und berauschten sich an der Vorstellung, sie wären keine armen Kommunen, sondern international tätige Konzerne. Die Verträge, die man unterschrieb, konnte man oft kaum lesen, verschweige denn verstehen. Noch nicht einmal einen Planungsgrundlage für die Zukunft hat das Ruhrgebiet. Die Verwaltung des Regionalverbandes Ruhr und das Ruhrparlament waren zu dumm und zu faul, die Hausaufgaben zu machen. Dafür bildet sich mittlerweile sofort eine Bürgerinitiative, wenn am, Horizont ein Bagger auftaucht.

Umherreisende Berater schafften es, der Politik und den Menschen zu erklären, dass eine ehemalige Fabrik nicht schnellsten wieder wirtschaftlich neu genutzt werden sollte, sondern dass es viel schöner ist, aus ihr eine Konzertstätte zu machen. Oder ein Tanzhaus. Oder ein Museum. Mehrere hundert Millionen Euro wurden in den Umbau von Zeche Zollverein gesteckt. Stararchitekten ließ man einen Kubus bauen, der zu nichts zu gebrauchen ist, aber Betriebskosten von fast 1000 Euro am Tag erzeugt. Gab es im Ruhrgebiet früher Experten für den Bau von Hochöfen, waren nun überall Experten zur Errichtung von Geldverbrennungsmaschinen am Werk.

Nirgendwo ist die Idee des leistungslosen Einkommens so sehr Wirklichkeit geworden wie im Ruhrgebiet. Und der Griff in die Geldbörsen von Süddeutschen, Niederländern, Dänen und all den anderen Menschen, die am Morgen früh aufstehen und zur Arbeit gehen, galt auch noch als soziale Großtat.

Diese Zeit ist zu Ende. Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie werden für Arbeitslosigkeit, Pleiten und einem massiven Rückgang der Steuereinnahmen führen. Baden-Württemberg, Hessen und Bayern werden jeden Cent selbst brauchen, um den Kopf über Wasser halten zu können und auch Köln oder Düsseldorf werden sich kaum in die Pflicht nehmen lassen, um das Ruhrgebiet weiter durchfüttern. Und Europa? Länder wie Italien, Frankreich und Spanien wurden schon durch die erste Corona-Welle zum Teil verwüstet und die Pandemie ist noch lange nicht zu Ende.

Nun rächt sich, dass Milliarden verbimmelt und lange Zeit zu wenig in neue Gewerbegebiete, Bildung und den Aufbau einer modernen Infrastruktur investiert wurde.

 

Hat jemand eine Aspirin gegen die Kopfschmerzen?

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Angelika
Angelika
3 Jahre zuvor

Seit vielen Jahren geht mir die Symbolscheiße und Nostalgie im Ruhrgebiet auf den Keks.
Glückauf, der Steiger… Nä … war mal …
Die begrünten Halden mag ich ja, aber als dann auf noch DAS STEIGERLIED!!!! auf Balkonen gesungen wurden wegen Corona und so und vom WDR medial präsentiert, da… https://www1.wdr.de/nachrichten/ruhrgebiet/ruhrgebiet-singt-steigerlied-100.html

Ich kann nicht anders, ich vergleiche, ich vergleiche fast jedes Mal, wenn ich am Centro vorbei komme, was da früher war – es belastet mich, aber ich kann nicht anders. Früher, Ingenieure, Meister, Facharbeiter, Hilfsarbeiter. Da waren Hochöfen, da war ein Walzwerk usw. usw.. Heute Arbeitsplätze im Verkauf, Gastronomie. Mal die Löhne vergleichen …

Heute gibt es eine Marina! Neben Emscher und Autobahn…

Die Mülheimer Straße in OB. Ich vergleiche… Leerstand, Leerstand, Ramsch, da war früher und da war…ich weiß es noch. Ich fahre ungern über den Kanal. Viele Oberhausener meiden die Innenstadt, meiden Stadtteilzentren. Man fährt zum Supermarkt, man joggt da und dort, wo es noch (noch!) schön ist, d.h. noch nicht vermüllt, noch nicht gefährlich.

