NSU-Ausschuss in Dortmund – People looking at things

Mallinckrodtstraße in Dortmund, Graffiti: Nazibanden zerschlagen
Ortstermin an der Mallinckrodtstraße. Bild: Gehrhardt

Dortmund, Mallinckrodtstraße, Nordstadt. Es ist neblig, es nieselt, es ist grau. Zwei Polizei-Motorräder nähern sich, die gelben Westen der Fahrer leuchten durch das Grau. Hinter ihnen ein Bus, er hält genau vor der Hausnummer 190, einem ehemaligen Kiosk. Die Tür öffnet sich, etwa eineinhalb Dutzend Menschen steigen aus. Sie sind hier, um sich den Ort anzuschauen, an dem am 4. April 2006 Mehmet Kubaşik vom „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) ermordet wurde. Und ihnen ist anzusehen, wie ernst es ihnen ist und was sie wollen: „Licht in die dunkle rechte Szene bringen“. Von Alexandra Gehrhardt und Sebastian Weiermann 

Das hatte Sven Wolf, Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses des nordrhein-westfälischen Landtags, nach dem Attentat auf Kölns künftige Oberbürgermeisterin Henriette Reker betont. Der Täter, der 44-jährige Frank S., war lange Zeit in der rechten Szene aktiv und hatte den Angriff mit seinem Widerstand gegen die Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland begründet. „Wir Demokraten müssen zusammenstehen und unsere Demokratie verteidigen. Wichtiger denn je wird daher unsere Arbeit hier im Ausschuss. Wir wollen und wir müssen Licht in die dunkle rechte Szene in NRW bringen“, wird Wolf in einer Mitteilung des Landtags zitiert.

Insgesamt zehn Morde aus rassistischen Motiven werden dem NSU zugerechnet, dazu mindestens zwei Bombenanschläge in Köln. Seit Anfang des Jahres befasst sich ein Untersuchungsausschuss im Düsseldorfer Landtag mit den Ereignissen in NRW. Wer die Sitzungen dieses Ausschusses besucht, merkt, dass viele seiner Mitglieder es ernst damit meinen. Darauf, was sie bremst, haben sie nur wenig Einfluss. Dass die Ausschussmitglieder einige vertrauliche Akten lange Zeit nicht lesen konnten, weil es keine überwachungssicheren Räume gab, und dass sie einige Akten lange Zeit gar nicht erhalten haben, weil die zuständigen Stellen sie nicht herausrückten, sind nur zwei Symptome. Dass die Ziele, mit denen sie angetreten sind, wahrscheinlich zu hoch waren, war abzusehen. Fraglich bleibt, ob es in Nordrhein-Westfalen wie im Bund einen zweiten Ausschuss geben wird.

In Zeugenbefragungen wirken die Abgeordneten hartnäckiger als erwartet, haken nach, stellen Fragen auch mehrfach, in der Hoffnung auf Antworten. Dass Zeuginnen und Zeugen mauern, ist aus allen Untersuchungsausschüssen, die sich mit dem NSU beschäftigt haben, zu hören. Es gehört anscheinend dazu in Deutschland. Dass bei der öffentlichen und über Lokalmedien angekündigten Begehung kaum „Zivilgesellschaft“ vor Ort war, dass – fast zehn Jahre später – der Mord scheinbar vergessen ist, anscheinend auch.

Bild: Weiermann
Bild: Weiermann

Im Hintergrund wirken viele der Parlamentarierinnen und Parlamentarier sehr aktiv, fordern Akten an, stellen Fragen, diskutieren auf Veranstaltungen über Nazistrukturen in Dortmund, Rassismus in der Gesellschaft und die Rolle von Geheimdiensten im NSU-Komplex. Umso mehr wirkte die heutige Tatortbegehung aufgesetzt. Die Medienwissenschaft nennt das Pseudoereignis. Suggeriere, dass etwas passiert, obwohl eigentlich nicht wirklich etwas passiert. Die Delegation besichtigt kurz den leerstehenden und verrammelten Kiosk, an dem heute nur noch eine Gedenktafel an den Mord an Mehmet Kubaşik erinnert, geht ein paar Schritte in den angrenzenden Garagenhof und noch ein Stück die Straße hinunter. Danach widmen die Menschen sich der medialen Fragerunde, halten noch einen Moment an der Gedenktafel inne, nach 25 Minuten ist alles vorbei. Der Ausschuss klettert bis auf ein paar wenige zurück in den Bus, die Tür schließt sich, es heißt Abfahrt. Der Untersuchungsausschuss wird sich ab Januar mit dem Mord in Dortmund beschäftigen. Ob Licht ins Dunkle kommt, wird sich noch zeigen. Bis Ende 2016 ist noch Zeit.

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Robert Gorny
Robert Gorny
9 Jahre zuvor

Also, wenn ich ein Deutscher Geheimdienst wäre und was Übles zu vertuschen hätte, dann würde ich mir so eine Nazi Story ausdenken. So könnte ich sicher sein, dass diejenigen, die mir sonst kein Wort glauben würden mir voll auf den Leim gehen, auf diesen Köder anspringen, wie ein Terrier auf einen Gummiball, egal wie offensichtlich erstunken und erlogen und ihn nie wieder loslassen würden. Ja, sie müssten es schlucken, weil jeder Zweifel daran sie in ihren Augen ja selbst zum Nazi stempeln würde.

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