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Die Kernkraft-Achterbahn

Hoch die Hände, Kernkraftende – oder auch nicht. Foto: Autoreninformationen Lizenz: CC BY-SA 2.5


Schon in den 70er Jahren bahnte sich der Ausstieg Deutschlands aus der Kernenergie an. Auch ihr Comeback könnte sich hinziehen.

Am 30. Juni 2011 stieg Deutschland wieder einmal aus der Kernkraft. Hauptgrund war die Angst der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor den Grünen. Am 11. März war es in einem Kernkraftwerk im japanischen Fukushima zu einer Kernschmelze gekommen. Auslöser war ein Tsunami, der 22.000 Menschen tötete. Beim Reaktorunglück selbst hatte es keinen Toten gegeben, aber in Deutschland schlug man der Einfachheit weise noch Jahre später die Toten der Flutkatastrophe dem Reaktorunglück zu.

Merkel reagierte schnell: Noch vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg am 27. März verkündete sie ein „Kernkraft-Moratorium“. Die kurz zuvor von der schwarz-gelben Bundesregierung verkündete Laufzeitverlängerung, die Rücknahme des ersten, von Rot-Grün 2002 beschlossenen Ausstiegs, wurde für drei Monate ausgesetzt und die Abschaltung der sieben ältesten deutschen Reaktoren beschlossen. Das erneute Aus für die Kernkraft kam dann mit den Stimmen von CDU und FDP drei Monate später.

Doch der Ausstieg aus der Kernkraft, der am Ende von CDU, SPD, Grünen und FDP getragen wurde, hatte eine lange Vorgeschichte. Im Bundestag wurde in verschiedenen Konstellationen 2002 und 2012 nur beschlossen, was eigentlich schon lange Realität war.

Seit 1958 waren in Deutschland 37 Kernkraftwerke in Betrieb gegangen, 32 davon in der Bundesrepublik, fünf in der DDR.

Gingen in den 60er Jahren zumeist kleinere Anlagen ans Netz, nahm der Bau großer Reaktoren ab den 70er Jahren an Fahrt auf. Vor allem nach der Ölkrise 1975 wurde die Kernkraft ausgebaut. Nach dem Ende der sozialliberalen Koalition wurde kein neues Kernkraftwerk mehr in Deutschland geplant. Die erste Phase des Ausstiegs begann mit der Wahl von Bundeskanzler Helmuth Kohl 1982. Die letzten drei Reaktoren, die 1988 an Netz gingen, Emsland, Isar2 und Neckarwestheim hatten ihren Baubeginn 1982. Geplant worden waren sie noch in sozialliberalen Zeiten.

Es waren auch konservative Politiker, die als erste dem Druck der in den 70er Jahren immer stärker gewordenen Anti-AKW-Bewegung nachgaben: 1979 teilte der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) dem Landtag in Hannover mit, dass ein Endlager in Gorleben politisch nicht durchsetzbar sei.

Der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth (CDU) erklärte 1983, das Kernkraftwerk Wyhl würde nicht gebaut. Wyhl war die Anlage, wegen der es in den 70er Jahren die ersten großen und gewalttätigen Demonstrationen gegen Kernkraft gegeben hatte. Das endgültige Aus für den Reaktor verkündete dann 1994 sein Nachfolger Erwin Teufel, auch er ein Christdemokrat. Den Konservativen fiel es offensichtlich nicht sehr schwer, sich von der Kernkraft zu verabschieden. Die war, was ihren Ausbau ab den 70er Jahren betraf, vor allem eine rote Technologie. Kernkraft stand, wie – man mag es heute kaum noch glauben – die SPD, für HighTech, Fortschritt und eine sichere Energieversorgung.

Seit 40 Jahren geht es also nicht mehr um den Bau von Reaktoren, sondern nur noch um Laufzeiten.

