Polizisten mit kleinen Nummern dran

Die Staatsgewalt geht vom Volke aus. Das ist zumindest an guten Tagen in diesem Lande so. Wer schon mal sein Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit wahrgenommen hat, der hat eine sehr klare Vorstellung vom staatlichen Gewaltmonopol. Schon das massive Auftreten der Polizei als Variante der Klonkrieger nach George Lucas macht nachhaltig Eindruck. Richtige Gewalt ist das noch nicht, aber von struktureller Gewalt darf man bereits sprechen.

Manchmal greift die Ordnungsmacht „richtig durch“, auf der Suche nach vermeintlichen Gewalttätern und möglicherweise Vermummten. Das führt regelmäßig zu „Kollateralschäden“ in Form von verletzten Demonstranten und Bürgern. Die staatliche Reaktion auf die Proteste gegen den Bahnhof in Stuttgart hat die Polizeigewalt zu einem Thema in den Medien gemacht. In der letzten Woche wurde in Stuttgart ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss zum Einsatz im Schlossgarten ins Leben gerufen. Dabei ist staatliche Gewaltanwendung auf Demonstrationen eher die Regel – auch wenn es in den letzten Jahren auf der Straße etwas ruhiger geworden ist.

Wer gegen Übergriffe der Polizei vorgehen will, der erlebt nicht selten seine zweite Überraschung. Die Kollegen der beschuldigten Polizisten haben plötzlich eine völlig andere Erinnerung an den Vorfall und aus dem Betroffenen manchmal ein Beschuldigter. Soweit kommt man zumindest dann, wenn der einzelne Beamte identifiziert werden kann. In den meisten Fällen ist das schon die erste Schwierigkeit, da unsere staatlichen Klonkrieger kaum auseinanderzuhalten sind. Moderne Handys und youtube haben hier für etwas Abhilfe gesorgt – die Polizei filmt also nicht mehr alleine. Da liegt die Forderung nach einer Kennzeichnung mit einer Identifizierungsnummer eigentlich auf der Hand. Viele Bürgerrechtsgruppen und Amnesty International fordern das schon seit langem.

Die Interessenvertretung der Polizei lehnt das grundsätzlich ab: Man will die Kollegen nicht unter Generalverdacht stellen. „Wir befürchten, dass dies nur darauf abzielt, einzelne Beamte mit Verfahren zu überziehen“, erklärt Frank Richter, NRW-Chef der Gewerkschaft der Polizei. Dieser Logik kann der gesunde Menschenverstand selbst mit viel Anstrengung kaum folgen. Wenn durch die Kennzeichnung nur eine einzige unangemessene Gewaltanwendung gegen Menschen verhindert werden kann, dann ist das schon ein großer Erfolg. Im Programm der Grünen zur Landtagswahl 2010 in NRW findet sich die Forderung nach einem Beschwerdemanagement für die Bürger und nach einer Kennzeichnung der Beamten: „ „Dazu gehört auch eine Dienstnummer, die deutlich sichtbar an der Uniform getragen werden soll“. Im Koalitionsvertrag mit den Sozialdemokraten ist davon nichts mehr zu lesen. Es bleibt also abzuwarten, wie engagiert die Koalition in NRW für die Bürgerrechte eintritt.

Der Bochumer Kriminologe und Polizeiwissenschaftler Professor Thomas Feltes fordert externe Kontrollgremien für die Polizei und unabhängige Untersuchungskommissionen: „Die Ereignisse in Stuttgart zeigen erneut, dass solche Gremien unbedingt notwendig sind.“ Vergleichbare Einrichtungen gibt es bereits seit einigen Jahren in anderen Ländern. Nachprüfbare Zahlen zu polizeilicher Gewalt gibt es dagegen kaum. Nach Angaben von Amnesty International hat es zum Beispiel 2008 in Berlin 548 Fälle gegeben, bei denen wegen Körperverletzung im Amt ermittelt wurde. Bisher ist es hier zu keiner einzigen Verurteilung der verdächtigten Beamten gekommen. Der aktuelle Bericht „Täter unbekannt – Mutmaßliche Misshandlungen durch die Polizei“ von Amnesty International listet exemplarisch eine Reihe von Vorfällen auf – mit Solingen und Duisburg sind zwei Städte in NRW vertreten. „Mehr Verantwortung bei der Polizei“ fordert die aktuelle Kampagne von Amnesty. „Überall in Deutschland wird momentan die Frage diskutiert, wie rechtswidrige Polizeigewalt verhindert werden kann“, sagt Katharina Spieß, Polizeiexpertin von Amnesty in Deutschland,. „Nicht zuletzt die Empörung vieler Menschen über den Polizeieinsatz gegen die Stuttgarter Demonstranten hat dazu beigetragen.“ Die Organisation will mit einer Online-Aktion den Vorsitzenden der Innenministerkonferenz(IMK), den Hamburger Innensenator Heino Vahldieck, dazu auffordern, in der nächsten IMK-Sitzung am 18. und 19. November in Hamburg das Thema rechtswidrige Polizeigewalt auf die Tagesordnung zu setzen.

Das Königsblog geht nach Hause

Das Königsblog wird geschlossen – ein Nachruf von unserem Gastautor Trainer Baade.

