Mein Ende der WM zum Beginn der WM

Bild: Sebastian Bartoschek

Eine grüne Chillischote mit Schnurrbart und Sombrero. Das war Piquet, Maskottchen der WM 86 in Mexiko. Den Namen erfuhr ich erst später, eigentlich erst heute, beim Schreiben an diesem Artikel. Aber ich habe seit Piquet jedes Maskottchen einer Fußball-WM gekannt, kein Eröffnungsspiel verpaßt, mich auf jede WM gefreut, selbst die Gruppenspiele geschaut, Trikot an, Flagge irgendwo auch sichtbar gemacht. Dieses Jahr ist erstmal alles anders. Was ist passiert?

Es ist nicht so, dass ich mein Interesse am Fußball verloren habe. Im Gegenteil. Ich bin immer noch Schalke-Mitglied und -Fan; und dank meinen besten Freunden war ich zum Saisonabschluss auch endlich nach langer Pause wieder in der Nordkurve. Danke dafür! Ich hatte ehrlicherweise bereits bei den letzten WMs wenig Ahnung von den einzelnen Spielern und Teams – im Vergleich mit unserer Fußballkoryphäe Robin habe ich gar keine Peilung, und das schon länger. Wie Abermillionen Fußballfans in aller Welt, auch in Deutschland, hat mich das aber bisher nicht davon abgehalten, an einer WM Spaß zu haben und natürlich auch nicht davon, wissensimulierend mitzudiskutieren.

Schalker, Bayer und wenn man es schlecht getroffen hatte, war man Dortmunder

Und ja, natürlich sehe auch ich mit ablehnender Skepsis, was DFB und DFL aus dem Vereinssport gemacht haben, der für mich unterm Strich und ab der Grundschule identitätsstiftender war als die mittlerweile so hochgejazzte Frage der Religionszugehörigkeit. Damals, in Recklinghausen-Süd war man Schalker, Bayer und wenn man es schlecht getroffen hatte, war man Dortmunder. Fertig. Die türkischen Kinder waren beim Reliunterricht im Türkischunterricht, und in der Pause haben sie dann mitgepöhlt – und gut war. Diese Zeiten sind in jeder Hinsicht lange vorbei, und natürlich schimmert auch mir diese Nostalgie mittlerweile in angenehmen Farben, in Entkoppelung der damals erwachsenen Realität.

Allerdings ist die Realität des Fußballs klinisch gereinigt worden, seit jener Zeit. Erstmals stockbesoffene und übelst pöbelnde Jugendliche sind im Stadion nicht erwünscht, über Tore trifft der Videobeweis mit zeitlicher Verzögerung sein spielentwertender Fehlurteil und Pyrotechnik und Fanliebe wird kriminalisiert. Das Stadion und das dort gezeigte Produkt soll schon länger politisch korrekt verkaufbar sein, negative Emotionen sollen nicht stattfinden und erst Recht nicht kanalisiert werden; der fühlende Mensch, zumal als alkoholisierter Mann, ist eben nicht mehr zeitgemäß. All das habe ich sehr wohl wahrgenommen und trotzdem WMs verfolgt.

Während ich dies schreibe, sitze ich an der Küste Irlands. Der Wind weht mit 24 Knoten ans Haus, meine beide Jungen und meine Frau haben mir ein Zeitfenster zum Schreiben dieses Artikels frei geschaufelt. Die Sonne strahlt von den Bergen und über die Felder durch die Fensterscheiben. Meine Lebensrealität ist eine andere, als die, als wir 1990 oder 2014 Weltmeister wurden, oder als wir die WM 2006 im eigenen Land hatten. Wer sich hier durch das „wir“ und das „eigene Land“ getriggert fühlt, wird beim nächsten Absatz speien; nur damit die Schneeflocken wissen, was sie nicht lesen sollten. Also eine andere Lebensrealität. Ja. Unzweifelhaft. Die Familie, das Private ist noch wichtiger geworden, andererseits ist mir Politik immer noch wichtig, und ja, auch, wenn ich es mitbekomme, wie Deutschland bei anderen Sportmeisterschaften abschneidet. Nein, das alleine scheint, es auch nicht zu sein.

Nein, dieser viel gescholtene „Partypatriotismus“ verübelt mir nicht die WM

Dann vielleicht das deutsch-politische? Machen wir es kurz: nein. Das ist es nicht. Trotzdem tapfere Bearbeitung durch Kolleginnen und Kollegen wie Vanessa, beide Felixe und natürlich den Genossen Weiermann habe ich immer noch kein Problem damit, wenn jemand stolz das Nationaltrikot trägt, die Nationalhymne singt, und die Flagge irgendwie hißt, sei es am Balkon, oder als kleines Emblem am Auto. Auch nicht wenn es dabei um die deutsche Nation geht. In meinem Büro sind israelische Flaggen, eine im Regenbogenstil, bei der letzten WM hatte ich so eine von diesen viel gehasste deutschen Autoflaggen und bei irischen Spielen hing die grün-weiss-goldene Flagge im Büro. Ich halte immer noch nichts von denen, die das Bundesdeutsche gleich dem Reichsdeutschen setzen – egal ob links oder rechts. Nein, dieser viel gescholtene „Partypatriotismus“ verübelt mir nicht die WM, zumal jetzt, hier in Irland.