Immobilien lohnen sich nur, wenn man selbst drin wohnen will. Sind ja preiswerter als in.. In der Stadt X arbeiten, im Ruhrpott wohnen. Schlafstädte. Gähn.

Ohne Schuldenschnitt wird das nix mehr.

Helmut Junge
Helmut Junge
3 Jahre zuvor

@Angelika, ich wohne ja in der gleichen Gegend. Ja, stöhn, stimmt alles. Das ganze Centro ist kitschig. Nicht nur die Marina. Dafür ist die Marktstraße elender gworden. Wegen Corona ist es dort noch stiller. Der Buchhändler auf der Elsäßerstraße hat mir gesagt, daß es mit jedem Laden, der schließt, für die anderen Geschäfte schwieriger wird, weil dann die Kunden, die zufällig vorbeigekommen sind, nicht mehr da hin gehen. Sein Laden ist jetzt auch dicht. Marktstraßenblues war der Ausstellungstitel eines Kollegen und mir. Fällt aus, weil es keinen Sinn macht ohne Gäste. Wenn Corona Geschichte ist, wird die Marktstraße trotzdem leer bleiben. Es sei denn, die Stadtplaner machen täglich eine superkitschige Performance. (Steigerliedwettbewerbsingen z.B.) Aber die Kultur geht baden.
Ab nächster Woche mach ich mit dem erwähnten Kollegen auf der Marktstraße 133 eine kleine Schaufensterausstellung. Mehr ist nicht drin.

Wolfgang Wendland
3 Jahre zuvor

Ich denke auch, dass in der Vergangenheit viele Fehler gemacht wurden, die sich jetzt und in Zukunft auswirken. Aber in der laufenden Wahlperiode hat sich das doch abgesehen von einem übertrieben Ausbau von Radwegen stark vermindert oder? Bochum hat (te) es sogar schneller aus der Haushaltssicherung geschafft als geplant.

Roland W. Waniek
Admin
3 Jahre zuvor

@Wolfgang Wendland
Die laufende Wahlperiode steht für Stillstand – und für sonst nix! Statt Zukunftsinvestitionen nur Verwaltung des Elends. Was ist denn in Sachen Digitalisierung passiert? Was ist mit neuen Gewerbeflächen, mit Reparatur der maroden Straßen, Schulen und Stadtteilen? Was ist mit dem ÖPNV? Stattdessen in Bochum eine dämlich-peinliche "WIR"-Kampagne, maßgeschneidert für den Wahlkampf des OB. Und dann diese unerträgliche Selbsteinschätzung der Bevölkerung, dass wir alle so toll und so herzlich und so "solidarisch" sind. Schwachsinn, der sich rächt. Die Abstimmung mit den Füssen findet lange schon statt und wird weitergehen.

Berthold Grabe
Berthold Grabe
3 Jahre zuvor

@4
Ich stimme Ihnen in den meisten Dingen zu…
Doch die Selbsteinschätzung der Bevölkerung ist zutreffend und nicht unerträglich.
unerträglich ist eher die Instrumentalisierung der Politik dieser Eigenschaft, die damit nun wirklich nicht das Geringste zu tun hat.
Die Abstimmung mit den Füssen ist der Lokal- und Landespolitik geschuldet, die seit Jahrzehnten auf subvention statt Investition setzt. Lieber abwickelt, als neu schöpft.
Mit der Solidariät der Bevölkerung ließe sich ansonsten wirklich was Anfangen, das weit besser wäre, als das, was andere Regionen können. Das war mal die Grundalge für den beispiellosen Aufstieg des Ruhrgebietes neben der Kohle als Voraussetzung.