Enthusiasmus ist jener Bestandteil am Fußball, der ihn überhaupt erst zu dem macht, was er in unseren Breiten ist. Ohne Enthusiasmus gäbe es den ganzen Rummel um diese Sportart nicht, die streng genommen nur ein Spiel ist und die wir doch so ernst nehmen. Natürlich wissen wir, dass wir das Spiel nicht zu ernst nehmen dürfen — aber könnten wir uns noch so intensiv damit beschäftigen, wenn wir es nicht mehr ernst nähmen, lohnte es die Beschäftigung dann überhaupt noch? Zu ernst aber, das wäre ein Problem.

Ein Problem, welches sich langsam in den Alltag fräße und zu viel Zeit einnähme, so dass man sein eigenes Leben nicht mehr genießen könnte. Auf dass die Menschen drumherum darunter litten, egal, ob 30 Jahre älter oder 30 Jahre jünger. Aus diesem Grund entschloss sich wohl Torsten Wieland, der Betreiber des Schalker Königsblogs, dass der Fußball und sein Schreiben darüber zu viel Zeit in seinem Leben einnähmen, weshalb er genau diesen Zustand nun beendete. Königsblog ist tot, oder um es weniger dramatisch zu formulieren: Eins der besten Fußballblogs in Deutschland hat seinen Betrieb eingestellt.

Dahinter liegen sicher Gründe, die langfristig dazu führen, dass der Betreiber des Königsblogs sein Schalke-Sein besser wird genießen können. Allein, das fällt den Tausenden an Lesern seines Blogs heute schwer zu glauben. Völlig unerwartet kam die gestrige Nachricht von Torsten Wieland, dass er sein Blog einstelle. Insbesondere die Tatsache, dass sein Blog von vielen Nicht-Schalkern gelesen wurde, zeigt, welchen Stellenwert eine objektive, wohltuend analytische und gleichzeitig von Leidenschaft geprägte Herangehensweise an einen Fußballclub bundesweit haben kann. Nicht zuletzt sind Blogs, und der Enthusiasmus, aus dem sie entstehen, ein Baustein des heutigen Fanseins.

Über das besagte Schalke-Fansein hinaus war das Königsblog stets mehr als nur ein Vereins-Blog. Die vielen Hinweise auf Podcasts oder andere hörens- und lesenswerte Stücke drückten immer eine umfassendere Liebhaberei zum Fußball aus. Auf welche wir von nun an verzichten werden müssen. Jedenfalls beim täglichen Rundumgang durch die Blogs des Landes. Nicht aber verzichten müssen wir auf Torsten Wieland und seine Schalke-Liebe. Er ist ja weiterhin bei Twitter aktiv und wird sich im Netz äußern. „Schade“, ist das Wort der Stunde, und auch der FC Schalke sollte das nun sagen. Er verliert einen vorzüglichen Fürsprecher im Internet. Und alle Fußball-Anhänger eine lesenswerte Lektüre.

Marl – durch Abriss zur „InnovationCity Ruhr“

Glückliches Bochum. Es landete bei Städteranking des Manager-Magazins auf Platz 29, wurde Vorletzter vor Chemnitz. Andere Städte der Region traf es in der Vergangenheit härter.

Recklinghausen etwa sah sich schon des Öfteren am Tabellenende, landete bei älteren Erhebungen mit 90 oder 125 Teilnehmern auf Platz 89 oder 124. Noch schlechter dran im Ruhrgebiet sind Randexistenzen wie die Stadt Marl. Die Stadt im Norden des Reviers kennen ältere Fußballfans noch vom einst beinahe glorreichen TSV Marl-Hüls, Fernsehprofis vom Grimme-Preis und Jüngere vom Da-Wegziehen nach dem Abitur. Die Stadt würde allzu gerne nur einmal in irgendeiner Rangliste auftauchen. Sie sollte aufgeben.

Man muss sich der Resignation hingeben, in Demut, der letzten Zuflucht des Stolzes. Denn Resignation ist ein großes Gefühl, leider völlig unterschätzt. Öffentlich will sich niemand ihr zu bekennen. Warum nicht? Marl hätte beste Aussichten  jede Pottgemeinde, die sich derzeit als „Innovation City“ versucht, zu schlagen. Durch ein wirklich innovatives Konzept: Das Aufgeben des urbanen Willens, den Verzicht, das Eingestehen der Niederlage. Marl sollte bei den „shrinking cities“ ein letztes Mal den Versuch unternehmen in einem Ranking weit vorne zu landen durch einen Totalabriss. Sie könnte zur Modellstadt werden für viele andere Gemeinden im Revier, für Bergkamen, Witten oder Gladbeck.

Letzte Woche beim hochkarätigen Festival „TV: Tour de Ruhr“ im Adolf-Grimme-Institut bestand die Chance einen Pakt des endgültigen Untergangs zu schließen. Gut 200 Einwohner sahen Peter Lilienthals Film „Marl – Versuch einer Stadt“ aus dem Jahre 1964, eine großartige Dokumentation über delirierenden Größenwahn, über die normale Stadtplanung der 60-er Jahre halt. Marl kassierte Gewerbesteuern ohne Ende, von den Zechen und den Chemischen Werken Hüls (CWH) und träumte von 160 000 Einwohnern. Derzeit sind es etwa die Hälfte. Meinen beim Festival lässig in den Saal geworfenen Aufruf zur Resignation hockten die Marler in westfälischer Sturheit aus, als sei Verharren schon Aktivität. Sie verpassten ihre Chance.

