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Der Arabische Frühling und der antidemokratische Backlash

Demonstranten auf dem Tahir-Platz in Kairo Foto: Ramy Raoof Lizenz: CC

Für den Politikwissenschaftler Samuel Salzborn ist der Arabische Frühling kein Zeichen der Demokratisierung des Nahen-Ostens. In seinem Buch Demokratie. Theorien – Formen – Entwicklungen reiht er ihn in einen seit zehn Jahren laufenden antidemokratischen Backlash ein.  Vorerst zumindest, denn die Wege hin zu demokratischen Gesellschaften sind verschlungen.

Als Anfang 2011 erst in Tunesien, und kurz darauf Ägypten und Libyen die Menschen auf die Straßen gingen, um zum Teil unter Lebensgefahr gegen die autoritären Regime in ihren Ländern zu protestieren, als sich die Regierungen in Syrien und Bahrain  nur noch mit Gewalt an der Macht halten konnten und die Aufstände zu einem Flächenbrand wurden, war das für viele im Westen ein Zeichen der Hoffnung: Die nächste Demokratisierungswelle schien angebrochen zu sein. Nachdem in den späten 80er und frühen 90er Jahren bis auf Kuba,  China und Nordkorea weltweit die marxistischen Diktaturen gestürzt wurden, waren nun offenbar die Diktaturen der arabischen Welt am Ende. „Arabischer Frühling“, schon der Name zeugte von der Hoffnung, mit der viele im Westen die Aufstände begrüßten– wenn auch die demokratischen  Staaten mit der Ausnahmen Libyen die Entwicklung nur passiv begleitet haben und demokratische initiativen nicht unterstützten.

Der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn betrachtet den Arabischen Frühling skeptischer. „Die Aufstände haben zwar zum Sturz vieler autokratischer Regime  geführt, aber da fast überall die Islamisten an die Macht gekommen sind, hat die Unterdrückung nun einen viel weitgehenderen Ansatz und greift viel stärker in das Privatleben der Menschen ein. Vor allem Frauen, religiöse Minderheiten und Nichtgläubige gehören zu den Verlierern dieser Entwicklung.“ Mitschuld daran träfe auch den Westen, der die demokratischen Gruppen nicht unterstützt hat, so dass der Weg für Gruppen wie die Muslimbrüder frei war. Dass die sich, wie vielfach behauptet, zu konservativen Demokraten gewandelt hätten, glaubt Salzborn nicht: „Wer das behauptet, soll bitte mal die Dokumente und Beschlüsse vorlegen, die zeigen, dass die Muslimbrüder ihre antisemitischen oder frauenfeindlichen Positionen aufgegeben haben. mehr als Lippenbekenntnisse zur Demokratie gab es von ihnen bisher nicht.“

Die Entwicklung im Nahen Osten, sagt Salzborn, sei Teil eines internationalen Backlashs gegen die Idee der individuellen Freiheit und der Demokratie: „Seit dem 11. September 2001 erleben wir auch in den meisten westlichen Staaten einen Abbau der Bürgerrechte. In vielen ehemaligen Ostblockstaaten sind Antisemitismus und Antiziganismus auf dem Vormarsch und in Staaten wie Ungarn und Russland ist von der Demokratisierung nicht viel übrig geblieben.“

Das die Demokratisierung seit ihrem Beginn im 17. Jahrhundert immer wieder mit Rückschlägen zu kämpfen hat sei aber nichts neues: „ Samuel Huntington beschreibt drei Demokratisierungswellen, auf die wieder Phasen folgten, in denen die erkämpften Errungenschaften zum Teil oder ganz verloren gingen. Wir befinden uns zur Zeit in solch einer Phase.“ Irgendwann, da ist sich Salzborn sicher, wird sie zu Ende gehen und ein weiterer Demokratisierungsschub einsetzen – nur wann es soweit ist, kann er nicht prognostizieren: „Das kann niemand sagen, aber klar ist, die Menschen werden sich nicht beliebig lange gefallen lassen, dass ihnen jemand vorschreibt wie sie zu leben haben und dass der Staat ihre Rechte zurückdrängt.“

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Walter Stach
Walter Stach
11 Jahre zuvor

-„…….aber da fast überall die Islamisten an die Macht gekommen sind, hat die Unterdrückung nun einen viel weitergehenderen Ansatz und greift viel stärker in die Freiheit der Menschen ein. Vor allem Frauen…………“ -so Salzborn.