Genau die wurden in den vergangenen Wochen verlängert. Drei Reaktoren sollen nun bis Mitte April kommenden Jahres laufen. FDP, CDU und Teile der Wirtschaft wollen sie noch ein paar Jahre länger am Netz halten. Und nein, niemand will den Wiedereinstieg in die „Atomkraft“, wie die Kernkraft seit den 70er Jahren dank erfolgreicher Öffentlichkeitsarbeit ihrer Gegner genannt wird. Aber so wenig wie heute kein Politiker von FDP und CDU wirklich wieder in die Kernkraft einsteigen will, wollten Albrecht, Späth und Kohl offiziell aus ihr aussteigen. Poltische Entwicklungen verlaufen oft sehr langsam. Ob die gerade beschlossene Verlängerung der Laufzeiten der drei letzten Reaktoren in Deutschland die letzte Verlängerung der Laufzeiten der drei letzten Reaktoren in Deutschland sein wird, werden wir im nächsten Jahr sehen. Fachleute gehen davon aus, dass der Winter 2023/24 uns vor größere Probleme stellen wird als der Winter 2022/23. Warten wir mal ab, was die kommenden Monate bringen. Um das Lebenswerk von Jürgen Trittin werden sich die meisten Menschen wohl weniger sorgen als um ihre eigene Energieversorgung. Die Entscheidungsdaten markieren meist nicht mehr als den scheinbaren Endpunkt einer langten Entwicklung und oft ist der vermeintliche Endpunkt auch nicht mehr als ein aufgeblasener Zwischenschritt.

Und trotz aller Bekundungen und Debatten über Laufzeiten ist Deutschland natürlich nicht ganz aus der Kernenergie ausgestiegen. Die Bundesrepublik ist einer der Staaten, die an der Entwicklung des International Thermonuclear Experimental Reactor (ITER) in Frankreich beteiligt sind. Und am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Greifswald arbeiten Wissenschaftler am Wendelstein 7-X, einer Experimentieranlage zur Erforschung der Kernfusionstechnik. Spätestens wenn den Wissenschaftlern ein Durchbruch gelingt, ist die Bundesrepublik also wieder bei der Kernkraft dabei.

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Heribert Wasserberg
Heribert Wasserberg
1 Jahr zuvor

Lustig, jeder hat seine Geschichte über die Entwicklung der Atomkraft in Deutschland. Ich verstehe: Stefan Laurin wurde nicht in Brokdorf oder Gorleben krankenhausreif geschlagen.
Meine Erzählung fängt freilich schon vier Jahrzehnte früher, nämlich schon bei Otto Hahn an, der den Nazis die erste Atomwaffe bauen sollte. Wäre das geschehen, lebten wir heute wohl in einer faschistischen Welt. Die AKW-Befürworter mögen diese historische Reminiszenz gar nicht gerne hören. Ist ihnen jedoch Faschismus egal, bekämpfen sie diese „Nazi-Keule“ dennoch. Hauptsache Strom, Strom, Strom.
Außer Otto Hahn und Franz-Josef Strauß, der Deutschland nuklear bewaffnen wollte, beschweigt Stefan Laurin auch Klaus Traube. Traube war ein Whistleblower, und ist meiner Meinung nach der Gamechanger in der AKW-Geschichte. Seit Traube weiß eigentlich jeder, wie verlogen die AKW-Realität ist. Natürlich nur, wer tatsächlich politische Zwecklügen hasst, nicht nur, wenn diese ihm nicht in den politischen Kram passt. Die Atomkraft hat CDU und SPD die strukturelle Mehrheitsfähigkeit gekostet. Man kauft es ihnen nicht mehr ab, staatstragend zu sein. Das bleibt. Neben dem Atomausstieg natürlich. Der bleibt auch.

Kuk
Kuk
1 Jahr zuvor

@Herbert Wassenberg: Gestern Abend hat ein Vertreter des DIW in der Aktuellen Stunde erklärt, warum eine Verlängerung der Laufzeit der Deutschen Kernkraftwerke über 2023 hinaus nicht möglich und darüber hinaus auch der Neubau von Kernkraftwerken nicht sinnvoll ist. Auch die diversen Publikationen des DIW sind in dieser Hinsicht eindeutig. Das die CSU in Bayern dazu andere Ansichten hat, liegt daran, dass Bayern beim Ausbau erneuerbarer Energien und beim Netzausbau gepennt hat. Herr Laurin träumt seinen alten Traum seit Jahren. Lassen wir ihm seinen Traum von einer strahlenden Zukunft Deutschlands. Er wird die Erfüllung seines Traums ganz sicher nicht erleben und wir zum Glück auch nicht. Und nein, wenn es keine Atomkraftwerke in Deutschland mehr gibt, ist das bestimmt nicht der Grund für eine Deindustrialisierung Deutschlands.

