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‚Der Stärkungspakt geht in zwei Jahren hoch wie eine Bombe!‘ – Ein Interview mit dem Politikwissenschaftler Lars Holtkamp

Lars-Holtkamp, Grüne-Waltrop Foto: Robin Patzwaldt
Lars-Holtkamp, Grüne-Waltrop Foto: Robin Patzwaldt

Prof. Dr. Lars Holtkamp ist promovierter Politikwissenschaftler an der Fernuniversität in Hagen. Ich kenne ihn persönlich noch aus meiner Zeit bei den Waltroper Bündnisgrünen, wo er den Fraktionsvorsitz im Rat innehat.

Anfang des Jahres hatte er hier bei den Ruhrbaronen u.a. einen vielbeachteten Gastbeitrag, in dem er von den Landesgrünen die Einhaltung Ihrer Wahlversprechen zu den Themen ’Datteln 4‘, NewPark einforderte: https://www.ruhrbarone.de/wer-haftet-eigentlich-fuer-gruene-wahlversprechen/

Lars Holtkamp ist zudem ein ausgewiesener Haushaltsexperte und hat bereits mehrere Bücher über Kommunalfinanzen verfasst.

Nachdem ich nun seit meinem Parteiaustritt im April nicht mehr persönlich mit ihm über diese Themen gesprochen hatte, besuchte ich ihn kürzlich einmal wieder zu einem kurzen Gespräch und habe ihn zu seinen aktuellen Einschätzungen der derzeitigen Situation bei den alten Streitpunkten der Region befragt:

 

DATTELN 4

 

Patzwaldt: Ich hatte den Eindruck, dass es in letzter Zeit sehr ruhig um das Thema ‚Datteln 4‘ geworden ist. Tut sich da derzeit politisch noch irgendetwas? Was erwartest Du in Sachen Datteln 4 in nächster Zeit?

Holtkamp: Die Möglichkeiten auf der politischen Ebene sind sicherlich generell begrenzt. Ich gehe derzeit mal davon aus, dass auf RVR-Ebene hinter den Kulissen mit Nachdruck an der Sache gearbeitet wird. Das bekommt man in der Öffentlichkeit nicht so mit. Allerdings erwarte ich mir da auf regionaler Ebene keine große Unterstützung im Kampf gegen ‚Datteln 4‘. Da läuft derzeit vieles darauf hinaus, das die Politik Datteln 4 eher ermöglichen wird, was den politischen Bereich betrifft.

Patzwaldt: Die Altkraftwerke Datteln 1-3 dürfen ja jetzt doch noch länger laufen. Derzeit ist von einer Befristung bis Anfang 2014 die Rede. Hat dich die Entwicklung überrascht?

Holtkamp: Nein, eigentlich nicht. Man musste davon ausgehen, das E.On alles versuchen wird um den dort produzierten Bahnstrom möglichst ohne Übergangszeit durch einen anderen Anbieter, die Steag zum Beispiel, dort produzieren zu können. Da geht man sicherlich an die Grenzen des Machbaren, möchte die Investitionskosten zudem gering halten. Mit den Entwicklungen der letzten Monate war daher zu rechnen.

 

NEWPARK

Patzwaldt: In den letzten Wochen konnte man zum NewPark ja sehr unterschiedliche Dinge lesen. Einerseits wurde in der Recklinghäuser Zeitung vom Ende des NewParks berichtet, andererseits lass man dann ein paar Tage später wieder davon, dass eine Entscheidung erst im nächsten Sommer fallen soll. Besteht da Deiner Meinung nach die Gefahr, dass dort das ‚Zeitspiel‘, das Bestreben sich um eine endgültige Entscheidung herumzudrücken, ähnlich wie bei Datteln 4 verlaufen könnte?

