Zwischennutzung: Kunst und Leerstände in New York

Never Can Say Goodbye (located in the space of the former Tower Records music store) Organization: No Longer Empty. Exhibition: Never Can Say Goodbye. Image by: Jodie Dinapoli

Die New Yorker Organisation „No Longer Empty“ bringt Kunst in leerstehende Ladenlokale – und verändert nicht nur Stadtteile, sondern auch die Vorstellungen dessen, wie Kunst präsentiert werden muss. Von unserer Gastautorin Petra Engelke.

„Ich hasse es, wenn jemand uns als „Pop-Up Galerie“ bezeichnet“, sagt Manon Slome, Gründerin von No Longer Empty . „Hinter Pop-Up steht die Idee: Alles geht hinein, wird verkauft, und dann ist es weg und vorbei. Darum geht es uns nicht. Als Organisation sind wir von Dauer, nur unsere Orte wandern.“

Slome verlässt den Pfad des spontan Selbstgemachten, wenn sie Kunst in

An image of the store front and an installation view. Organization: No Longer Empty. Exhibition: Never Can Say Goodbye. Image by: Jodie Dinapoli

leerstehenden Räumen ausstellt. Erstens geht die Initiative nicht von Künstlern, sondern von Kuratoren aus. Zweitens verfolgt No Longer Empty langfristige Ziele: Inhaltlich bindet sie Kunst stark an den jeweiligen Ort, formal setzt sie auf Zugänglichkeit.

Binnen eines Jahres hat die Non-Profit-Organisation zehn Ausstellungen gestemmt, in Räumen, die einmal Plattenladen, Angelgeschäft, Offiziersunterkunft waren – unter anderem mit Künstlern, deren Werke für sechsstellige Beträge gehandelt werden. Eine Installation von Kaz Oshiro etwa war eine Viertel Million Dollar wert.

No Longer Empty verkauft keine Kunst. Trotzdem haben sich auch Yoko Ono, Alyson Shotz, José Parlá und Giuseppe Stampone gern einladen lassen. Schließlich hat Manon Slome einen guten Ruf in der Kunstwelt. Sie arbeitete sieben Jahre im Guggenheim Museum und war von 2002 bis 2008 Chef-Kuratorin des Chelsea Art Museum. Als sie dort kündigt, weiß sie nur eins: Sie will nicht mehr für eine Institution, sondern als freie Kuratorin arbeiten.

Eigentlich ist sie nur auf der Suche nach einem neuen Thema. Ihr fallen all die leeren Räume auf, die durch die Rezession entstehen. In Gebieten, die einmal für das boomende New York standen, etwa auf der Madison Avenue oder in SoHo, macht ein Geschäft nach dem anderen dicht. Daraufhin geht der Fußgängerstrom zurück, und die Nachbarschaft trudelt in eine Abwärtsspirale. Bald denkt Slome an eine Ausstellung, die darauf Bezug nehmen soll. Doch die Idee entwickelt eine Eigendynamik.

Im Sommer 2009 eröffnet No Longer Empty eine Ausstellung in einem ehemaligen Angelgeschäft. „So etwas kann man doch nicht ignorieren!“, findet Slome. Das Stichwort „standortspezifisch“ entwickelt sich zum Kern der Arbeit von No Longer Empty. Slome und ihre Kollegen informieren die Künstler darüber, was der Ort früher war, sie recherchieren auch über die Nachbarschaft und ihre jüngere Geschichte. „Und die Künstler reagieren auf den Ort: Sie zeigen Kunst, die in dieser Umgebung funktioniert.“

Ganz unterschiedlich reagieren die Vermieter, wenn sie gebeten werden, Räume

Clive Murphy Why x Why Organization: No Longer Empty. Exhibition: The Sixth Borough. Image by: Kathy Zeiger

und Betriebsmittel kostenlos zur Verfügung zu stellen. Freimütig sagt Slome: „Manche verstehen es überhaupt nicht. Andere sehr wohl. Schließlich ist es das schlimmste für ein Ladenlokal, wenn es lange leersteht.“ Bei einer Vernissage sagt ihr ein Vermieter, er hätte niemals die Werbung bezahlen können, die ihm so viele Leute – potenzielle Interessenten – bringe. In die Räume einer am Wochenende beendeten Ausstellung in East Harlem wird nun ein Restaurant einziehen. Es ist eins derjenigen Restaurants, die No Longer Empty um Catering-Spenden gebeten hatte.

Trotzdem gibt es auch negative Reaktionen. Bewohner des Chelsea Hotels, dem der erste Ausstellungsraum gehört, beschweren sich: Die Vorgänger hätten gehen müssen, weil die Mieten zu sehr angehoben wurden, und No Longer Empty würde dem Ganzen jetzt auch noch eine hübsche Politur geben. Aber das, so Slome, sei das einzige Mal gewesen, dass es Ärger gegeben habe.

Jedenfalls von dieser Seite. Kunstkritiker schreiben auf einem anderen Blatt. Einen Artikel in der NewYork Times empfindet Slome als Verriss. „Der Tenor war: So etwas sollte uns, den Experten, überlassen bleiben“, meint sie. „Wir haben daraufhin zig E-Mails bekommen, die besagten: Wenn diese Kritiker nicht von ihrem Elfenbeinturm herunterkommen, werden sie die Veränderungen verpassen.“

Kunst-Snobismus ist Manon Slomes Lieblingsfeind. Die Art und Weise, wie man in Galerien vom Personal behandelt wird, entlockt ihr kurz einen sarkastischen Ton. Damit die Grenzen zwischen Kunst und Publikum verschwinden, schneiden sie bei No Longer Empty Begleitprogramme auf die Nachbarschaft zu, laden Kinder zum Zeichnen ein, schulen Ausstellungswächter darauf, alle Besucher persönlich zu begrüßen und Fragen zu beantworten.

Auch Manon Slome schiebt Schichten als Aufsicht. Und wie die meisten ihrer Mitstreiter bekommt sie kein Gehalt. Aber das ist keine Basis für Slome. Sie arbeitet daran, die USA-spezifischen Grundlagen dafür zu schaffen, Fördergelder zu bekommen, Mitgliedschaften aufzubauen und Spenden zu akquirieren.

Manchmal helfen die Galerien bei der Finanzierung von Installationen. No Longer Empty hat auch schon Prints angeboten, weil einer der Künstler das gern wollte. Zwei sind über den Tisch gegangen. „Wir sind im Einzelhandel noch nicht sehr gut“, sagt Manon Slome und lacht. „Aber ich würde natürlich gerne etwas aufbauen.“ T-Shirts hatten sie schon, jetzt denkt sie an limitierte Auflagen, einen kleinen No Longer Empty-Store.

Nur eines kann sie sich nicht vorstellen: einen festen Raum für Ausstellungen. „In dem Moment, wo man eigene Räume hat mit ihren Fixkosten, ist man an eine bestimmte Art von Arbeiten gebunden. Und ich liebe die Ortsbezüglichkeit. Ich würde die Herausforderungen vermissen, die dieser Ansatz mit sich bringt.“

Petra Engelke  lebt in New York – und schreibt darüber in ihrem Blog Moment: ny.p.eng.de.

