Seit einem Monat beschäftigt sich der Untersuchungsausschuss zum„Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) im NRW-Landtag mit demMord an Mehmet Kubaşık am 4. April 2006 in Dortmund. In den Ausschusssitzungen im Januar wurden unter anderem Polizeibeamte aus Dortmund und Nürnberg gehört, die in der Mordserie ermittelt hatten. Auch die Angehörigen von Mehmet Kubaşık waren zu Wort gekommen und hatten geschildert, wie sie die Ermittlungen und die Verdächtigungen gegen ihre Familie erlebten. Ab heute wird es politischer im Ausschuss. Für diese Sitzung wurden Bert Griksch, derdamals die Krimnalgruppe 1 der Dortmunder Polizei leitete, und außerdem Jörg Lukat, der zum Zeitpunkt des Mordes an Mehmet Kubaşık den polizeilichen Staatsschutz leitete, geladen. Jan Raabe wird als Sachverständiger zum Thema Rechtsrock sprechen und dabei vermutlichvor allem Auskünfte zur Rechtsrockband „Oidoxie“ erteilen. Mitglieder von „Oidoxie“ sollen versucht haben, in Dortmund eineZelle der rechtsextremen Terrororganisation „Combat 18“aufzubauen. Alexandra Gehrhardt und Sebastian Weiermann tickern aus dem Ausschuss.
10:29 Uhr: Als erstes spricht im NSU-Ausschuss heute Jan Raabe. Raabe ist einer der Experten in Sachen Rechtsrock in Deutschland. Heute führt Raabe Details zu seinem Gutachten zum Thema „Blood & Honour / Combat 18, Oidoxie, Dortmund -Kassel und der NSU“ aus.
Hinter Rechtsrock steckt eine ganze Szene und viel Geld, sagt Raabe. „Jugendkultureller Vorbau“ hat politisierende, finanzielle Bedeutung. Blood & Honor wurde in den 1987 Jahren von Ian Stuart Donaldson in Großbritannien gegründet, die deutsche Division entstand Anfang der 90er Jahre als loses Netzwerk und hatte seit etwa 1994 feste Organisationsstrukturen. Raabe führt aus, dass das Kerntrio des NSU in einem Bericht des Thüringer Verfassungsschutzes Blood & Honour zugerechnet worden sei. Jan Raabe schätzt die Lage so ein, die drei seien im Umfeld des Rechtsrock-Netzwerks aktiv gewesen. Blood & Honour-Aktivisten hätten aber eine wichtige Rolle gespielt, um den drei NSU-Terroristen beim Untertauchen zu helfen.
Blood & Honour Deutschland wurde 2001 verboten, doch, so Raabe, die Strukturen sind damit aber nicht verschwunden. Man könne davon ausgehen, dass alte Netzwerke zum Beispiel unter anderen Namen weiter aktiv waren. Nach dem Verbot, das nach Einschätzung des Sachverständigen nur einen Teil von Blood & Honor betraf, habe es Konzerte und Publikationen in Nordrhein-Westfalen gegeben, die sich durchaus als zur Struktur gehörig bewerten lassen.
Combat 18 entstand Anfang der 1990er Jahre in Großbritannien als Saalschutz für Blood & Honour-Konzerte. Schnell habe sich Combat 18 aber zu einer eigenen Organisation entwickelt, die sich als bewaffneter Arm von Blood & Honour verstand. In Zeitungen von Combat 18 wurde offen zu terroristischen Akten aufgerufen und es wurden auch Anleitungen zum Bombenbau verbreitet. In Deutschland gab es in Berlin, Bayern und Norddeutschland Combat 18-Strukturen. Raabe schätzt ein, dass sich auch in Dortmund eine Zelle gebildet hatte. Die Band Oidoxie sei mit neun CDs und über 150 Konzerten teilweise auch auf Demonstrationen sehr wichtig. In den Texten der Band werde Combat 18 gepriesen und beworben. Trotzdem war Oidoxie nicht von Verboten betroffen. Seit dem Jahr 2000 tritt Oidoxie, von C18-Aktivisten organisiert, auf internationalen Konzerten auf. „Oidoxie ist zu bezeichnen als eine der Top-Bands der Combat-18-Szenerie“, sagt Raabe.