Holtkamp: Eigentlich waren die Aussagen einiger Beteiligter in Düsseldorf zuletzt so eindeutig, haben sich die auch im Kabinett mittlerweile vorhandenen kritischen Stimmen, sich so klar und deutlich öffentlich positioniert, das ich mir nur sehr schwer vorstellen kann, dass der NewPark nun doch noch realisiert werden wird. Zumindest für die derzeitige Landesregierung dürfte der Fall, wenn man die klaren Worte des Wirtschaftsministers ernst nehmen kann, eigentlich gegessen sein. Wenn man sich die Aussagen und die Berichterstattung in der Presse der letzten Wochen mal etwas genauer ansieht, dann sieht man übrigens auch sehr schön, dass es zwischen den einzelnen Streitpunkten hier in der Region durchaus sehr deutliche Zusammenhänge gibt. Nach dem Trianel-Urteil zuletzt, wo man die Gesamtbelastung der Region in die Bewertung mit einbeziehen musste, sieht man nun eben auch sehr schön den Zusammenhang zum geplanten NewPark, der mit seinen Umweltbelastungen nun eben auch ganz deutlich in einen direkten Zusammenhang mit Datteln 4 und dem Trianel-Kraftwerksbau in Lünen gesetzt werden muss.

Patzwaldt: Also siehst Du eigentlich keine Chance mehr zu Realisierung des NewParks in Datteln?

Holtkamp: Nein, wohl nicht. Ehrlich gesagt finde ich es schon den Hammer, dass eine Region das Projekt nun seit 20 Jahren geplant hat, während dessen immer wieder Hinweise von der Landesregierung bekommen hat das man das so rechtlich nicht machen kann, es wird sich auch wirtschaftlich nicht rechnen, und trotzdem wurde immer weiter daran festgehalten. Nachgedacht wurde über das Projekt irgendwie dann nicht weiter. Man hat alle weiteren Gedanken zum Strukturwandel in der Region vermieden, indem man immer wieder auf das geplante Projekt ‚NewPark‘ dazu verweisen konnte.

Patzwaldt: Ist es nicht auch bezeichnend, dass nach all den Jahren der Planung offensichtlich noch immer keine einzige Firma konkret benannt werden konnte, die wirklich verbindlich bereit wäre sich im zukünftigen NewPark anzusiedeln?

Holtkamp: Ja, klar. Und zumal ja jetzt durch Opel in Bochum auch wieder massiv Flächen frei werden die man prima nutzen könnte. Diese sind, wenn sie sicherlich auch leider teilweise erst einmal saniert werden müssen, und man wird sehen wer dafür wieder bezahlen wird, hervorragend verkehrstechnisch angeschlossen und gut gelegen. Da macht dann ein NewPark dann natürlich endgültig gar keinen Sinn mehr.

 

STÄRKUNGSPAKT

 

Patzwaldt: Beruflich beschäftigst Du dich ja als Politikwissenschaftler seit längerem auch sehr mit dem Stärkungspakt und seinen Auswirkungen in den einzelnen Regionen. Unsere gemeinsame Heimat ist da ja auch sehr von betroffen. Hast Du dazu mal ein paar Einschätzungen für unsere Leser?

Holtkamp: Das ist schwer allgemein zu fassen. Die Auswirkungen sind lokal sehr unterschiedlich. Nicht alle Regionen leiden so sehr wie der Kreis Recklinghausen, wo die Gebühren- und  Steuererhöhungen für die Bürger, die durch die strenge Beaufsichtigung nun erforderlich wurden, so extrem sind. Hier im Kreis kann man schon fast von einer Art Kartellabsprache bei den Steuererhöhungen durch die Bürgermeister sprechen. Aus unterschiedlichen Gründen tat man sich hier in der Region offenbar sehr leicht damit. Dass das aber natürlich negative Auswirkungen für den Standort haben wird ist offensichtlich. Wenn wir uns jetzt einmal konkret auf unseren Wohnort Waltrop beziehen, dann mag es aber so sein, dass Waltrop dadurch keine so starken und direkten Nachteile haben wird, da Waltrop für Leute die hier im Ruhrgebiet arbeiten als Wohnort noch immer relativ attraktiv ist. Was die Steuererhöhungen betrifft, da hat man nun einfach mal die Grundsteuer so extrem erhöht, weil man doch recht sicher ist, das die Leute jetzt deshalb trotzdem nicht direkt hier wegziehen. Das ist relativ einfach. Dass das Wohnen hier jetzt dadurch bis zu 1000 Euro im Jahr teurer wird, das belastet auf der anderen Seite ja auch wieder die Stadtkasse, wenn die Arge vermehrt Wohngeld und ähnliches zahlen muss. Andererseits wird es für manch einen Bürger aber so auch deutlich schwieriger auf lange Sicht hier am Ort weiter ansässig zu bleiben.