Giacomo Bascone
3 Jahre zuvor

Es ist nun mal so, dass der überwiegenden Teil der Arbeitsplätze im Ruhrgebiet, von der Stahl und Kohle industrie kamen. So schnell kann man eine ganze Region nicht umstellen. Auch die Kulturtradition aus der Industrie und Kohlezeit halte ich für wichtig, sowas nennt man Tradition und Identität und dient dazu vieles zu verstehen woher man kommt und was wir Heute sind. Das hat nichts mit dem verhindern von neue Infrastrukturen zu tun! Gleichwohl darf man nicht neue Technologien und Berufsbilder aus den Augen lassen!

Dennis
Dennis
3 Jahre zuvor

@6 So schnell? Ich bin jetzt 30 und habe in meinem Leben überwiegend Armut und Arbeitslosigkeit im Ruhrgebiet gesehen. Wie viele Generationen soll die Umstellung denn dauern?

Klaus Nolte
Klaus Nolte
3 Jahre zuvor

Da ich ja nur mit meinem ??Rad im Ruhrgebiet unterwegs bin kann ich ja dann gerne mitreden! Bei meiner letzten Tour war noch nicht mal eine Selterbude auf!! Und von den kleinen Kneipen war nicht EINE!!! mehr offen! Ich wohne ja hier in WATTENSCHEID!! Und hier gibt es schon in den einzelnen Stadtteilen garkeine KNEIPE mehr???! Und meine kleine Stammkneipe wo zur KARNEVAL ZEIT 20-30 PERSONEN ganz schön eng aber gemütlich anwesend waren! Im Moment ist die KNEIPE noch zu!!! Und nach den letzten Richtlinien könnten hier nur noch etwa 10 !!! PERSONEN MIT WIRT ANWESEND SEIN!! Und die THEKE DARF JA AUCH NICHT BESETZT SEIN!! Mein STAMMTISCH UND MEIN STAMMWIRT ? SCHREIEN GANZ LAUT UM HIEEEEEELFE!! Wenn sich da nichts ändert,dann ist in Wattenscheid Stadtmitte keine KNEIPE MEHR AUF!! SO SIEHT DAS TODESURTEIL FÜRS RUHRGEBIET AUS…..????????????Von wegen : GLÜCK AUF DER STEIGER KOMMT….DER STEIGER GEHT….!!??

angelika
angelika
3 Jahre zuvor

#6
Zeche Jacobi, Oberhausen-Osterfeld
folgende Angaben siehe wikipedia
Betriebsbeginn 1913
Betriebsende 1974
Nachfolgenutzung Sportstätten

Zeche Osterfeld
Betriebsbeginn 1879
Betriebsende 1992
Nachfolgenutzung Industriedenkmal, Naturpark
(siehe wikipedia)

Zeche Concordia Oberhausen
Betriebsbeginn 1854
Betriebsende 1968
(s. vorh.)

Zeche Alstaden
Betriebsbeginn 1859
Betriebsende 1972
(s. vorh.)

Nun ja …
Die Zahlen sprechen für sich.

Philipp
Philipp
3 Jahre zuvor

"Es kann gut sein, dass wir in zehn Jahren vom Ruhrgebiet in der Vergangenheitsform reden."

Schreibt Stefan Laurin zum Jahresausklang 2019.

Aber kann es nicht vielleicht wirklich GUT sein, dass wir das tun? Liegt darin nicht eine Chance?

Die letzte wirtschaftliche Klammer ThyssenKrupp löst sich gerade in seine Einzelteile auf.

Die FUNKE Mediengruppe kann laut einiger Prognose ab 2021 in NRW "kein Geld mehr mit Tageszeitungen verdienen" (https://kress.de/news/detail/beitrag/142602-exklusiv-wie-funkes-waz-geschrumpft-ist.htm). Damit fällt die letzte mediale Klammer, die das Ruhrgebiet sowieso nicht in Gänze umfasst.

Der Regionalplan ist gescheitert. Duisburg macht die größen Wohnbauplanungen mit Düsseldorf. Dortmund könnte einen Kommunalverband besonderer Art mit dem Kreis Unna bilden.