10:32 Uhr: Die Verbindungen von Oidoxie in die rechtsterroristische Szene ist, so Raabe nachweisbar. Ein Konzert in Belgien habe man zusammen mit Personen aus Großbritannien und Belgien organisiert, die später für terroristische Akte verurteilt wurden.
Die Unterstützer der Band gründeten ab dem Jahr 2000 die „Oidoxie-Streetfighting Crew“, eine Art Saalschutz für Konzerte der Band. In der „Streetfightingcrew“ schlossen sich Personen aus der Kameradschaftsszene zusammen. Später gründete sich aus dieser Strutktur die Dortmunder „Combat 18“ Zelle. Raabe führt die VErbindungen zwischen dem Oidoxie Sänger Marco Gottschalk, dem V-Mann Sebastian Seemann und Robin Schmiemann, einem Neonazi aus Dortmund, der bei einem Raubüberfall einen migrantischen Supermarkt Mitarbeiter anschoss und später als Brieffreund von Beate Zschäpe bekannt wurde. Kontakte von Oidoxie zum NSU gehen zurück bis in die frühen 90er-Jahre: Es gibt Belege, dass Oidoxie einmal beim Thüringer Heimatschutz (THS) auftrat, in dem Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt politisch sozialisiert wurden
10:36 Uhr: Der Sachverständige und der Ausschuss starten die Diskussionsrunde. Der Vorsitzende Sven Wolf fragt nach Kontakten nach Dortmund: Raabe weist darauf hin, dass Dortmund und die sächsische Division nicht zum selben Flügel gehörten und es eine gewisse Distanz gegeben habe. Andere führende Köpfe von Blodd & Honor seien aber gut mit Dortmundern zurecht gekommen.
Sven Wolf fragt, wie Verbindungen, die Experten zum Beispiel zwischen den Nagelbombenattentaten von David Copeland und dem Attentat in der Keupstraße an Sicherheitsbehörden wie den Verfassungsschutz weitergaben. Raabe hat 2002 einen Sammelband zu Rechtsrock veröffentlicht und ist sich sicher, dass Sicherheitsbehörden Informationen hatten und haben. „Hier geht es weniger um mangelndes Wissen als mehr um die Frage, wie mit diesem Wissen umgegangen wurde.“
Als eine Schlüsselfigur der NRW-Szene sieht Jan Raabe den Lünener Neonazi Sebastian Seemann, der mit hoher Wahrscheinlichkeit Mitglied der C-18-Zelle Dortmund, und V-Mann des Verfassungsschutzes war. Er lebte zeitweise in Belgien, wo es lange Rechtsrock-Konzerte mit starker Beteiligung aus Deutschland gab. „Meines Wissens hätte man da aktiv werden müssen, und da braucht es meiner Meinung nach nicht mal einen V-Mann, sondern das war öffentlich sichtbar.“
Wenn es um die Einschätzung von rechtsterroristischen Aktivitäten gibt, gibt Raabe zu: „Der Anschlag in der Keupstraße wurde von uns innerhalb kürzester Zeit gestrichen, weil auch wir uns von den Behördenmeinungen haben ablenken lassen.“ Darauf geht Wolf ein: Wenn die Behörden nicht von einem rassistischen Motiv ausgingen, sei das ein Indiz für institutionellen Rassismus? Begriffe wie „Soko Bosporus“, „Döner-Morde“ o.ä. „weisen auf institutionellen Rassismus hin“, könnten aber auch persönliche Dispositionen sein. Spannender findet Raabe dabei die Frage, wann welche Arbeitshypothesen verworfen wurden. Eine wichtige Frage sei, wer in dieser Gesellschaft gehört würde. Nach dem NSU-Mord in Kassel habe es Proteste gegeben, die migrantische Community in Kassel habe die Mordserie richtig, als Angriff auf Migranten verstanden. „Wir“ – damit meint Raabe nicht nur Behörden, sondern auch Gesellschaft und Medien – hätten damals auf die Einschätzung von Sicherheitsbehörden gehört und die Mordserie abgetan.
