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Metropolenträume ausgeträumt

RUHR.2010 startet und Häme wäre eine angemessene Reaktion – meinen unsere Gastautoren von der AG Kritische Kulturhauptstadt Viele der geplanten Projekte werden angesichts der Finanzierungsprobleme der Kulturhauptstadt und leerer kommunaler Haushaltskassen nicht realisiert werden.

In Bochum untersagte die Bezirksregierung eine weitere Verschuldung der Stadt, mit der der Bau des geplanten Konzerthauses finanziert werden sollte. Stattdessen soll nun ein umfassendes Sparprogramm helfen, den Haushalt soweit zu sanieren um auch am Bau eines Konzerthauses festhalten zu können. Wie üblich soll dabei besonders im sozialen Bereich an öffentlicher Infrastruktur gespart werden, was zeigt, dass im Ruhrgebiet Kritik und Protest statt Häme auf der Tagesordnung stehen müsste.

Der „Strukturwandel“ zur Kulturhauptstadt wird genauso an der Mehrheit der BewohnerInnen des Ruhrgebiets vorbei gehen wie schon die Technologieparks der 80er und 90er Jahre. Und mehr noch: Die von der Deindustrialisierung zurückgelassenen Menschen spielen für einen „Wandel durch Kultur“ auch keine Rolle.

Die Kulturhauptstadt 2010 agiert mit einem ausgrenzenden und instrumentellen Kulturverständnis. Kultur dient in erster Linie als Werkzeug zur Wirtschaftsförderung, von der nur eine Minderheit profitieren wird. Die Entdeckung der Kreativwirtschaft als trendige Urbanisierungsmaschine, die gefördert werden muss, reduziert Kreativität auf eine Geschäftsidee.

Ein solches Verständnis von Kultur als Standortfaktor kann im Ruhrgebiet nur scheitern. Schadenfreude ist jedoch unangebracht, sondern eher Wut über die Ignoranz gegenüber einer sozialen Alltagskultur, die sich hinter dem Wortgeklingel der Kulturhauptstadt und ihrem bunten Bespaßungsprogramm versteckt.

Was aber könnte „Strukturwandel“ für das Ruhrgebiet jenseits von „Kreativwirtschaft“ und Kulturhauptstadtmarketing bedeuten? Die Suche nach möglichen Anworten sollte sich vom Zwang der unbedingten ökonomischen Verwertbarkeit lösen. Die Milliarden, mit denen das unvermeidliche Sterben des Bergbaus hinausgezögert wurde, hätten sinnvoller eingesetzt werden können.

Eine Basisforderung hat jedoch auch heute noch unbedingte Gültigkeit: Wenn öffentliche Gelder im Ruhrgebiet investiert werden, sollten sie den Menschen zugute kommen, die hier leben. Das bedeutet, dass kulturelle Infrastruktur in erster Linie soziale Infrastruktur sein muss. Dazu gehört die Entwicklung von Bildungsangeboten, die nicht selektieren, sondern fördern, ebenso wie die Finanzierung von Stadtteilzentren, ein schneller bezahlbarer öffentlicher Nahverkehr oder Schwimmbädern.

Denn wer hier lebt, weiß: Das Ruhrgebiet ist keine Metropole und die Kulturhauptstadt keine Chance, sondern ein leeres Versprechen. Daher fordern wir dazu auf, sich ins Kulturhauptstadtspektakel einzumischen, sich Räume zu nehmen und mit den eigenen Wünschen zu füllen, Unsichtbares sichtbar zu machen, Fragen zu stellen und mögliche Antworten zu diskutieren.

AG Kritische Kulturhauptstadt

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rolf dennemann
14 Jahre zuvor

Schön und gut, aber wo sind die konkreten Vorschläge für eine Einmischung und wer mischt? Stadtteilzentren sollten auf ihre Qualität untersucht werden und Einmischungswillige brauchen ’ne Schüppe, um die Suppe auszulöffeln, die uns hier seit Jahrzehnten eingebrockt wird. Metropole für soziale und strukturelle Kosmetik wäre ein Titel, der sicher viele Kreative anlockt, neue Studien zu betreiben oder Mega-Puzzles zu entpuzzlen…

Arnold Voß
Arnold Voß
14 Jahre zuvor

Keine Frage, im Ruhrgebiet wurde und wird eine Menge Geld an den falschen Stellen verbraten und die soziale und sozialräumliche Spaltung der regionalen Gesellschaft hat erheblich zugenommen. Es ist viel zu viel Geld in spektakuläre Gebäude und andere Erneuerungssymbole statt in Menschen gesteckt worden, speziell was deren Bildung und alltägliche Kreativität betrifft.Das gilt auch für die Kulturhauptstadt und den bitteren Preis dafür werden wir spätestens ab 2011 alle bezahlen müssen.

Aber es ist trotzdem ein Fehler, Hochkultur gegen Alltagskultur, ja das Überschussgut Kultur generell gegen soziale Gerechtigkeit und ökonomische Grundversorgung auszuspielen. Die kulturelle Basisausbildung macht keinen Sinn ohne ihre Professionalisierung und damit auch ohne ihre möglichen und unvermeidlich luxuriösen Höchstleistungen in Form von Theater, Oper, Konzerthaus, Festivals usw.

Dass die Massen dort nicht hingehen liegt im Wesentlichen nicht daran, dass deren Inhalte und Formen ausgrenzend sind, sondern dass die kulturelle Basisbildung für alle völlig unterfinanziert und unprofessionell von statten geht, wenn sie denn überhaupt noch stattfindet. Das muss dringend verändert und dafür muss woanders massiv Geld gespart respektive gekürzt werden.

