Pinocchio ist Bundestagspräsident

Schäuble ist Bundestagspräsident. (Symbolfoto)

Wolfgang Schäuble ist also neuer Bundestagspräsident. Man ist sprachlos, und empört. Könnte man meinen. Ist man aber nicht. Vielmehr überschlagen sich heute die Kommentatoren, die entweder dem scheidenden Lammert nachtrauen, oder eben dem neuen Schäuble zujubeln. Über Lammert könnte ich einiges schreiben, vor allem dazu, wie er sich zum einzigen echten progressiven Akt der letzten Jahre im Bundestag, der Ehe für alle, verhalten hat. Aber: Nihil nisi bene. Und politisch tot dürfte er ja nun wohl sein.

Ungleich schlimmer finde ich überdies Schäuble als Bundestagspräsidenten. Damit wir uns nicht falsch verstehen: ich sehe auch den positiven Punkt an dieser Personalie. Ein Schäuble als Bundestagspräsident erspart uns einen Schäuble als Minister, egal für was. Das ist natürlich gut. Auch stehen die Chancen ja auch eher schlecht als zukünftiger Ex-Bundestagspräsident noch Bundespräsident zu werden. Klar, auch das freut mich. Und vielleicht hätte ich es dabei belassen können, hätte, ja, hätte Schäuble dann nicht auch noch Kant zitiert. Ausgerechnet.

Ich halte Kant für völlig überschätzt. Ein Philosoph, dessen Gedanken mitunter fernab der Realität sind, und der es einfach nicht hinbekam einen einfachen, geraden Satz zu schreiben. Vielleicht wurde er damit ja der Urvater deutscher Gelehrtenliteratur, die immer noch glaubt, kompliziert statt verständlich sein müssen. Nun ja. Aber die anderen Kinder da draußen mögen Kant. Ist ja auch ok. Er hat auch einige gute Sätze getätigt. So eben jenen kategorischen Imperativ, der zwar nicht neu war, auch nicht zu Kants Zeit, aber dieser jüdische Prediger hatte es einfach zu einfach formuliert.
Also: Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“

Sagt Wolfgang Schäuble. Und das Parlament und Medienkollegen lachen nicht, oder schütteln der Kopf, sondern jubeln. Ich hingegen werfe den Blick zurück, auf die Jahrtausendwende und den großen CDU-Spendenskandal. Den mittlerweile verstorbenen Kanzler Kohl, nihil nisi bene, hat er endgültig entzaubert. Aber eben nicht nur ihn. Der damalige CDU-Schatzmeister Schäuble hatte 100.000 D-Mark entgegen genommen; und das dann angeblich vergessen – oder auch nicht  man weiss ja so wenig. Es war Schwarzgeld von Waffenlobbyist Schreiber, das nie wieder auftauchte. Schäuble wurde von eben jenem Waffenhändler dann noch wegen Meineids angezeigt, alles verlief im Sande. Niemand wurde für irgendwas juristisch belangt. Schäuble selbst bat später um Entschuldigung dafür, „dass unter der Verantwortung der CDU Gesetze gebrochen wurden“. Der CDU wohlgemerkt.

Definitiv die Unwahrheit gesagt hatte Schäuble zuvor im Parlament, eben jenem Parlament, das ihn heute als Bundestagspräsidenten bejubelt, auf die Frage von Hans-Christian Ströbele, zu der Frage ob er Schreiber kenne und wie oft er ihn getroffen habe. Aber all das scheint heute niemanden mehr zu interessieren. Mich indes würde interessieren, was dieses Handeln Schäubles vor dem Hintergrund des Kategorischen Imperativs eigentlich bedeuten soll.

Und ob all die jubelnden Medienkollegen und Parlamentarier dem selben Gedächtnisfehler mit Blick auf Schäubles Vergangenheit unterliegen, wie Schäuble mit Blick auf die 100.000 DM von Waffenlobyist Schreiber….