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Zwischennutzungen und Kreativquartiere Ruhr

Wer hat an der Uhr gedreht? Warum laufen plötzlich alle in die gleiche Richtung? Kreativwirtschaft und Zwischennutzungen sind DER Trend aktueller Stadtentwicklungspolitik. Und dies von oben wie von unten. Unserer Gastautorin Svenja Noltemeyer ist eine der Sprecherinnen der Initiative für ein Unabhängiges Zentrum in Dortmund und sitzt für die Grünen im dortigen Rat.

Unter den Stichworten europäische, offene, soziale und kreative Stadtentwicklung findet man das Thema Zwischennutzungen in vielen Städten der Republik. Die Wächterhauser aus Leipzig, die Hamburger Gängeviertelinitiative und die Zwischenzeitzentrale in Bremen sind gute Beispiele wie Stadtplanung heute gemanaged werden kann. Nämlich in aktiver Einbeziehung der Arbeits- und Kreativkraft der Bürger und ausgelegt auf Besinnung und Belebung stadtbaukulturell interessanter und identitätsbehafteter Leerstandsimmobilien, die für den konventionellen Vermarktungsprozess nicht mehr attraktiv sind. Auch Freiflächen, die aus Gründen des demografisch bedingten Schrumpfungsprozesses durch Rückbau nicht mehr benötigter Industrie-, Gewerbe und Wohngebäuden entstehen, sind Potenzial für Zwischennutzungen.

Im Ruhrgebiet hat durch die Aktivitäten, Netzwerke und Themenfelder, die durch die Kulturhauptstadt Ruhr.2010 entstanden sind, die kreative Raumaneignung städtischer Möglichkeitsräume begonnen. Neben den Planungen der großen Kreativquartiere wie beispielsweise das Dortmunder U, die Zeche Zollverein in Essen und die Zeche Lohberg in Dinslaken durch ECCE, die Wirtschaftsförderungen, Kultur- und Stadtplanungsämter, gibt es Bürgerinitiativen, die diese Idee für sich interpretieren.

Das t.a.i.b. und die Marienkirche in Bochum beispielsweise sind Orte im bestehenden Kreativquartier Viktoria rund um das Bermudadreieck, die von Kreativen selbst genutzt und organisiert werden. Durch eine temporäre architektonische Intervention auf der Freifläche beim ehemaligen Güterbahnhof, dem t.a.i.b., hat sich bereits beim Aufbau eine Gruppe gebildet, die Raum für kulturelle Projekte sucht. Die konstante Bespielung des Areals sowie die regelmäßigen Gruppenplenar zu langfristigen Nutzungsmöglichkeiten der interessanten Fläche (viel Freiraum in innerstädtischer Lage), die auch von Akteuren der Stadtverwaltung und ECCE begleitet wurden, führten zu neuen Kommunikations- und Planungsstrukturen im Kreativquartier Viktoria. Dem Ziel der Stadt „Belebung ungenutzten Raums“ steht nun eine kreative Nutzergruppe als Ansprech- und Umsetzungspartner zur Verfügung, die Raum und Kultur/Kunst/Kreativität zusammenführt. Wenn die Stadtverwaltung nun intensiv nach kreativen Lösungen sucht, solche (Zwischen)nutzungen formal möglich zu machen (Brandschutz, Sicherheitsaspekte etc.), werden weitere Projekte zukünftig umgesetzt werden können und damit eine kreative, offene und soziale Stadtentwicklung sichtbar.

In Nachbarschaft zum t.a.i.b. steht die Marienkirche, für die auch im Rahmen der Kulturhauptstadtaktivitäten lange Zeit mögliche Nachnutzungen gesucht wurden. Sie ist heute offener Proberaum für Urbanatix. Dort konnte die showproduzierende Streetartszene begünstigt durch das Kulturhauptstadtsiegel Kontakt zum Probst aufnehmen, der den Sportambitionen und sozialen Bestrebungen der Gruppe aufgeschlossen war. Durch die zwei Projekte gewinnt das Kreativquartier Viktoria, auch ohne Konzerthaus, enorm an Fahrt.

Nebenan in Dortmund zeichnet sich rund um den U-Turm, speziell im Stadtumbaugebiet Rheinische Straße eine ähnliche Entwicklung kreativer Stadtplanung ab. Mittelpunkt und Anlaufstelle für Kreative und junge Gründer ist hier der Union Gewerbehof an der Huckarder Straße. Früher durch Besetzung vorm Abriss gerettet, gilt der Gewerbehof heute als gewachsenes Kreativquartier, das seit Jahrzehnten viele kreativwirtschaftlich tätige Kleinstunternehmer beherbergt und auch Austragungsort der Kreativen Klasse in Dortmund ist. Das Quartier Rheinische Straße hat großes Entwicklungspotenzial (viel Altbau, viele Freiflächen, viel Leerstand, bunte Bewohnerschaft) und in den letzten Jahren gute Kommunikationsstrukturen geschaffen, um als Anziehungs- und Vermittlungspunkt für Kreative zu funktionieren. Die Unternehmensberatung FunDo kümmert sich beispielsweise um Raum Suchende und entwickelt mit dem Blauen Haus e.V. ein Zwischennutzungsprojekt gegenüber dem ehemaligen Lokal Donnerschlag, langjähriger Treffpunkt der Dortmunder Nazis an der Rheinischen Straße. Hier wird, durch private Mittel des Eigentümers ermöglicht, im Rahmen von Beschäftigungs- und Fortbildungsmaßnahmen der ARGE durch Arbeitslose ein stark sanierungsbedürftiges Haus wiederbelebt und für kreative Nutzungen geöffnet.

Im Konsultationskreis Rheinische Straße kommen seit Beginn des Stadtumbaus regelmäßig Politiker und Bürger aus dem Bezirk Innenstadt-West zusammen und besprechen direkt mit der Verwaltung, wo es im Quartier noch hapert und geben Ideen weiter, wie das Wohnumfeld konkret verbessert werden kann. Aus diesem Kreis hat sich gleich zu Beginn aus engagierten Anwohnern der Rheinische Straße e.V. gegründet, der in enger Zusammenarbeit mit dem Quartiersmanagement eine regelmäßig erscheinende Quartierszeitung erstellt und in thematischen Arbeitsgemeinschaften (Kultur, Westpark etc.) konkrete Projekte initiiert.
Neben den vielen neuen Gründern, die es auch in Eigeninitiative in den attraktiven Stadtteil (günstig, zentral, gute Infrastruktur) gelockt hat und diesen nun beleben, wie zum Beispiel dem Künstlerkollektiv Salon Atelier, gibt es weitere Entwicklungspläne der Kreativen selbst. Das sogenannte Amt für neue Ordnung soll hier entstehen, ein Coworking Space, in dem Kreative ihren einsamen Heimschreibtisch günstig gegen einen Platz in einem bunt besetzen Grossraumbüro tauschen können. In der Umnutzung des ehemaligen Ordnungsamts (daher der Name..) können in der Kaffeepause oder im Hausflur Kontakte zu potenziellen Auftragspartnern aufgebaut und verschiedene Raumangebote (beispielsweise einen Besprechungsraum, in dem man mit Auftraggebern verhandeln kann) genutzt werden.

