
Wenn ich wissen will, was in Palästina wirklich los ist, fahre ich zu meinem palästinensischen Friseur und Freund. Der hat an der FU Politikwissenschaft studiert und kennt sich da bestens aus. Nun war es wieder mal soweit: Die Haare mussten ab, meine Neugier war groß.
Manchmal gibt es im Leben schöne Zufälle. Jahrelang wohnte ich neben einem Friseursalon. Das war sehr praktisch, auch für meine Information über den Nahen Osten. Denn der Inhaber wurde in Jordanien geboren, ist also Palästinenser, weil die Briten das Königreich 1946 aus ihrem Mandatsgebiet Palästina gebildet haben. Palästinenser sind dort aber nur Bürger zweiter Klasse, erklärte mir Mohammed schon vor Jahren. „Das Sagen hat die arabische Elite um das aus Mekka stammende Könighaus. Die arabischen Herrscher interessieren sich für uns Palästinenser einen feuchten Dreck. Der Hass auf Israel dient ihnen nur dazu, von ihrem eigenen Versagen abzulenken.“
Mohammed sagt so etwas nicht einfach daher. Er hat am damals noch sehr linken Otto-Suhr-Institut der FU Berlin internationale Politik studiert, auch bei einem israelischen Professor und bei dem sogar eine Weile als wissenschaftliche Hilfskraft gearbeitet. „Meine arabischen und palästinensischen Kommilitonen sprachen daraufhin nicht mehr mit mir. Aber man muss sich doch ein umfassendes Bild machen.“
Deshalb verfolgt er seitdem alle verfügbaren Medien aus der Region. Und konnte er mir daher schon vor lange bevor Trump die Abraham-Abkommen der Golfstaaten mit Israel einfädelte beim Haareschneiden genau erklären, welche heimlichen Deals Saudi-Arabien mit dem offiziell verfemten jüdischen Staat macht bei der geheimdienstlichen und militärischen Zusammenarbeit gegen den gemeinsamen Feind Iran. Oder wie Israel mit dem ägyptischen Diktator kooperiert gegen die beiden verhasste, aus Äypten stammende Hamas, terroristischer Ableger der im Nachbarland verfolgten Muslimbrüder. Die Netanjahu dennoch päppelte gegen den gemeinsamen Gegner Abbas.
„Einen Palästinenserstaat wird es mit der Hamas und Fatah nie geben“
Auch zum aktuellen Krieg in Gaza, einem weiteren in einer langen Reihe, hat Mohammed eine klare Einschätzung. „Der Krieg ist für die Menschen furchtbar. Die Hamas hat ihn am 7. Oktober 2023 begonnen, um die Unterzeichnung eines fertigen Abkommen Riads mit Israel zu verhindern, weil sie um ihre Macht fürchtete. Die israelische Regierung ist ebenfalls schrecklich, viele Israelis demonstrieren gegen sie. Wenn Palästinenser in Gaza oder der Westbank gegen ihre Führungen protestieren, wird das sofort brutal niedergeschlagen. Demonstranten werden ermordet.“
Eine Lösung für den Palästinakonflikt könne es nur geben, wenn die Hamas vernichtet und auch die Palästinensische Verwaltung zerschlagen wird, sagt Mohammed. „Die ist völlig unfähig und korrupt. Einen Palästinenserstaat wird es mit ihr nie geben. Sie verwaltet nichts, sondern füllt sich nur die eigenen Taschen. Abbas ist ein Autokrat von Israels Gnaden, der seit ewigen Zeiten ohne Wahlen in Ramallah Hof hält. Nun hat er einen Thronfolger als Vizepräsidenten eingesetzt.“
Der Nahostexperte mit Friseurgeschäft kennt sich auch da sehr gut aus. Denn ein Großteil seiner Familie lebt im Westjordanland, das Jordanien im gemeinsamen arabischen Krieg 1948 gegen den gerade wiedergegründeten Staat Israel mit britischer Unterstützung erobert und bis 1967 okkupiert hatte. „Wenn ich sie besuche, kommen meinen ganzen Cousins und wollen von mir nur eins: Geld“, sagte er mir ebenfalls schon vor Jahren. Die Familie besitzt am Nordufer des See Genezareths große Ländereien mit Olivenbäumen, er hat mir Fotos davon gezeigt. „Aber statt sie selbst zu bewirtschaften, verdingen sie sich für ein paar Schekel bei israelischen Farmern und beklagen sich darüber. Und wenn jüdische Siedler Dorfbewohnern ihr Stück Land abkaufen wollen, verkaufen sie es ihnen und protestieren am nächsten Morgen gegen den ‚Landraub‘. Am Abend kommen Nachbarn und fragen: ‚Wie habt Ihr das gemacht? Wir wollen auch verkaufen.“
Auf den Punkt
Mohammed macht nebenbei Geschäfte – aber nur mit Juden. „Die wollen mich bescheißen, sind aber wenigstens ehrlich. Die Araber wollen mich noch viel mehr betrügen und sagen: ‚Wir sind doch Brüder!'“ Für die Olivenhaine der Familie hat er einen fertigen Business-Plan. „Den realisiere ich aber erst, wenn die Israelis alle meine Cousins eingesperrt haben“, sagte er und lachte laut. „Die taugen nicht, sowenig wie die Fatah und ihre angebliche Regierung. Über die Hamas müssen wir nicht reden. Die haben ihre Milliarden in die Golfstaaten gebracht.“
Es immer erfrischend mit Mohammed zu plaudern. Er redet nicht wie andere Araber und auch viele Deutsche um den heißen Brei herum. Er bringt die Dinge auf den Punkt. Und er kann auch wunderbar böse Witze über Araber, Palästinenser und Juden erzählen. Auch über Deutsche. Schließlich ist er selbst schon lange einer. Mit seinem deutschen Pass fliegt er, wenn er seine Familie besucht, nicht nach Amman. „Da brauche ich fünf Stunden, bis ich aus dem Flughafen komme, und die Taxifahrer verlangen einen viel zu hohen Preis.“ Sondern nach Tel Aviv. „Die Israelis behandeln mich freundlich. Ich bin ja Deutscher“, erzählt er mit prustendem Lachen.
Das einzige Problem bei Mohammed: Bei meinen verbliebenen Haaren dauert sein sorgfältiger Schnitt nicht länger als eine halbe Stunde. Aber seit er weiß, dass ich Journalist bin und mich für Israel und Palästina sehr interessiere, komme ich selten unter zwei Stunden aus seinem Salon. „Das Verrückte ist doch“, erläuterte mir diesmal, als ich gehen wollte, nicht zum ersten Mal: „Auch wir Palästinenser sind Araber, unsere Vorfahren kamen einst von der arabischen Halbinsel. Dennoch spucken sie auf uns. Und wir sind im Grunde mit den Juden sehr verwandt. Selbst unsere Sprache unterscheidet sich nicht sehr. Salam Alaikum, Shalom alaichem – auf Frieden hoffen wir Alle.“
„Komm bald wieder! Es war wie immer eine Freude mit Dir zu reden“, rief er mit hinterher, als wir uns endlich verabschiedeten. Ganz meinerseits.
[…] in die Universitäten gelangt ist, sich als «Forschung» ausgibt und was er bewirkt– „Hamas vernichten, die Palästinensische Verwaltung zerschlagen“– „Ich habe die Hamas gehasst und ich hasse sie weiter“– Israelische Offensive und […]