11:07 Uhr: Am Beispiel von rassistischen Kontrollen in Bahnen und Bahnhöfen erklärt Raabe dem Ausschuss gerade, was er unter „institutionellem Rassismus“ versteht. Der Ausschussvorsitzende Wolf stimmt zu, solche Beobachtungen auch schon gemacht zu haben, er sei sich aber nicht sicher, ob dies ein strukturelles Problem sei. Raabe betont, wie unabhängig voneinander viele Menschen solche Erfahrungen machen. Um „institutionellen Rassismus“ aushebeln zu können, müsse es z.B. bei der Polizeiausbildung eine Sensibilisierung für das Thema Rassismus geben.
11:44 Uhr: Die SPD fragt nach den Auslandskonzerten von Oidoxie. Bei Oidoxie, sagt Raabe, sei auffällig, dass es besonders viele Konzerte im Ausland gäbe. Dies liegt daran, dass im Ausland Dinge möglich seien wie Hitlergrüße, die in Deutschland strafbar sind. Auf Listen, die in der Neonaziszene kursieren, wird Oidoxie als eine von „ganz wenigen“ Combat 18–Bands genannt. Die Häufung von sehr eindeutigen, „renommierten“ Konzerten in der Rechtsrockszene sei bei Oidoxie einmalig für eine deutsche Band. Raabe spricht über die hohe Relevanz neonazistischer Ideologie in der Rechtsrockszene: In der Dortmunder Combat 18–Zelle seien die „TurnerDiaries“ Pflichtlektüre gewesen. Auf internationaler Ebene sei durchaus deutlich, dass auf die Musik von Combat 18–Bands auch Taten folgten. Wenn man sich den dreifachen Polizistenmord von Michael Berger in Dortmund anschaue, könne man durchaus fragen, ob dies nicht eine Tat von Combat 18 sei. Berger sei ideologisch und organisatorisch eng an Oidoxie und damit an Combat 18 angebunden gewesen. Raabe verweist auch auf den Aufkleber, der nach dem Mord durch Berger in der neonazistischen Szene in Dortmund kusierte. Die positive Bezugnahme auf Berger, „3:1 für Deutschland“ sei eine Aussage, wie Neonazis „auf Repression reagieren“, führt Raabe aus: „mit Mord.“
12:03 Uhr: In der Rechtsrockszene gab es, führt Raabe auf Nachfrage aus,bis auf den Song „Dönnerkiller“, keine Resonanz auf die Taten des NSU. Raabe spricht über Dynamiken in der militanten rechten Szene. Der Sauerländer Neonazi Michael Krick habe Oidoxie Anfang der 2000er als „T-Shirt–Terroristen“ bezeichnet. Wenn sich diese Einschätzung in der Szene durchgesetzt hätte, hätte Oidoxie heute nicht den Stellenwert als feste Größe unter den Combat 18–Bands. Es stellt sich also, so Raabe, die Frage, ob und an welchen Taten Oidoxie und das Umfeld der Band beteiligt waren. Verena Schäffer fragt Jan Raabe, ob die Sicherheitsbehörden in NRW die Strukturen von Combat 18 und Blood & Honour unterschätzt hätten. Raabe sagt: „Eindeutig ja!“
12:48 Uhr: Die Oidoxie Streetfighting Crew ist, Raabes Einschätzung nach, kein Unikat, sondern ein Zeichen von Struktur. Gibt es aus Dortmund konkrete Kontakte ins NSU-Unterstützer-Netzwerk? Jan Raabe nennt Robin Schmiemann, der einen Briefwechsel mit Beate Zschäpe hatte, ansonsten fällt ihm niemand ein.
Damit endet nach fast drei Stunden das Hearing von Jan Raabe, die Ausschusssitzung geht um 15.30 Uhr weiter.
15.30 Uhr: Die Ausschusssitzung geht nun mit der Befragung von Jörg Lukat weiter. Er leitete von 2001 bis 2006 die Abteilung Staatsschutz bei der Polizei Dortmund und ist jetzt beim NRW-Innenministerium.
