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Prozess gegen Dortmunder Nazi: Attacke gegen Journalisten ist keine Verteidigung der Persönlichkeitsrechte

André P. beim Prozessauftakt am 18. Juni 2015. Welchen Schutz des Gesetzes genießen Journalistinnen und Journalisten, wenn sie ihre Arbeit machen? Wo hört das öffentliche Interesse auf und wo fangen Persönlichkeitsrechte an? Und ist es Verteidigung der eigenen Rechte, diese Menschen anzugreifen und umzuschubsen, am Kragen zu packen und zu beschimpfen? Das Amtsgericht Dortmund hat dazu heute ein Urteil gesprochen. Spoiler-Alarm: Ist es nicht.

Angeklagt war der Dortmunder Neonazi André P.. Bei einem Aufmarsch der Dortmunder Szene im vergangenen August hatte er einen Journalisten, der die Demonstration beobachtete und fotografiert hatte, zu Boden gestoßen und beschimpft. Im Januar dieses Jahres kam es während einer Bürgerversammlung zu einer Geflüchtetenunterkunft zu einem Eklat, als Neonazis die Veranstaltung störten und Anwesende einschüchterten (hier unser Bericht vom Prozessauftakt). Während dieser Veranstaltung hatte P. eine Kollegin der „Ruhrbarone“ angegriffen, sie beleidigt und versucht, ihr das Mobiltelefon zu entreißen, mit dem sie Fotos von den Ereignissen des Abends gemacht hatte.

Täter-Opfer-Umkehr als Verteidigungsstrategie

In den Augen der Verteidigung war natürlich alles ganz anders. Schon am ersten Prozesstag vor knapp drei Wochen hatte Verteidiger André Picker seine Argumentationslinie klargemacht: Es habe es sich nicht um Angriffe auf die Pressevertreter gehandelt, sondern umgekehrt vielmehr um Notwehr: Beide Personen hätten gezielt versucht, Portraitaufnahmen von P. anzufertigen und damit ganz gezielt versucht, seine Persönlichkeitsrechte zu verletzen. Der Journalist, den er im vergangenen Sommer umschubste und beleidigte, hätte diese Aufnahmen außerdem zu einem Zeitpunkt machen wollen, als die Versammlung – und damit die Basis für ein öffentliches Interesse – schon zu Ende war. Die Journalistin, die er um ihr Handy erleichtern wollte und die er beleidigt hatte, sei als solche nicht erkennbar gewesen und sei ihm so nahe gewesen, dass er annahm, sie würde Nahaufnahmen von ihm machen wollen.

Sich Attacken auf Medienschaffende als Notwehr und deren Arbeit als Nötigung und Persönlichkeitsrechtsverletzung zurechtdrehen zu wollen, ist so dreist wie gerissen. Interessant ist außerdem, dass Verteidiger Picker sein Plädoyer auf Aussagen stützte, die so im Prozess nicht gefallen sind. Weder war es, anders als von dem Rechtsanwalt behauptet, klar, dass die Journalisten gezielt Portraitaufnahmen hatten machen wollen, noch war es eindeutig, dass die Demonstration im August bereits offiziell zu Ende war, als der Journalist das Geschehen dokumentieren wollte. Stattdessen beklagte der Rechtsanwalt, der selbst lange Vorstandsmitglied von Pro NRW war und der immer wieder als Verteidiger für Nazis auftritt, dass die Angst seines Mandanten um seine Persönlichkeitsrechte das Grundrecht der Versammlungsfreiheit aushöhle.

Damit blieb André Picker aber allein. Richterin Andrea Deiters sah keine Angriffslage, in der sich P. zur Wehr hätte setzen müssen. Immer wieder sei er bei öffentlichen Versammlungen, um für seine persönliche politische Einstellung einzustehen. Und er müsse – neben dem Grundrecht auf Presse- und Meinungsfreiheit – akzeptieren, dass es – „hier historisch bedingt“ – ein Interesse daran gibt, solche Versammlungen zu dokumentieren, sagte sie in ihrer Urteilsbegründung. Für die Körperverletzung, Beleidigung und Nötigung verhängte sie eine Geldstrafe von insgesamt 2.600 Euro, aufgeteilt in 130 Tagessätze zu je 20 Euro.

Eigentlich ist ein solches Urteil eines von vielen. In Zeiten, in denen Medienschaffende bei Aufmärschen von Nazis, Hooligans und „besorgten Bürgern“ schonmal mit einem herzlichen „Lügenpresse auf die Fresse“ begrüßt, von Demonstrationen abgeschirmt werden und Polizeibeamte ihnen unnötige Provokation vorwerfen, stärkt es aber die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten. Es zeigt ihnen, dass ihre Arbeit eine gesellschaftliche Aufgabe erfüllt und einen gewissen Schutz verdient.

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Manuel
Manuel
8 Jahre zuvor

Nice! 130 Tagessätze ist auch nicht gerade wenig, über 4 monatliche Einkünfte, vorbestraft. Und beim nächsten sieht's für die Verteidigung dann schlecht aus, überhaupt die Strafe abzumildern.

danebod
8 Jahre zuvor

Jeps, vorbestraft, und das ist gut so.

Einer weniger, der als Ordner auftreten kann bei Versammlungen. Denn da darf man nicht vorbestraft sein. Allmählich kriegen die Dortmunder Hitlerfürze ein Ordnerproblem 😉

Klaus Lohmann
Klaus Lohmann
8 Jahre zuvor

Falls einer der zahlreichen Nazi-Relativisten mitliest:

Fürs kleinbraune Resthirn und für die Liste der Straftaten zur Verhängung eines Parteiverbots der "Rechten" sei vermerkt, dass Dortmunder Nazis und Anhänger/Mitglieder der Partei "Die Rechte" am Wahlabend und im Zusammenhang mit der Kommunalwahl gerichtsfest bestätigte und abgeurteilte Gewalttaten verübt hatten.

thomas weigle
thomas weigle
8 Jahre zuvor

Meiner Meinung nach werden Gewalttaten von Rechten immer noch viel zu luschig behandelt, da könnten durchaus härtere Strafen ausgeworfen werden.

keineEigenverantwortung
keineEigenverantwortung
8 Jahre zuvor

In letzter Zeit hatte ich das Gefühl, dass ich über Jahre etwas im Bereich Notwehr massiv falsch verstanden hatte. Dies gilt insbesondere bzgl. der Verhältnismäßigkeit.

Das Argumentation des Gerichts zeigt mir, dass meine damaligen Lehrer wohl doch nicht alle falsch lagen bgzl. des Einsatzes von Gewalt.

Die Argumentation des Gerichts und auch das Strafmaß sind nachvollziehbar.

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