Kooperationen wie die Universität Duisburg-Essen bestehen mehr auf dem Papier als in der Realität.

Die Ruhrtriennale bringt tolle (inter-)nationale Künstler in den Pott, Subjekt ist das Ruhrgebiet aber ebenso wenig wie bei der Lit.Ruhr.

Was bleibt Gemeinsames außer der Vergangenheit? Ich weiß es nicht, aber es ist gut, dass die Ruhrbarone darüber berichten! 😉

Martin Lang
Martin Lang
3 Jahre zuvor

Ich kann bei so einer Betrachtungsweise des Ruhrgebietes nur den Kopf schütteln.
Wenn der Autor seinen Beitrag als eine bewusste und beabsichtigte Polemik gekennzeichnet hätte, dann wäre das ja noch zu akzeptieren.
Aber so, da hat sich ganz offensichtlich jemand vor seine Tastatur gesetzt mit der alleinigen Absicht, ordentlich Dreck und Mist auszuschütten,
Das hier nicht alles super ist, keine Frage, aber ein so verbohrter, depressiver und pessimistischer Blick wird der Realität in keinster Weise gerecht.
Das hier zu erläutern wäre aber wohl ähnlich sinnlos, als wenn man versuchen würde einen radikalen Islamisten zum Christentum zu bekehren.
Von daher lass ich es.
Und im übrigen, der Jammer-Wessie ist hier nur einer!

Internet-Tourett
Internet-Tourett
3 Jahre zuvor

Und dann kommt euch das Gesocks holen…. Vorhin am Telefon, "Nee, weiss nicht wann die wieder 'verbei' kommt…muss ihre Kissen noch abholen? Hattse sich die umnähen lassen ? Sind die jetz mit Taschen ….?"

Angelika
Angelika
3 Jahre zuvor

#11 Also für mich ist das kein "…verbohrter, depressiver und pessimistischer Blick…"

Nehmen Sie mal Ihre rosarote Brille ab …

Philipp
Philipp
3 Jahre zuvor

@Martin Lang

Es ist nicht der Blick, der verbohrt, depressiv und pessimistisch ist. Es ist die Realität, die zu diesem Gemütszustand führt.

Bsp. gefällig?

In der aktuellen TOP 100 der DACH Architekten ist nicht ein einziges Büro aus dem Ruhrgebiet https://www.baunetz.de/ranking/?area=ranking&type=ger&page=
Ein Armutszeugnis für eine 5 Millionen Region.

Große Unternehmen wie ThyssenKrupp, Funke Medien, Steag, Galeria Karstadt Kaufhof haben gewaltige Probleme und werden in den nächsten Jahren zehntausende Stellen abbauen. Dazu wird das Gasturbinengeschäft im westlichen Ruhrgebiet kommen.

Gleichzeitig rühmt sich man hier immer damit, Tacheles und frei Schnauze zu reden. Wird man dann mit der Realität konfrontiert, löst sich das aber schnell in Luft auf.

So wird das nichts.

ke
ke
3 Jahre zuvor

Mit Corona haben die Ruhrgebiets OBs doch wieder die nächste Ursache gefunden, mit der sie ihre Betteltouren starten wollen. Wie erbärmlich.

Ich mag die Freizeitanlagen auf den ehemaligen Industriegeländen. Natürlich wird jedes Drecksgebäude dort mit Millionenaufwand saniert, damit es irgendwann für einen Abend ein Konzertort werden darf. Das ist natürlich Verschwendung. Es könnte auch günstiger gehen.

Das Revier wird nicht die SPD retten, die sich schon wieder als Kümmerer sieht und gerne irgendein Geld verteilen will. Das werden wir schon selber tun müssen. Genau wie auch die südlichen Staaten in Europa mit ihren teils sehr vermögenden Einwohnern.