Argumente dagegen?
Ich kenne keine..Deshalb ist diese Beschreibung des Sachverhaltes durch Salzborn für mich keine Überraschung.
(Bin gespannt auf die Diskussion darüber.)

Nicht begreifen kann ich, daß bis heute kein „westlicher“ Politiker dasselbe wie Salzborn festgestellt und vor allem geäußert hat .

Oder will „man“ es sich zwecks Wahrung nationaler Interessen nicht mit den islamistischen Machthabern verderben, so wie man es sich vor der Revolution nicht mit den damaligen Machthabern verderben wolle?

Das kann ich im Sinne einer den nationalen Interessen verpflichteten Außenpolitik nachvollziehen.

Akzeptieren kann ich allerdings angesichts einer solchen Anpassungspolitik nicht, wenn die Verantwortlichen in den sog.westlichen Demokratien als Begründung für ihre Politik immer noch von einem Zugewinn an Freiheit für die Menschen in den arabischen Staaten nach der Revolution sprechen.Das ist Heuchelei.

Arnold Voss
11 Jahre zuvor

Eine Demokratie als Wahlform drückt in der Regel die Mehrheiten in einem Land aus. Die überwiegende Mehrheit, die ohne weiteres an die 100% reichen kann, ist in den islamischen Ländern nun mal religiös und lebt religiös, und zwar monotheistisch und im Verhältnis zum europäischen Religionsverständnis in eher strenger Traditions- und Regelverpflichtung.

Das Ergebnis der Wahlen ist unter diesen Bedingungen sogar als erstaunlich liberal anzusehen. Das nun die religiösen Führer ihre gewählten Mehrheiten ausnutzen, um das Rad wieder ein Stück zurück zu drehen, liegt in der Logik ihrer Religion. Eine monotheitische Religion ist aus sich heraus nun mal nicht an Demokratie interessiert sondern an Macht über die Gläubigen.

Erst wenn die Mehrheit der Bevölkerung der islamischen Länder, also die Mehrheit der Gläubigen dort, das begriffen hat, hat die Demokratie als Ausdrucks- und Staatsform der Menschenrechte in diesem Teil der Welt eine dauerhafte Chance. So ist sie nur eine Vorstufe. Der Kampf um die Demokratie hat in diesen Ländern also gerade erst begonnen.

Walter Stach
Walter Stach
11 Jahre zuvor

Stefan,Arnold:
Ich habe über Eure Anmerkungen zu „Salzborn“ nachgedacht
Meine diesbezüglchen Gedanken führen mich zu einigen grundsätzlichen Bemerkungen:

Die von Salzborn angesprochen Problematik der individuellen Freiheit ist dem Wesen eines Rechtsstaates zuzuordnen und nicht primär der Demokratie als einer von vielen möglichen-Staatsformen.Wir sollten uns also bei einer Diskussion über diese Aussagen von Salzborn primär auf „Inhalt und Schranken eines die indivuelle Freiheit sichernden Rechtsstaates“ focussieren, im konkreten Falle bezogen auf eine von Islamisten bestimmte und beherrschte Staats- und Gesellschaftsfordnung.

Und der Hinweis von Arnold auf den durch einen demokratischen Prozess legitimierten Mehrheitswillen der Islamisten, auch sog. radikaler, macht ja exmeplarisch klar, daß ein auf Legitimation des Mehrheitswillens durch Wahlen reduziertes Demokratieverständnis und einen die individuelle Freiheit sichernder Rechtsstaat nicht zwangsläufig eine Einheit bilden.

Wir haben uns in Deutschland „aus guten Gründen“ in unserer Verfassung für Demokratie und zugleich – gleichgewichtig- für den Rechtsstaat ausgesprochen!
Wir setzen allerdings in unserer Verfassung der Demokratie Schranken, indem wird das sog.verfassungsfeste Minium -sh.Art.79(3)GG-der Disposition auch seitens einer demokratisch legitimierten Mehrheit entziehen.
Denkbar auch in anderen Demokratien, Vorbild für andere Demokratien?

Ob und inwieweit andere Kulturkreise – z.B. eine islamistische geprägte Gesellschaft- ihrem Wesen und ihrem Selbstverständnis nach überhaupt unseren Ideen von Rechtstaat und Demokratie und insofern den Gedanken der Aufklärung -unserer (!)Aufklärung- zugänglich sind, also auch der Idee von der individuellen Freiheit des Menschen und deren Gewährleistung durch die staatliche Garantie der Menschenrechte,ist zu hinterfragen, und wird strittig diskutiert.