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Martin Kaysh
6 Jahre zuvor

Für die Geschichtsbücher. Etwa 20 Minuten bevor er in einem WDR-Fernsehstudio die Geldannahme gestand, traf er mich in Unterhose. Also ich nackt bis auf die Unterhose, er im Rollstuhl, auf Unterhosenhöhe. Bizarres erstes Treffen.

Walter Stach
Walter Stach
6 Jahre zuvor

Für mich (!) war Schäuble nie eine "vorbildliche" politische Persönlichkeit.
Mir boten zudem seine operativen und strategischen Entscheidungen als Finanzminister im Regelfall ehe Anlass zur Kritik als zur Zustimmung.
Trotzdem sehe ich für mich (!)keinen Anlass, an der Entscheidung der " großem Mehrheit" der Abgeordneten, , Schäuble zum Präsidenten des Bundestages zu wählen, nachdrückliche Kritik zu üben.
Er wird auch in diesem Amt einen "ordentlichen Job" machen -nicht mehr, nicht weniger-, und -selbstverständlich- anders als sein Vorgänger Lammert. Das gilt auch für den "präsidialen Umgang" mit der AFD!

Wie belangreich ist denn für das "demokratische Gemeinwesen" Deutschland die Antwort auf die Frage, wer denn in "unserer Geschichte" bisher der beste, der geeignetste Präsident des Bundestages war? Ich habe den Eindruck, daß dem Präsidenten des Bundestages in den Kommentierungen der heutigen Wahl von Schäuble eine politische Wirkungsmacht zu gemessen wird, die irreal ist.
Oder anders formuliert:
Kommt "Jamaika"? Wenn ja, mit welchen konkreten politischen Zielen?
Das sind für mich (!) derzeitig innenpolitisch relevante Fragen, über die zu diskutieren, über deren mögliche Beantwortung zu streiten ist. Wer ist Bundestagspräsident? Wen treibt denn diese Frage politisch wirklich um? Und das gilt erstrecht für die heute medial zu einem höchstrangigen Problem hochgeputsche Frage, wer denn alles Bundestagsvizipräsident werden könnte, werden sollte.

Wenn die Mehrheit des Bundestages, was ich begrüßen würde, sich nicht von dem Herrn Glaser von der AFD präsidieren lassen will, dann ist das ihre Sache, aber "so oder so" kein politisches Drama, das mich über die Tagesaktualität hinaus beschäftigen wird.
Beschäftigen wird mich, wie bekannt, mehr denn je die Frage, ob und inwieweit es der AFD gelingen könnte, spürbar und nachhaltig die Fundamente "unserer" freiheitlich-pluralistischen Gesellschaft und "unseres" freiheitlich-demokratischen Rechtstaates in Wanken zu bringen, dh. konkret die Frage einbezogen, ob und inwieweit ihr dazu der Fraktionsstatus im Bundestag dienlich sein kann und wie "man" dem im Bundestag begegnen wird -dieserhalb ist m.E. die Frage einer Vizepräsidentschaft des Herrn Glaser von AFD im Bundestag weitestgehend belanglos.

RobinS
RobinS
6 Jahre zuvor

Ich verfolge das politische Handeln Schäubles bewusst seit etwa 1980. Seitdem verfolgt er auch mich- natürlich nicht bewusst.

Kritik an Schäuble kann sich nicht nur auf seine Rolle bei der Parteispendenaffäre beziehen.

In Zeiten des Kalten Krieges , in denen Menschen sich nach Frieden und Abrüstung sehnten, war er einer der glühendsten Verfechter des transatlantischen Bündnisses und als solcher- wie auch Helmut Schmidt- des damals hoch umstrittenen sog. Nato-Dippelbeschlusses, der unter anderem die Stationierung atomar bestückter Pershing -II-Raketen in Deutschland zur Folge hatte.
Hunderttausende gingen damals dagegen auf die Straße.