Heribert Wasserberg
Heribert Wasserberg
1 Jahr zuvor

@Stefan Laurin: Verstehe nicht, warum Sie mir Verzweiflung unterstellen. Der Atomausstieg ist beschlossen; Grund genug für mich, zu frohlocken. Meine Musik der Stunde ist das WO: „Jauchzet, frohlocket!“.
Gut, Sie haben in Kalkar demonstriert. Warum dies? Aus politischer Dummheit? Weil Ihre damalige Freundin Sie dort sehen wollte? Oder warum? Würde mich interessieren. Und warum Sie dann zu einem – entschuldigen Sie: meine Meinung – fanatischen, verbohrten AKWisten und Fusionisten geworden sind?
Sie haben verloren, und wie andere Ideologen wünschen Sie dem ampelregierten Deutschland dafür den „Orkus der Geschichte“, dass es nicht tut, was Sie wollen. Sie bringen eine dunkle Andeutung an einen SS-Mann. Erinnert mich an die NDW „Tanz den Mussolini, Tanz den Adorf Hitler“? Beeindruckt bin ich davon nicht, befremdet schon. Wollen Sie mir auch dies erklären?

Wolfram Obermanns
Wolfram Obermanns
1 Jahr zuvor

Wow!
Godwin’s Law sofort im ersten Kommentar erfüllt.

Atom oder Kernenergie
Meines Wissens war nach dem 2.WK „Atom“ positiv konnotiert. Erst später mit der Friedensbewegung wurde mit „duck and cover“ auch das Sicherheitsmantra der Atomindustrie als zynische Volksverdummung wahrgenommen. Um dem Stigma „Atom“ zu entgehen, versuchte man zu Kernenergie umzufirmieren.

Atomenergie hat wie jede Technik ihre spezifischen Risiken.
Ein Kernkraftwerk erst genau auf eine geologische Spalte setzen zu wollen und dann unter der Hand 70m versetzt neu zu platzieren, zeigt, , man ist zu einem den Risiken derTechnik angemessen Umgang nicht befähigt

Eine Atommülldeponie weiter zu betreiben, obwohl die Stollen der Deponie abzusaufen drohen, zeigt, man ist zu einem den Risiken derTechnik angemessen Umgang nicht befähigt.

Wer Kernkraft befürwortet, wird demnach eine Antwort auf die typische Bräsigkeit von Monopolisten, Bürokraten und Investoren mit hohem Vorschusskapital finden müssen. Dann hat man eine Chance worst-case-Szenarien plausibel mit einer derart niedrigen Eintrittswahrscheinlichkeit zu versehen, daß man das Risiko einzugehen bereit sein könnte.

SvG
SvG
1 Jahr zuvor

@ 1: Heribert Wassenberg: Meiner Erinnerung nach waren die Sozis igerade in der Siebzigern, vor allem unter ihrem Säulenheiligen Schmidt, treibende Kraft , Hand in Hand mi CDU/CSU. Und die Atomkraft mit Nazis in Verbindung zu bringen, ist im besten Fall gewollt selektive Wahrnehmung, in schlimmsten perfide. Nazikeule halt.

Heribert Wasserberg
Heribert Wasserberg
1 Jahr zuvor

@Stefan Laurin Schieben Sie bitte nicht die Folgen von Putins Krieg Habeck in die Schuhe. Zumal Sie selber sehr gut wissen, dass es sich hier um ein akutes Krisenmanagement handelt.

„Nationalökologismus“ sagen Sie wieder. Klingt so ähnlich wie Nationalsozialismus, ist das beabsichtigt?

Im Übrigen ist er frei erfunden, denn niemand will den EU-Binnenmarkt abschaffen, in welchem es einen offenen Wettbewerb zwischen den nationalen Energiepolitiken gibt.