Das bedeutet nicht, dass es am herrschenden Kulturbegriff nichts zu kritisieren gäbe. Diese Kritik muss aber einhergehen mit der Feststellung, dass Kultur- und Bildungsferne auch immer einen selbst verschuldeten Anteil hat und/oder schlicht im Desinteresse derer begründet ist, die nicht an ihr teilnehmen.

ch_we
ch_we
14 Jahre zuvor

@Arnold

Ja und nein. Es ist vollkommen richtig, dass die Teilnahme an dem, was man in Deutschland als „Hochkultur“ bezeichnen würde, vom Bildungsgrad, letztendlich also vom kulturellen Kapital abhängig ist. Durch diverse Studien, z.B. Pisa ist aber bekannt, dass das deutsche Bildungswesen besonders hart selektiert. Von daher ist die Teilnahme an Kultur immer auch Ausdruck einer sozialen Ungleichheit, bzw. dient dazu sie weiter aufrechtzuerhalten.

Das sieht man übrigens besonders deutlich dort, wo es sich nicht um kanonisierte Werke handelt. Ein Beispiel: In den letzten zwei Jahren gab es am Bochumer Schauspielhaus immer mal wieder Stücke junger Autoren, die so eine Art „Generationenerfahrung“ darstellen sollten, ihre Generation aber nur als gebildete, heterosexuelle Deutsche ohne Migrationshintergrund – also so weit identisch mit ihrem Publikum – porträtierten. Das ist vollkommen legitim, auch gegen die Bemühungen der Theater, ein jüngeres Publikum zu erreichen, ist sicherlich generell erstmal nichts zu sagen. Aber es zeigt deutlich, wie Kultur halt auch immer der Selbstvergewisserung einer bestimmten Schicht und der Aufrechterhaltung des eigenen kulturellen Kapitals dient. Und hier ist dann auch der Unterschied zu den kanonischen Werken. Sich einen Shakespeare zu erschließen ist relativ leicht, es gibt Massen an Sekundärliteratur, reichlich Verfilmungen und selbst die Wikipedia-Einträge sind in der Regel brauchbar. Wenn die Alltags- und Subkulturcodes einer gebildeten Mittelschicht auf die Bühne kommen, grenzen sie aber erstmal aus, denn diese Codes kann man sich auch durch ein fleißiges Bildungsbemühen nicht erarbeiten.

trackback

[…] für das Kommentariat zu bieten. Dabei geht es auch deutlich gehaltvoller. In einem Gastbeitrag bei den Ruhrbaronen schreibt die AG Kritische Kulturhauptstadt: Die Kulturhauptstadt 2010 agiert mit einem […]

Arnold Voss
14 Jahre zuvor

Einverstanden ch_we. Ich bin – obwohl oder gerade weil ich ein Kind des deutschen Gymnasiums bin – schon lange ein Gegner des gegliederten deutsche Schulsystems. Das ist sozusagen einer der fremdverschuldeten Anteile an der sogenannten Bildungs- und Kulturferne der sogenannten Unterschicht den abzuschaffen in Deutschland besonders schwer fallen wird.

Die von dir aufgezeigte soziale Selbstreferenzialität vieler Kulturproduktionen ist dagegen unvermeidlich und trotzdem nur begrenzt dafür in Haft zu nehmen. Bildung ist nämlich nur eine, wenn auch wichtige, Voraussetzung von Kulturaneignung. Eine weitere ist Neugierde und die Bereitschaft sich Mühe zu geben, fremde Codes zu knacken.

Ansonsten sollte es jedem selbst überlassen bleiben, was er für kulturell achtens- und lernenswert hält. Es gibt ein kulturelles Glück jenseits der herrschen Auffassungen des „Zu Höherem Strebens“, egal von welcher selbst ernannten Elite es verabscheut oder sonst wie diskriminiert wird. Dieses zu achten habe ich als Kind des Ruhrgebietes gelernt. Auch deswegen, weil es auf seine Art hoch kreativ und äußerst tiefsinnig sein kann.

ch_we
ch_we
14 Jahre zuvor

Der Unterschied ist halt, dass nur bestimmte Codes als „hochwertig“ genug angesehen werden, mit öffentlichen Mitteln bezuschusst zu werden. In der Regel bleibt sich die „kulturtragende“ Schicht da treu. Ich würde mir auch wünschen, dass Kultur stärker inkludierend wäre, aber das ist sie halt nicht. Was übrigens nicht bedeutet, dass die Alltagskultur „minderwertiger“ wäre – nichts ist ja uninteressanter und weniger kreativ als Nabelschau.

Arnold Voss
14 Jahre zuvor

Kultur muss nicht immer inkludierend sein, wenn denn alle Kulturen eine Darstellungs- und Entwicklungschance bekommen. D.h. dass das Fördersystem als ganzes ein viel größeres Volumen und eine andere innere Verteilung braucht. Zugunsten von mehr Inhalt und für weniger Glamour/Protzerei ließe sich sicher dafür auch noch einiges Geld im System selbst locker machen.

Aber wie z.B. in Bochum ein Konzerthaus gegen mehr und bessere Kindergärten und Schulen auszuspielen ist gesellschaftlich kontraproduktiv.Es gibt Dinge auf die nicht nur die Stadt Bochum eher verzichten kann als auf gute Basis-Bildung u n d Hoch-Kultur.

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