Neben diesen Aktivitäten von unten gibt es auch Pläne von oben in Dortmund. So soll demnächst ein Kreativwirtschaftszentrum den Park der Ideen unter dem U-Turm bereichern und als attraktiver Standort für die Kreativwirtschaft dienen. In wie fern dieser eigentlich sinnvoll und nötig ist, müssen Verwaltung und Politik entscheiden. Hauptsache bleibt, dass die Initiativen und Projekte von den Bewohnern selbst ebenso, wenn nicht sogar stärker, gewertschätzt und unterstützt werden wie die großen Pläne von oben. Da jedoch die Bedeutung von Zwischennutzungen und kreativen Entwicklungen erkannt wurde (siehe Kreativquartierstypologie von ECCE) und sich aktuell die Dortmunder Verwaltung und Politik ins Zeug legt, den aktuellen Forderungen der Kreativszene nach einem unabhängigen Zentrum (UZ Dortmund) nachzukommen, ist zu erwarten, dass sich dieses Denken fortsetzt. Vielleicht auch eine Antwort auf die schwierige Haushaltssituation. Aber wenn dies auf die verstärkte Umsetzung des Rechts auf Stadt der Bürger hinausführt und die aktive Bürgerschaft Ihre Stadtentwicklungsziele und Projekte tatsächlich durch breite Unterstützung umsetzen kann, umso besser.

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Pleitgen zum Sprachpanscher des Jahres gekürt

Fritz Pleitgen Foto: WDR

„Sprachpanscher 2010“ – diese  Auszeichnung erhielt Ruhr.2010-Chef Fritz Pleitgen heute vom Verein Deutsche Sprache (VDS) in Dortmund. Der Grund: Der öffentliche Auftritt der Kulturhauptstadt-Macher strotze vor Anglizismen, genauer gesagt „denglischen Imponiervokabeln“. Von unserem Gastautor Uwe Herzog.

Besonders stieß den Juroren der Begriff „Volunteers“ anstelle von „Praktikanten“ auf: „Hier hätte Pleitgen seine Autorität mehr in den Dienst der deutschen Sprache stellen können,“ so der VDS in einem Zeitungsbericht.

Nun, Fritz Pleitgen hätte seine „Autorität“ natürlich auch noch dazu nutzen können, sich um die Sicherheit seiner „Volunteers“ bei der Loveparade in Duisburg ein wenig Sorgen zu machen.

Laut einem internen Dokument der Lopavent (Vermerk: „Ausschließlich für den Dienstgebrauch“) waren die Volunteers nämlich damit beauftragt, in dem Gedränge – neben Kondomen und Tattoos – auch 50 000 Kärtchen zu verteilen, auf denen der Lageplan und die Zugangswege zu der Veranstaltung aufgezeichnet waren.

Pleitgen hätte sich ruhig mal eines dieser im Auftrag der Ruhr.2010 entworfenen Kärtchen zeigen lassen sollen – dann hätte er mühelos darauf den Tunnel erkannt, der später zur Todesfalle wurde. Und von dessen Existenz er zuvor absolut nichts gewusst haben will.

Aber vielleicht stand da ja gar nicht „Eingang“ und „Ausgang“ sondern „entrance“ und „exit“ oder beides … jedenfalls nicht „Tunnel“, nicht wahr, Herr Pleitgen?

Waldorfschule Schloss Hamborn, das anthroposophische Zentrum in Ostwestfalen

Hänsel und Gretel, ohne glückliches Ende Illustration: Ludwig Richter

Ein Artikel des WDR über ein Gewaltopfer in der Waldorfschule Schloss Hamborn erinnerte unseren Gastautoren Andreas Lichte an seine dortige Hospitation. Hier sein erster Bericht.

„Sag mal’, seh’ ich eigentlich nach Waldorf aus?!“ fragt mich die Gastmutter und Waldorflehrerin.

„Nein, natürlich nicht!“ antworte ich wunschgemäss. Der typische, asexuelle Waldorf-Walle-Look ist das wohl eher nicht, aber natürlich gehört auch sie dazu.

„Ich schicke meine Kinder ja zu ausserschulischen Aktivitäten nach draussen – das ist mir ganz wichtig, damit sie nicht im Ghetto untergehen“, sagt mir ein anderer Lehrer.

Das „Ghetto“ ist die „anthroposophische Lebensgemeinschaft“ Schloss Hamborn, Westfalen, mit Waldorfschule, Waldorfinternat, Demeter-Laden, Altersheim – und eigenem Friedhof. Also nicht unbedingt die typische Waldorfschule. Aber das unvergleichliche Waldorf-Wir-Gefühl findet sich auch an jeder anderen Waldorfschule. Warum? Waldorf ist nicht einfach nur „Schule“. Waldorf ist eine Lebensform, die nicht mit dem Schul-Gong endet.

„Und am Wochenende hilfst du dann bei unserem Martinsmarkt?!“ fragt der Gastvater, Waldorflehrer.

„Nein, tut mir leid, mein Bruder feiert Geburtstag“, antworte ich, wohlwissend, dass das ein Tabubruch ist.

Mir muss nicht extra gesagt werden, dass man als (zukünftiger) Waldorflehrer Teil einer grossen Gemeinschaft ist, die höhere Ziele verfolgt: „Die Welt wird zum Tempel, die Welt wird zum Gotteshaus“, sagt Rudolf Steiner, der Begründer der Waldorf-Pädagogik. Für Steiner ist die Waldorfschule der „praktische Beweis für die Durchschlagskraft der anthroposophischen Weltorientierung.“ Nicht weniger. Und die Anthroposophie ist Steiners Haus-Religion: Steiner ist ihr selbsternannter Prophet, Hellseher, dessen Worte Offenbarungscharakter besitzen. Und schon erschallt – Hosianna! – das allgegenwärtige „Rudolf Steiner hat gesagt …“

Steiner wird in Schloss Hamborn auch „zur Fortbildung“ in der Lehrerkonferenz gelesen, natürlich. Aber auch sonst hat man zu jeder noch so kleinen Lebensäusserung ein „Wahrspruchwort“ Steiners parat, ähnlich wie der vorbildliche Waldorflehrer und Dozent des „Seminar für Waldorfpädagogik Berlin“, der „Missionar in Sachen Steiner ist“.

In der Internatsschule Schloss Hamborn gibt es auch „schwererziehbare“ Kinder. Meine Gastmutter erzählt mir, wie sie sie empfängt: Wenn die Kinder im Internat ankommen, ringt meine Gastmutter sie erst einmal nieder, um klar zu machen, wer das Sagen hat: Die Rangordnung muss hergestellt werden … Ich denke, das kann nur ein Spiel sein und frage nicht nach. Mit einem komischen Gefühl. Jahre später lese ich dann von Kindesmisshandlung in einer anderen Waldorfschule, der „Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung Alte Ziegelei Rädel“, und dem „Gilde-Griff“ der ehemaligen Leiterin Angelika Gilde. Ist das vielleicht gar nicht Gildes Erfindung? Und aus dem komischen- wird ein mieses Gefühl: was hat meine Gastmutter wirklich mit den Kindern gemacht?