MARTIN MAHADEVAN
MARTIN MAHADEVAN
3 Jahre zuvor

Ist mit dem neuen Konzerthaus in
Duisburg etwa die neue Mercatorhalle gemeint ?
Dafür hat man völlig unnötigerweise die alte Mercatorhalle des Architekten Lehmbruck abgerissen, die angeblich von Karajan für ihren
tollen Klang gelobt wurde. Was war der Ersatz ?
Ein SPIELCASINO ! Das sagt doch wieder alles
über das Niveau der federführende
SPD. Welche Klientel zieht das denn an ?
Und beim Bau der neuen kleineren Mercatorhalle
gab es natürlich wieder den nächsten massiven
Bestechungsskandal.
Wie hat Duisburg denn früher seine Steuermittel
verpulvert ? Zig Milliarden für eine U-BAHN, deren
25-jährige Baustellen viele Geschäfte in der
Innenstadt in die Pleite trieben. Was kam heraus ?
Sage und schreibe 5 Haltestellen. Für einen Eingang
wurde natürlich wieder eine tradionsreiche Villa
(Sozietät) abgerissen. Heute sieht das aus wie ein
Bombenkrater.

AndiN
AndiN
3 Jahre zuvor

Unfassbar schlechter, undifferenzierter Artikel, so wie man es vom Autor kennt.
Schlimm geworden mit den ewigen Jammerdeutschen, die lieber Negativität, Pessimismus und Rumgeheule verbreiten, als Anzupacken und Aufbruchstimmung zu erzeugen.

bob hope
bob hope
3 Jahre zuvor

Wie sieht’s eigentlich in Detroit aus, in Lüttich oder Sheffield? Nicht viel „besser“, oder? Ich habe alle genannten Städte und auch weitere vergleichbare Regionen in den letzten zehn Jahren mindestens einmal besucht und muss sagen: Wenn die Industrie sich verpisst, wird es düster – auch für diejenigen, die glauben, es geht: vorwärts immer, rückwärts nimmer. Und Industriekultur wird überall genauso gern genommen, wie Millionen für Großprojekte verpulvert werden. Wie sollen auch ein paar Experten wissen, was Millionen wollen?

Eine Region, in der in Hochzeiten 800.000 Menschen in Kohle und Stahl gearbeitet haben – nimmt man die angehörigen Familien, Zulieferer und Profiteure hinzu, sind es locker drei Millionen – befindet sich immer im Ausnahmezustand und braucht anschließend entsprechend viel Zeit, um wieder auf ein „Normalmaß“ zu schrumpfen. Ohne Soli dauert es entsprechend länger.

Wenn eine Stadt wie Bochum mehrere hundert Unternehmen ansiedelt, die im Gesundheitswesen tätig sind, heißt das nunmal nicht, dass wie auf Zeche, im Stahlwerk oder bei Opel auch Zehntausende einen Job bekommen, es sind eine Handvoll oder ein paar Dutzend – kumuliert ein paar Tausend. Und alles sind Studierte und keine Arbeiter oder Handwerker. Letztere haben aber das Ruhrgebiet aufgebaut und deren Kinder und Enkel finden zum Teil keine Anstellung mehr, weil sie nicht mehr gebraucht werden, also: im marktwirtschaftlichen Sinne überflüssig sind. Das Ruhrgebiet hat schlicht keine Arbeit mehr für fünf Millionen Menschen und deren Familien. Entsprechend braucht es auch keine Infrastruktur mehr, die auf fünf Millionen Einwohner ausgelegt ist. Die Malocher, die man rief, wird man nicht mehr los!

Christoph Zöpel, ehemaliger NRW-Minister für Landes- und Stadtentwicklung, hat vor einigen Jahren – sinngemäß und wohl halb im Spaß – mal vorgeschlagen, die Emscher-Lippe-Region – also das strukturschwache nördliche Ruhrgebiet – zu einem Naherholungsgebiet umzuwandeln, mit Seen, Inseln, Stränden etc. Man müsste dafür nur die rund 120 Pumpwerke abschalten, die das Grundwasser täglich abpumpen, damit die ehemalige Bergbau-Region nicht absäuft. Das nördliche Ruhrgebiet würde sich in eine blühende Seenlandschaft verwandeln und Touristen aus nah und fern anziehen. Nebenbei hätte man jährlich rund 200 Millionen Euro an Betriebskosten gespart, die man in die Infrastruktur stecken könnte. Vorher müsste man natürlich rund zwei Millionen Menschen umsiedeln. China hat es vorgemacht (das hat Zöpel übrigens nicht gesagt).

