Premiere am Aalto: Monica Lewinsky und der Tod der ipod-Generation

Le Grand Macabre am Aalto Foto: Matthias Jung
Le Grand Macabre am Aalto Foto: Matthias Jung

Der Vorhang ist geschlossen während das Autohupen-Vorspiel von György Ligetis Oper „Le Grand Macabre“ erklingt. Er bleibt auch erst mal geschlossen und im Parkett steht ein Sänger auf. Es ist Rainer Maria Röhr der den Piet vom Fass spielt. Er hat lange fettige schwarze Haare eine bemerkenswert grünliche Blässe im Gesicht und erinnert irgendwie an Jonathan Meese. Später werden wir feststellen, dass Nekrotzar und ein Computernerd genauso wie Piet aussehen. Da aber keiner von den dreien einen schwarzen Adidas-Jogginganzug trägt, den Hitlergruß macht oder eine Mutter dabei hat, verwerfen wir die Erstassoziation – der debile Kunstdiktator hat offensichtlich nichts mit all dem zu tun. Ausstatterin Julia Hansen wollte hier nur ein Standardbild des ständig Pizzafressenden, Bierdosenleerenden, Computerspielenden Hartz4-Empfängers aus einer beliebigen Frauentausch-Folge schaffen.
Wenden wir uns also dem Paar Amando und Amanda zu, die jetzt im Rokoko-Kostüm samt Silberrose auf die Vorbühne treten. Der Verweis auf Richard Strauss‘ Rosenkavalier ist ganz eindeutig. Er ist das erste Zitat einer Reihe von Anleihen bei Oper- und Kunstgeschichte, die es an diesem Abend gibt. So sehen wir später zum Beispiel noch eine enorm schlafftittige Botticelli-Venus samt Muschel und am Schluss natürlich auch noch ein Tableau vivant von Pieter Bruegel, schließlich befinden wir uns ja in Breughelland. Das kann man durchaus machen, denn auch Ligetis Partitur ist gespickt mit Verweisen auf die Musikgeschichte.
Der große Makaber entsteigt dann kurz später nicht einem Bühnengrab, sondern dem Orchestergraben als Dirigent. Natürlich ist er der Spielleiter in dieser Anti-Anti-Oper, aber kommt der Weltuntergang wirklich aus dem Orchester? Man darf durchaus zweifeln, ob diese Analogie so richtig schlüssig ist.
Als sich der Vorhang dann öffnet, sehen wir eine grüne Kiste. Ein Greenscreen, wie er heute meist beim Film benutzt wird, um Bilder zusammen zu montieren. Der aufmerksame Opernbesucher hat vielleicht im Programm gelesen, dass eine Firma namens fettFilm an der Produktion beteiligt ist und auch das Plakat mit einem Business-Mann vor Hochhauskulisse lässt zu diesem Zeitpunkt vermuten, dass sich die Inszenierung auf gewiefte mediale Mittel stützt. Diese Erwartung wird allerdings nicht bestätigt. Die Arbeiten von fettFilm werden lediglich auf einer Leinwand gezeigt, die von Zeit zu Zeit rechts oben herunterfährt. Es ist in der ersten Szene Piet vom Fass‘ Antlitz beim Computerchat mit Nekrotzar, in der zweiten dann das Startmenü und diverse Auswahlmenüs eines Computerspiels namens Le Grand Macabre, das Piet vom Fass zockt. Ligeti dachte seine Oper ursprünglich für Marionetten. Hier sind es also die medialen Marionetten von heute. Deshalb also sehen der Leibhaftige und der Computerfreak gleich aus. Der Weltuntergang wird heute im Computerspiel vollzogen. Und dort wie im richtigen Breughelland findet er natürlich nicht wirklich statt, sondern nur virtuell oder eben gar nicht, weil der Vollstrecker ihn besoffen verschläft. Wie so oft in der Oper sind die Computerbilder, die fettFilm produzierte,  leider weit von heutigen Standards entfernt und atmen die Ästhetik 90er Jahre.
Le Grand Macabre ist durchaus eine drastische Farce mit jeder Menge Sex. Dementsprechend sehen wir an diesem Abend eine ganze Reihe von entblößten Gummischwänzen, Schambehaarung, die zu einer Spinne mutiert, und an- und abschnallbare Titten. Das alles hat das Kostümbild hübsch umgesetzt, aber es bleibt merkwürdig blutleer (was gerade bei Schwänzen ja sehr unsexy ist). Das Problem ist, dass es von der Inszenierung nicht eingebettet ist in eine Atmosphäre, die tatsächlich erotisch wäre, oder wenigstens gewalttätig. Der Gummischwanz bleibt immer nur ein Gummischwanz und taugt damit gerade mal zu einem kurzen verschämten Kichern des Opernpublikums. Dieses „Hach, wie schmutzig“-Kichern des Karnevals oder Komödienstadels.
Nachdem im zweiten Bild der Astronom Astradamors die Weltuntergangs-Vorhersage von Nekrotzar bestätigt hat, zwei zufällig vorbeischauende Fantasykrieger von seiner Frau Mescalina nebenher hingemeuchelt wurden und Nekrotzar Mescalina zu Tode gefickt hat, wird endlich der Laptop von Piet vom Fass zugeklappt und es geht hinaus in die wirkliche Welt und die Pause.