Aber irgendwie ist es dann doch das Politische, was mich stört. Eine WM in Qatar, eine WM in Russland. Sport nicht mit Politik vermischen. Blödes Bla. Wenn man der Politik ermöglicht, die WM für sich auszunutzen, wie im Fall dieser Diktaturen, dann ist es einfach unglaubwürdig danach zu sagen, man dürfe da irgendwas nicht vermischen. Die FIFA hat es vermischt. Vielmehr, sie hat die Instrumentalisierung befördert und ermöglicht. Ein korrumpierter Haufen von Verbandspolitikern, die sich selbst Freifahrtsscheine ausstellen und gegenseitig versichern, wie einwandfrei und sauber sie sind, und wie sehr es ihnen um den Sport geht.

 Ich habe keine Lust auf Putins Spiele

Sie widern und ekeln mich an, diese alten Männer, die einstmals oft große Fußballer waren, jede Moral und Ethik aber mit zunehmenden Alter und steigenden Zahlungen der Despoten verloren haben. Ich habe keine Lust auf Putins Spiele, und ich habe keine Lust auf die einhergehende Russlandrelativierung der üblichen Querfrontverdächtigen, die jetzt noch um Fußballpolitiker ergänzt werden, die zum einen ihr Mantra der Entpolitisierung des Fußballs wiederholen und paradox gleichzeitig erklären, dass das mit den Menschenrechten in anderen Staaten doch a) noch schlimmer als in Russland und b) eben auch nicht perfekt ist. Bei letzterem tobt sich dann auch noch die antiwestliche, -amerikanische, -israelische Fraktion aus. Man erwartet noch ein Grußwort der UNO, das die Freude über eine WM in Russland zum Ausdruck bringt.

Diese FIFA ist es dann wohl, wie mir beim Schreiben klar wird, die den stärksten Einzelfaktor darstellt, wieso ich keinen Bock auf diese WM habe. In Zukunft sollen dann noch und immer mehr Staaten bei der WM teil nehmen, das Turnier immer weiter aufgebläht werden. Die Spannung wird verringert, die Mittelmäßigkeit der Spiele, und die Werbeblöcke, werden erhöht. Ein Freund von mir, eine Borussenzecke, hat nach Einführung des Videobeweises beschlossen, nicht mehr Bundesligaspiele zu schauen. Nach Jahren und Jahrzehnten mit Dauerkarte. Nun schaut er Amateurfussball und sowas. Anfangs habe ich das belächelt, mittlerweile sehe ich, wieviel Freude ihm das macht. Irgendwie mag ich das, aber es ist irgendwie auch keine echte Lösung für mein WM-Problem.

Der paradoxe Wunsch

Eigentlich möchte ich mich über ein Fest des Fussballs freuen, über die kleinen und großen Geschichten neben der Spiele, die Fangesänge, die verbaselten Torchancen, die Fehlentscheidungen, die völlig uninformierten Kommentatoren. Ich möchte die deutsche Nationalhymne mitsingen, und von meiner Frau dafür belächelt werden. Ich möchte gerne WM erleben. Ich glaube aber, dass ich es diesmal nicht tun werde.

Es bleibt aber der paradoxe Wunsch. Und so werde ich schauen, wann und wo RTÉ die Eröffnung überträgt, um dann das Spiel zweier Despotien laufen zu lassen, und meinem älteren Sohn zu erklären, was eine WM ist, und sowas alles. Vielleicht schreibt er dann in 32 Jahren einen ähnlichen Text.

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ke
ke
6 Jahre zuvor

Mir fehlt auch die WM Stimmung.
In Irland hilft vielleicht dann doch ein Pub. Die Musikdarbietung wird dann vermutlich auch direkt an die WM 2026 erinnern. Wenn jeder WM spielt oder in Pubs singt, leidet die Qualität.

In irischen Dauerregen leidet die Stimmung aber meistens auch.

Klaus Lohmann
Klaus Lohmann
6 Jahre zuvor

Für alle Sofahelden, die keinen Bock auf den heimischen Asche-/Kunstrasenplatz umme Ecke haben, aber trotzdem Ama-Fußball statt verblendete DFL-Kommerz-Kacke gucken wollen, sei nochmals herzlichst https://www.sporttotal.tv/ empfohlen.