15:52 Uhr: Seiner eigenen Erinnerung nach war er in die Ermittlungen zum Mord an Mehmet Kubaşık nicht selbst eingebunden. Eine Kollegin und ein Kollege des Staatschutz seien eingebunden gewesen, jedoch, seiner Erinnerung nach, nicht als Beschäftigte des Staatsschutzes, sondern als Ermittelnde. Die Beamten unterstanden Bert Griksch, der als Leiter des KK1 die Ermittlungen leitete. Lukat wörtlich: „Ich habe dienstlich keinen Zugriff auf den Fall gehabt.“ Lukat erinnert sich nicht daran, dass die ermittelnden Beamten ihn im Falle Mehmet Kubaşık um fachlichen Rat gefragt hätten, noch habe er ihn angeboten. Wolf führt Fäden zusammen: Er nennt die Operative Fallanalyse, die ein rassistisches Motiv in Betracht ziehen, die Zeugin, die von Nazis sprach und die aktive rechte Szene in Dortmund – „und trotzdem haben Sie als Staatsschutz sich nicht eingeschaltet.“ Wenn man angefragt worden wäre, hätte man die Ermittlungen unterstützt. Er gehe davon aus, dass die Kollegen vom Fach in alle Richtungen ermittelt hätten und bei Bedarf auf ihn zugekommen wären.
Lukat redet sich schon bei einfachen Nachfragen von Sven Wolf raus. Man habe im Staatsschutz nur 30 Beamte zur Verfügung und müsse die ganze Bandbreite vom Rechts- über Ausländer- Linksextremismus und Islamismus abarbeiten. Zur Zeit des Mordes an Mehmet Kubaşık sei das Thema Islamismus auch sehr wichtig gewesen. Man sei damals davon ausgegangen, dass die Ermittlungsgruppe im Fall Kubaşık schon ihrer Arbeit nachginge. Der Ausschussvorsitzende bohrt weiter, die Antworten bleiben gleich.
15:56 Uhr: Jörg Lukat schildert gerade den Mordfall an Thomas „Schmuddel“ Schulz. Hier habe das Gericht später festgestellt das kein politischer Hintergrund vorliege. Auch bei einem weiteren Mordfall wenige Tage später in Schwerte sei der Staatsschutz eingebunden worden und auch hier habe sich kein politischer Hintergrund ergeben.
16:05 Uhr: Peter Biesenbach von der CDU stellt nun Fragen. Biesenbach kann nicht verstehen, warum die Staatsschützer die im Mordfall Kubaşık ermittelten ihre fachliche Expertise nicht in die Ermittlungen einbrachten. Biesenbach sagt, dies erschüttere sein „Weltbild“ von professioneller Polizeiarbeit. So könne er sich viele Fragen „schenken“ und fragt nach konkreten Neonazis. Die Kameradschaft um Siegfried Borchardt schätzt Lukat als „sehr gewaltbereit“ ein. Biesenbach stellt nach mangelhaften Antworten keine Fragen mehr. Auf Frage der SPD erklärt Jörg Lukat, dass ihm die „Turner Diaries“ nicht bekannt seien. Dafür führt Lukat einige Allgemeinplätze zu NPD, „Kameradschaften“ und ihren „Rattenfänger“–Methoden aus.
16:18 Uhr: Lukat äußert man habe viel Aufklärungsarbeit im Bereich Rechtsrock geleistet. In seinem Verantwortungsbereich sei die Zahl der Neonazi–Konzerte stark zurück gegangen. Was der ehemalige Staatsschützer über die konkrete Arbeit gegen Rechtsextremismus äußert bleibt allerdings eher im Trüben. Bei seinen Ausführungen wirkt der Staatsschutz eher wie der verlängerte Arm des Jugendamtes. Man habe Informationsveranstaltungen in Schulen gemacht und Ersttäter bei ihren Eltern angesprochen und sei auch bei Kameradschaftsabenen dabei gewesen.