Und dann kommt ein Artikel des WDR, „Hinter privaten Schultüren“, von Nina Magoley. Dort berichtet Jan Schrecker, Zitat WDR, „von Demütigungen und Misshandlungen während seiner Schulzeit, die ihm noch immer zu schaffen machen. Schrecker war bis 1996 Schüler an der Waldorfschule Schloss Hamborn in der Nähe von Paderborn. Seine damalige Lehrerin, so berichtet er, habe ihn und andere Schüler jahrelang geschlagen und massiv eingeschüchtert. Er sei Zeuge gewesen, wie die Lehrerin Mitschüler ohrfeigte oder schmerzhaft an den Haaren zog, nur weil sie Haargel benutzt hatten. Einmal habe sie den Kopf eines Jungen, der ein bedrucktes T-Shirt trug, »mit voller Wucht« auf den Tisch gehauen, so dass dessen Nase blutete.“

Nein, Jan Schreckers Lehrerin ist nicht meine Gastmutter. Aber das macht es nur noch schlimmer. Denn in Schloss Hamborn habe ich selber ein Hänsel und Gretel Gefühl: Die „anthroposophische Lebensgemeinschaft“ liegt mitten im Wald, in einem Tal-Kessel, es ist eine verschworene Gemeinschaft, ich denke: „Von hier dringt niemals etwas nach draussen!“ Und dann doch. Und was passiert?

Weiter der WDR: „Eine Strafanzeige gegen die Lehrerin, die Schrecker im Jahr 2002 bei der Staatsanwaltschaft Dortmund stellte, wurde wegen Verjährung abgewiesen. Als er sich daraufhin an die Bezirksregierung Detmold wandte, habe man ihm dort erklärt, dass die Behörde für private Schulen, wie Waldorf- oder auch kirchliche Schulen, nicht zuständig sei. Auch auf eine Petition beim Landtag NRW hin bekam der ehemalige Schüler dieselbe Auskunft. Das »Verhalten der Lehrkraft«, heißt es in einem Antwortschreiben, das WDR.de vorliegt, »konnte keine schulaufsichtliche Maßnahme auslösen«, da die Lehrkraft nicht Bedienstete des Landes Nordrhein-Westfalen war, sondern in einem privatrechtlichen Vertragsverhältnis zum Schulträger stand« (…)“

Erwartet hier jetzt irgendjemand noch ein schönes Schlusswort – ein glückliches Ende, wie im Märchen?

Andreas Lichte bei den Ruhrbaronen:

„Waldorfschule: Vorsicht Steiner“

Interview mit Andreas Lichte

„Kampf bis zur Erleuchtung – Lorenzo Ravagli und der Glaubenskrieg der Anthroposophie gegen Helmut Zander“

„Die Waldorfschulen informieren“

„Drei Gründe für die Waldorfschule“

Waldorfschule: „Detlef Hardorp, der Berlin-Brandenburgische Bullterrier der anthroposophischen Öffentlichkeitsarbeit“

„Waldorfschule: Lehrer gesucht!“

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Loveparade: Strafanzeigen gegen Ruhr2010-Chef Pleitgen

Fritz Pleitgen Foto: WDR

Die Staatsanwaltschaft Duisburg hat bestätigt, dass „im Zusammenhang mit der Loveparade mehrere Strafanzeigen eingegangen sind, die sich gegen die Führung der Ruhr.2010 GmbH und dort insbesondere gegen den Geschäftsführer Herrn Pleitgen richten.“ Von unserem Gastautor Uwe Herzog.

Über den Inhalt und die genaue Anzahl der Anzeigen könne derzeit noch nichts gesagt werden.

Laut Oberstaatsanwalt Rolf Haferkamp werden alle gegen Fritz Pleitgen und weitere Mitarbeiter der Ruhr.2010 gerichteten Strafanzeigen derzeit zunächst auf ihre strafrechtliche Relevanz hin geprüft (zum Beispiel „fahrlässige Tötung“) und „fließen dann gegebenfalls in die Ermittlungsarbeit der Sonderkommission der Polizei in Köln ein“.

Zur Frage, ob auch eine Razzia ähnlich wie im Fall der Lopavent bei der Ruhr.2010 geplant sei, sagte Haferkamp: „Wenn sich herausstellen sollte, dass auch von dort Unterlagen für unsere Ermittlungen benötigt werden, werden auch diese selbstverständlich zu beschaffen sein.“

Lyssenko lebt

Lenin-Ordensträger Lyssenkos Lehre lebt – in der Flora verworfen, in der Fauna bestätigt. Von unserem Gastautoren Ronald Milewski.

Am 20. November 1976 starb Trofim Denissowitsch Lyssenko, sowjetischer Agronom und Biologe, siebenfacher Träger des Leninordens, von Stalin gefördert, von Chruschtschow verjagt. Verjagt wegen zahlreicher Missernten, die ihm angelastet wurden, wegen Forschungsergebnissen, die der Fälschung bezichtigt wurden, und wegen seiner Lehre, des Lyssenkoismus, einer späten Form des Lamarckismus. Dieser zur Folge können Erbeigenschaften durch Umweltbedingungen bestimmt in der Lebenszeit erworbene Eigenschaften vererbt werden. Lyssenko, der einer ukrainischen Bauersfamilie entstammte und erfolglos antrat, die Ernährungsprobleme der frischgebackenen Sowjetrepubliken durch nachhaltige Zuchterfolge an Getreidesorten zu lösen, musste mit ansehen, wie 1934 ausgerechnet ein Kolchosbauer wegen der grassierenden Hungersnöte Schüsse auf den Leichnam Lenins abgab. Sein Forschungsansatz wurde später vor allen Dingen im Westen als ideologisch motiviert verurteilt. Für die Verbannung von Kritikern in Straflager soll er zumindest mitverantwortlich gewesen sein.

Aktuell stehen die Zeichen tief im Westen auf Rehabilitation des Stalingünstlings: Frühkindliche Erlebnisse von Vernachlässigung, körperlicher Gewalt und sexuellem Missbrauch wirken laut Forschungsteams an der Universität Zürich und der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich drei Generationen lang. Entsprechende Ergebnisse haben die Forscherteams unlängst in der Zeitschrift „Biological Psychiatry“ veröffentlicht. Die ForscherInnen behaupten, dass traumatische Erlebnisse in Kindheit und Jugend nicht nur zu Verhaltensauffälligkeiten bei der betroffenen Person sondern auch bei deren Nachkommen führen. Wirkmechanismus seien dabei nicht Mutationen auf den Genen sondern die durch Umwelteinflüsse erzeugte Methylierung, die die Aktivität von Genen beeinflusst bzw. Gene, günstigstenfalls solche mit ungünstigem Effekt, ganz abschaltet. Auf diesem Weg prägen den Forschungsergebnissen zur Folge soziale Faktoren aber auch körperliche Aktivität den Genpool . Karma, ein wenig anders als gewohnt, aber immerhin naturwissenschaftlich belegt.

Hatten Lamarck und Lyssenko somit doch Recht mit ihrer Lehre von der Vererbung erworbener Eigenschaften? Immerhin werden die bahnbrechenden Forschungsergebnisse eines Cyril Burt, der mit seinen Untersuchungen an Zwillingspaaren parallel zu Lyssenko auf westlicher Seite eindrücklich die Vererblichkeit von Intelligenz und Persönlichkeitszügen belegte und dafür 1946 zu Beginn des Kalten Krieges in den Adelsstand erhoben wurde, spätestens seit seinem Tod 1971 gleichfalls der Fälschung bezichtigt. Alles Ideologie oder was – egal ob diesseits oder jenseits des Eisernen Vorhangs? Auf jeden Fall eine typische Auseinandersetzung in der Moderne, geprägt durch ein Denken, das nur entweder oder, schwarz oder weiß, hopp oder topp kennt.