Lieber verlor man sich in Debattenbeiträgen der dümmsten Art, verwies auf den desolaten Haushalt, den Streit der der Politiker im Rat und steigerte sich in die idiotischste aller Forderungen: Der Jugend müsse mehr geboten werden. Was denn, bitteschön? Trendige Saufräume, hippe Verrichtungsboxen zum fröhlichen Kennenlernen der Sexualität, damit man noch mal ordentlich saufen und ficken kann, bevor man sich nach dem letzten Sommer endgültig zum Studium in einer lebbaren Stadt verabschiedet? Das wäre pure Geldverschwendung, denn zurück kommt keiner. Hans-Christian Ströbele, Sönke Wortmann, Heinrich Breloer, Bernhard Sinkel, selbst Peter Neururer  sind vernünftiger Weise für immer abgehauen. Am anderen Ende des Lebens wird auch nach Jürgen Möllemanns freiem Fall auf dem örtlichen Flugplatz niemand die Stadt zum Venedig des Ruhrpotts erheben, Motto: „Marl sehen und sterben“.

Die Bewohner, als Bürger versteht sich dort offensichtlich kaum noch jemand, müssen sich eingestehen, dass sie vom Kapitalismus belogen wurden. Aus den Ackerdörfern wurde nach 1900 eine Stadt, schließlich brauchten Zechen und später die Chemischen Werke Unterkünfte für ihre Arbeiter, dazu den üblichen Kram, Schulen, ein paar Läden, etwas Verwaltung. Das klang nach dem Zweiten Weltkrieg nach einem Versprechen ewigen Fortschritts, war aber eine Lüge. Was soll man anderes erwarten von Konzernen, die heute ihren Namen, morgen ihren Eigentümer und übermorgen ihren Standort wechseln? Wenn sich Kohle und Chemie nicht mehr rechnen, interessiert die Unternehmer herzlich wenig, was mit ihren ehemaligen Schützlingen passiert. Aus Entlassenen werden ganz schnell Verlassene. Noch sitzt man aus.

Im leeren Zentrum verrottet ein übles Einkaufszentrum aus den 70-er Jahren, an dem jede Stadt, die heute einer Shopping Mall in der City entgegengeilt, lernen kann, wie es dort in 30 Jahren aussehen wird. Nebenan steht ein einst als kühn und modern empfundenes Rathaus, marode, und verursacht Energiekosten, dass man der Stadt nur wünschen kann, noch RWE-Aktien zu besitzen.

Marl hat schon verloren. Einwohner, die Philharmonia Hungarica, Arbeitsplätze, das Wunderauto Loremo, Hoffnung.  Die BASF hat ihre Zeche Auguste Victoria an die RAG abgetreten, in sechs Jahren wird sie geschlossen. Aus der CWH-Wohnungsgesellschaft wurde Veba-Wohnen, wurde Viterra, wurde Deutsche Annington. Tropfte früher der Wasserhahn, stand Stunden später der Klempnertrupp im Badezimmer, heute erhöht die Vermieterin darob die Nebenkosten. Ab und zu wird ein Altbaukasten mit außen angeschraubten Blechbalkonen aufgerüstet, ansonsten verlässt auch der Mietzins die Stadt auf Nimmerwiedersehen.

Vereinzelt macht sich noch Optimismus breit. Entweder bessert sich die Lage wirklich oder jahrelanger Drogenkonsum entfaltet seine Wirkung. Marl ist die einzige Einpendlerstadt im Kreis Recklinghausen. Klingt gut, heißt aber: Die Leute wollen dort zwar arbeiten. Aber da wohnen – um Gottes Willen. Die Kriminalitätsrate ist zurückgegangen. Klingt auch gut, bedeutet aber: Die kriminelle Klasse hat kapiert, dass sie ihrer qualifizierten Tätigkeit anderswo profitabler nachgehen kann. Mit anderen Worten: In Marl ist nichts mehr zu holen ist.

Wäre Marl eine Stadt am Amazonas, einst gebaut um eine jetzt ausgebeutete Kupfermine, sie wäre längst verwaist, der ständige Kampf gegen den Verfall längst aufgegeben. Westfalentum und Subventionen verhindern ökologische und ökonomische Vernunft an der Lippe.

Dabei erfüllte das Aufgeben der Stadt alle Kriterien der „InnovationCity Ruhr“ – der Ort würde nicht auf halbe, sondern auf null Energie gesetzt. Auf den Brachen könnten sich wie gefordert „grüne Firmen“ ansiedeln. Detroit als Stadtleiche macht gerade vor, wie das geht. Eine verwaiste Stadt wäre vorübergehend eine tolle Location fürs Geocaching und wilde Gotcha-Spieler. Später dann und völlig von allein käme man in Einklang mit der Natur. Nicht so schnell wie die üppige Tropenvegetation, sondern langsam und westfälisch gründlich eroberten sich Bruchwälder geraubtes Terrain zurück. Greenpeace und Al Gore würden Urkunden verteilen. Man sollte sofort die Pumpen abstellen und so die Ewigkeitskosten des Bergbaus drastisch reduzieren. Christoph Zöpel hat schon mal in diese Richtung gedacht, leider nur einmalig. Mit dem Ja zur Resignation wäre es vorbei mit dem elendigen Tanz von Kraft um eine Mitte, in der betäubt kein großer Wille steht.