16:30 Uhr:Zum V-Mann Toni Stadler (der am morgigen Donnerstag öffentlich aussagen wird) möchte Jörg Lukat erstmal nichts sagen. Dazu habe er keine Aussagegenehmigung. Sven Wolf, Vorsitzender des Ausschusses widerspricht dem. Allgemeines über Stadler könne Lukat sagen, der nun aber ausweicht. Ein Aktenvermerk von ihm sei „vertraulich“, an andere Details zu Stadler kann er sich erstmal nicht erinnern. Ihm wird ein Aktenvermerk vorgelegt, in dem es um ein Interesse des Verfassungsschutzes an Stadler geht. Lukat ist diese Akte unbekannt.
16:35 Uhr: Lukat wird eine Anfrage der „Mordkommission Kiosk“ an ihn vorgelegt, ob Herr Kubaşık PKK-Spendensammler gewesen sei. Eben sagte der Beamte noch, er sei nicht in die Ermittlungen eingebunden gewesen. Das hat er wohl alles falsch verstanden – er war eingebunden, nur nicht im Zusammenhang mit Rechtsextremismus. Aber wie man auf die PKK gekommen sei, weiß er auch nicht mehr. Sven Wolf gibt weiter, „sonst werde ich wütend“. Joachim Stamp von der FDP bezeichnet weitere Nachfragen an Herrn Lukat als „zwecklos“.
16:45 Uhr: Für die Einführung im Bereich „Staatsschutz“ gäbe es Fortbildungen für Polizeibeamte, erklärt Lukat auf Nachfrage von Birgit Rydlewski, und hatten einen Umfang von mehr als einer Woche. Für die speziellen Themengebiete habe es sogar noch weitere Fortbildungen gegeben. Auch, dass Neonazis im Besitz von Schusswaffen gewesen seien, erklärt Lukat. Man habe darauf mit Durchsuchungen reagiert. Bei wem genau man durchsucht habe, ob z.B. Sebastian Seemann Ziel polizeilicher Maßnahmen gewesen sei,weiß Lukat nicht mehr. Rydlewski liest aus Akten vor, in denen Lukat Seemann als sehr gefährlich bezeichnete. Jetzt kann Lukat sich wieder (ein bisschen) an Sebastian Seemann erinnern.
16:57 Uhr: Andreas Kossiski von der SPD ist echauffiert. Lukat könne schön ausführen, welche Präventionsmaßnahmen es gäbe, wie der Staatsschutz aufgebaut sei usf. Aber auf konkrete Fragen zum Beispiel zu Sebastian Seemann gäbe er keine konkreten Antworten. Zum Verschwinden Seemanns nach Belgien im Jahr 2004 sagt Lukat: „Wir haben das zur Kenntnis genommen und mit unseren Möglichkeiten, zum Beispiel Internetrecherchen versucht, das nachzuvollziehen.“ Er betont aber: „Wir haben umfangreich versucht, in alle Richtungen aufzuklären.“
17:05 Uhr: Sven Wolf fragt nochmal: „Warum haben sie nach dem Mord an Herrn Kubaşık nicht eigeninitativ in Richtung Neonazis ermittelt? Anders formuliert: Würden Sie heute sagen, Sie haben einen Fehler gemacht?„ – „Nein, das kann ich nicht erkennen.“
17:27 Uhr: Die Abgeordneten sind mittlerweile richtig wütend. Andreas Biallas macht sich offensiv über die Ausflüchte von Jörg Lukat lustig. Aber natürlich hat das Ganze hier einen ernsthaften Hintergrund. Es wird am Beispiel des Dortmunder Staatsschutz sehr deutlich, wie sehr in einer neonazistischen Hochburg der Rechtsextremismus verharmlost wurde. Erschreckend für die Abgeordneten ist auch die nicht vorhandene Reflektion die Herr Lukat hier leistet.
17:34 Uhr: Die Parlamentarier haben keine Fragen mehr an Herrn Lukat. In wenigen Minuten geht es weiter mit der Befragung von Bert Gricksch, der die Kriminalgruppe 1 bei der Polizei Dortmund leitete.