Ganz anders geriert sich nun Forschung in der Postmoderne. Deren Credo prägt ein wohltuendes sowohl als auch: Gene beeinflussen und können vererblich beeinflusst werden. Dabei helfen schon frische Luft, körperliche Bewegung und eine veränderte Kost. Das Zauberwort heißt Epigenetik. Der SPIEGEL widmete diesem Forschungszweig in der Biologie immerhin seine Titelgeschichte in der Ausgabe 32/2010. Die Argumente folgen neuesten Forschungsergebnissen und lauten:

– Der Lebensstil verändert die Biologie.

– Äußere Einflüsse können Gene chemisch verändern.

– Neben dem Inhalt der Gene trägt das Erbgut eine übergeordnete Ebene von Informationen.

– Die epigenetischen (auf den Genen liegenden und durch Erfahrung beeinflussbaren) Mechanismen steuern das Verhalten der Gene.

– Babys, die von der Mutter (!) liebevoll gestreichelt wurden, sind als Erwachsene gegen Stress gefeit.

– Menschen, die meditieren, verändern die Architektur ihres Gehirns. Heimkinder, die in eine Adoptionsfamilie kommen, blühen auf.

– Eineiige Zwillinge können in ihrem Verhalten grundverschieden sein.

– Epigenetische Informationen werden von den Zellen sogar auf die Tochterzellen weitergegeben – der Körper hat ein Gedächtnis.

– Das Körpergedächtnis kann allerdings verblassen. Epigenetische Inschriften sind löschbar.

Während Lyssenko sich mehr für die Flora interessierte, beziehen sich diese Erkenntnisse auf die Fauna und könnten – ernst genommen – unmittelbar Auswirkungen auf Psychotherapie, Schul- und Bildungspolitik haben. Die Züricher Forschungsergebnisse wurden indes an Mäusen gewonnen. In typischer Weise traumatisierte, nämlich über einen definierten Zeitraum unvorhersehbar von ihrer Mutter (!) getrennte Jungmäuse entwickeln im Erwachsenenalter deutliche Verhaltensänderungen in Richtung depressiver Hilflosigkeit respektive Verlust der Impulskontrolle. Das eigentlich überraschende Ergebnis der Studie ist jedoch, dass die Tiere ihre Verhaltensstörungen an ihre Nachkommen vererben. Stress, so zeigen die Forschungsergebnisse verändern das so genannte Methylierungsprofil bestimmter Gene im Gehirn und in den Spermien männlicher Mäuse.
„Die Symptome, welche die gestörten Mäuse zeigten, sind auch in Borderline- und Depressions-Patienten sehr prominent vorhanden“, sagt Isabelle Mansuy, die Leiterin der Arbeitsgruppen an den Züricher Forschungsinstituten.

„Was tun?“ könnte man nun mit Lenin fragen. Isabelle Mansuy möchte die Untersuchung an Mäusen auf Menschen ausdehnen, um an Hand von „Gewebeproben von Personen und ihren Nachkommen mögliche Methylisierungskandidaten unter den Genen herauszufinden“. Sie ist sich sicher, auch im menschlichen Gewebe Methylierungen zu finden, Methylgruppen bestehend aus einem Kohlenstoff- und drei Wasserstoff-Atomen – angehängt an spezifische Gene.

Zu befürchten ist, dass sich auf dieses Forschungsvorhaben nun – komfortabel ausgestattet mit Forschungsgeldern – Heerscharen und Generationen von ForscherInnen stürzen, die alsbald den Ausgangspunkt in der Erkenntnis der Herstellbarkeit von Methylierung durch Umwelteinflüsse vergessen und in herkömmlicher Interpunktion des gewohnten Denkens in Ursache und Wirkung ebendiese methylierten Gene zum Verursacher von Depression, Borderline-Störung und Intelligenz-Defiziten erklären – also einmal mehr beim physiologischen Pol andocken.

„Was tun!“ könnte dagegen frei nach Sloterdijk und seiner aktuellen Programmatik vom sich übenden Menschen ein Forschungs-Credo lauten, das seinen Schwerpunkt auf die Erforschung derjenigen Lebensweisen legt, die die ungünstige Programmierung wieder aufheben oder gar nicht erst aufkommen lassen. In Anlehnung an eine Marxsche Feuerbach-These könnte die Maxime lauten: „Die Physiologen haben die (Mikro-)Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an,
sie zu verändern.“

Bier, Wahnsinn, Scherben

Drei Männer, drei Gitarren und drei Mal ganz gehörig Muffensausen. Drei Perspektiven auf das Leben und eine zerstörte Bühne. Carsten Marc Pfeffer, Malte von Griesgram und Tommy Debone läuten den Start der Singer-Songwriter-Reihe im Bochumer Rottstr5-Theater mit einem echten Knalleffekt ein. Flaschen fliegen, Züge donnern über die Köpfe der Zuhörer hinweg und die erste Veranstaltung der Singer-Songwriter-Reihe hat bewiesen, was für eine großartige Idee die Jungs von der Rottstr5 da hatten. Von unserer Gastautorin Chantal Stauder

Debone, in Jeans und Karohemd betritt garniert mit einem Drei-Tage-Bart die Bühne des Bochumer Off-Theaters. Seine Stimme klingt sympathisch, nach ganz viel Whiskey und noch mehr Zigaretten. Ein Kerl, der locker von Tom Waits sozialisiert worden sein könnte. Schüchtern, solange er spricht, ein Draufgänger, sobald er singt. Irgendwie verwegen, aber merklich nervös. Ein postmoderner Großstadtwestern, gespickt mit lässigem Groove, von mehr als einer komödiantischen Episode unterbrochen. Er ist dankbar für seinen ersten Auftritt in der Rottstr5, weil er den Laden „scheiße geil“ findet. Bevor es losgeht schickt er noch eine letzte Warnung an sein Publikum: „Da müssen wir jetzt beide durch. Also ihr und ich.“ Die Songtexte des Achtundzwanzigjährigen zeugen von einer gewissen Selbstironie, aber auch von reichlich Schwermut. Es ist Musik, die man sich als Soundtrack für die Paarungs-Pirsch in heruntergekommenen Bars wünscht. Debone präsentiert sich noch eckig und kantig. Bei ihm hat noch nicht die sonst so allgegenwärtige Geschmeidigkeit Einzug gehalten, mit der sich geübtere Barden gewöhnlich auf der Bühne bewegen.

Textsymmetrie aus der Phrasenkiste

Malte von Griesgram dagegen setzt auf Textsymmetrie und greift dabei manchmal ein Stück zu tief in die Phrasenkiste. Zur Einleitung gibt es lässige Provokationen: „Die Wenigsten kennen mich und ich kenne die Wenigsten von euch. Es kann also eine hocherotische Angelegenheit werden.“ Die ersten Songs sind treffend, rund und erzählen von Liebe, Frauen und Gefühlen. Von Griesgram weiß, während wir leben, sammeln wir die Bilder für den Abspann. Es geht um schöne Momente und deren Wiederholung. Seine Texte sind ein bunt zusammen gepflückter Strauß rhetorischer Stilblüten, bei denen von Griesgram gern mal in umliegende Kitsch-Pfützen tritt. Manchmal wirkt es ein bisschen wie zuviel Puderzucker auf der süßen Waffel. Es klingt ein bisschen zu pathetisch, zu dick aufgetragen, womit er seine Zuhörer verzaubern möchte. Ein Song, der das Herz nicht berührt, langweilt das Ohr. So können seine Songs am Ende nicht halten, was sie zu Anfang versprachen.