Ich denke, insofern hätte auch Salzborn bei seiner Kritik an Mängeln und Fehlern tatsächlicher oder nur vorgeblich demokratisch-rechtsstaatlicher Ordnungen differenzieren müssen zwischen solchen innerhalb unseres Kulturkreises -z.B.Europa,USA- und solchen außerhalb, z.B. in der islamistisch-arabischen Welt oder in China.
Es sei denn, Demokratie -wie wir sie verstehen- und ein die individuelle Freiheit sichernder Rechtsstaat, der die Achtung ewig gültiger, universeller Menschenrechte im Sinne der Aufklärung garantiert, sind für Salzborn weltweit und in jedem Kulturkreis mögliche, anzustrebende und durchsetzbare, weil von allen Menschen, ihrem Wesen gemäß letztlich gewollte Prinzipien einer menschenwürdigen, menschengerechten Staats- und Gesellschaftsordnung ; das läßt sich begründen, ist aber, wie angesprochen, strittig.

Unstrittig erscheint mir, daß eine Demokratie nicht bereits dann existiert, wenn es ein gewähltes Parlament gibt und die Wahl „weitgehend“ als frei, gleich und geheim gelten kann.
Es bedarf dazu nach unseren(!!) Vorstellungen noch weiterer formeller Voraussetzungen, u.a.Medienvielfalt, zwei Kammersystem des Parlamentes, Gewerkschaften, Mehrparteisystem, Gewaltenteilung, unabhängige Gerichte und Richter – sh.dazu auch das unter -4-von Stefan Laurin Zitierte-.

Und wie steht es damit in vielen Demokratien, die sich so nennen ?

Wenn Salzborn in seine diesbezügliche Kritik auch Demokratien in Europa -und Amerika ?- einbezieht, dann gibt es dafür -leider- hinreichende Begründungen.

Es bedarf nach unserer(!!) Vorstellungen von einer funktionierenden Demokratie zudem noch einiger materieller Voraussetzungen.
(Jetzt betrete ich vermintes Gelände;deshalb sollte ich statt nach „unserer“Vorstellung besser sagen „nach meiner“).

Dazu gehört z.B., daß die Menschen frei sein müssen von existentieller, lebensbedrohender materieller Not , denn ansonsten sind für sie freie Wahlen,ein Mehrparteinsystem,Gewaltenteilung,Parlament, Medienvielfalt usw. bestenfalls stillschweigend akzeptierte Formalien, mit denen man sich abfindet, aber inhaltsleer, unbedeutend, unwichtig; materiell nichts sagend, nichts bedeutend.
Alle die angesprochenen Voraussetzungen für eine funktionierende demokratische Staatsordnung nach europäisch-amerikanischer Vorsstellung müssen diesen Menschen fremd sein, sie können ihnen nichts bedeuten , denn für sie, die in lebensbedrohender alltäglicher materieller Not leben, gilt “ Fressen geht vor der Moral“ , dh. konkret bezogen auf eine funktionierende Demokratie, daß Hunger und Elend der Menschen diesen -wörtlich und bildlich- keine Zeit, keinen Raum lassen für eine von ihnen zu wollende, für eine von ihnen zu tragende, für eine von ihnen zu verantwortende Demokratie, also für eine Volksherrschaft in einem Mehrparteisystem, mit einer vielfältigen freien Presse, im System einer komplexen Gewaltenteilung, mit unabhängigen Gerichten und Richtern.

Der „Herrschaft des Volkes durch das Volk und für das Volk“ im Sinne unseres (westlichen)Verständnisse von Demokratie mit all ihren Voraussetzungn und mit all ihren hohen Ansprüchen an den Einzelnen und die Gemeinschaft steht die alltägliche materielle Not der Menschen, steht das Elend der Massen, steht ihr täglicher Kampf um das Überleben entgegen.

Ich könnte deshalb „irre werden“, wenn ich beinahe tagtäglich mitbekomme , daß wieder einmal Westeuropäer,Amerikander u.a., z.B. in einem afrikanischen Land, wo die große Masse des Volkes vom Hungertod bedroht ist, Demokratie „nach westlichen Vorbild“ installieren wollen -notfalls sogar mit kriegerischen Mitteln.

Ich könnte vor allem „irre werden“ , wenn ich mitbekomme, daß hinter alldem sogar die Überzeugung westeuropäischer-amerikanischer Politiker zu stecken scheint, für die Menschen, die um ihr tägliches Überleben kämpfen,könnte die Einführung eines demokratischen System nach westlichen Vorbild der Demokratie wegen irgendwie interessant sein und könnte sie zu irgend welchen Taten animieren, z.B. zu einem Kampf gegen das bestehende, nicht demokratische Herrschaftssystem.