17:50 Uhr: Bert Gricksch ist 59 Jahre alt und arbeitet mittlerweile bei der Polizei in Kleve. Von Anfang 2005 bis zum Ende des Jahres 2009 war er bei der Polizei Dortmund. Im Fall Kubaşık leitete er die Kriminalinspektion 1, die für Tötungsdelikte zuständig ist. Gricksch war in der Lenkungsgruppe, die sich mit den anderen Behörden koordinierte, die „Ceska–Morde“ untersuchten. Die Zusammenarbeit mit den Vertretern aus den anderen Bundesländern sei gut, aber man sei nicht immer einer Meinung gewesen – besonders, wenn es um die Tätertheorie ging. Die Organisationstheorie, die von Organisierter Kriminalität ausgeht, hätten die Ermittler um Griksch spätestens nach dem Mord an Halit Yozgat in Kassel nicht mehr aufrechterhalten können.
17:XX Uhr: Der Zeuge spricht im Hinblick auf Mehmet Kubaşık von einem „unbescholtenen Bürger“. Man habe in alle Richtungen ermittelt, Ansätze, die doch von einer Organisation ausgingen, hätten sich nicht bestätigt. Gricksch betont, dass die Polizei Dortmund sehr empathisch mit den Angehörigen umgegangen seien. Er selbst sei „zertifizierter Opferbetreuer“.
Wolf fragt nach:Hat man in Dortmund wirklich in alle Richtungen ermittelt? Gricksch schüttelt stark mit dem Kopf. „Ich weiß worauf sie hinaus wollen.“ Für den Ermittler sei aus heutiger Sicht verständlich, warum man so intensiv nachfrage. Gricksch sagt, man habe damals „gefühlt in alle Richtungen ermittelt“. Ein rechtsextremer Hintergrund sei den Ermittlern einfach nicht in den Sinn gekommen.
Wolf stellt kurze Fragen und will kurze Antworten: Wurden Zeugen Lichtbilder von Dortmunder Neonazis vorgelegt? Wurde das Video der Überwachungskamera am Hauptbahnhof vorgelegt? Wurden Staatsschutz oder Verfassungsschutz angefragt? Griksch verneint oder weiß es nicht mehr. Die einzige Zeugin, die evtl. die Täter gesehen hat, kannte Griksch nur vom Namen, nicht jedoch den Inhalt ihrer Aussage.
18:30 Uhr: Die Fraktionen sind dran. Die CDU fragt nach der Arbeit der „Lenkungsgruppe“ und Problemen. Gricksck erklärt, er habe die bayerischen Ermittler nach einem Rechten Hintergrund gefragt, diese schilderten ein negatives Ergebnis. Deswegen habe man in Dortmund auch nicht in diese Richtung ermittelt. Ob Gricksch mal bei Herrn Lukat nachgefragt habe, fragt Sven Wolf. Dies sei nicht nötig gewesen, erklärt Griksch, weil Lukat bei Morgenbesprechungen dabei und zwei Staatsschützer in seiner Ermittlungsgruppe gewesen seien. Wenn man beim Staatsschutz Hinweise auf einen neonazistischen Hintergrund gehabt hätte, dann, so glaubt Gricksch, hätte man dieses geäußert. Wie vorhin zu hören war, wartete Herr Lukat aber auf die spezifische Aufforderung, im Bereich Rechtsextremismus zu ermitteln.