Patzwaldt: Was mich als Laien in diesem Zusammenhang da jetzt immer wieder wundert ist, das es Städten wie Oer-Erkenschwick, Datteln und Waltrop so schlecht geht, während das nur 10 km entfernt gelegene Städtchen Olfen sogar einen Überschuss erwirtschaftet hat, den man nun frei investieren kann. Wie kommt es zu so großen Unterschieden innerhalb weniger Kilometer?

Holtkamp: Das Hauptproblem dabei ist, welchem Kreis man angehört. Wir gehören halt einem Kreis an wo viele Städte eine echt problematische Struktur haben. Gladbeck, Dorsten, Castrop-Rauxel, mit den ganzen Großsiedlungen, der schwierigen Sozialstruktur. Das wird schlussendlich halt auf alle Städte des Kreises umgelegt. Somit profitiert zum Beispiel die Stadt Waltrop quasi gar nicht davon, dass sie in den letzten Jahren stark Einwohner aus den anderen Regionen des Ruhrgebiets hierhin gelockt hat.

Patzwaldt: Gab es nicht auch lokale Fehler die zum Niedergang beigetragen haben?

Holtkamp: Sicher. Wenn Du Städte wie Waltrop oder auch Marl nimmst, die damals eine so große Infrastruktur aufgebaut haben, ihre Städte schön neu angelegt haben, da wurde allzu häufig das Problem, das man diese Infrastruktur eben auch unterhalten musst, vernachlässigt. Häufig wurde das Ganze dann damals auch nicht so genau abgerechnet um vielleicht Leute hierherzulocken. Jetzt kann man sich solche Geschenke eben nicht mehr erlauben. Das waren schon interne Fehler damals. Früher ist auch viel Geld bei den Landwirten verschwunden. Das hat sich mit der Gründung der Stadtentwicklungsgesellschaft hier am Ort dann erst geändert, so dass nun auch die Stadt bei den Neubaugebieten mitverdienen kann. Leider hat man darauf viele Jahre lang nicht geachtet.

Patzwaldt: Und kommt man aus der misslichen Finanzlage in Zukunft noch einmal raus?

Holtkamp: Da kann man nicht von ausgehen, denn auch der Stärkungspakt hat ja nicht den Anspruch das Kassenkredite wieder abgebaut werden. Es geht nur darum den Zuwachs zu reduzieren.

Patzwaldt: Ist der Name ‚Sanierungsplan‘, den z.B. die hiesige Stadtverwaltung gewählt hat daher nicht ein Witz?

Holtkamp: Natürlich! Und das wird so von der Landesregierung ja auch unterstützt. Man weiß im Prinzip aber doch schon, dass es eh nicht klappen wird. Man möchte aber natürlich auch nicht das es überall heißt ‚das war aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein‘. Das will die Landesregierung natürlich nicht. Das Ganze wird als ‚Die Problemlösung‘ inszeniert. Und das Land tut alles dafür, dass das auch so darstellbar ist. Wenn man z.B. die Orientierungsdaten des Landes zur Hand nimmt, dann sagen  eigentlich alle, dass es so nicht kommen wird. Das ist viel zu optimistisch angelegt. Und durch diesen Stärkungspakt hat nun die aktuelle Landesregierung natürlich auch ein Interesse daran die Kommunen auch gesund zu rechnen. Das ganze wird dann in zwei Jahren wie eine Bombe platzen, das ist jetzt schon klar. Und dann wird plötzlich in der Zeitung stehen ‚plötzlich sind alle Kommunen wieder überschuldet‘. Jetzt liest der Leser aber gerade noch immer wieder ‚es ist alles super‘. So war das übrigens auch schon hier in Waltrop als wir vor ein paar Jahren schon einmal den beratenden Sparkommissar hier hatten. Damals hat man uns gesagt wir sind saniert worden. Und nur ein Jahr später war es wieder ganz anders. Jetzt läuft das wieder genauso. Im Moment werden wir wieder saniert, und in spätestens zwei Jahren bricht die ganze Geschichte wieder zusammen. Dann wird klar werden, dass die geplanten Zeiträume nicht zu halten sein werden. Dann wird es darum gehen nicht die erste Kommune zu sein, die einräumen muss diesen Zeitrahmen zu reißen. Großstädte tun sich bei der Planung übrigens wesentlich leichter, da sich die Sparvolumen in den Haushalten leichter darstellen lassen. Bei kleinen Städten und Gemeinden fällt die Darstellung deutlich schwerer, weshalb ja einige davon auch jetzt bereits Schwierigkeiten haben einen solchen Plan überhaupt auch nur aufzustellen. Diese haben doch deutlich weniger Manövriermasse um so etwas auch nur auf Papier darzustellen. In Hagen hat man es zum Beispiel geschafft alleine im Punkt ‚Interkommunale Zusammenarbeit‘ viele Millionen Euro einzusparen, zumindest laut Plan. Mehr steht da aber nicht drin. Da kann man sich schieflachen. Das ist alles Symbolik. Aber hier am Ort hat es ja mit der drastischen Erhöhung der Grundsteuern so deutlich eingeschlagen, wie man sich das bisher überhaupt noch nicht einmal hätte vorstellen können.

