Wenn Tauben träumen

Das Ruhrgebiet: Industrie, Grün, Taube und Träume… (Foto: Roland W. Waniek)


Vögel weisen Schlafmuster auf, die denen von Menschen verblüffend ähnlich sind, und träumen möglicherweise vom Fliegen.

Träumen galt lange Zeit als etwas, was den Schlaf des Menschen auszeichnet. Neueste Erkenntnisse deuten jedoch darauf hin, dass Tauben im Schlaf möglicherweise Flugbilder erleben. Forscher der Ruhr-Universität Bochum und des Max-Planck-Instituts für biologische Intelligenz haben mithilfe der funktionellen Kernspintomografie die Aktivierungsmuster im Gehirn schlafender Tauben erforscht. Die Studie zeigte, dass ähnlich wie bei Säugetieren das Gehirn während des REM-Schlafs größtenteils hochaktiv ist. Dieser wachähnliche Zustand könnte jedoch zu Folge haben, dass das Gehirn nur unzureichend von schädlichen Substanzen gereinigt wird. Die Forschenden berichteten über ihre Ergebnisse in der Zeitschrift Nature Communications vom 5. Juni 2023.

Während wir schlafen, durchläuft unser Gehirn eine Reihe komplexer Prozesse, die dafür sorgen, dass wir erholt aufwachen. Beim Menschen gehen die unterschiedlichen Schlafphasen, der REM-Schlaf (Rapid Eye Movement) und der Non-REM-Schlaf, mit Veränderungen in der Physiologie, der Gehirnaktivität und des Bewusstseins einher. Während des REM-Schlafs ist unser Gehirn besonders aktiv und wir erleben lebhafte, bizarre oder emotionale Träume. In der Non-REM-Schlafphase ist das Gehirn metabolisch weniger aktiv und entsorgt Abfallprodukte. Dazu spült es die Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit durch die miteinander verbundenen Hirnkammern, welche die Gehirnstrukturen umgeben, und anschließend das Gehirn. Dieser Prozess unterstützt den Körper vermutlich dabei, schädliche Proteinablagerungen, die unter anderem an der Entstehung der Alzheimer-Erkrankung beteiligt sind, aus dem Gehirn zu spülen.

Was geht im Gehirn einer schlafenden Taube vor?

Ob ähnliche Vorgänge auch bei Vögeln ablaufen, blieb bisher ungeklärt. „Der letzte gemeinsame evolutionäre Vorfahre von Vögeln und Säugetieren lebte vor etwa 315 Millionen Jahren und stammt somit aus der Frühzeit der Landwirbeltiere“, sagt Prof. Dr. Onur Güntürkün, Leiter der Biopsychologie an der Ruhr-Universität Bochum. „Dennoch ähneln die Schlafmuster von Vögeln denen der Säugetiere auf erstaunliche Weise, und zwar sowohl in den REM- als auch in den Non-REM-Phasen.“

Um herauszufinden, was genau vor sich geht, wenn Vögel schlafen, haben die Forscher die Schlaf- und Wachzustände von 15 Tauben mit Infrarot-Videokameras und funktioneller Kernspintomografie (fMRT) beobachtet und aufgezeichnet. Die Vögel waren speziell darauf trainiert, unter diesen experimentellen Bedingungen zu schlafen.

Die Videoaufzeichnungen gaben Aufschluss über die jeweilige Schlafphase der Vögel. „Wir konnten beobachten, ob nur ein oder beide Augen im Schlaf geöffnet oder geschlossen waren. Durch die transparenten Augenlider der Budapest-Tauben konnten wir auch bei geschlossenem Lid die Augenbewegungen und Veränderungen der Pupillengröße messen“, erklärt Mehdi Behroozi aus dem Bochumer Team. Gleichzeitig lieferten die fMRT-Aufzeichnungen Informationen über die Hirnaktivierung und die Bewegung der Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit durch die Hirnkammern.

Der Traum vom Fliegen

„Während der REM-Phasen waren vor allem Gehirnbereiche aktiv, die für die Verarbeitung visueller Reize zuständig sind, darunter auch Areale, die analysieren, wie sich die Umgebung einer Taube während des Flugs bewegt“, sagt Mehdi Behroozi. Das Team maß auch Gehirnaktivität in Bereichen, die Nervensignale aus dem Körper und von den Flügeln verarbeiten. „Aufgrund dieser Beobachtungen vermuten wir, dass Vögel wie wir Menschen in REM-Phasen träumen, vielleicht sogar Flugsequenzen durchleben“, fügt Mehdi Behroozi hinzu.