Carsten Marc Pfeffer betritt die Bühne und murmelt dabei selbstvergessen und nervengebündelt vor sich hin. Aufwendig bindet er seine Krawatte, stimmt minutenlang seine Gitarre und tritt dann ans Mikro, um sich in epischer Breite über Hannes Wader und Konstantin Wecker auszukotzen, die gleichzeitig im Bochumer Ruhrkongress ein Konzert spielen. Dass er seine Tiraden im feinsten Cockney-Englisch hält, macht die Situation noch befremdlicher. Er beginnt eine spinnerte Beck-Version von „I was made for loving you“, die er lachend abbricht. Die Irritation im Publikum könnte nicht größer sein. Das macht dem Liedermacher ersichtlich großen Spaß. Er schnippt sich ein Bier auf, zündet sich eine Zigarette an. Dann erst geht es richtig los.

Die Heiligkeit der blöden Kuh

Sofort der erste Song zielt direkt ins Herz. Pfeffer schreibt deutschsprachige Lieder für Frauen, die es eigentlich nicht verdient haben. Das macht er ziemlich gut. Dabei gelingt es ihm immer wieder, den größten Schweinkram mit einer poetischen Aura des Mystischen zu umgeben. Man möchte ihm zustimmen, wenn er bemerkt, dass es für einen Liedermacher beizeiten ganz hilfreich sein kann, wenn einem ab und zu eine blöde Kuh über den Weg läuft. Er singt mit einer Verletzlichkeit und Intensität, die die Welt aus den Angeln hebt. Die Bochumer sind begeistert und fast ein bisschen verliebt, weil sich da einer so sehr verschenkt. Schweißüberströmt und von der Stimmung des Abends ergriffen, zerlegt Pfeffer dann kurzerhand die Bühne der Rottstr5. Requisiten fliegen ins Publikum, eine Frau schreit auf, die Diskokugel klatscht gegen die Theaterwand: Bier, Wahnsinn, Scherben. Verdammt viel Stil hat es aber auch, als sich der Intendant der Rottstr5. von diesem Radau anstecken lässt und die erste Bierflasche höchstpersönlich auf die Bühne wirft. Fight Club: Arne Nobel als Pfeffers Tyler Durden – einfach geil. „Mit dem Pfeffer würde ich überall hingehen“, so Nobel. Pfeffer sagt über sich selbst, dass er im Punk sozialisiert wurde. Er ist das personifizierte Punk-Zitat. Doch sein Thema ist nicht der Hass, sondern die Liebe. Das Zuviel der Liebe.

Als das Publikum nach der zweiten Zugabe immer noch keine Ruhe geben will, zückt Pfeffer den Revolver. „Schnauze“, brüllt er in den Applaus hinein, die Waffe auf das Publikum gerichtet. Doch kann er machen, was er will, der Applaus nimmt eher noch zu. Pfeffer hat sich an diesem Abend Narrenfreiheit erspielt. Bei so einem irren Kerl wie diesem geht den Bochumern einfach das Herz auf. Und noch einmal: einfach geil.

Waldorfschule: Lehrer gesucht!

In Zeiten eines dramatischen Lehrermangels suchen auch die Waldorfschulen verzweifelt Nachwuchs an „Erziehungskünstlern“. Der „Bund der Freien Waldorfschulen“ hat die Website „Waldorflehrer werden – Bildung fürs Leben“ geschaffen, um für einen Beruf zu werben, der, Zitat, „eine echte Bereicherung für Ihr Leben sein kann.“ Auch für Ihres? Von unserem Gastautor Andreas Lichte.

 

Als besonderen Service bieten die Ruhrbarone ihren Lesern einen Schnell-Eignungstest an. Sie müssen nur die folgenden Fragen mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten und schon wissen Sie, ob Sie für den Beruf des Waldorflehrers geeignet sind:

– ist Eurythmie Kunst?

– ist Rudolf Steiner ein bedeutender Naturwissenschaftler?

– ist es Wissenschaft, wenn im Waldorf-Schulgarten Kuhhörner nach dem Mondkalender vergraben werden?

Wer dreimal mit „Ja“ geantwortet hat, sollte unbedingt weiterlesen, um noch mehr über seinen Traumberuf zu erfahren.

„Wie in jeder anderen Schule geht es in Waldorfschulen um die Vermittlung wissenschaftlich gesicherten Wissens …“ schreibt der Bund der Freien Waldorfschulen, vergisst aber darauf hinzuweisen, dass anthroposophische „Geisteswissenschaft“ weit über das übliche universitäre Wissen hinausgeht. Was immer wieder zu Unverständnis führt. So schreibt der SPIEGEL im Artikel „Die Lehre von Atlantis“: „(…) Dass empirische Forschung nichts zählt, steht sogar im »Studienbegleiter« für angehende Waldorflehrer an der anthroposophischen Freien Hochschule Stuttgart. Anfänger müssen am staatlich anerkannten Seminar Steiners Buch »Theosophie« nicht nur lesen, sondern dabei auch eine »geistige Schulung« durchlaufen, bei der »Inhalte nicht kommentiert oder interpretiert« werden. Ziel ist, wortwörtlich, das »allmähliche Hinaufarbeiten zur Ebene eines produktiven Erkennens, das im Gegensatz zu den analytischen Erkenntnismethoden steht«.

In seinem umfangreichen Gesamtwerk fabuliert Steiner von Geistwesen, Äther-, Astral- und physischen »Leibern«, »atlantischen Kulturepochen« eines Erdzeitalters und vor allem von der »Akasha-Chronik«. Aus dieser geheimnisvollen Schrift wollte Steiner seine Erkenntnisse auf hellseherische Weise gewonnen haben. Praktisch, dass dieser sagenumwobene Geistesschatz ihm exklusiv zur Verfügung stand. Nahezu nichts ist im Einklang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen. Das wusste Steiner natürlich und beschied Kritiker mit dem Satz: »Schon der Einwand: ich kann auch irren, ist störender Unglaube.« (…)“

Störenden Unglauben zeigte auch das ZDF, Frontal 21, in seinem Beitrag „Kritik an Waldorf-Lehrern – »Wir haben die meiste Zeit gesungen«“. Dort heisst es: „Ein Beleg solcher Qualifikation [als Waldorflehrer] sind Abschlussarbeiten wie diese der Freien Hochschule Stuttgart. Sie lobt ausdrücklich eine Arbeit mit dem Titel: »Verstehen von Pflanzen durch lebendige Begriffe«. Es geht um Primelgewächse, angebliche Erdkräfte und Pflanzencharaktere. Erfüllen solche Diplomschriften wissenschaftliche Maßstäbe? Josef Kraus, Präsident Deutscher Lehrerverband, antwortet: »Die erfüllen nicht mal den Anspruch, der gestellt wird an die Facharbeit eines Zwölft- und Dreizehntklässlers. Ich würde eine solche Arbeit am Gymnasium als Zulassungsarbeit, als Facharbeit zum Abitur nicht annehmen.«“

Der Deutsche Lehrerverband kennt noch mehr Diplomarbeiten, die die staatlich anerkannte „Freie Hochschule Stuttgart“ selber lobte , nachzulesen hier: Schule und Lehrerbildung im Zeichen von Atlantis und Saturn. Um den zukünftigen Waldorflehrern zu zeigen, dass wirklich alles möglich ist, hier noch ein weiteres Beispiel:

