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Sonnenuntergang in Gelsenkirchen

Geschlossene Solarzellenfabrik in Gelsenkirchen
Geschlossene Solarzellenfabrik in Gelsenkirchen

Gelsenkirchen wollte sich als Solarstadt neu erfinden. Die großen Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Nun verschwindet endgültig auch der Name Solarstadt.

Die blauen Solarzellen an der Fassade schimmern in der Frühlingssonne, doch den Parkplatz erobern langsam die Disteln und Brennnesseln. Ein Arbeiter von der benachbarten Glasfabrik kommt ab und an aufs Gelände um den Strom abzulesen. „Schade, dass das nichts wurde. Ich denk mal, dass das eigentlich unsere Zukunft ist.“ Doch die Zukunft ist hier schon lange Vergangenheit. Die Solarzellenfabrik in Gelsenkirchen Rotthausen ist seit fast zehn  Jahren geschlossen.

Als sie 1999 eröffnet wurde, ging die Nachricht um die Welt: Gelsenkirchen, die einstige Stadt der Tausend Feuer wird zur Solarstadt. Die internationale Presse schrieb vom „Solar Valley“. Der damalige Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens, Wolfgang Clement, sagte der WAZ, für ihn sei mit der Solarzellenfabrik ein Traum wahrgeworden und er verkündete seine Pläne für die Zukunft: „Wir wollen aus dem Emscher-Lippe Raum das Zentrum für Solarenergie machen.“

Gelsenkirchen tat alles, damit der Traum Wirklichkeit wird: Im Wissenschaftspark am Rand der Innenstadt wurden Institute angesiedelt, die im Bereich Solartechnik forschten, auch die Fachhochschule zog mit einem eigenen Institut mit. Im Stadtteil Bismarck entstand eine Solarsiedlung mit 71 Reihenhäusern. Der Verein „Solarstadt Gelsenkirchen e.V.“ wurde gegründet und half der Stadt mit dem Image der Solarstadt zu werben und das erfolgreich: Das Unternehmen Scheuten übernahm nicht nur, nach einem kurzen Zwischenspiel von Solar-World, die Solarfabrik in Rotthausen, sondern baute eine zweite Fertigung in dem Stadtteil Schalke. Die Idee, dass sich Gelsenkirchen durch die Solarindustrie auch als Industriestandort neu erfinden würde, die Vision des Solar-Valleys, schien zum greifen nah.

Heute ist die Begeisterung längst verflogen. Beide Solarfabriken sind Vergangenheit. Seitdem  im vergangenen Jahr das Werk von Scheuten nach mehreren Insolvenzen endgültig schloss, werden in Gelsenkirchen keine Solarzellen mehr hergestellt.

Aus der „Solarstadt Gelsenkirchen“ ist   die „Stadt der Zukunftsenergien“ geworden. Und auch der Verein mit dem Namen „Solarstadt-Gelsenkirchen“ hat sich gerade in „Klimabündnis Gelsenkirchen-Herten e.V.“ umbenannt. Für Heinz-Peter Schmitz-Borchert, den Vorsitzenden des Vereins, ist das alles kein Problem: „Der Name „Solarstadt“ wurde nur gewählt, weil die Stadt damals etwas für ihr Image tun wollte.“ Es sei ihm immer darum gegangen, „etwas für ein besseres Leben  zu tun.“ Alles, sagt er, sei natürlich hochsubventioniert gewesen: „Ein wichtiger Teil unserer Arbeit war es, die Akzeptanz für Erneuerbare Energien zu erhöhen und die Menschen davon zu überzeugen, dass es wichtig ist, sich gegen den Klimawandel zu engagieren.  Wir glauben, dass es sich lohnt, dafür zu kämpfen und  wir wirken mit unserer Arbeit überregional.“ Er zählt die Leistungen seiner Arbeit auf: Die Institute, die im Wissenschaftspark arbeiteten, die Firmen, die hier entstanden sind und dann die bundesweit beachtete Jobmesse: „2006 gab es eine große Nachfrage von Unternehmen aus dem Bereich der Erneuerbaren-Energien nach Ingenieuren. Die fanden nicht zu ihrem Personal. Da haben wir eine Jobmesse veranstaltet. Aus ganz Deutschland kamen Unternehmer und Bewerber zu uns nach Gelsenkirchen.“

Vergangene Euphorie
Vergangene Euphorie

Die Jobmesse wurde 2011 wegen mangelnden Interesses eingestellt, die meisten Institute sind abgewandert. Das bessere Leben, für dass sich Heinz-Peter Schmitz-Borchert so begeistert einsetzt, findet, wenn überhaupt, woanders statt. Den Einwand, für viel Geld sei wenig erreicht worden, tut er ab: „Man darf nicht immer nur nach dem Geld schauen. Das ist ökonomistisch.“

