Kraftwerk „E.On Datteln 4‘: Offener Brief an den Stadtrat der Kanalstadt im Vest

Das Kraftwerk 'Datteln 4'. Foto: Dieter Wirdeier
Das Kraftwerk ‚Datteln 4‘. Foto: Dieter Wirdeier

Vor knapp zwei Wochen veröffentlichten wir hier bei den Ruhrbaronen einen Brief eines besorgten Dattelner Bürgers an Hannelore Kraft, die Ministerpräsidentin des Landes NRW. Der Verfasser appellierte in seinem Schreiben damals an die Landesregierung dem eingeleiteten Zielabweichungsverfahren für das juristisch gestoppte Projekt nicht zuzustimmen.

Am gestrigen Sonntag erreichte uns nun ein weiteres Schreiben desselben Bürgers, diesmal ganz konkret als ‚Offener Brief‘ an die Mitglieder des Dattelner Stadtrates gerichtet.

Auch in diesem Schreiben fasst der uns namentlich bekannte Autor seine Sorgen in einem kompakten Text zusammen, fordert diesmal den Stadtrat der Kanalstadt direkt und öffentlich auf die Planungen in Sachen Kraftwerk ‚Datteln 4‘ aus unterschiedlichen Gründen umgehend einzustellen.

Aber lesen Sie doch einfach selber:

„Werte Damen und Herren,

auf Grund der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen des Strommarktes, insbesondere in Deutschland, und der daraus resultierenden Konsequenzen für Datteln möchte ich mich einmal zielgerichtet an die Mitglieder des Stadtrates wenden, um ein Überdenken Ihrer Einstellung zum rechtswidrigen Kraftwerksstandort Löringhof 10 anzuregen.

In einer Abstimmung am 17.03.2010 fasste der Stadtrat einen Beschluss zur Einleitung eines neuen vorhaben bezogenen Bebauungsplanes mit der Nr. 105a. Die Entscheidung erging auf Antrag der CDU in geheimer Abstimmung. Mit 23:16 stimmte die Mehrheit des Rates der Aufstellung eines neuen Bebauungsplanes zu.

Dieser Mehrheit ging es nach eigenen Aussagen immer nur um das Wohl der Stadt Datteln. Das Hauptargument für den Bau des gerichtlich gestoppten und weiterhin umstrittenen Steinkohlekraftwerkes Datteln IV war die Schaffung von Arbeitsplätzen und die von E.ON zu erwartenden Gewerbesteuereinnahmen, die Datteln so dringend bräuchte.

Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass sich alle Fraktionen nach der Beschlussfassung zur Aufstellung eines neuen Bebauungsplanes im März 2010 dahingehend und auch mit Nachdruck äußerten, sich den Ausstieg aus dem neuen Planungsverfahren jederzeit offen halten zu wollen, wenn es bezüglich der rechtlichen und technischen Realisierung des Kraftwerks Bedenken geben würde.

M.E. wurden die weiterhin bestehenden Konflikte und Hindernisse allesamt nicht ausgeräumt oder sachgerecht abgewogen, sondern, sie wurden und werden weiterhin verschleiert und durch die Verharmlosung, als nicht mehr präsente und deshalb, als nicht mehr zu beachtende Erfordernisse dargestellt. Die Stadtverwaltung und der Bauherr erklären, dass es sich bei dem rechtswidrig genehmigten `Störfallbetrieb`, der als solcher beantragt wurde, nun nicht mehr um einen `Störfallbetrieb´ handelt und man nun die dafür erforderliche Gesetze und Richtlinien wie z. b. die „Störfallverordnung, die „Seveso-II-Richtlinie“ oder den „Abstanderlass NRW“ nicht anzuwenden bräuchte.

Sie können an dieser Herangehensweise erkennen, dass das mit seriöser und rechtsstaatlicher Planung nichts mehr zu tun hat, sondern es der Stadtverwaltung und den Bauherren lediglich noch darum geht, das Kraftwerk irgendwie in den laufenden Betrieb zu bekommen. Kostet es was es wolle. Ich habe den Eindruck, die Planer und der Bauherr wollen die rechtliche Lage einfach nicht zur Kenntnis nehmen und die daraus überfälligen und erforderlichen Konsequenzen ziehen.

Aus vielerlei Gründen ist genau jetzt der Zeitpunkt erreicht, an dem der Stadtrat, unter Beteiligung aller Fraktionen, einen Schlussstrich unter die insgesamt erneut fehlerhafte Planung der Stadtverwaltung Datteln ziehen muss, um weiteren Schaden von der Stadt Datteln abzuwenden. Die rechtlichen Bedenken und die Zweifel an der technischen Umsetzbarkeit der erneuten Planung lassen überhaupt keine andere Entscheidung zu, als das Verfahren zum Bebauungsplan 105a jetzt zu beenden.