Der Vorschlag wurde als zynisch und illusorisch abgetan. Ist er auch, aber nicht weniger zynisch als die Alternativen. Statt dessen versucht man weiter, eine der weltweit größten Industrieregionen der Welt mit herkömmlichen Mitteln zu transformieren: in Richtung Dienstleistung, Forschung und Lehre. Dass man gerade im 4.- oder schon 5.0-Zeitalter nur noch ein Bruchteil der Menschen von vor 50 oder 60 Jahren braucht, ist offensichtlich. Aber wohin mit dem „überflüssigen“ Rest? Darauf hat der Markt bis heute keine humane Antwort gefunden.

Ich kann hier trotzdem ganz gut leben, auch ohne den Kitsch und die Nostalgie. Dass jede Kommune für sich versucht, das Beste aus der Situation zu machen, ist ebenso nachvollziehbar wie problematisch. Hemd und Hose, das alte Spiel. Solange das so ist, wird sich auch die Entwicklung nicht umkehren. Aber gibt es eine realistische Alternative ohne Hilfe von außen?

TheBochumer
TheBochumer
3 Jahre zuvor

Ach ja, motzmotzmotz. Alles Scheiße hier, die Leute, die Wirtschaft, die Infrastruktur … es drängt sich förmlich auf, zu rufen: "DANN GEH DOCH ZU NETTO!".

Mit anderen Worten: wenn es Euch hier nicht paßt, dann zieht nach München oder Stuttgart oder in eine andere der sich auch selbst feiernden "Metropolen", am besten gleich nach Berlin, wo es ja keine heruntergekommenen Ortsteile und sozialen Brennpunkte gibt.

Ehrlich jetzt? Hier wohnen 5 Mio Menschen, mehr als in jedem anderen Ballungsraum Deutschlands. Da sieht's natürlich auch an manchen Stellen wenig attraktiv aus. Bei ein paar Dutzend Kommunalparlamenten steigt selbstverständlich der Anteil an Dummbatz-Entscheidungen (Bochum prominent: Cross-Border-Leasing). Und sich auch ca. 50 Jahre nach der letzten Zechenschließung in Bochum über die verlorene Wirtschaftsstruktur zu beklagen, finde ich auch reichlich billig, zugegeben.

Aber das Ruhrgebiet ist nun mal nicht Regensburg, und daß wir irgendwann in einem überschaubaren geologischen Zeitraum hier noch mal Vollbeschäftigung hinkriegen, halte ich für ausgeschlossen. Dafür ist die Anziehungskraft für Leute aus dem Umfeld einfach zu groß, die sich sagen: "Dann schon besser in der Großstadt, als im Sauer- oder Münsterland keinen Job zu haben".

Aus Bochumer Sicht wird hier einiges getan, und selbst unsere schlafmützige Kommunalregierung hat in den letzten Jahren anscheinend mitbekommen, daß eine Universität ein Wirtschaftsfaktor sein kann. Und auch der Opel/Nokia-Doppelschlag hat nicht dazu geführt, daß wir hier alle auf der Einkaufsstraße singen und nachts unter der Brücke schlafen müssen.

Ich weiß ja nicht, in welchen Favelas Ihr so in Oberhausen, Essen oder Unna hausen müßt, aber hier in der Mitte des Ruhrgebiets ist es noch ganz OK, und ich würde mich, ehrlich gesagt, wundern, wenn es in anderen Teilen der Region nicht genauso durchmischt wäre.