Aufs Geld zu schauen, dafür zu arbeiten, dass neue Jobs entstehen, ist die Aufgabe von Andreas Piwek. Piwek arbeitet bei der Wirtschaftsförderung der Stadt Gelsenkirchen und erinnert sich an die späten 90er Jahre: “Ende der 90er Jahre hatte sich die Solartechnologie zu einem relevanten Industriezweig entwickelt. Im Zuge der IBA war der Wissenschaftspark Gelsenkirchen mit dem damals weltweit größten Solarkraftwerk entstanden, am Energieinstitut der Westfälischen Hochschule wurden intensive  Forschungen betrieben und es entstanden Start-Up-Unternehmen wie Abakus Solar. Gleichzeitig eröffnete Shell Solar eine Solarzellenfabrik, später kam mit Scheuten Solar die Modulfertigung dazu.“

Viele Alternativen hatte die Stadt damals auch nicht: Die Zechen schlossen, die letzte Kokerei 1999 auch und die 1000 Feuer waren längst erloschen. Die Arbeitslosigkeit stieg auf über 20 Prozent. Gelsenkirchen, so schien es, war eine Stadt ohne Zukunft. Die Solarstadt sollte helfen, das Image zu verändern – und die dringend benötigten Arbeitsplätze bringen.

Junge Unternehmen, junge Unternehmer, viele Ideen kamen in die Stadt – und schufen Arbeitsplätze. Damals war oft von 10.000 neuen Jobs im Solarbereich die Rede – die gab es nie. In der Spitze waren es immerhin 1200 neue Arbeitsplätze, aber der Stadt wurde schnell klar, dass das nur ein kurzfristiger Erfolg war: „Uns war klar,“ sagt Piwek, „dass sich im Zuge der Massenproduktionen der Solarzellen die Produktionsstandorte zwangsläufig nach Fernost verlagern würden. Wir haben uns deshalb thematisch breiter aufgestellt. Das Label „Solarstadt Gelsenkirchen“ wurde um den Begriff der „Zukunftsenergien“ erweitert.“

Vor gut zehn Jahren entschloss sich Bayer, die Produktion von Wafern, einem Grundbaustein für Solaranlagen, nicht in Gelsenkirchen zu bauen. Damit war klar: Um zu einem zentralen Solar-Standort zu werden, fehlte Gelsenkirchen eine Schlüsseltechnologie vor Ort. Als andere mit dem Solar-Traum begannen, war er in Gelsenkirchen schon wieder vorbei. Aber der Kampf um neue Jobs ging weiter – mit Erfolg. Allein in  den vergangenen sieben Jahren sind über 6000 neue Arbeitsplätze entstanden:  In der Logistik, in der Immobilienbranche aber auch in der klassischen Energiewirtschaft.

Für Heinz-Peter Schmitz-Borchert und seinen Verein „Klimabündnis Gelsenkirchen-Herten e.V.“ wird es einfach weitergehen wie immer: Statt um das Thema Solarenergie kümmert er sich künftig darum, wie man alte Arbeitersiedlungen im Umfeld der ehemaligen Zeche Westerholt energetisch sanieren kann. Das dann die Mieten vielleicht viel höher steigen, als die Energieeinsparungen der Mieter, ficht ihn nicht an. Es geht ja um das bessere Leben und dafür ist kein Preis zu hoch. Vor allem, wenn ihn andere bezahlen müssen.

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Thorsten Stumm
9 Jahre zuvor

Grandios…..ich arbeite dann mal weiter, Heinz-Peter Schmitz-Borchert braucht ja meine Kohle….

Joachim Jürgens
9 Jahre zuvor

Ich wundere mich immer wieder, wie Politikauguren den Technikern ins Handwerk fuschen!
So lange Fördermittelquellen sprudeln, wird alles schön geredet, keiner bleibt auf dem Teppich. Beispiel Herten. Da sagt doch unser technisch-hochbegabte Baurat in Kalifornien: „Herten ist das Silikon Valley in Sachen Wasserstoff“. Deswegen verkümmert auch der „Blaue Turm“ in Herten und die HyBikes (Wasserstfffahrräder) warten in einer Garage darauf, dass irgendein sachunkundiger Dieb die Dinger klaut  (https://www.pro-herten.de/dl/2013.pdf)

Arnold Voss
9 Jahre zuvor

Die Ironie begann schon mit dem preisgekrönten Wissenschaftspark. Der Strom der dort installierten Solaranlage wird vorrangig dafür verbraucht, die durch die riesige Glaspassage verursachte Überhitzung durch S o n n e n einstrahlung zu mildern, in dem die schweren Schiebefenster per Elektromoter immer wieder auf- und zugezogen werden müssen.