„Strom, Strom, Strom“ wollen Sie. Natürlich – und jetzt tönt es wie im katholischen Mädchenpensionat – als Stabilitätsanker der stabilen Demokratie. Strom als Basis der Demokratie. Heißt im Ergebnis, der NSDAP 2.0 den Status einer Regierung im Wartestand zuzubilligen. Echt, ej?

Heribert Wasserberg
Heribert Wasserberg
1 Jahr zuvor

#8 SvG Franz-Josef Strauss rekrutierte Mitte der 50er Jahre alte NS-Wehrmacht- und Industrieleute und fing an, die Atomindustrie aufzubauen. Auch Stefan Laurin demonstrierte in Kalkar vermutlich nicht zuletzt gegen die mächtigen alten braunen Seilschaften, die hinter diesen Projekten an ihren faschistischen Gesellschaftstopfen arbeiteten.
Sie machen es sich zu leicht. „Strom, Strom, Strom“ und „Volk ohne Raum“, das sind zwei Seiten derselben Medaille. Europa darf sich nicht von dem Faschisten Putin erpressen lassen, da sind sich Laurin und ich einige. Aber Europa darf sich auch nicht von den eigenen Faschisten erpressen lassen. Von denjenigen, die für Strom Juden verbrennen, oder Putin die Weltherrschaft übertragen.

Heribert Wasserberg
Heribert Wasserberg
1 Jahr zuvor

@Stefan Laurin Wir sind alle Fans von FJS gewesen. Jeder auf seine eigene Weise. Aber ob er am Lebensende die Greta gab, ist das weiterführend für das Thema oder ist die Bemerkung unsachlich? Ich würde Greta Thunberg jedenfalls fragen, wie sehr sie schwedendemokratisch ist. Und auch Sie Frage ich, was.Sie eigentlich von der AfD und von Putin energiepolitisch trennt. Will damit sagen: Man kann nicht beides haben: Demokratie und Hitlers „Wir brauchen Energie“.

Heribert Wasserberg
Heribert Wasserberg
1 Jahr zuvor

@ Stefan Laurin Ich nehme „die meisten Menschen“ anders wahr als Sie. Die hören gut zu, wenn die AfD und der Rassemblement National fordern, Putin in den Arsch zu kriechen, wegen Gazprom und Rosatom. Die Leute sind überwiegend nicht blöd. Die verstehen schon, dass man wegen Strom nicht Nazi werden darf, und tragen die Energiewende entgegen dem Gemäkel von rückwärtsgewandten Leuten wie Sie und gegen die Nationalsozialisten mit. Sie akzeptieren nämlich, dass es mit den fossilen Energieträgern aus ökologischen Gründen nicht mehr weitergeht. Und die Leute wollen auch weiterhin keine Atomkraft. Das bildet ja auch der deutsche Parteienkonsens (mit Ausnahme der AfD natürlich) ab. Warum? Natürlich, weil Deutschland nach wie vor das Hauptziel der russischen Atomwaffen ist und beides miteinanander zusammenhängt: Faschismus und Nukleartechnik. Wer dies trotz Putins psychologischem Nuklearkrieg immer noch nicht begriffen hat, tut mir leid: Atomkraft ist antidemokratisch.
Energie muss nicht preiswert sein, sondern muss ihren Preis wert sein. Es gibt nichts umsonst, „preiswerte“ Energie hatte bisher die Umweltzerstörung als ihren Preis, deren Folgen nur noch von Leuten wie Sie ignoriert werden. Die bisherige Energieverschwendung muss aufhören. (Beispiel: 20 Bäckereiprodukte statt bisher 37 tun es auch.) Energieproduktion muss „nichtstofflich“, dezentral und zellulär werden, nicht nur aus technischen, sondern auch aus demokratischen Gründen. HerrLaurin, kommen Sie mal gelegentlich in der Gegenwart an, und hören Sie auf, so zu tun, als repräsentierten Sie die schweigende Mehrheit, und würden in zwei Jahren die reale Mehrheit repräsentieren.

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