Positiv kann man Schäuble – der auch ein lange unbelehrbarer Verfechter der Kernkraft war- für diese Zeit zu Gute halten, dass er mit dieser zum Teil hochdogmatischen Haltung zusammen mit Helmut Schmidt die Gründung der aus der Ökologie- und Friedensbewegung hervorgegangenen GRÜNEN beschleunigte und damit zur Veränderung der damaligen 3- Parteienlandschaft beitrug und somit Geburtshelfwr wider Willen von später folgenden gesellschaftspolitischen Veränderungen – inklusive Rot-Grüne-Koalition – war.

Wer über Schäuble spricht, darf auch seine Rolle in der Flüchtlingspolitik der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts nicht unerwähnt lassen.

In Zeiten, in denen relativ kurz vor Ausbruch des Jugoslawienkonfliktes in Europa und kurz vor dem dem ersten Einmarsch der USA im Irak. das fremdenfeindliche politische Klima im wiedervereinten Deutschland einen bis dahin nicht gekannten Höhepunkt erlebte- hunderte Anschläge auf Flüchtlingsheime, Mölln, Solingen, Hoyerswerda – inszenierte sich Schäuble als Totengräber des Asylrechts. Er war der erste deutsche Spitzenpolitiker, der die Rhetorik von NPD.DVU und den damals auf der politischen Bühne auftauchenden rechtsextremen "Republikanern" übernahm und unverblümt von "Asylantenschwemne" "Asylsntenflut" und "Das Boot ist voll" sprach und die SPD angesichts der Einwanderung von ca.200.000 rumänischen Roma vor sich hertrieb und diese schließlich der Änderung des Art.16 GG zustimmte, was einer faktischen Abschaffung des Asylrechts in der damaligen Form, aufgrund der Erfahrungen aus der Nazizeit genau so gewollten. Asylrechtes gleichkam.

Schäuble – damals eher dem miefigen und piefigen Milieu der 50 Jahre in Deutschland verhaftet- ist natürlich dennoch ein ausgesprochen zäher Kerl, der es mit beachtlicher persönlicher Wandlungsfähigkeit schaffte, sich über Jahrzehnte an den Schalthebeln der politischen Macht in Deutschland und Europa zu halten. Diese Wandlungsfähigkeit ist ihm durchaus zu Gute zu halten, löste sie doch seinen früher bekannten Starrsinn ab und eröffnete ihm die Möglichkeit, seinen sehr stark christlich-religiös geprägten Konservativismus mit gesellschaftlichen Veränderungen in Einklang zu bringen.

Schäuble ist zuweilen sarkastisch und zynisch, manchmal verbittert und bitter-böse.
Dass er aber die Bundesrepublik der letzten mindestens 35 bis 40 Jahre an entscheidenden Stellen willentlich und auxh unwillentlich mitgeprägt hat – und Deutschland steht gesellschaftlich und wirtschaftlich trotz der letzten Erfolge einer Partei wie der AFD so gut wie nie zuvor da- ist nicht von der Hand zu weisen.

Seine Verfehlungen in den achtziger und neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts waren zum Teil übel und ließen an seinem Charakter, nicht aber an seinem Machtwillen zweifeln.

Er war und ist ein Typ mit Ecken und Kanten, der das zuweilen ausgesprochen dreckige und intrigantische Geschäft der Politik sowohl am eigenen Leib zu spüren bekam, aber auch selbst ein Meister der Intrige und des Aufgreifens populistischer Stimmungen war.

Insofern ist zu erwarten, dass er ein durchaus qualifizierter Präsident des Bundestagsstadels wird.

Gesellt sich bei ihm noch so etwas wie sich bereits öfters andeutende Altersweisheit hinzu, könnte es ihn gelingen, dieses Amt sogar gut auszufüllen.

Daniel
Daniel
6 Jahre zuvor

natürlich. Immer diese raffgierigen, gewissenlosen langnasen. Und Kant war doof. Herr B. weiß Bescheid…

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