Als Zöpel noch NRW-Städtebauminister war, hat er den damals schon maroden Stadtkern besucht, dabei das 17-stöckige Hochhaus „Goliath“ besichtigt. Es stand halb leer. Zöpel schlug vor, einfach ein paar Stockwerke abzutragen. Für die Zuschüsse solle man mal im Ministerium anrufen. Die Stadtspitze war schockstarr baff. Aus- und Übersiedler ließen den Klotz mit seinen 153 Wohnungen eine Weile überleben, bevor er endgültig verkam. 2006 wurde er gesprengt. Das wäre ein guter Auftakt gewesen. Was machten aber die Verantwortlichen? Sie räumten den Schutt beiseite und setzten ein Elektrokaufhaus dahin. In einem anderen Stadtteil riss man jetzt drei Hochhäuser aus den 60-er Jahren ab, die anfangs von Zahnärzten bewohnt wurden und später von Menschen, die selten zum Zahnarzt gehen. Die Fläche wird gerade bebaut. Vielleicht gehört zu viel Mut zur Resignation.  Eines macht Hoffnung. Vor dem Film gab es bei Grimmes am Donnerstagabend Biografien der Podiumsteilnehmer. Der städtische Bau-Beigeordnete Wolfgang Seckler führte für die Jahre 1982 bis 1986 den Besuch der Siegener Schule für Technik an, „Abschluss: Sprengmeister Bauwerkssprengungen“.

Der Autor wurde in Marl geboren. Er wuchs dort auch auf.

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Der Ruhrpilot

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CDU: Lammert bringt Atomkoalition gegen sich auf…Spiegel

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Offline Filesharing: Digitale Astlöcher mit USB und WLAN…Netzpolitik

Verdi: Zum Verdi-Positionspapier zum Urheberrecht…Immateri

Games: Die Legende von Polybius…Kueperpunk

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Wem gehören die Medien?

Der Journalist und Autor Tom Schimmeck referiert und diskutiert am kommenden Donnerstag über „Medien, Macht und Meinungsmache“ (4. November, 19.30 Uhr, verdi Dortmund, Königswall 36, Eintritt frei). Der Abend richtet sich ausdrücklich nicht nur an JournalistInnen, sondern es geht um eine politische Diskussion über demokratische Öffentlichkeit und die Rolle der Medien.

Heribert Prantl schreibt über seinen Kollegen: „Wenn man seine Texte liest, denkt man sich: Karl Kraus ist ja eigentlich tot, Kurt Tucholsky auch. Tom Schimmeck erinnert an sie, an die ganz Großen unseres Metiers. Aber er ist er selber. Er ist Essayist, er ist Kommentator, er ist auch Prophet.“

Hier veröffentlichen wir, etwas gekürzt, die Rede, die Schimmeck beim Kongress „Öffentlichkeit und Demokratie“ Anfang Oktober in Berlin gehalten hat:

Wem gehören die Medien?

von Tom Schimmeck

„Wem gehören die Medien?“ war der Titel der Hausaufgabe, die ich für diesen Kongress bekommen habe. Das klingt zunächst nach einer Fleißarbeit mit vielen Schaubildern, mit Prozentangaben und Kästchen. In denen Namen wie Bauer, Burda, Holtzbrinck, Neven Du Mont stehen. Aus denen ersichtlich wird, dass der Westen der Republik publizistisch in der Hand der WAZ-Gruppe ist – Kenner reden von der Brost- und der Funke-Linie –, der Süden hingegen in der Hand der Südwestdeutschen Medien Holding, hinter der eher öffentlichkeitsscheue Eigner wie etwa ein Herr Schaub stecken. Außerdem gibt es da noch Verleger wie Ippen und Ganske und wie sie alle heißen. Und natürlich die mächtigen Witwen Springer und Mohn.

Den gehören die deutschen Printmedien, die „Holzmedien“, wie wir neuerdings gern und keck sagen. Schon weil der Begriff automatisch die Assoziation freisetzt, dass da wohl irgendwie der Wurm drin ist.

Wir haben es hier weitgehend mit alten Imperien zu, mit einer Hand voll Milliardären, die sich größtenteils in der Forbes-Liste der Reichsten der Welt wiederfinden. Bauer, Burda, Holtzbrinck sind für jeweils so um die 2 Milliarden Umsatz im Jahr gut. Springer bringt es auf 2,6 Milliarden. Bertelsmann, jener Konzern, der 1835 mit dem Verkauf eines christlichen Liederbuchs begann, spielt mit seinen 1200 Einzelfirmen und Beteiligungen von Random House bis RTL in einer anderen Liga, kommt weltweit auf über 15 Milliarden. Das ist bereits die Sphäre, in der, noch etwas weiter oben, auch Disney und Rupert Murdochs News Corporation spielen.

Das Auslandsgeschäft, die globale Ausrichtung, wird aber auch für die anderen immer wichtiger. Längst sind deutsche Verlage tonangebend in Osteuropa. Gruner+Jahr etwa, eine Tochter von Bertelsmann, ist von den USA bis nach China aktiv, die Georg von Holtzbrinck GmbH in über 80 Ländern präsent. Die Bauer Media Group – das ist jene Hamburger Firma, die anno 1875 mit dem Druck von Visitenkarten begann, und wo seither wohl noch kein einziges aufklärerisches Wort erschienen ist –druckt heute mehr als 300 Zeitschriften in 14 Ländern, betreibt außerdem Dutzende Radiosender. Alle haben inzwischen auch ihre Online-Portale, produzieren Firmenblätter, machen sowieso in TV, Merchandising und so weiter.