Da ist dann wahrscheinlich nicht der eigene örtliche Großsponsorgetränkelieferant oder das bekannte IchbelieferedenAmaSpielermitdickenBMWs-Autohaus zu finden, aber ein Zapping durch die unteren Ligen der Republik lohnt sich allein schon wg. der teilweise interessanten Dorfatmosphäre Stunden vor und nach einem Spiel oder den Situationen, in denen die Robotkameras den Fußbällen der Ersatzspieler am Spielfeldrand statt dem Spielgeschehen folgen;))

Yilmaz
Yilmaz
6 Jahre zuvor

Da die 2 Erdogan-Fans immernoch nicht rausgeworfen wurden, werde ich kein Spiel der DFB-Elf anschauen.

thomas weigle
thomas weigle
6 Jahre zuvor

Ist ja alles gut und schön, nur @ Sebastian Bartoschek, früher herrschte oft gähnende Leere in den Bundesligastadien, da freute sich mancher Kassierer schon wie Bolle, wenn die 20.000 überschritten wurde, auch in Schalke, Dortmund oder Frankfurt. Ausverkauftschilder hingen nicht mal immer bei Spielen wie BVB vs. S04 oder OFC vs.SGE an den Kassenschaltern. Gerade gestern blätterte ich in Sportmagazinen aus der Saison 65/66, da waren an einem Spieltag im November in vier Stadien keine 10.000 Zuschauer. Und die Zuschauerzahlen in den Pokalerstrunden auf Bundesebene waren tw. einfach nur unterirdisch. Selbst Endspiele waren nicht immer ausverkauft, bspw. BVB vs A.Aachen 65 in Hannover oder im Jahr zuvor bei 1860 vs.SGE in Stuttgart.
Und in Dortmund, so konnte man damals in der Sportillustrierten lesen, "sinkt nach zwei Niederlagen in Folge die Zuschauerzahl unter das Existenzminimum". Wohl gemerkt zu einer Zeit als der BVB der erfolgreichste Nachkriegsverein war und der Niedergang noch nicht so absehbar war wie er dann ab 1969ff eintrat.
Was die Putin-WM und die FIFA angeht, einverstanden.

Walter Stach
Walter Stach
6 Jahre zuvor

1.
"WM-Stimmung"
-sh.ke -1-

Eine solche ist mir ohnehin fremd.
Allerdings wurde durch das Spiel Spanien-Portugal gestern erstmals mein WM-Wunsch erfüllt, nämlich einige Spiele sehen zu können, die "fußballerisch" Überdurchschnittliches bieten und "dann und wann" auch mal Dramatik. So darf es weitergehen -dann und wann!!

2.
Wer sich immer noch und immer wieder "so oder so" bemüßigt sieht, sich mit Gündogan/Özil/Erdogan zu befassen, dem empfehle ich als nachdenkenswerte Hintergrundinformation einen Beitrag in der TAZ;
taz. am wochenende- sonnabend/sonntag, 16./17. Juni 2o18 S.32

"Wie konnte das bloß passieren? -Özil, Gündogan, Erdogan: ein Bild, en Shitstorm, eine Beinahestaatskrise. Warum haben die beiden Nationalspieler das gemacht? Eine Suche nach Antworten in ihrer Heimat, dem Ruhrpott."
Aus Gelsenkirchen und Bochum von Hanna V0ß.-

3.
Die WM und Putin? Die WM und eine korrupte FIFA . Die WM und…….

Als Fußball-Fan denke ich über diese und ähnliche Probleme nicht nach, wenn mir "auf dem Platz" Sehenswertes, Spannendes, Interessantes, Dramatisches geboten wird bzw. ich mir von einem Spiel solches verspreche und darüber vorab oder das hinterher bedenke und mit anderen Fans diskutiere.

Wer dieserhalb als Fußball-Interessierte "anders gestrickt" ist als ich, wird das vermutlich "nicht
billigen" -sei's drum".

In diesem Sinne sehe ich zudem ganz und gar keinen Anlass für die Manager der Bundesliga-Vereine – das gilt zumindest für die I.Liga- über spürbare Rückgänge der Zahl der Stadionbesucher nachzudenken – sh. u.a. die stabile Nachfrage nach Dauerkarten bzw. eine stetig wachsende Nachfrage. Und bekanntlich sind schon lange nicht mehr die Eintrittsgelder der entscheidende Faktor in der Bilanz der Vereine. Dass sich zudem das "soziale Milieu" der Fans im Stadion immer mehr verändert, mag "man" kritisieren, aber ist m.E. substantiell nicht zu ändern. Und es ist insofern auch völlig , daß es mich, als ich noch Dauerkarten-Besitzer des BVB war, schon geärgert hat, wenn ich auf der Tribüne immer mehr Menschen wahrgenommen habe, die sich vor, während und nach dem Spiel offenkundig für alles mögliche interessierten nur nicht für das Spiel "ihres BVB".

Daniel
Daniel
6 Jahre zuvor

Wer sich für die WM interessiert, hat die Kontrolle über sein Leben verloren …oder so.
Gerade läuft übrigens ein relevantes Fußballspiel.. u17 Finale bvb vs Bauern.

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