Patzwaldt: Danke Lars! War nett mal wieder mit Dir über diese Dinge zu sprechen. Einen guten Rutsch und viel Glück und Erfolg in 2013!

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Walter Stach
Walter Stach
11 Jahre zuvor

G u t , daß es die Ruhrbarone gibt, denn ansonsten gibt es weder vor Ort hier in Waltrop noch in der Region eine Chance, ‚mal kompakt zu drei Industrieprojekten in Waltrop und Umgebung und zum sog.Stärkungspunkt die Meinung von Prof.Holtkamp zu erfahren.

S c h l e c h t, daß wir Waltroper -Lars,Robin- zur Zeit nur über die Ruhrbarone kommunizieren. Persönliche Begegnungen und pers. Gespräche in Waltrop über „die große und kleine Politik“ ? „Stammtisch“ oder Ähnliches? Denkt ‚mal darüber nach.

K o m p l i m e n t, Robin, für die Idee zu einem solchen Gespräch und erfreulich, Lars, daß Du zu einem solchen Gespräch bereit und mit der Wiedergabe wesentlicher Inhalt hier im Blog einverstanden warst.

Inhaltlich teile ich im wesentlichen die Meinung von Lars.

D a n k e an Euch Beide

und……..einen schönen Silvestertag,Silvesterabend,eine fröhliche Silvesternacht, einen Neujahrsmorgen, ohne „schwerwiegenden“ Nachwirkungen und für 2o13? Mögen sich zumindest einige Eurer Wünschen 2o13 erfüllen -das wünsche ich im übrigen allen, die diese Zeilen lesen-.

Manfred Michael Schwirske
Manfred Michael Schwirske
11 Jahre zuvor

Zustimmung. Was aber den so genannten Stärkungspakt angeht, so fürchte ich, dass er eben nicht als Bombe platzen, sondern wie ein nasser Ballon zerknallen wird. Schlapp und geräuschlos. War wieder mal nix.

Das Schlimme ist ja, dass – im Schatten der kommunalen Strangulierungspolitik – die Demontage an Demokratie, Recht und Sozialem so fürchterlich langsam und leise vonstatten geht.

Anders als dort, wo die ESM-Austeritätsdiktate gegenwärtig Flächenbrände auslösen und die ökonomischen, staatlichen und privaten Fundamente ins Wanken bringen. Mit der Perspektive auf Rebellion und Revolution.

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[…] Dies Alles bestätigt dann auch bereits die Einschätzungen des Politikwissenschaftlers Prof. Dr. Lars Holtkamp (Fernuni Hagen), mit dem ich mich Ende 2012 zuletzt schon einmal für die Ruhrbarone u.a. über das Thema unterhalten hatte:  https://www.ruhrbarone.de/der-staerkungspakt-geht-in-zwei-jahren-hoch-wie-eine-bombe-ein-interview-mi… […]

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[…] und Britta Hofmann, aber auch mehr oder oder weniger glücklich agierende Lokalpolitiker, Politikwissenschaftler, Filmemacher und […]

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[…] da stand unser damaliger Ortsverbandschef bei den Grünen häufig im Kreuzfeuer der Kritik. Sowohl lokal, als auch auf Landesebene. Als ich ihn einmal darauf ansprach, wie er das aushalten könne, da […]

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