Außerdem stellten die Wissenschaftler fest, dass während der REM-Phasen die Amygdala aktiviert wurde, eine Gehirnstruktur, die bei emotionalen Prozessen eine wichtige Rolle spielt. „Das deutet darauf hin, dass auch Vögel in ihren Träumen Gefühle empfinden, sofern sie etwas erleben, das unseren menschlichen Träumen ähnelt“, sagt Gianina Ungurean aus der Forschungsgruppe Vogelschlaf am Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz. Diese Hypothese wird unterstützt durch die Beobachtung, dass sich im REM-Schlaf die Pupillen der Vögel schnell zusammenziehen, so wie es im Wachzustand zum Beispiel bei der Balz oder bei Aggression der Fall ist, wie Gianina Ungurean und ihre Kollegen kürzlich in einer anderen Studie nachgewiesen haben.

Aufräumen am Ende des Tages

Wie beim Menschen steigt auch bei Tauben der Durchfluss der Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit durch die Hirnkammern während des Non-REM-Schlafs an. Wie die Forschenden nun erstmals beobachten konnten, nimmt die Bewegung der Flüssigkeit während des REM-Schlafs jedoch drastisch ab.

„Die gesteigerte Hirnaktivität im REM-Schlaf ist mit einem erhöhten Blutfluss zum Gehirn verknüpft. Wir vermuten, dass dieser den Fluss der Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit aus den Hirnkammern ins Gehirn behindern könnte“, erklärt Dr. Niels Rattenborg, Leiter der Forschungsgruppe Vogelschlaf. „Das deutet darauf hin, dass der REM-Schlaf und die damit verbundenen Prozesse auf Kosten des Abtransports von Abfallprodukten aus dem Gehirn gehen könnten.“

Der REM-Schlaf könnte jedoch auf unerwartete Weise wiederum auch zur Abfallbeseitigung beitragen: „Zu Beginn des REM-Schlafs vergrößert sich der Durchmesser der Blutgefäße durch den steigenden Blutzufluss. Dadurch könnte Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit, die während des Non-REM-Schlafs in die Hirnkammern geflossen ist, ins Hirngewebe strömen und dafür sorgen, dass die mit Abfallstoffen belasteten Flüssigkeiten abfließen“, erläutert Gianina Ungurean.

Die Wissenschaftler vermuten, dass die Reinigung des Gehirns im Schlaf für Vögel von besonders großer Bedeutung sein könnte. Da Vogelgehirne dichter mit Nervenzellen gepackt sind als die Gehirne von Säugetieren, sind möglicherweise effizientere – oder häufigere – Spülzyklen erforderlich, um schädliche Rückstände abzutransportieren. Vögel erleben während des Schlafs häufigere und kürzere REM-Phasen und der damit verbundene häufige Anstieg des Blutstroms könnte dabei helfen, ihre dichten Gehirne von schädlichen Abfallprodukten freizuhalten.

Erzählt uns von euren Träumen!

Für die Zukunft plant das Team, die mögliche Funktion des REM-Schlafs für die Abfallbeseitigung näher zu untersuchen. Außerdem überlegen die Forscher, wie sie etwas über den Inhalt der Träume einer Taube erfahren könnten. „Wir hoffen, die Vögel so trainieren zu können, dass sie uns vermitteln können, ob und was sie gerade gesehen haben, wenn sie aus dem REM-Schlaf erwachen. Das wäre ein wichtiger Schritt, um herauszufinden, ob sie träumen“, sagt Gianina Ungurean.

Aber auch ohne eine detaillierte Traumanalyse helfen die neuen Erkenntnisse, die Rolle des Schlafs besser zu verstehen – bei Vögeln ebenso wie beim Menschen. Sie verdeutlichen, wie wichtig der Schlaf für ein gesundes Gehirn und die Vorbeugung von kognitivem Verfall ist. Und sie legen nahe, dass das Träumen eine sehr lange Geschichte hat.

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