18:40 Uhr: Andreas Kossiski (SPD) fragt noch einmal nach. Bert Gricksch erklärt, dass er davon ausgehe, dass der Staatsschutz von selbst untersuche ob es einen neonazistischen Hintergrund der Tat gäbe. In Besprechungen habe man mehrfach darüber gesprochen ob die Tat „Ausländerfeindlich“ motiviert gewesen sein könnte. „Ich will mich hier nicht reinwaschen, ich habe auch Fehler gemacht, aber ich habe Dinge vorrausgesetzt, die ich besser nicht vorrausgesetzt hätte“, erklärt Bert Gricksch. Der Polizeibeamte wirkt nachdenklich. Er gibt zu: Er und seine Kollegen hätten stärker in diese Richtung ermitteln müssen. „So schlau bin ich leider erst heute.“
18:57 Uhr: In der heutigen Sitzung des NSU-Untersuchungsausschuss konnte ein Musterbeispiel für unterschiedliche Typen von Polizisten beobachtet werden. Mit Jörg Lukat und Bert Gricksch waren zwei Beamte im Ausschuss, die in die Ermittlungen eingebunden waren. Lukat war das Beispiel für den schlechten Polizisten, der auch nach der Enttarnung des NSU kein Interesse an seiner eigenen Rolle und der seiner Behörde bei den Ermittlungen in der Mordserie zu haben scheint. Lukat konnte sich an nicht viel erinnern, zog sich auf seine „Aussagegenehmigung“ zurück und ihm musste zu beinahe jeder Frage die entsprechende Akte vorgelegt werden. Aufschlussreicher wurde seine Aussage dadurch allerdings nicht. Mühe, Reue, Empathie – bei Jörg Lukat Fehlanzeige. Die Aussage von Bert Gricksch steht dazu im krassen Gegensatz. Zur Aufklärung der Mordserie trägt auch Gricksch nicht bei. Aber er wirkt empathisch. Gricksch erklärt offen, dass man Fehler gemacht habe und er an entscheidenden Punkten nicht nachgefragt habe. Diese Aussage wirkt nach dem Staatsschützer Lukat erfrischend offen.
19:24 Uhr: Es ist ein bisschen verwirrend im Ausschuss. Ungefähr zehn Minuten lang stellt Peter Biesenbach (CDU) Detailfragen an Bert Gricksch. Der versucht diese zu beantworten aber Biesenbach ist mit den Antworten nicht zufrieden. Er äußert sein allgemeines Unverständnis über Aufbau und Arbeit der Ermittlungsgruppe im Mordfall Kubaşık. Auch Monika Düker (Grüne) hakt in Sachen Medienstrategie nach: In einem Schreiben vom Landeskriminalamt wird explizit eine Verbindung zwischen der Öffentlichkeitsarbeit zur Mordserie und der 2006 in Deutschland stattfindenden Fußball-WM gezogen. Die WM habe keinen Einfluss auf die Medienstrategie gehabt. Damit endet die heutige Ausschusssitzung. Morgen geht es dann mit der Vernehmung des ehemaligen Neonazis und V-Mannes Toni Stadler und dem Staatsschutz-Mitarbeiter Robert Preuß weiter.
Bemerkenswert oder besser: erschreckend ist, dass die Staatsanwalt Dortmund zwischen 2005 und 2007 gegen die Mitglieder von "Oidoxie" und "Weisse Wölfe" ermittelte (Anklage wegen Volksverhetzung und Darstellung von Gewalt) und sich dabei unter anderem auf V-Leute berief, die die Szene permanent im Blick hatten. Also in der Zeit als Mehmet Kubaşıkam bekanntlich ermordet wurde.
Serkan
8 Jahre zuvor
Man bekommt doch glatt Gänsehaut wenn man liest wie sich der Herr Luakt da verhält. Das selbst die Abgeorndeten aus Konservativen/rechtsoffenen Parteien da nur den Kopf schütteln sollte das bestärken. Wie kann es so ein Typ so weit bringen, warum passiert da nichts, ab in den keller eines Rathauses und briefe stempeln lassen!
[…] NSU-Ausschuss zu Dortmund: Rechtsrock und Staatsschutz | Ruhrbarone […]
nutellaberliner
8 Jahre zuvor
wahrscheinlich wäre es ergiebiger gewesen, den staatsschutz zum thema linksextremismus zu befragen. auch wenn das irrelevanter ist, scheinen die sich eher um sowas zu kümmern als um die realen gefahren von rechts.
was auch einiges über die politische steuerung aussagt.