„Vom Mai 2006 stammt die Arbeit »Alternative Betrachtungen zum Krankheitsbild AD(H)S«, also zur Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung. Eine der zentralen Aussagen lautet: »Es geht hier vor allem um kosmische und irdische Einflüsse.« Anschließend folgen seitenlang Betrachtungen etwa über den Kalender der Maya, das Wassermann-Zeitalter, die Metamorphose vom Geistigen ins Physische und die in Revolutionsjahren (etwa 1789, 1848 und 1917) ausgeprägten Sonnenfleckenmaxima.“

„Sie gestalten Ihre Schule selbst – unabhängig von wechselnden Erlassen und Verordnungen, in voller Selbstverwaltung, gemeinsam mit gleich gesinnten Kollegen“ schreibt der Bund der Freien Waldorfschulen, und betont die Unabhängigkeit der Waldorfschulen von staatlichen Vorgaben. Eine staatliche Schulaufsicht gibt es – de facto – nicht. So berichtet der WDR in seinem Artikel „Wie werden die »Ersatz-Schulen« kontrolliert? – Hinter privaten Schultüren“ über ein Gewaltopfer an der Waldorfschule Schloss Hamborn, Zitat:

„Als er sich daraufhin an die Bezirksregierung Detmold wandte, habe man ihm dort erklärt, dass die Behörde für private Schulen, wie Waldorf- oder auch kirchliche Schulen, nicht zuständig sei. Auch auf eine Petition beim Landtag NRW hin bekam der ehemalige Schüler dieselbe Auskunft. Das »Verhalten der Lehrkraft«, heißt es in einem Antwortschreiben, das WDR.de vorliegt, »konnte keine schulaufsichtliche Maßnahme auslösen«, da die Lehrkraft nicht Bedienstete des Landes Nordrhein-Westfalen war, sondern in einem privatrechtlichen Vertragsverhältnis zum Schulträger stand«.“

„In der Waldorfschule muss die Freiheit wohl grenzenlos sein …“ Aber welche Aufgaben hat denn nun ein Waldorflehrer?

„Als zukünftige Lehrerin“, belehrte mich Herr Klein, „haben Sie die Aufgabe, den Himmel in den Klassenraum zu bringen. Alles andere ist zweitrangig. Auch die Wissensvermittlung“ berichtet Nicole Glocke in ihrem Erfahrungsbericht „Inkarnieren zum Klavier“ aus dem „Seminar für Waldorfpädagogik Berlin“.

„Himmel in den Klassenraum bringen“? Na, das sollte doch für einen „Erziehungskünstler“ kein Problem sein. Und auch nicht für Sie, Sie haben ja schliesslich schon den Ruhrbarone-Eignungstest bestanden.

Info: Die Waldorfschule, Rudolf Steiner, und die Anthroposophie

Die erste Waldorfschule wurde 1919 in Stuttgart vom Anthroposophen Emil Molt, Besitzer der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik, als Betriebsschule gegründet. Molt beauftragte Rudolf Steiner mit der pädagogische Leitung der neuen „Waldorf“-Schule.

Rudolf Steiner (1861–1925) promovierte 1891 mit der schlechtmöglichsten Note „rite“ in Philosophie; die 1894 versuchte Habilitation scheiterte. Um 1900 kam er in Kontakt mit Helena Petrovna Blavatskys esoterischer „Theosophie“. Von 1902 bis 1912 leitete Steiner die deutsche Sektion der „Theosophischen Gesellschaft“, die er 1912/13 abspaltete und unter dem Namen   „Anthroposophie“ neu gründete.

Steiner ist nach eigener Aussage Hellseher. Er behauptet, in der „Akasha-Chronik“, einem allumfassenden „Geistigen Weltengedächtnis“ im „Äther“lesen zu können. Steiner erklärt: „Erweitert der Mensch auf diese Art [d.h. durch Steiners Anthroposophie] sein Erkenntnisvermögen, dann ist er (…) nicht mehr auf die äußeren Zeugnisse angewiesen. Dann vermag er zu  schauen, was an den Ereignissen nicht sinnlich wahrnehmbar ist (…).“Die Anthroposophie schöpft damit aus esoterischen, okkulten Quellen, die für Nicht-Anthroposophen reine Fiktion sind.

Die Waldorfschule war für Steiner von Beginn an ein wirksames Instrument zur Verbreitung seiner esoterischen Heilslehre „Anthroposophie“. Und die „Anthroposophie“ ist bis heute verbindliche Grundlage des Unterrichts jeder Waldorfschule, Rudolf Steiner deren unangefochtene Autorität. Wie weit die Verehrung geht, mag man am Umfang der Rudolf-Steiner-Gesamtausgabe ermessen: Sie hat zurzeit 354 Bände.

Zum Autor: Andreas Lichte ist ausgebildeter Waldorflehrer und Grafiker, lebt in Berlin. Er ist Autor kritischer Artikel zur Waldorfpädagogik und Anthroposophie. Er erstellte für die „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien“ (BPjM) ein Gutachten zur Indizierung zweier Werke Rudolf Steiners, die fortan nur noch in kommentierter Form erscheinen dürfen.

Andreas Lichte bei den Ruhrbaronen:

„Waldorfschule: Vorsicht Steiner“

Interview mit Andreas Lichte

„Kampf bis zur Erleuchtung – Lorenzo Ravagli und der Glaubenskrieg der Anthroposophie gegen Helmut Zander“

„Die Waldorfschulen informieren“

 

„Drei Gründe für die Waldorfschule“

Waldorfschule: „Detlef Hardorp, der Berlin-Brandenburgische Bullterrier der anthroposophischen Öffentlichkeitsarbeit“

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Mieser Mister Blister – Verdammt die Blisterpackung!

Von unserem Gastautor Jo Frank

Blister-Verpackung: macht wahnsinnig
Blister-Verpackung: Macht wahnsinnig

Wenn ich was hasse, sind das diese blöden „Blister-Display-Verpackungen“ – die aus dickem, verschweißten Kunststoff.

Sie sind eigentlich dafür gedacht, im Ladengeschäft kleine Artikel in der Selbstbedienung möglichst groß zu machen, dafür gemacht, daß sie nicht geklaut werden können.

Beispielsweise Nägelschneider, Speicherkarten, Adapterstecker. Und schön sehen soll man halt, was drin ist. Umweltfreundlich? Scheiß drauf. Dickes Plastik – statt dünner Pappe.

Leider gibt es auch im Versandhandel, etwa von Ebay-Händlern, kaum noch was anderes.

Gleichwohl ist es kaum möglich, diese Mistdinger unfallfrei zu öffnen.

Öffnungsalternative Teppichmesser. Mit Teppichmessern ist erstmal Dein Tischtuch zerschnitten und sodann sind Deine Finger abgesäbelt. Was keiner weiß: Darin hat der Witz Fünf Bier für die Männer vom Sägewerk seinen Ursprung.

Öffnungsalternative Schere. Mit Scheren führt der komplizierte Öffnungsvorgang mindestens zu Blutergüssen an den Fingern. Und Du trittst Dir auch noch auf den Fuß vor Zorn.

Blister machen Scheren kaputt
Blister machen auch Scheren kaputt

Und dann ist auch noch die Schere kaputt. Nach dem Öffnen. Verdammt.