Ich möchte die Mitglieder des Stadtrates bitten, nachfolgendes bei den nun anstehenden Entscheidungen bzgl. Datteln IV, zum Wohle der Stadt Datteln, zu bedenken:

Die von allen Befürwortern dieser Industrieansiedlung angestrebten Arbeitsplätze und Steuereinnahmen wird es m. E. für Datteln nicht geben. Warum das so ist möchte ich Ihnen einmal etwas näher erläutern.

Wie Sie sicherlich in den letzten Wochen und Monaten aus der Presse erfahren haben, ist für die vier großen Stromkonzerne in Deutschland die Produktion von Strom, wegen der Vorrangstellung der erneuerbaren Energie, nicht mehr uneingeschränkt profitabel. Es wird von Seiten der Stromkonzerne unverhohlen mit der Schließung von Kraftwerken und mit Arbeitsplatzabbau gedroht. Verschiedene Kraftwerke wurden unterdessen schon stillgelegt und sogar Neubauten nach wenigen Tagen Laufzeit wieder außer Betrieb genommen.

In der Presse war unlängst zu lesen: Betreiber von Kohle- und Gaskraftwerken stöhnen über mangelnde Auslastung – die Kraftwerke werden immer seltener gebraucht, um die Stromerzeugung zu stützen. NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) hat am Montag (12.08.2013) Milliarden-Hilfen (Subventionen für die Kraftwerksbetreiber) gefordert.

Als Negativbeispiel führte Duin das Gas- und Dampfturbinen(GuD)-Kraftwerk Knapsack II in Hürth bei Köln an. Das Kraftwerk sei seit der Inbetriebnahme vor drei Monaten gerade einmal „an zwei Tagen“ am Netz gewesen, sagte der Minister.

Auch andere Kraftwerksbetreiber wie z. B. RWE und auch E.ON selbst wollen wegen des unwirtschaftlichen Betriebes bis zu 28 verschiedene Kraftwerke schließen. Diese Kraftwerke können unter den derzeitigen Marktbedingungen die Zins- und Tilgungsleistung nicht mehr erwirtschaften.

Auch Datteln IV kann unter der derzeitigen Situation am Strommarkt nicht profitabel betrieben werden. Das Kraftwerk Datteln IV würde direkt nach Betriebsbeginn Verluste in Millionenhöhe erwirtschaften und daraus folgend werden vom Betreiber Subventionszahlungen für den Standby-Betrieb des Kraftwerks erwartet. Das hat E.ON bereits mehrfach öffentlich gefordert. Diese Subventionen zahlen dann nicht nur die E.ON Kunden, sondern alle Bürger. Braucht Datteln ein „Standby Kraftwerk“ von dem Datteln keine Steuerzahlungen erwarten kann, das vielleicht auf 1000 Betriebsstunden statt der kalkulierten 6000 Betriebsstunden kommen wird?

Das Kraftwerk wird, wie die anderen 28 anderen Kraftwerke auch, die Zins- und Tilgungsleistung wegen der mangelnden Auslastung nicht erwirtschaften können. Deutschland braucht aber keine weiteren Grundlastkraftwerke und erst recht keine neu gebauten. Der derzeitige Kraftwerkspark reicht bei weitem aus, um die Grundlastversorgung in Deutschland ausreichend zu decken und die Energiewende bis zur erfolgreichen und finalen Umsetzung zu tragen. Das teilt u.a. auch die Bundesnetzagentur mit.

Weshalb E.ON meint, dass gerade sein in der Planung befindliche Steinkohlekraftwerk Datteln IV wirtschaftlich arbeiten kann, muss erst noch belastbar, von E.ON selbst, nachgewiesen werden.

Welche Einnahmen kann sich die Stadt Datteln von einem Kraftwerk erhoffen, dass bereits vor Betriebsbeginn Verluste produziert?

Unter den oben genannten Voraussetzungen (mangelnde Auslastung) ist der Neubau eines Steinkohlekraftwerks in Datteln überhaupt nicht mehr darstellbar. Ich möchte Sie an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen, dass das Steinkohlekraftwerk Datteln IV im Rechtssinne nicht existiert.

Ich rege deshalb nach der GO NRW an: Der Neubau und der Betrieb eines Steinkohlekraftwerks ist in der geplanten Größenordnung auf dem o.g. Grundstück nicht durchführbar. Die für den Neubau eines Steinkohlekraftwerkes zugrunde zu legenden Vorschriften, Gesetze und Verordnungen lassen die Stromproduktion und die Aufnahme von weiteren Aktivitäten des `Störfallbetriebes` an diesem Standort nicht zu. Der Stadtrat fasst deshalb den Beschluss, das gesamte Verfahren zum Bebauungsplan 105a zu beenden und weist die Stadtverwaltung Datteln an, diesen Beschluss unverzüglich umzusetzen.