Der Palast von Prinz Gogo im zweiten Akt ist das Oval Office samt einer hübschen Monica-Lewinsky-Kopie. Die Geheimpolizei Gepopo entsteigt glasfaserverkabelt dem präsidialen Schreibtisch. Da haben wir also die NSA, die selbst dann noch weiterplappert, wenn sie längst vom weltweiten Netz abgekoppelt ist. Monica Lewinsky wird noch kurz mit der Fackel der Freiheitsstatue gefickt, dann befinden wir uns schon im vierten und letzten Bild. In der großen Zwischenspiel-Passacaglia wird der gesamte Zuschauerraum bespielt. Ministranten schwenken Weihrauchfässchen ohne Weihrauch, der Chor steht als panisches Volk in den Gängen und versucht zu flüchten, und dann wird noch die Kollekte in Form der Breughellanddollars, die an das Publikum verteilt wurden, eingesammelt. Das alles wirkt ein bisschen so, als müsste ja dringend der Bühnenraum (die vierte Wand) aufgebrochen werden, damit es alles so richtig modernes Musiktheater ist. Ein Missverständnis, denn Ligeti nannte Le Grand Macabre nicht umsonst Anti-Anti-Oper, weil er sich auch damit über die Strömungen seiner Zeit – der 1970er Jahre – lustig machte, in denen eben die traditionelle Oper mitsamt vierter Wand ständig für tot erklärt wurde. Zumal die Bespielung des Zuschauerraums heute so allgegenwärtig ist, dass sie allzu oft einfach betulich wirkt.
Danach geht der Inszenierung wie der Ausstattung merklich die Luft aus. Die große Trinkszene findet an einem Tisch vor dem Vorhang statt. Die Gläser und Flaschen sind leer. Das nimmt der Szene jede Glaubwürdigkeit. Dass Gläser und Flaschen zudem sichtbar aus Plastik sind, ist vielleicht nicht anders lösbar. Aber wenn Nekrotzar glaubt, er tränke Blut und im Glas ist nicht Rotwein, sondern einfach gar nichts, dann ist das einfach peinlich. Statt des Weltuntergangs explodiert das Macbook, das Computerspiel ist zu Ende und das Schlußensemble findet vor leerem Greenscreen statt. Hier kommt noch ein tatsächlich nacktes Statistenpärchen zum Einsatz. Das Leben geht weiter, aber nun nicht mehr virtuell. Spaß haben wir aber trotzdem….oder was verheißt uns die ipod-Werbung, die dann noch auf der Rückwand erscheint?
Eine Oper des (nicht mehr ganz) zeitgenössischen Repertoires in den Spielplan zu nehmen, ist dem Aalto kaum hoch genug anzurechnen. Zumal es in Essen in exzellenter musikalischer Qualität geschieht. Das Orchester unter Demo Slobodeniouk kommt mit fast beschwingter Mühelosigkeit durch die schwierige Partitur, das Sängerensemble glänzt in allen, wirklich allen Rollen mit Sicherheit selbst in extremen Lagen und findet sowohl im zitathaften Schmelz wie in den komödiantischen Falsetts stets den richtigen Ton. Die halsbrecherischen Ensembles, in denen sich Ligetis ganze Meisterschaft zeigt, sitzen perfekt. Ein weiteres Plus ist die gute Textverständlichkeit, die die Übertitelung – es wird deutsch gesungen – eigentlich überflüssig macht. Der Chor liefert die nötige apokalyptische Wucht. Musikalisch ist Le Grand Macabre in Essen ein absolut perfekter Abend.
Der größte Verdienst von Mariame Clements Inszenierung ist vielleicht, dass sie deutlich zeigt, dass Le Grand Macabre eine Oper ist, die im Repertoire einen Platz hat. Sie bleibt dabei aber auch merkwürdig provinziell. Unangenehm wird es oft dort, wo Clement sich an szenischem Witz versucht. Das ist meist zu viel und nicht auf dem Niveau der Vorlage. Die Mischung aus dreckigen Kalauern des Textes, gewitzten musikalischen Zitaten und reinem musikalischem Humor macht es schwer auf szenischer Ebene damit zu konkurrieren. Vielleicht ist der Versuch da einfach schon zu viel. Der eigentlich interessante Zugriff, die Story als Computerspiel zu lesen, bleibt allzusehr im Ansatz stecken. Da wäre eine klare Entscheidung vonnöten gewesen. Dann hätte es allerdings auch ein Medienteam gebraucht, das diese Idee heutig und glaubwürdig umsetzen kann. Vielleicht hätte man da einfach mal die Spezialisten vom Dortmunder Schauspiel fragen sollen.

 

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Reinhard Matern
9 Jahre zuvor

Besten Dank für diese Kritik!

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