Und die Finger sind spätestens zerschnitten und blutig, nachdem kniffeligen Versuch, das Zeugs aus der aufgeschnittenen Blisterverpackung rauszupuhlen.

Ganz kraß war neulich die Eye-Fi-Karte:

„Die erste Wireless-Speicherkarte auf dem Markt. Sie passt in jede Kamera, sieht aus wie jede andere SDHC-Karte und speichert Daten auf dieselbe Weise. Der Clou der Eye-Fi-Karte ist ihre Wi-Fi-Funktion, mit der Sie Fotos und Videos kabellos direkt ins Netzwerk und Internet übertragen können.“

Sie hatten extra eine zweite Fake-Karte in den
Blister gelegt, damit Ladendiebe auf diese reinfallen – und die aus der Verpackung holen.

Ehrliche Käufer allerdings auch – die echte Karte ist gut versteckt.

Warum beläßt man es denn bitte bitte nicht für den Versand bei einer Pappschachtel mit Aufdruck?

Die kann man wenigstens unfallfrei öffnen. Möglicherweise.

Aber die Hersteller bieten auch für Versand nur noch Blisterverpackungen an und
bezeichnen das Mistzeug auch noch als „kundenfreundlich“.

Waldorfschule: Physik vom Hellseher

Schlauer als Steiner: Schrödinger

Wie sorgt man in der Waldorfwelt für Ruhe? Mit „Mundzukleben“? Richtig laut wird es, wenn Detlef Hardorp Waldorfeltern die nobelpreisverdächtigen Leistungen seines Gurus Rudolf Steiner erklärt. Der soll schlauer gewesen sein als viele Physiker.  Von unserem Gastautor Tobias Maier.

Rudolf Steiner soll schon sechs Jahre vor Erwin Schrödinger (Nobelpreis für Physik 1933) die nach ihm benannte Gleichung erfunden haben. Dr. Detlef Hardorp, bildungspolitischer Sprecher der Waldorfschulen in Berlin-Brandenburg und Anthroposoph zur Rolle Rudolf Steiners als Wissenschaftler:

„Bemerkenswert ist u.a., daß er (Steiner) in einem dieser Vorträge schon im Jahre 1920 eine Differentialgleichung für Lichtwirkungen entwickelte, die erst drei Jahre später von Erwin Schrödinger »neu« entdeckt wurde. Sie spielte als Grundlage der Quantenphysik in der modernen Naturwissenschaft eine nicht unbedeutende Rolle.“

Hardorps Äußerungen stammen ursprünglich aus der Publikation „Rudolf Steiner and Schrödinger’s equation“ von Detlef Hardorp and Ulrich Pinkall, in „Mathematisch-Physikalische Korrespondenz“, Nr. 201, Johanni 2000. Im Original liest sich das so:

„Thus the third differential equation that Steiner writes down on the 12th of March in the year 1920 is not only »formally equivalent« to Schrödinger’s equation. Apart from the fact that the value of the constant is not specified as a number related to Planck’s constant, it is Schrödinger’s equation.“

Der promovierte Physiker Andreas Krämer hat sich die Steiner-Publikation und deren Interpretation von Hardorp und Pinkall genauer angesehen. Das Fazit seiner Analyse:

„Für den Physiker ist eine mathematische Formel ohne eine klare Beschreibung der enthaltenen Grössen keine Theorie. Nach meinem Verständnis der Grössen in der Steinerschen Formel (Kontext Wärmeleitung/Energieumsatz) wird daraus sogar eine falsche Theorie.“

Beide, Pinkall und Hardorp haben zur Analyse von Andreas Krämer Stellung bezogen.

Prof. Ulrich Pinkall, TU Berlin, rudert zurück:

„Ich selbst habe auch ein etwas ungutes Gefühl dabei, das ganze Thema als Munition in Debatten um die Wissenschaftlichkeit der Waldorf-Pädagogik zu verwenden.“

Dr. Detlef Hardorp schreibt in seiner Steiner-Verblendung:

„[…] Das aber just Steiner eine Gleichung intuitiv an die Tafel schreibt, die einige Jahre später in der Physik zu den bedeutsamsten Gleichungen überhaupt werden wird, erscheint mir symptomatisch für Steiner zu sein. Denn das hat er doch in vielen Bereichen gemacht: von außen betrachtet stochert er unprofessionell in allen möglichen Gebieten herum, und trifft mit unverschämter Sicherheit immer wieder Goldadern, auch wenn er nicht den wissenschaftlichen Apparat bieten kann, mit dem das dann meist später von anderen wesentlich vollständiger gemacht wird.“

Andreas Lichte, intimer Kenner und Kritiker der Anthro-Szene kommt zu folgendem Fazit:

„Wer Steiner richtig zu lesen weiss, findet dort ALLES, Antworten auf alle Fragen, auch die allerletzten. Verhält sich ähnlich wie Nostradamus: man muss nur richtig lesen können …“

Aber das Verdrehen historischer Fakten ist ja eine bekannte und beliebte Strategie der Pseudowissenschaftler, um ihren realitätsfernen Ansichten ein vermeintlich wissenschaftliches Fundament zu verschaffen.

Zum Autor: Der Artikel ist eine überarbeitete Fassung von „Rudolf Steiner und die Schrödingergleichung“, erschienen auf dem blog „WeiterGen“ von Tobias Maier.

Info: Die Waldorfschule, Rudolf Steiner, und die Anthroposophie

Die erste Waldorfschule wurde 1919 in Stuttgart vom Anthroposophen Emil Molt, Besitzer der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik, als Betriebsschule gegründet. Molt beauftragte Rudolf Steiner mit der pädagogische Leitung der neuen „Waldorf“-Schule.

Rudolf Steiner (1861–1925) promovierte 1891 mit der schlechtmöglichsten Note „rite“ in Philosophie; die 1894 versuchte Habilitation scheiterte. Um 1900 kam er in Kontakt mit Helena Petrovna Blavatskys esoterischer „Theosophie“. Von 1902 bis 1912 leitete Steiner die deutsche Sektion der „Theosophischen Gesellschaft“, die er 1912/13 abspaltete und unter dem Namen   „Anthroposophie“ neu gründete.

Steiner ist nach eigener Aussage Hellseher. Er behauptet, in der „Akasha-Chronik“, einem allumfassenden „Geistigen Weltengedächtnis“ im „Äther“ lesen zu können. Steiner erklärt: „Erweitert der Mensch auf diese Art [d.h. durch Steiners Anthroposophie] sein Erkenntnisvermögen, dann ist er (…) nicht mehr auf die äußeren Zeugnisse angewiesen. Dann vermag er zu  S C H A U E N , was an den Ereignissen nicht sinnlich wahrnehmbar ist (…).“ Die Anthroposophie schöpft damit aus esoterischen, okkulten Quellen, die für Nicht-Anthroposophen reine Fiktion sind.

Die Waldorfschule war für Steiner von Beginn an ein wirksames Instrument zur Verbreitung seiner esoterischen Heilslehre „Anthroposophie“. Und die „Anthroposophie“ ist bis heute verbindliche Grundlage des Unterrichts jeder Waldorfschule, Rudolf Steiner deren unangefochtene Autorität. Wie weit die Verehrung geht, mag man am Umfang der Rudolf-Steiner-Gesamtausgabe ermessen: Sie hat zurzeit 354 Bände.