
Immer wieder fragen mich Menschen aus anderen Regionen des Landes, warum ich eigentlich nicht längst aus dem Ruhrgebiet weggezogen bin. Und ganz ehrlich: Das habe ich mich selber auch schon gefragt. Viele meiner ehemaligen Mitschüler hat es quer durch die Republik verteilt.
Für mich war das aber nie wirklich eine Option – auch wenn die beruflichen Perspektiven andernorts vielfach besser gewesen wären und ich nicht mehr Tag für Tag all die Mängel betrachten müsste, die diese sterbende Region inzwischen prägen. Trotz meines regelmäßigen Gemeckers liebe ich das Ruhrgebiet. Insbesondere meine Geburtsstadt Dortmund und die Gegend drumherum.
Als ich zwischen 1992 und 1994 meine Berufsausbildung in Frankfurt am Main gemacht habe, war das eine tolle Erfahrung. Die Skyline dort hatte es mir besonders angetan. Das Ganze wirkte irgendwie weltstädtischer, als ich es aus dem Ruhrgebiet kannte. Ich erlebte eine Stadt im Aufschwung, die mit einem enormen Ego auftrat – und das auch zu Recht. So viel Bautätigkeit und Neueröffnungen wie in diesen zwei Jahren habe ich im gesamten vorherigen Jahrzehnt im Ruhrgebiet nicht gesehen.
Und dennoch war mir schon nach wenigen Monaten in Südhessen klar, dass ich nach Beendigung meiner Ausbildung in den Großraum Dortmund zurückkehren würde. Die Menschen hier waren mir einfach zu sehr ans Herz gewachsen, während die Frankfurter auf mich eher befremdlich wirkten. Und so kam es dann auch. Seit 1994 bin ich wieder hier – und werde es, so ist zumindest der Plan, auch bleiben. Hier gehöre ich hin. Das war mir schon damals klar und hat sich bis heute nicht verändert.
Denn das Ruhrgebiet besteht eben aus viel mehr als maroden Innenstädten, leergezogenen Kaufhäusern und einem ÖPNV, der einen täglich in den Wahnsinn treiben kann. Viele Städte hier stehen sinnbildlich für den Niedergang der alten Industrie. Und ja, es ist nicht zu leugnen: Vieles ist kaputt. Und noch mehr wurde kaputtgemacht. Aber trotzdem ziehe ich nicht weg. Nicht aus Mangel an Alternativen. Sondern aus Überzeugung.
Denn was Statistiken, Rankings und Imagefilme nie einfangen, sind die großartigen Menschen hier. Die Mentalität. Der trockene Humor, der oft mehr über Lebensklugheit verrät als mancher Doktortitel. Die Art, wie man sich in der Schlange beim Bäcker miteinander anlegt – und zwei Minuten später gemeinsam über das Wetter lacht. Diese Mischung aus Schnauze, Herz und unerschütterlicher Bodenhaftung. Wenn du hier hinfällst, bekommst du keinen Beifall – aber wahrscheinlich eine helfende Hand. Und genau deshalb liebe ich diese Region so sehr.
Solange ich es mir wirtschaftlich leisten kann, bleibe ich. Trotz allem Gemecker, das mir täglich über die Lippen kommt. Und auch dieses Gemecker sehe ich inzwischen eher als Zeichen dafür, dass mir das Ruhrgebiet nicht egal ist. Ich liebe es sogar – auch wenn einem das mit kritischem Zungenschlag häufig abgesprochen wird, oft mit einem: „Dann zieh doch weg!“ flapsig gekontert wird.
Pech gehabt. Ich bleibe. Und meckere weiter. Ganz bewusst, denn mir ist das Ruhrgebiet nicht egal! 😉