Paul Sethe, einer der fünf Gründungsherausgeber der FAZ, spitzte die Zustände schon 1965 sehr knapp zu: „Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.“
200 wäre heute vielleicht ein bisschen hoch gegriffen.

Und auch der verlegerische Impetus hat sich stark verändert. Früher war der Verleger der Patriarch, der Talente um sich sammelte. Da durften auch ein paar dabei sei, die gar nicht seiner Meinung waren. Als Konfetti. Zum Schmuck. Als Hofnarren.

Inzwischen aber hat auch hier – Oskar Negt sprach gestern davon – die rein betriebswirtschaftliche Logik durchgesetzt. Die Inhaber sind zunehmend verunsichert über die Zukunft ihrer „Holzmedien“. In den Obergeschossen der Verlagshäuser herrscht eine Mischung aus Resignation und Aggression. Nicht, dass diese Imperien unmittelbar dem Untergang geweiht wären. Aber die hoch gesteckten Renditeziele sind in den letzten Jahren doch zeitweise deutlich verfehlt worden. Das Plus stimmte nicht mehr. Weshalb die Medieneigner die Unternehmensberater in Marsch setzten, die Bergers, McKinseys und Co. Allesamt natürlich Experten in Sachen demokratischer Öffentlichkeit. Die zogen mit dem Rechenschieber in die Redaktionen. Und kamen – Überraschung – zum Ergebnis, dass Qualitätsjournalismus doch verdammt teuer ist. Also wurde entlassen, entlassen, entlassen. Oh nein, Verzeihung: Freigesetzt.
Ja, das klassische „Geschäftsmodell“ der Blätter hat Probleme. Aber das Untergangsgeschrei war auch enorm nützlich, um eine höhere Rendite zu sichern.

Meldung vom September 2010:
Das erste Halbjahr 2010 verlief für den Bertelsmann-Konzern außerordentlich positiv. Auf 755 Millionen Euro bezifferten die Gütersloher das Operating EBIT. Im gleichen Vorjahreszeitraum hatte es bei 497 Millionen Euro gelegen. Der Netto-Gewinn betrug 246 Millionen nach einem Minus von 333 Millionen vor einem Jahr. Der Konzernumsatz landete bei 7,4 Milliarden Euro. Die starken Zuwächse führt das Bertelsmann-Management vor allem auf gestiegene Anzeigenerlöse bei den Töchtern RTL Group und Gruner+Jahr zurück. Der Hamburger Verlag konnte seinen Vorsteuergewinn im ersten Halbjahr von 55 auf 130 Millionen Euro steigern.
Eindeutig: Eine Krise

Zweite Meldung. Gut zwei Wochen alt:
Die erste Tarifrunde Tageszeitungen am 14. September in Berlin endete anders, als von den Gewerkschaften DJV und ver.di erhofft. Statt über angemessene Gehaltserhöhungen für die rund 14.000 Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen zu verhandeln, stellten die Zeitungsverleger Forderungen an die Flächentarifverträge in den Raum. Weil sich die Zeitungsbranche in strukturellen Schwierigkeiten befinde, so die BDZV-Vertreter, seien Abstriche unausweichlich.
Sie können gar nicht mehr anders als kürzen, streichen, „abbauen“.

Meldung 3, auch ganz frisch:
Auf stabile Anzeigenumfänge in den ersten acht Monaten dieses Jahres blicken die Zeitschriftenverleger zurück. Von Januar bis August nahmen die Anzeigen in den Zeitschriften ebenso viel Raum ein wie im gleichen Vorjahreszeitraum. Das ermittelte die Zentrale Anzeigenstatistik des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger. Die stabile Anzeigenlage macht sich offenbar auch positiv in den Verlagskassen bemerkbar.

Immer mehr Medieninhaber betreiben ihr Geschäft, als würden sie Schrauben, Schnittkäse oder Sonnenschirme verkaufen. Sie haben kein Anliegen mehr das größer ist als Geld. Besonders gut sichtbar sind die Folgen eines rein renditeorientierte Betrieb bei den Privatsendern. Seit 2007 sind Finanzinvestoren auf diesem Sektor direkt aktiv: Die Permira Beteiligungberatung GmbH sowie Kohlberg Kravis Roberts & Co (KKR) befehligen ProSiebenSat1. Diese Leute machen keinen Hehl daraus, dass sie sich genau null Sekunden lang für die gesellschaftliche Rolle ihrer Sender interessieren. Information? Aufklärung? Was ist das? Was kostet das? Kriegen wir die Zuschauer auch billiger? Es ist halt nur ein Investment. Durch Druck, Betriebsverlegungen und Entlassungen trimmen sie den Börsenkurs genau so lange, bis sie den besten Preis bekommen. Verglichen damit wirkt manch Altverleger schon wieder wie ein Musterdemokrat. Selbst die FAZ sprach angesichts des Treibens im Münchner Sender einmal von „Heuschreckenlogik“.
Womit geklärt wäre, wem Printmedien und Privatsender „gehören“. Im Sinne von: in Besitz sein.

Und dann haben wir da noch die öffentlich-rechtlichen Sender, die Anstalten, wie es so schön und manchmal allzu treffend heißt. Das sind diese großen Häuser mit diesen endlos langen Korridoren, in denen die Machtkämpfe besonders kompliziert sind.