Eine so hohe Risikobereitschaft, wie Sie E.ON für den rechtswidrig erstellten Kraftwerksbau an den Tag gelegt hat, hat m. E. noch sehr viel tieferliegende Gründe, die mit Sicherheit noch von der Justiz eingehend beleuchtet werden wird. Der gesamte Aufbau der Planung, die Durchführung und dann die Ausnutzung von rechtswidrig erteilten und wieder entzogenen Genehmigungen sind in meinen Augen unlauter und widersprechen den Gepflogenheiten in Industrie, Handel und Gewerbe.“

(Name und Anschrift des Verfassers sind den Ruhrbaronen bekannt. Der Autor möchte aber lieber anonym bleiben. Wir haben seinen Namen daher hier wunschgemäß entfernt.)

Passend zum Thema u.a.:

https://www.ruhrbarone.de/datteln-4-auch-das-durchwinken-einer-zielabweichung-gehoert-zum-politischen-einmischen/

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Walter Stach
Walter Stach
10 Jahre zuvor

Robin, danke für die Veröffentlichung und danke an den Verfasser des Briefes!

Als Gegner des größten Monoblock-Kohlekraftwerk Europas(!) an diesem
Standort (!) interessieren mich selbstverständlich alle einschlägigen Aktivitäten und alle Argumentationen.

Anzunehmen, daß die „Kraftwerk-Fans“ in Datteln den Brief von A bis Z lesen geschweige denn, über seinen Inhalt nachdenken , wäre absolut verfehlt. Der Verfasser des Briefes kennt die „Diskurs-unfähigkeit“ der großen Mehrheit der Mitglieder des Rates der Stadt Datteln noch besser als ich und wird sich folglich keinerlei Illusionen hingeben.

Brilano
Brilano
10 Jahre zuvor

Datteln IV ist ein `tot geborenes Kind`
Der Stadtrat hat bereits im ersten Verfahren versagt. Auch jetzt hat er m. E. versäumt, eigene Akzente zu setzen und Bürgerinteressen umzusetzen wie z. B. die Einhausung der Kohlelager. Das war nur eine der vielen Forderungen des Stadtrates nach dem ersten Debakel und auch davon ist wieder nichts übrig geblieben. Jetzt geht es eigentlich nur noch darum, das Versagen der Stadtverwaltung und des Stadtrates für die nächsten Klageverfahren aktenkundig zu machen.

Revierbürger
Revierbürger
10 Jahre zuvor

Journalisten Bloggen das Revier!!! Lachhaft, wenn da Tumult gegen eines der modernsten und effizientesten Kohlekraftwerke der Welt gemacht wird. Aus meinem Wohnzimmer habe ich freien Blick die Silhouette der Energiefabrik, die die Abendsonne zumeist in unterschiedliche Blaugrautöne hüllt. Früher stand dort eine stinkende Zeche und Kokerei. Und wenn jetzt im Herbstnebel ohne Sonne und Wind die alten dattelner Blöcke rumbullern, dann wird offensichtlich warum dort Erneuerung Not tut. Weil man diesen Strom mit deutlich weniger Kohle erzeugen könnte! Natürlich wird da mehr Stom produziert als in Datteln verbraucht wird. Aber werden in Wolfsburg nur Autos für Niedersachsen produziert? Wird in Leverkusen nur Pflanzengift für das Rheinland erzeugt?
Total lustig finde ich auch, wenn sich Kraftwerksgegner Gedanken um die Wirtschaftlichkeit der bekämpften Anlagen machen. Wohin es führt, wenn Googleaufgeschlaute und Ideologen Technologieumbrüche in die Hand nehmen, lässt sich bestens an der Energiewende nachvollziehen.

Walter Stach
Walter Stach
10 Jahre zuvor

-3-Revierbürger-

Viele Menschen in der Region, vor allem aber das Oberverwaltungsgericht Münster -sh.Urteil 2009- machen keinen lachhaften Tumult, sondern sie verhalten sich nach dem Prinzip: „Recht geht vor Macht“, hier muß das Recht vor der Macht von E.ON und deren Helfershelfer in Politik und Administration gehen.

Im übrigen:
Die Protagonisten des größten Monoblock-Kohle-Kraftwerk-Europas an diesem Standort argumentieren in der Regel qualifizierter Sie es tun mit : „Blick aus dem Wohnzimmer auf……“ und mit “ Googlegeaufgeschlaute….“ u.a. mehr.

Offenkundig nicht ganz einfach, sich sachbezogen und dementsprechend qualifiziert mit der Auffassung Andersdenkender kritsch auseinanderzusetzen.

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