Und anders wird es hier nie sein: wir sind, nochmal, nicht Baden-Baden, Monaco oder Sylt. Wir haben hier den klassischen Mischmasch von äußerstem Wohlstand, prekären Verhältnissen und allem dazwischen.

Wie in Metropolen üblich.

Was die Titelzeile des Artikels ("Die goldenen Jahre sind vorbei") angeht: ich kann mich nicht erinnern, daß sie hier irgendwann mal angefangen haben – auch die Kulturhauptstadtnummer wurde von vielen Leuten skeptisch aufgenommen, obwohl ich sie schon als Gelegenheit aufgefaßt habe, mal ein "Hallo" in die Umlande zu rufen.

Bezüglich der Ostdeutschen, die ob des Elends an Ruhr und Emscher traumatische Erfahrungen davongetragen haben sollen: ich hatte schon Besucher aus vielen Teilen Deutschlands und Europas hier, und man kann nicht sagen, daß sie in Entzückung verfallen wären ob der reichhaltigen mittelalterlichen Architektur. Aber daß sie mit verheulten Augen zurück in ihre Heimatregionen reisten, wäre auch eine Übertreibung.

Ich habe das Gefühl, daß der Autor des Artikels selbst unter dem Syndrom leidet, das er den Einwohnern der Region unterstellt: eine Weinerlichkeit, in seinem Fall dahingehend, daß es hier nicht so toll ist wie in – ja, wo eigentlich?

München, wo jede Abstellkammer mit 12 qm noch im 4stelligen Bereich bepreist wird?

Hamburg, wo die Elbphilharmonie das gefühlt zweidutzendfache an Kosten verursacht hat, die ursprünglich angezeigt waren?

Köln, die ihre U-Bahn zwar nicht prämiert bekommen, aber dafür mit dem Verlust ihres jahrhundertealten Stadtarchivs bezahlt haben?

Oder Stuttgart, wo es mittlerweile preiswerter wäre, die Stadt höher zu legen als den Hauptbahnhof tiefer?

Was will der Autor des Kommentars sagen? Macht halblang! Hier wird zwar ne Menge Mist gebaut, und es ist viel Luft nach oben, keine Frage. Aber das hier demnächst die Büsche vom Steppenwind durch die Straßen getrieben werden, wie in verlassenen Goldgräberstädten üblich, kann ich nicht sehen, tut mir leid.

Meine 2ct

Herbert
Herbert
3 Jahre zuvor

@ TheBochumer

Stefan Laurins Utopia ist "Manchester", "Manchester Kapitalismus" …

TheBochumer , Zitat: "Oder Stuttgart, wo es mittlerweile preiswerter wäre, die Stadt höher zu legen als den Hauptbahnhof tiefer?"

lustiger und wahrer, als der ganze Artikel von Stefan Laurin

Münsterländer
Münsterländer
3 Jahre zuvor

Lieber Herr Laurin, wir hätten da ein paar Positionen aus unserer Infrastrukturliste kostenlos an Sie abzugeben:
– Einige Hundert Landwirtschaftliche Betriebe unserer „Schweine-Veredelungsregion“ nebst angeschlossener Agrardienstleister
– einen Schlachthof für wöchentlich 50.000 Schweine (Erweiterung beantragt)
– ein Betonfertigteil-Werk, (aus dem Ruhrgebiet zu uns gekommen)
– Legebatterien für billigen Eierlikör und Chicken-McNuggets
– eine Autobahn (in Dammlage),
– eine autobahnähnliche Bundesstraße (aktuell in Bau, ebenfalls in bevorzugter Dammlage).

Gerne auch Tausch gegen Zeche Zollverein, Landschaftspark DU-Nord, Fahrrad-Autobahnen, für die Sie keine Verwendung haben. Meine Kontakt-Daten kennen Sie.

thomas weigle
thomas weigle
3 Jahre zuvor

Das Ruhrgebiet erlebt den Kapitalismus seit Jahrzehnten von seiner unschönen Seite. Die Massendemos der 80er,Rheinhausen bspw, waren vergeblich. Weiterhin Flucht des scheuen und leicht zu verschreckenden Unternehmertums in Leichtlohnländer, das ja immer zur Flucht bereit ist, wie äsendes Rotwild auf einer Waldlichtung.