Meiner Ansicht nach ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk eines der schönsten Geschenke, die uns die alliierten Siegermächte, vorneweg die Briten, nach 1945 gemacht haben. Aus der verheerendsten Propagandawaffe der Nazis wurde ein zumindest potentiell demokratisches Medium, das obendrein, zumindest potentiell, im Besitz aller ist. Umso betrüblicher, dass die Anstaltsrealität zuweilen krass vom Idealzustand abweicht. Im vergangenen November feuerte das ZDF auf Druck eines Roland Koch mal eben seinen Chefredakteur. Das machte einigen Wirbel. Es gab laute Proteste. Doch letztlich fügten sich alle. Im Mai stieg Regierungssprecher Ulrich Wilhelm (CSU), also die oberste Sprechblase der Regierung Merkel in Berlin, mal eben in den Flieger nach München und ließ sich zum Intendanten des ach so staatsfernen Bayerischen Rundfunks küren. Nahtlos. Der Rundfunkrat wählte ihn mit 40 von 44 Stimmen. Dort ist angeblich die Gesellschaft repräsentiert. Es ist eine Farce. Eine Frechheit. Eine Beleidigung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und damit der ganzen Gesellschaft. Ein weiteres Beispiel für schamlose Medienmachtpolitik. Und es wirkt fast schon wieder ein guter Witz, dass sich Frau Merkel bei der Suche nach einem Nachfolger für den Herrn Wilhelm ausgerechnet beim ZDF bedient hat. Hurra, könnte man rufen, das Perpetuum mobile ist erfunden.

Vor allem die Christenunion zeigt immer wieder, dass sie ein gestörtes Verhältnis zum Grundauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hat, ihn eher als Werkzeug betrachtet. Und sich im Zweifel auf die Seite der Medien-Privatbesitzer schlägt, mit denen sie irgendwie enorm gut befreundet zu sein scheint. Die Verleger haben ihren Spaß mit dieser Regierung. Ihr wichtigstes Schlachtfeld ist derzeit das Internet. Der Markt der Zukunft. Wo die Verleger mehr verdienen wollen, etwa mit Hilfe eines neuen sogenannten „Leistungsschutzrechtes“, dass ihnen – nicht den Urhebern – das Inkasso für Online-Inhalte erleichtern soll.

Zugleich feuern die Medienbesitzer, vor allem der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger und der Verband Privater Rundfunk und Telemedien seit Jahren aus allen Rohren gegen die Online-Präsenz der Öffentlich-rechtlichen. Die sollen aus dem Netz gedrängt werden. Unter tatkräftiger Mithilfe vieler Politiker. … Dank eines neuen Medienstaatsvertrages sind ARD und ZDF seit Neustem gezwungen, zur Löschung ihrer Inhalte im Internet zu schreiten. Eine Massenvernichtung von Information. Stoff, für den wir Gebühren zahlen. Und der weg muss, damit bei anderen die Kasse stimmt.

Es ist an der Zeit sich verstärkt mit den Dirigenten dieses Orchesters auseinanderzusetzen. Da ist nicht nur die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, über deren keckes Treiben wir uns so gerne lustig machen. Meinungsmache ist eine globale Industrie geworden. Immer mehr sucht sie unser aller Sicht auf die Verhältnisse zu bestimmen. Keine Figur von Rang tritt mehr in die Öffentlichkeit ohne eine Armada von Imageberatern, Agendasettern und Marketingexperten. Politische Entscheidungsprozesse sind in allen Stadien den Pressionen einer kolossalen Lobby-Maschinerie ausgesetzt. Journalisten werden geschickt umschmeichelt und mit Geschichten gefüttert. Keine Party steigt mehr ohne Eventmanager. Selbst Kriege werden heute unter Feuerschutz von mindestens einem Dutzend PR-Agenturen geführt.

Zu diesem Bild gehört auch das vermeintliche unpolitische Wirken der Zerstreuungsindustrie. Die Welt der Promis, der Lightshows und des menschelnden Schwachsinns. Sie führt zur Entkoppelung breiter Massen vom gesellschaftlichen Diskurs. Sie kreiert eine Art Anti-Welt. Eine Öffentlichkeit, die Wirklichkeit verweigert. Sie befördert das Auseinanderdriften der Gesellschaft, vertieft den Graben zwischen Habenden und Habenichtsen. Verschärft das Unten und Oben.

Unten macht sich ein fatalistischer Verdruss über die sogenannten Eliten breit. Während oben die Verachtung gegenüber dem sogenannten einfachen Volk wächst. Die Mittelschicht lebt derweil in Angst und zeiht einen wachsenden Drang zur Abgrenzung gegen alles Fremde, dass ihr den Platz streitig machen könnte.

Wem gehören die Medien? Wem sollten sie idealerweise gehören? Die Antwort ist einfach: Allen. Uns.
Medien spiegeln und formen Gesellschaft. Medien sind der Ort, wo unsere Wirklichkeit beschrieben, reflektiert, debattiert und bewertet wird. Wo die Gesellschaft zu sich spricht.
Zivilisation – das ist die Zügelung von Macht und Gewalt in einer und durch eine informierte Öffentlichkeit.
Medien sind die Vehikel dieser öffentlicher Kontrolle. Oder sollten es doch sein. Deshalb nennt man sie die vierte Gewalt.

Ja, es gibt andere Öffentlichkeiten: den Marktplatz, die Parteien, die Gewerkschaften, Vereine, Initiativen, NGOs. Doch auch, was hier besprochen und getan wird, erschließt sich einer großen Zahl von Menschen nur über Medien.