bob hope
8 Jahre zuvor
Sehr interessanter Ticker, thanks! Mal "gespannt" wie es weiter geht. Morgen soll ja auch der ehemalige V-Mann Robert Preuß vernommen werden. Derzeit arbeitet Preuß derzeit Nazi-Aussteigerprogramm des NRW-Innenministeriums. Er sollte ja schon 2007 vor dem Dortmunder Amtsgericht gegen die "Weissen Wölfe" aussagen. So viel ich weiß, tat er das nicht (zumindest wurde das mehrfach verschoben) . Das Verfahren wurde ja später eingestellt, da nicht ermittelt werden konnte, wer von den damaligen Weisse Wölfe-Mitgliedern – zu denen unter anderem Oidoxie-Sänger Marko Gottschalk gehörte – für die Textzeilen verantwortlich war, in denen zu Morden an Ausländer, Juden, "Behinderte" und Polizisten aufgerufen wurde. Wenn man bedenkt, dass beide Bands 1997, also ein Jahr vor den ersten Überfällen und zwei Jahre vor den ersten NSU-Morden in der Szene aufgetaucht sind…
[…] Preuß war, ebenso wie der am Mittwoch befragte Jörg Lukat, beim Staatsschutz der Polizei Dortmund und damit mit politisch motivierten Straftaten betraut. […]
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Bemerkenswert oder besser: erschreckend ist, dass die Staatsanwalt Dortmund zwischen 2005 und 2007 gegen die Mitglieder von "Oidoxie" und "Weisse Wölfe" ermittelte (Anklage wegen Volksverhetzung und Darstellung von Gewalt) und sich dabei unter anderem auf V-Leute berief, die die Szene permanent im Blick hatten. Also in der Zeit als Mehmet Kubaşıkam bekanntlich ermordet wurde.
Man bekommt doch glatt Gänsehaut wenn man liest wie sich der Herr Luakt da verhält. Das selbst die Abgeorndeten aus Konservativen/rechtsoffenen Parteien da nur den Kopf schütteln sollte das bestärken. Wie kann es so ein Typ so weit bringen, warum passiert da nichts, ab in den keller eines Rathauses und briefe stempeln lassen!
Abscheulich!
PS. Danke für den Bericht!
[…] NSU-Ausschuss zu Dortmund: Rechtsrock und Staatsschutz | Ruhrbarone […]
wahrscheinlich wäre es ergiebiger gewesen, den staatsschutz zum thema linksextremismus zu befragen. auch wenn das irrelevanter ist, scheinen die sich eher um sowas zu kümmern als um die realen gefahren von rechts.
was auch einiges über die politische steuerung aussagt.
Sehr interessanter Ticker, thanks! Mal "gespannt" wie es weiter geht. Morgen soll ja auch der ehemalige V-Mann Robert Preuß vernommen werden. Derzeit arbeitet Preuß derzeit Nazi-Aussteigerprogramm des NRW-Innenministeriums. Er sollte ja schon 2007 vor dem Dortmunder Amtsgericht gegen die "Weissen Wölfe" aussagen. So viel ich weiß, tat er das nicht (zumindest wurde das mehrfach verschoben) . Das Verfahren wurde ja später eingestellt, da nicht ermittelt werden konnte, wer von den damaligen Weisse Wölfe-Mitgliedern – zu denen unter anderem Oidoxie-Sänger Marko Gottschalk gehörte – für die Textzeilen verantwortlich war, in denen zu Morden an Ausländer, Juden, "Behinderte" und Polizisten aufgerufen wurde. Wenn man bedenkt, dass beide Bands 1997, also ein Jahr vor den ersten Überfällen und zwei Jahre vor den ersten NSU-Morden in der Szene aufgetaucht sind…
[…] Preuß war, ebenso wie der am Mittwoch befragte Jörg Lukat, beim Staatsschutz der Polizei Dortmund und damit mit politisch motivierten Straftaten betraut. […]
[…] 17. Februar 2016: Bert Griksch, Polizei Dortmund; Jörg Lukat, Staatsschutz der Polizei Dortmund; … […]
[…] 17. Februar 2016: Bert Griksch, Polizei Dortmund; Jörg Lukat, Staatsschutz der Polizei Dortmund; Ja… […]
[…] 17. Februar 2016: Bert Griksch, Polizei Dortmund; Jörg Lukat, Staatsschutz der Polizei Dortmund; … […]