Philipp
Philipp
3 Jahre zuvor

@ AndiN"… Aufbruchstimmung zu erzeugen."

Aber das ist doch genau der Punkt! Es geht nicht darum Aufbruch- sondern Abbruchstimmung zu erzeugen. In Würde schrumpfen und darüber lachen! Oder neue Stadtteile anderswo zu gründen.
Warum nicht Berlin-Schalke? Oder Hamburg-Sterkrade?

Aufbruch heißt, das man glaubt, dass man wächst. So hat Mülheim ein Straßen- und ÖPNV Netz, das man kaum noch bezahlen kann, weil man dachte die Stadt wächst auf 300.000 Einwohner.

Die Stadt Oberhausen hat ein zu großes Theater, weil man sich nicht eingestehen will, dass man nicht mehr wirklich Großstadt ist.

Eine Stadt wie Bochum hat mit 365.000 Einwohnern halb so viele Industriearbeitsplätze wie Schweinfurt i. Bayern (50.000 Einwohner).

Viele Städte sind viel zu groß für die (nicht mehr vorhandenen wirtschaftlichen) Strukturen.

@TheBochumer ne, es passt mir nicht, dass es hier "heruntergekommenen Ortsteile und sozialen Brennpunkte gibt."

Armut ist nämlich Scheiße.

Berthold Grabe
Berthold Grabe
3 Jahre zuvor

Das Ruhrgebiet ist wie viele andere Industriezentren eine Musterbeispiel, wie man es nicht machen darf. Der große boom einer Branche führt zur ökonomischen Monokultur, deren geballte Macht mit allem Einfluss den sie besitzt, verhindert, das sich parallel andere Standbeine entwickeln können.
Das sieht übrigens bei der Autonmolbilbranche durchaus ähnlich aus.
Und es stellt sich dann schon die Frage, warum das Ruhrgebiet sich nicht erholen kann, wenn im gleichen Zeitraum andere Regionen von quasi null auf Hundert aufgebaut haben. Immerhin ist Kohle und Stahl als dominante Struktur seit Mitte der 60ziger passe´

Ruhr Reisen
Ruhr Reisen
3 Jahre zuvor

Ich weiss nicht, was du hast. Bochum hat gerade Mikroapartements für Studenten gebaut. 20 QM für 675 Euro. Der Vermieter macht sich keine Sorgen – um die Zukunft seiner Mieter/innen. Die Innenstadt ist gerettet. Der Rest zieht dann nach Wattenscheid.

TheBochumer
TheBochumer
3 Jahre zuvor

@Philipp:

[quote]
@TheBochumer ne, es passt mir nicht, dass es hier "heruntergekommenen Ortsteile und sozialen Brennpunkte gibt."
[/quote]

Ich hab ja auch nicht gesagt, daß mir das paßt. Ich hab nur festgestellt, daß das in Ansammlungen von Millionen Einwohnern in einer Gegend (Metropolregionen) einfach so ist.

Und nein, ich habe leider keinen Plan, wie das zu ändern wäre. Allerdings haben da schon in den letzten Jahrhunderten größere Geister als ich drüber nachgedacht, ohne zu einem (brauchbaren) Resultat zu kommen.

TheBochumer
TheBochumer
3 Jahre zuvor

@Herbert:

[quote]

"Oder Stuttgart, wo es mittlerweile preiswerter wäre, die Stadt höher zu legen als den Hauptbahnhof tiefer?"

lustiger und wahrer, als der ganze Artikel von Stefan Laurin
[/quote]

Danke für die Blumen, aber war von mir geklaut 😉

https://www.der-postillon.com/2013/07/punkt-erreicht-dem-es-gunstiger-ist.html

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