Es ist elementar für die Demokratie, wer mitreden darf, wer den Ton angibt. Wie laut abweichende Meinungen werden dürfen. Und am Ende immer, wer die Entscheidungen trifft. Die „Elite“ und ihre Experten, die exklusiven Clubs? Die Börse, die Bürokratie, die Billionäre? So kann es nicht gehen.

Das Problem ist nicht nur ein strukturelles. Es hat auch etwas mit der Haltung des Einzelnen zu tun. Vor allem in meinem Beruf, dem Journalismus. Der ja so etwas wie der Maschinenraum der Öffentlichkeit ist.

Der Politik- wie der Wirtschaftsjournalismus haben sich im neuen Jahrtausend schon gründlich blamiert. Wirtschaftsressorts verkamen zu marktfundamentalistischen Sekten. Deutsche Politschreiber haben sich 2005 mit einer großen Merkelei lächerlich gemacht. 2009 gaben sie sich dann betont gelangweilt – was keinen Deut besser war. Die publizistischen Alphatiere fielen in eine postdemokratische Attitüde, fanden Demokratie plötzlich ziemlich lahm und langweilig und die Politiker sowieso alle doof. Global sind wir Journalisten in diesem Jahrtausend bereits an George W. Bush, Waldimir Putin, Jörg Haider und Silvio Berlusconi gescheitert. Aus höchst unterschiedlichen Gründen. Die Öffentlichkeit steckt nicht nur in Deutschland in der Krise.

Die Journalismus hat einen Haltungsschaden. Auch, zum Beispiel in den USA. „Das renommierte Corps der Hauptstadtkorrespondenten“, resümierte der Pulitzer-Preisträger Russell Baker zum Ende der Ära Bush, habe sich „mit Lügen abspeisen und zur Hilfstruppe einer Clique neokonservativer Verschwörer machen lassen“.

Trick des Rechtspopulismus es ist, der Komplexität einer sich globalisierenden Welt die simple Formel entgegenzubrüllen, Schuld zuzuweisen: Den Fremden, den Muslimen, den Juden, den Linken, den … – jedenfalls immer den anderen. Er schafft Fronten und Feindbilder. Es bündelt die Angst der Menschen und zieht sie an ihr durch die Manege.
Hier spätestens zeigt sich, dass Medienfragen Machtfragen sind. Dass haben wir bei Berlusconi gelernt. Der in Italien schon dreimal gesiegt hat. Weil er jede Menge Medien besitzt. Und weil er es geschafft hat, die Emotionen der Menschen zu kapern.

Genug Misere. Reden wir von der Zukunft.
Fragen wir uns:
Wie eine Öffentlichkeit herstellen – oder wiederherstellen, die mehr kann, als nur die fetteste Sau durchs Dorf reiten?
Kann der Markt es richten?
Was tun, wenn auch auf diesem Sektor ein Marktversagen eintritt?

Jürgen Habermas hat 2007 zur Rettung des seriösen Zeitungswesens eine gesellschaftliche Alimentierung nach Art des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vorgeschlagen. Weil Leser, Hörer und Zuschauer nicht nur Konsumenten sind, sondern – Zitat – „zugleich Bürger mit einem Recht auf kulturelle Teilhabe, Beobachtung des politischen Geschehens und Beteiligung an der Meinungsbildung“. Weil der durch die Verfassung garantierte Rechtsanspruch auf mediale Grundversorgung nur durchsetzbar sei, wenn Medien unabhängig von Werbung und Sponsoreneinfluss bleiben.
Staatsknete für die Zeitungen? Die Reaktionen waren überwiegend unbegeistert.

Es gibt auch andere Modelle: Stiftungen etwa, die unabhängigen Journalismus fördern. Wie wäre es zum Beispiel mit einer deutsche Filiale des „Center for Investigative Reporting“? Oder mehr Rechechestipendien, wie sie etwa vom Netzwerk Recherche oder der Otto-Brenner-Stftung vergeben werden? Man könnte hier moderne investigative Auftragsdienste schaffe, nach dem Vorbild des amerikanischen „Spot us“ – Recherche sozusagen on demand, im bezahlten Leserauftrag.

Doch wenn über demokratische Öffentlichkeit reden, vor allem über Gegenöffentlichkeit, nimmt das Internet die absolute Schlüsselrolle ein. Es wächst rasant. Es liefert nicht nur Unmengen von Informationen. Es verändert auch die Kommunikation.

Sicher: Das Internet ist auch full of shit. Es erhöht das ohnehin lärmende Grundrauschen. Und viele chatten sich einfach nur ins Nirwana. Größere Zusammenhänge haben es auch im Internet oft nicht leicht. Man kann eine große Reportage, eine komplexe Analyse, nicht einfach in 150 Textkrümel zerbröseln und versimsen oder vertwittern.

Und trotzdem ist das Internet ein demokratisches Wunder. Es ist, als ob ein guter Geist allen Erdenbürgern – fast allen, auch der Zugang zu Computern ist begrenzt – eine Druckmaschine in die Hütte gezaubert hätte. Und dazu, was noch viel wichtiger ist, ein blitzschnelles, weltweites Vertriebssystem.
In vielen Ländern entstehen online neue, gute Medien. In Frankreich etwa haben viele gefeuerte Redakteure neue digitale Projekte aufgezogen, Internet-Zeitungen wie Rue89 oder mediapart.