Arnold Voss
9 Jahre zuvor

Was das Scheitern der Solarenergie im Ruhrgebiet betrifft, muss man auch die hiesigen Energiekonzerne mit in Haft nehmen. Sie hatten das Geld und das Knowhow als Pioniere diese Entwicklung von Anfang an mitzubestimmen in dem sie Forschung, Erprobung, Produktion, Anwendung und weltweite Vermaktung an einem Standort führend zusammen gebracht hätten. Dagegen hätte es dann später auch die chinesische Massenproduktion schwer gehabt.Stattdessen haben sie den Trend komplett verpennt und später alternativ fast 2 Milliarden Euro mit einem desaströsen Ausflug in die Telekommunikation verbrannt.

Das Ruhrgebiet hätte sehr wohl ein Weltmarktführer in Sachen Solarenergie werden können, und zwar relativ unabhängig davon, wieviel Sonne dort scheint, weil alle Voraussetzungen am Standort vorhanden waren: Geld, Forschungskapazitäten, Arbeitskräfte und – einem Ballungsraum dieser Größenordnung entsprechend – genügend Pionier-Konsumenten/Verbraucher.Ergänzend dazu wäre eine Vorreiterrolle in der Elektromobilität möglich und im Angesicht der nicht korregierbaren Dispersion dieser Stadtlandschaft auch unbedingt notwendig gewesen.

Das alles ist natürlich Schnee von Gestern. Aber die Vorstellung, was hier möglich gewesen wäre, zieht einem immer wieder die Schuhe aus. So viele verpasste Chancen gibt es weltweit kaum noch einmal.

Frank
Frank
9 Jahre zuvor

@ #3 Arnold Voss:

Das klingt wirklich nach SPD. Und wenn die Fenster auf sind, kommen die Mücken vom Teich zum Kuscheln rein..

Wer hat denn in den 90ern die Lehstühle für Energietechnik an den Ruhrunis und FHen drittmittelfinanziert? Ruhrkohle und Co..

Helmut Junge
9 Jahre zuvor

Ich habe mir mal Angebote für eine Photovoltaikanlage auf dem Dach meines Reihenhauses machen lassen. Bei den damaligen Preisen für Bauteile und Installation hätte die Anlage selbst nach der schöngerechneten Kalkulation der Anbieter erst nach 17 Jahren Gewinn abgeworfen. 20m2 Dachfläche sind nicht geeignet. Bei 30m2 wäre es damals gegangen. Aber mittlerweile sind die Förderungen drastisch gekürzt worden, so daß ich daran zweifle, ob heute ein Dach von 30m2 nutzbarer Fläche erfolgreich Gewinn einfahren kann.
Ich frage mich auch, ob eine Photovoltaikanlage ohne staatliche Zuschüsse überhaupt Gewinn einbringt, oder ob die Unkosten für Bau und Unterhaltung nicht größer sind, als eine derartige Anlage bis zur Verschrottung einbringen kann.
Die Frage könnte leicht rechnerisch beantwortet werden, wenn man wüßte wie sich der Strompreis entwickeln wird. M.E. müßte der elektrische Wirkungsgrad von Solarzellen noch deutlich höher werden, damit eine solche Anlage ohne ohne Zuschüsse wirtschaftlich wird.
Das habe ich schon 1999, als die Fertigung in Gelsenkirchen begann, vermutet, aber wenn es Fördermittel gibt, sind Kritiker unter den Fachleuten rar.
Es war doch von Anfang an klar, daß solche Anlagen nur mit Fördermitteln wirtschaftlich sein würden, und daß die derzeitige Technologie nicht über dem Weltstandard lag. Da muß man schon an Konkurrenz von Billiglohnländern rechnen.
Mich hätte es als Kunden übrigens nicht gestört, wenn die chinesischen Produkte wenig Qualität aufwiesen. Auf den photoelektrischen Wirkungsgrad kommt es nämlich in viel höherem Maße an. Und der ist eben bei deutschen Produkten ähnlich wie bei chinesischen Produkten viel zu gering, als daß es sich wirtschaftlich rechnen könnte. Aber Politiker fördern in Deutschland noch andere Projekte, die ich als technologische Flops einstufe. Dagegen ist das Amen in der Kirche vergleichsweise unsicher.

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