Und wenn trotz alldem -warum eigentlich?- auch in solchen Staats- und Gesellschaftsordnungen versucht wird -von wem eigentlich?-, ein demokratisches System zu installieren, dann mag der Versuch beachtenswert , er mag sogar unterstützenswert erscheinen -durch wen eigentlich?-, nur entziehen sich solche Versuche jedem kritischen Vergleich mit den Anforderungen, die „unserseits“ an eine funktionierende Demokratie gestellt werden.

Und wenn dieser Versuch ausgeht und getragen wird von tagtäglich hungerleidenden Menschen, nicht weil sie die Überzeugung von der Demokratie als der „am wenigsten schlechten Staatsform „um- und antreibt, sondern weil sie in einem solchen System mit Blick nach Europa, mit Blick nach Amerika, eine Chance der Befreiung von den täglichen Überlebenängsten sehen, eine Chance für ein Leben ohne Hunger und Elend,dann entzieht sich erstrecht ein solcher Versuch der Demokratisierung von Staat und Gesellschaft jeder Bewertung nach den „demokratierelevanten Maßstäben“ sog westlicher Demokratien.

Und nun will ich mir den „Salzborn“ bestellen, ihn lesen und hoffentlich nicht regisrieren müssen, daß meine Meinung unbedingt und sofort der Korrekur bedarf.

Helmut Junge
11 Jahre zuvor

Das, was wir sehen, dass nämlich die Demokratisierung im Sande verläuft, sehen die Amerikaner mit Sicherheit auch.
Aber warum machen sie trotzdem weiter?
Eigentlich sollte man denken, dass sie unabhängig von den undemokratischen und frauenfeindlichen Entwicklungen in den Ländern des „Frühlngs“ enttäuscht sein müßten.
Aber sie machen weiter
Warum? Prinzip Hoffnung?
Glaube ich nicht. Allerdings können wir den Leuten in den Machtzentren nur vor den Kopf schauen, nicht hinein.
Wir sind auf da Spekulationen angewiesen.
Ich spekuliere, dass sie welt-und machtpolitisch denken, und dass bei Anwendung dieses Filters, herauskommt, dass sie den Islamismus weltpolitisch gesehen, schwächer einstufen als die Diktaturen vorher.
Meine Überlegung beruht darauf, dass den Amerikanern nur technologiestarke Länder gefährlich werden können. Der Islamismus hat Technologieförderung aber nicht erkennbar im Programm, sondern eher eine Technologieschwächung im Sinn. Interne Machtverschiebungen in den islamischen Staaten sind für die USA, aus meiner bescheidenen Sicht, höchstens interessant, wenn Handels- oder geostrategische Fragen berührt werden.
Letztlich müssen die Einwohner all dieser Länder so oder so unter sich ausmachen, was sie in ihren Ländern wollen.

Walter Stach
Walter Stach
11 Jahre zuvor

Helmut Junge -6-

Der Inhalt Deines letzten Satzes „hat es in sich“.
Altkanzler tHelmut Schmidt spricht sich ja ebenfalls regelmäßig dafür aus, daß prinzipiell nur die Menschen in ihrem Staat zuständig und verantwortlich für den Zustand ihrer Gesellschaft und den (verfaßten) Zustand ihres Staates sind. Schmidt ist deshalb prinzipiell gegen „jede Einmischung“ von Außen, nicht nur gegen gewaltsame.

Die UN hat dagegen eine Intervention von Außen in die inneren Angelegenheiten eines Staates unter bestimmten Bedingungen für völkerrechtlich zulässig erkärt und damit dem Vollzug eines entsprechenden politischen Interventionswillens Legitimität und Legalität verliehen , z.B.bei eklatanten Menschenrechtsverletzung in einem Lande, erstrecht bei Vökermord.
Und wir erleben leider sehr oft, wie auslegungsfähig die entsprechende UN-Konvention ist und wie sie foglich je nach außenpolitischer Interessenslage verschiedn interpretiert wird, z.B.durch dieUSA,durch Rußland,durch China und wie oft für eine solche Intervention Gründe vorgegeben, die nicht die wirklichen sind -sh. z.B. die Intervention im Irak-.

Ich tendiere ehe dazu, im Sinne des Inhaltes Deines letzten Satzes zu argumentieren, was nicht nicht ausschließen kann und nicht ausschließen darf, daß wenige Extremfälle auch für mich denkbar sind, wo ich von meiner Meinung abweichen würde.

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