Ein paar Bausteine zum Schluss:
1. Die Enteignung Springers gelang nicht. Das war vielleicht ganz gut so. Die Linke hätte sich ohnehin nie auf einen Chefredakteur einigen können. Was bleibt: Die Gesellschaft muss die Medieninhaber viel stärker in die Pflicht nehmen. Sie handeln nicht mit Schrauben oder Schnürsenkeln. Sie haben eine enorme demokratische Verantwortung.

2. Wir brauchen eine öffentlich-rechtliche Renaissance, einen Rundfunk, der tatsächlich von den gesellschaftlich relevanten Gruppen gesteuert wird. Wir müssen dem politische Erstickungstod von Anstalten wie etwa dem Hessischen Rundfunk entgegentreten. Und die Entleerung der Hauptkanäle verhindern

3. Wir brauchen ein anderes, freieres, zornigeres, couragierteres journalistisches Selbstverständnis. Zu viele werden gebrochen durch lebenslange Praktika, durch den Druck des Marktes. Zu viele schwimmen mit im Mainstream.

Übrigens, nebenbei: Es ist – das Wort hab ich lange nicht mehr benutzt – auch eine Klassenfrage. Wir haben immer besser ausgebildete Journalisten, aber die feinere Mittelschicht ist hier kolossal überrepräsentiert. Und mit ihr eine bestimmte Lebenswirklichkeit, eine bestimmte Wahrnehmung. Auch ein Grund, warum ein Thema wie Mindestlohn es so schwer hat.

4. Wir brauchen Strukturen wie Stiftungen und Vereine, die unabhängigen Journalismus fördern.

5. Wir müssen mehr große Internet-Experimente wagen. Magazine, Foren und Portale aufbauen, die echte Öffentlichkeit schaffen. Und Wege finden, damit sie Erfolg haben und sich tragen.

Warum müssen? Ganz einfach: Ohne Öffentlichkeit gibt es keine Demokratie.
Und die gehört uns.

„Paroles, Paroles“. Nacht-Ausgabe.

„C’est étrange, je ne sais pas ce qui m’arrive ce soir.“ Das ist seltsam, ich weiss nicht, was mir heute Nacht passiert. Von unserem Mann in Berlin.

Und dann mach’ ich den Fehler, und schau’ doch noch Harald Schmidt. Eigentlich ja müde und die Sendung plätschert vor sich hin.

Harald gibt eine kleine Lesestunde und sagt: „Weißt du, von wem ich das mal hören möchte? Von Ben Becker. Wirklich! Von Ben Becker. Und Becker ist ja nicht nur ein s-e-n-s-a-t-i-o-n-e-l-l-e-r Schauspieler, sondern die Frauen liegen ihm zu Füssen. Jetzt hat er sich geangelt …“

Vicky Leandros!

Vicky Leandros im Duett mit Ben Becker, Ben Becker als schmierige Kopie von Alain Delon.

Harald Schmidt, als Ben Becker: „Und oft kommt das Playback früher als man glaubt.“

fsk 88, ja, 88, unbedingt: „Verstehen Sie Spass?“ hat auch noch den Original Alain Delon für einen Zombie-Cameo-Auftritt ausgegraben.

Aber was singen die da? Das ist doch „Paroles, Paroles“!

Von Dalida und Alain Delon, oder im Italienischen Original, MINA und Alberto Lupo.

„Gerede, Gerede“ bei Ben und Vicky.

Bei mir: „Du redest und redest“. Denn dazu hatte ich auch schon mal einen Text geschrieben. Fragt mich M. zu einer anderen deutschen Cover-Version:

„Für E.?“

„Nein, keine Chance. E. ist nachtragend. Was ja auch o.k. ist. Blöd nur, wenn es ihr selber schadet …“

Denn welcher Deutsche versteht schon Italienische Texte? Wer will da mitsingen?

„Wir treten auch lieber in kleinen Clubs auf“, hat E. aber noch nicht gesagt, obwohl …

Blöd! Blöd! blöd! Wieder so eine verpasste Chance! Und ich weiss, dass ich jetzt nicht schlafen werde. Was macht man da? Gut, dass ich rauche: erst mal Zigaretten holen.

Als ich zur Shell-Tanke sprinte, bringt mich der Audi aus dem Konzept: Will der jetzt tanken, oder weiter geradeaus fahren, mich doch lieber überfahren? Entschlossen sieht das nicht aus …  dann fährt er nicht zur Zapfsäule, sondern zum Staubsauger, um ein Uhr nachts. „C’est étrange …“ Höre ich Stimmen? Der Fahrer beugt sich wild gestikulierend zur Beifahrerseite rüber …

Ich fragt ich: „Muss ich jetzt den Helden geben?“

Antwort: „Besser schläfst du nicht, wenn du denkst, dass du gerade dabei zugeschaut hast, wie eine Frau verprügelt wird.“

Ich hat aber gute Argumente! Also mache ich mich auf den Weg zum Audi.

Das Fenster geht auf. Ichs Bauch-Bass fragt:

„Alles in Ordnung?“

„Ja“, antwortet er.

„Schön!“

Und schon ist die Beifahrer-Tür offen.

„Ich fahre nicht nach Hause!“ und sie läuft weg. Er hinterher. Zu Fuss.

Und jetzt? Was ist da noch zu tun? Ich hole mir meine Zigaretten. Auf dem Heimweg sehe ich die beiden. Sieht aus, als ob er sich selber schlägt. „C’est étrange …“